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Wissenschaft: weder Berufung noch Beruf?


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Im letzten Jahr jährte sich zum hundertsten Mal Max Webers klassischer Vortrag über »Wissenschaft als Beruf«1. Dieser Vortrag ist nicht nur der Schlüsseltext für Webers Geschichtskonstruktion als »Prozess der Entzauberung«2, sondern auch die immer noch wirksame und präsente Vergleichsfolie für Erkundungen über einerseits die Motivation oder Berufung des Wissenschaftlers und andererseits den Beruf, d. h. die Karrierewege und Karrierechancen von Wissenschaftlern.3 Hinsichtlich der Berufs- und Karrierechancen wird gerne Webers Diktum von der wissenschaftlichen Laufbahn als »Hazard« wiederholt4 und als immer noch (oder wieder) gültig behauptet. Weber kontrastiert hier die prekäre Situation des Privatdozenten mit den innerorganisatorischen Karrieren in amerikanischen betriebsförmigen Universitätsinstituten. Hinsichtlich der Berufung zum Wissenschaftler fordert Weber die leidenschaftliche und illusionslose Hingabe an Forschungsaufgaben, die nie an ein Ende gelangen können. Wissenschaft muss um ihrer selbst willen und der ihr eigenen Werte betrieben werden. Diese Teile des Vortrages gelten heutzutage in der Regel als entweder immer schon nietzscheanisch überzogen oder jedenfalls inzwischen unter Bedingungen einer arbeitsvertraglich zumindest befristet abgesicherten Erwerbstätigkeit und drittmittelgesteuerter Projektziele ziemlich
weltfremd.5

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Leopoldina, acatech und die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften haben ebenfalls im Vorjahr eine Stellungnahme zur Promotion im Umbruch6 erarbeitet, die sich vor allem auf vier Themen konzentriert: die Abwehr der Promotionsphase als dritte »Bologna«-Periode der tertiären Berufsausbildung, die Bedrohung durch ein Promotionsrecht der Fachhochschulen, die Noteninflation und die teilweise bzw. überwiegend zweifelhafte Qualität der Promotion in der Medizin, in der Jurisprudenz und in der Betriebswirtschaft. Mir scheint eher zweifelhaft, dass dies die vordringlichsten Probleme sind.


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2017 erschien auch der dritte Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs7 mit den neuesten Daten zur Lage von Doktoranden und Postgraduierten und einem Schwerpunkt zur Vereinbarkeit von Familienbildung und Tätigkeiten in wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Der Verfasser trug zu dem Bundesbericht als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats bei. Dieser Bundes­bericht gab u. a. Anlass zu einer heftigen Kontroverse über die Verbleibschancen von Promovierten an Universitäten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen und über das Ausmaß des »Flaschenhalses« im Zugang zu Profes
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Diese drei Kontexte bieten einen willkommenen Anlass für Denkanstöße im Sinne einer Reflektion einer Reihe von aktuellen Problemstellungen. Es geht mir dabei weniger um die forcierte Vertretung bestimmter Positionen als um die Aufklärung kontroverser Betrachtungsweisen. Folgende Fragen stehen auf der Agenda: 


Ist die Expansion projektgebundener Drittmittelforschung, politisch gesteuerter Programmforschung auf Bundes- und Europaebene und unternehmensnaher Promotionsförderung wünschenswert oder verhängnisvoll? 


Gibt es zu viele Doktoranden und Promovierte und was bedeutet die Anzahl und Verteilung der Doktoranden und Promovierten für die Alternative, die Promotionsphase als dritten Teil der tertiären Berufsausbildung oder als erste Phase selbständiger Forschungstätigkeit zu definieren? Indiziert die absolute Zunahme der Promotionszahlen und die Noteninflation einen schleichenden Qualitätsverlust?


Welche Chancen gibt es nach der Promotion für »Wissenschaft als Beruf«, d. h. eine transparente und planbare Laufbahn?


Sind – vor allem in der PostDoc-Phase – befristete Verträge und die so­genannte Prekarisierung das Hauptproblem oder die Fragmentierung der Karrierewege?


Ist die klientelistische Rekrutierung und die Individualbetreuung durch Doktormütter und -väter (Akademiestellungnahme: »mentorbetreute Promotion«) überholt und die Einführung von Gruppenbetreuung und externen Gutachtern zukunftsfähig? Ist die formale Einführung eines Doktorandenstatus hilfreich?


Wie weit ist die Entwicklung von »Dachstrukturen« gediehen und warum gibt es keine universitätsweiten »graduate schools«?


Ich will mich im Folgenden auf die ersten drei Fragen beschränken, weil sie mir relativ am wichtigsten erscheinen.


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Offensichtlich sind die eigenen Wahrnehmungen und Bewertungen immer selektiv und durch die jeweiligen Erfahrungshorizonte beschränkt und verzerrt. Im Sinne von »truth in advertising« will ich daher meine eigenen Erfahrungshorizonte und -grenzen offenlegen: Disziplinär bin ich ein empirischer, stark quantitativ orientierter Sozialwissenschaftler, institutionell prägten mich meine langjährigen Erfahrungen als Projektleiter in einer DFG-Forschungsgruppe und einem der ersten Sonderforschungsbereiche mit mehr als 20-jähriger Laufzeit, meine 22-jährige Erfahrung als Direktor eines Max-Planck-­Instituts mit einer Vielzahl von Doktoranden, Postdocs und wissenschaftlichen Mitarbeitern in meiner Arbeitsgruppe, 7 Jahre als Professor und Department Head an einer US-amerikanischen Ivy League Universität und 4 Jahre als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.


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Ist die Expansion projektgebundener Drittmittelforschung, politisch gesteuerter Programmforschung auf Bundes- und Europaebene sowie unternehmensnaher Promotionsförderung wünschenswert oder verhängnisvoll? 


Der vielleicht gravierendste Wandel der Promotions- und Postdoc-Phase zeichnet sich dadurch aus, dass die Themen wissenschaftlicher Arbeit in einem rasch wachsenden Ausmaß durch Drittmittelfinanzierungen vorbestimmt sind. Das gilt nicht nur für von Professoren eingeworbene Projekte, die dann ganz überwiegend von Doktoranden durchgeführt werden, sondern auch über den Weg thematischer Engführungen für DFG-Graduiertenkollegs und Exzellenzcluster, die zum Teil sehr kleinteilige Ausschreibung in europäischen Forschungsprogrammen (z. B. im Rahmen der »Grand Challenges« oder »Joint Research Initiatives«) und die zunehmende Programmforschung des Bundes. Im Gegensatz zu der weitgehend institutionell orientierten Länderpolitik ist eine Bundesforschungspolitik auf Grund der politischen Imperative zu ihrer Legitimierung zwangsläufig Programmforschung. Sie erhält durch die wachsenden Finanzierungsanteile des Bundes an Gewicht. Und wann immer ein politisches Problem auftritt, werden Forschungsschwerpunkte und Forschungsinstitute eingerichtet, wie in jüngster Zeit mit dem Bundesprogramm zur Migrationsforschung oder zum »gesellschaftlichen Zusammenhalt«. 


In einer jüngsten Erklärung haben die ARGE TU (Arbeitsgemeinschaft der Technischen Universitäten) und die TU 9 – die ja nicht gerade für ihre Industrieferne bekannt sind – die Abhängigkeit von Doktorandenprogrammen von Industriefirmen (»Kuckucksei«-Promotionen) beklagt.9 Um ein weiteres aktuelles Beispiel zu nennen: Die der Lidl-AG nahestehende Schwarz-Stiftung finanziert mit mehreren hundert Millionen nicht nur eine Business School, sondern auch ein Doktorandenprogramm der TU München an dem Standort der Firmenzentrale im weit entlegenen Heilbronn mit thematisch deutlich firmenaffinen Schwerpunkten. Darüber hinaus verstärkt sich die Forderung nach der Ausrichtung der Forschung an Problemen der ökologischen Transformation und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.


Für solche Arten von Themengebundenheit der Forschung gibt es viele gute Gründe. Selbstverständlich sind in der naturwissenschaftlichen Laborforschung Forschungsprogramme »gesetzt«, für die sich ja dann auch Doktoranden und Postdocs nach ihren jeweiligen Interessen bewerben können. In meiner eigenen langjährigen Forschungsgruppe zu »Lebensverläufen und sozialem Wandel« und auch denen meiner Kollegen am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung habe ich die besondere Erfolgschance darin gesehen, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in (u. a. durch große Längsschnitterhebungen) bestimmte langfristige Programme eintreten und, statt das Rad immer neu zu erfinden, zu einer stark kumulativen Forschung beitragen können. Und liegt nicht in der gesellschaftlichen Relevanz eine der wichtigsten Voraussetzungen der Motivation zur Wissenschaft? Was denn sonst trieb die Studenten in den 60er und 70er Jahren in die Sozialwissenschaften und die Studentinnen seit den 80er Jahren in eine ökologisch perzipierte Biologie? Und ist eine thematische Profilbildung der Universitäten, nicht zuletzt befördert durch die Exzellenzstrategie nicht eine wünschenswerte Entwicklung? Dass betriebs- und ingenieurwissenschaftliche Forschung anwendungsnah sein sollte und die Zusammenarbeit mit Firmen gerade auch in der Promotionsphase ideale Einstiegschancen bietet, liegt auf der Hand. Die chemische Forschung hat seit Jahrzehnten demonstriert, wie beide Seiten von solchen Kooperationen Gewinn ziehen. Was ist also das Problem?


Das primäre Problem kann darin gesehen werden, dass die eigenständige Entwicklung einer wissenschaftlichen Fragestellung genuiner Teil einer Promotion (und noch mehr anschließender Forschungsarbeit) sein sollte und diese Interessen die Problemwahl bestimmen sollten.10 Die autonome Entwicklung innovativer Forschungsprogramme und die Chancen dafür entscheiden dann ja auch über den Erfolg in der weiteren wissenschaftlichen Karriere.11 Im Gegensatz zum deutschen Usus gilt es an amerikanischen Spitzenuniversitäten als ein absolutes »NoNo« für Promovierende, die Forschungsinteressen der professoralen Mentoren zu verfolgen. Das Gegenteil wird erwartet. Drittmittel­finanzierte Promotionen (und Habilitationen) sind darüber hinaus allzu häufig nicht-monetäre Kompensationen für Forschungs- und Anwendungsdienstleistungen in Projekten. Wer produktiv und loyal in Projekten mitarbeitet, dem wird die Unterstützung bei Qualifizierungen in Aussicht gestellt. Solche Arbeiten sind also dann nicht nur thematisch fremdbestimmt, sondern es besteht die Gefahr, dass sie auch nach sekundären Kriterien bewertet werden. 


Bei Projekten der europäischen Forschungsförderung (außerhalb des Euro­pean Research Council) ist in kleinstteiligen Ausschreibungen zum Teil ja bereits nicht nur die Begriffssprache vorgegeben, sondern auch eine Vielzahl von Programmkriterien.12 Mag ein zynischer Umgang mit solchen Vorgaben für senior researchers ein probater Ausweg sein, für Nachwuchswissenschaftler, die in aller Regel die Projekte bearbeiten, ist eine derartige intellektuelle Unterwerfung katastrophal. 


Ein Umsteuern bei der Finanzierung von Promotionsvorhaben scheint mir hier das gebotene Instrument. Zum einen sollten stärker disziplinär ausgerichtete Landesdoktorandenprogramme wieder besser ausgestattet werden, zum andern sollten angebotsbestimmte Finanzierungen durch nachfragebestimmte Finanzierungen ergänzt oder ersetzt werden, bei der die Ressourcen an die Promovierenden bzw. Postdocs gebunden sind, die sich ihre Institutionen dann selbst aussuchen können.


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Gibt es zu viele Doktoranden und Promovierte und was bedeutet die Anzahl und Verteilung der Doktoranden und Promovierten für die Alternative, die Promotionsphase als dritten Teil der tertiären Berufsausbildung oder als erste Phase selbständiger Forschungstätigkeit zu definieren? Indiziert die absolute Zunahme der Promotionszahlen und die Noteninflation einen schleichenden Qualitätsverlust? 


Über das letzte Jahrzehnt ist die Promotionsquote trotz der stark steigenden Zahlen an Hochschulabsolventen mit ca. 20 % ziemlich stabil geblieben (mit großen Fächerunterschieden bei ca. 40 % in Mathematik und Naturwissenschaften und ca. 6 % in Kunstgeschichte). Die Anzahl der Promotionen beträgt inzwischen (2016) 29.000. Das Statistische Bundesamt schätzt den Bestand an Doktoranden auf ca. 200.000.13 Das bedeutet mit Sicherheit, dass sich (bei entsprechenden Annahmen über Abbruchquoten und mittlere Verweildauern) die Anzahl der Promotionen weiter stark erhöhen wird. Dabei wird die Zunahme der Promotionen in sehr hohem Maße getrieben durch die Expansion der Drittmittel (ca. 40 % bei den Universitäten und ca. 50 % bei den außeruniversitären Forschungsorganisationen).


Zusammen mit dem Befund einer starken Noteninflation14 erscheinen folglich Klagen über einen drohenden oder bereits eingetretenen Qualitätsverlust plausibel. Belastbare Untersuchungen liegen dazu meines Wissens nicht vor und müssten mindestens disziplin-, wenn nicht forschungsfeldspezifisch durchgeführt werden. Ich sehe aber für einen Qualitätsverlust keinerlei Indizien. In den Forschungsgebieten der empirischen Sozialforschung, die ich überblicke, kann keine Rede davon sein. Im Gegenteil sind die Dissertationen theo­retisch, methodisch und empirisch sehr viel anspruchsvoller geworden. Auch die nicht nur in den Naturwissenschaften massiv angestiegene Vorgabe von Dissertationen als Kumulativarbeiten von Zeitschriftenartikeln (inzwischen 23 % aller Dissertationen15) mag man zwar als Ausdruck überzogenen Wettbewerbsdrucks beklagen, mit Sicherheit haben sie aber zu wesentlichen Qualitätsverbesserungen beigetragen. 


Im Übrigen halte ich die in eine Dissertation investierte Lebenszeit sowohl individuell wie ökonomisch und gesellschaftlich gut angelegt. Die eigenständige Erarbeitung eines wissenschaftlichen Problems nach höchsten methodischen Standards erscheint mir auch dann eine sinnvolle Investition, wenn auf diesem Spezialgebiet nicht weitergearbeitet werden kann oder die Wissenschaft ganz verlassen wird. Allerdings kann dies nur unter den Voraussetzungen gelten, dass die Promotionsdauer drei bis vier Jahre nicht überschreitet und das Lebensalter bei der Promotion eher bei 28 Jahren als über 30 liegt.


Diese m. E. gut begründbare Einschätzung darf allerdings nicht zur ­Absolution der Ausweitung von Doktorandenzahlen führen, die durch den galoppierenden Anstieg der Drittmittel verursacht wird. Die Nutzung von Doktoranden anstelle von promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern ist für die meist professoralen Antragsteller »rational«, weil sie relativ billig sind (man bekommt bis zu 2 Mitarbeiter für eine bewilligte Stelle) und man für ihre 
Weiterbeschäftigung keine Verantwortung trägt. Für die Personalstruktur und Personalentwicklung der Hochschulen ist das allerdings verhängnisvoll und wahrscheinlich auch nicht optimal für die Forschung. Es entsteht dadurch ein künstlicher »Flaschenhals« nach der Promotion, der selbst die angemessene Auswertung und Publikation der Promotionsergebnisse häufig behindert. Nicht zuletzt werden dadurch unrealistische Erwartungen auf eine Hochschullaufbahn geweckt.


Da tendenziell ca. 30.000 Promotionen pro Jahr (29.303 im Jahr 2016) maximal 1.000 Erstberufungen auf Professuren pro Jahr gegenüberstehen,16 braucht man nicht groß zu rechnen, um abzuleiten, dass der überwiegende Teil der Promovierten nicht in dem öffentlichen Sektor von Forschung und Lehre verbleibt. Dies gilt auch dann, wenn man den »Bedarf« der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und den steilen Anstieg der akademischen administrativen Mitarbeiter in den Universitäten (der viel höher ist als der Anstieg der wissenschaftlichen Mitarbeiter in Forschung und Lehre) berücksichtigt.


Unbeschadet meiner Argumentation oben zum Nutzen von Forschungs­erfahrung für Tätigkeiten außerhalb der Forschung stellt sich dann aber schon die Frage, ob die Position in der Promotionsstellungnahme der Akademien haltbar ist, die Promotion sei der Beginn einer eigenständigen Forschungskarriere und nicht die dritte Phase einer tertiären Berufsausbildung. Denn nicht nur bei den zu recht beklagenswerten »Statuspromotionen« in manchen Fächern ist für den ganz überwiegenden Teil der Doktoranden die Promotionsphase eben doch der Start in eine Tätigkeit außerhalb von Forschung und Lehre und sollte daher auch optimal dafür qualifizieren.


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Wissenschaft als Beruf – Chancen nach der Promotion:


Ebenso wenig wie die bloße hohe Anzahl von Doktoranden Anlass von Sorge und Kritik zu sein braucht, gilt dies für die ersten Jahre der Post-Doc Phase. Auch diese Jahre können individuell und gesellschaftlich erwünschte Investitionen in Höchstqualifikationen sein. Problematisch ist aber, dass das durchschnittliche Lebensalter bei Abschluss der Promotion mit ca. 32 zu hoch ist und dass ein zu hoher Anteil von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermutigt wird eine Professur oder eine vergleichbare Tätigkeit im öffentlichen Sektor anzustreben. Ein bis zwei Jahre nach der Promotion strebt über ein Fünftel eine Professur oder vergleichbare Tätigkeit an.17 Problematisch ist daher, dass meist nicht schon früh – spätestens nach drei oder vier Jahren – 
in Statusgesprächen verabredet wird, ob eine Hochschullehrerlaufbahn realistisch ist und von der jeweiligen Institution unterstützt wird oder nicht.


Ein zentrales Problem der deutschen Universität ist schließlich die weitgehende Fragmentierung der Karrierewege nach der Promotion auf dem Weg zu einer Professur: grundfinanzierte Tätigkeiten an Hochschulen; Mitarbeiterstellen in drittmittelfinanzierten Projekten; Mitarbeiterstellen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen; Post-Doc-Stipendien; Leiter von Nachwuchsgruppen; Juniorprofessuren ohne haushaltsgesicherte spätere unbefristete Professur; Tenureprofessuren und Lehrbeauftragte. Diese institutionelle Fragmentierung verhindert die Planbarkeit von wissenschaftlichen Werdegängen und erschwert den Einstieg von Ausländern und den Wiedereinstieg von Rückkehrern aus dem Ausland. Notwendig ist daher eine flächendeckende Einführung von Tenure-Track-Juniorprofessuren als nahezu ausschließlicher Karrierepfad zur Professur. Damit würde die Entscheidung über eine Hochschullehrerlaufbahn vom Lebensalter über 40 in das Lebensalter um 30 verschoben. Dies müsste verbunden sein mit der Abschaffung der Lehrstuhlmitarbeiter und der Einrichtung von ca. zusätzlichen 10.000 Professuren.18 Wissenschaft als Beruf würde damit endlich zu einer realistischen Perspektive.


  1. 1Max Weber, »Wissenschaft als Beruf«, in Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter (Hg.), Max-Weber-Gesamtausgabe I, 17, Tübingen 1992.
  2. 2Vgl. Hans Joas, Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte der Entzauberung, Berlin 2017; Hartmut Lehmann, Die Entzauberung der Welt, Göttingen 2009.
  3. 3Karl Ulrich Mayer, From Max Weber’s »Science as a Vocation« to »Horizon 2020« (Max Weber Lecture Series 2013/06), Florenz 2013; Heinz Bude, »Wissenschaft als Beruf«, Vortrag zum 100. Jahrestag von Max Webers Rede, gehalten am 7.11.2017 am INCHER Kassel, Videoaufzeichnung: https://www.uni-kassel.de/einrichtungen/incher/veranstaltungen/videos.html (30.1.2018).
  4. 4Weber, Wissenschaft als Beruf (Fn. 1), S. 78.


  5. 5Mayer, From Max Weber’s … (Fn. 3).
  6. 6Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Federführung: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) (Hg.), Promotion im Umbruch, Halle a. d. S. 2017, https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2017_Promotion_im_Umbruch.pdf (30.1.2018).
  7. 7Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (Hg.), Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, Bielefeld 2017.
  8. 8Christoph Lundgreen und Jule Specht, »Über Größe und Zeitpunkt des Flaschenhalses: Plädoyer für frühe Karriereentscheidungen in der Wissenschaft. Kommentar zu Karl Ulrich Mayer«, in Forschung. Politik – Strategie – Management 10 (2017), S. 36–39; Karl Ulrich Mayer, »Zur Lage junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im deutschen Wissenschaftssystem«, in ebd. S. 36–38; Gerald Wagner, »Die Neuvermessung des Flaschenhalses«, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.7.2017.
  9. 9ARGE-TU (Hg.), Promotionen in Kooperation mit der Industrie (»Kuckucksei«-Promotionen), Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft der Technischen Universitäten (ARGE-TU) vom 14.6.2017, www.tu9.de./presse//presse_7066.php (30.1.2018).

  10. 10Yehuda Elkana, »Kognitive, soziale und politische Aspekte der Problemwahl in der Wissenschaft«, in Peter H. Hofschneider und Karl Ulrich Mayer (Hg.), Generationsdynamik und Innovation in der Grundlagenforschung, München 1990 (Max-Planck-Gesellschaft, ­Berichte und Mitteilungen 3/1990).
  11. 11Jochen Gläser und Grit Laudel, The Three Careers of an Academic, Discussion Paper 35/2015, Berlin 2015, http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Discussion_Papers_neu/discussion_paper_Nr__35.pdf (30.1.2018).
  12. 12Mayer, From Max Weber’s … (Fn. 3).

  13. 13Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hg.), Promovierende in Deutschland, Wintersemester 2014/2015, Wiesbaden 2016, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Hochschulen/Promovierende5213104149004.pdf?__blob=publicationFile (30.1.2018).
  14. 14Stefan Hornbostel und David Johann, »Summa cum laude. Promotionsnoten in Deutschland«, in Forschung & Lehre 5 (2017), S. 420–422.
  15. 15Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Promovierende in Deutschland (Fn. 13).
  16. 16Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (Fn. 7); Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Promovierende in Deutschland (Fn. 13).
  17. 17Kolja Briedis u. a., Berufswunsch Wissenschaft? Laufbahnentscheidungen für und gegen eine wissenschaftliche Karriere, Hannover 2014, www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh-201408.pdf (30.1.2018).

  18. 18Vgl. dazu auch Lundgreen und Specht, Über Größe und Zeitpunkt des Flaschenhalses; Mayer, Zur Lage junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (jew. Fn.   8).
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Heft 19 (2018)
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