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Das Verbundprojekt »Virtuelle Archive für die geisteswissenschaftliche Forschung« – Ein Resümee


Das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK)1 förderte von Mai 2017 bis Dezember 2019 das Verbundprojekt »Virtuelle Archive für die geisteswissenschaftliche Forschung«, an dem die landesfinanzierten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen Sachsens beteiligt waren. Dazu wurden eine Projektgruppe sowie ein wissenschaftlicher Ausschuss eingerichtet, der jeweils unter der Leitung des Präsidenten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig stand.


Die Forschungen des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden (ISGV), des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden (HAIT), des Sorbischen Instituts in Bautzen und Cottbus (SI), des Leibniz-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (SD), des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig (GWZO), des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL) und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) beruhen auf unterschiedlichsten Quellen bildlicher wie gegenständ­licher, aber immer öfter auch multimedialer und rein digitaler Art. Meist sind die relevanten Bestände weit verstreut und müssen aufwändig erschlossen und zusammengeführt werden. Dazu erlangt die digitale Verfügbarkeit dieser Quellen zunehmend an Bedeutung für die wissenschaftliche Arbeit. Mit dem Verbundprojekt bot sich eine hervorragende Möglichkeit, das bei allen Einrichtungen bereits vorhandene, projektbezogene, zum Teil sehr spezifische Wissen im Bereich der Digital Humanities auch den anderen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, wodurch Kompetenzen gebündelt wurden und alle Forschungseinrichtungen voneinander profitieren konnten. Ziel war es, »die sächsischen Institute auf dem digitalen Feld enger zu vernetzen, gerade auch in Hinblick auf die Fähigkeit, zukünftig gemeinsame Aktivitäten oder Projekte mit externen Partnern durchzuführen.«2

Eine Aufbereitung und Verfügbarmachung der Quellen und Forschungsdaten in standardisierter Form ermöglicht die vielfältige Nachnutzung und fach- wie standortübergreifende Auswertung von Materialien im Internet, ­sowohl für die wissenschaftliche Community als auch für die interessierte Öffentlichkeit. Virtuelle Sammlungen bieten den Nutzern je nach Schwerpunkt einen Zugang, der einen zeitlichen oder geographischen Bezug herstellen, aber auch themenbezogen, quellen- bzw. material-, epochen- oder personenbezogen sein kann. Die individuelle Suche in zusammengeführten Beständen mehrerer Archive eröffnet der Forschung neue Perspektiven.


Diese neuen Möglichkeiten werfen aber auch eine ganze Reihe von Fragen auf, die nicht mehr von jeder Institution allein, sondern nur gemeinsam beantwortet werden können. Auch die Funktion von Forschungseinrichtungen als Wissensproduzenten und Wissensvermittler erweitert sich mehr und mehr um die Rolle des Datenhalters. Im erheblichen Umfang werden momentan in Verbünden von Bibliotheken, Archiven und Universitäten Infrastrukturen und Repositorien für die Digital Humanities aufgebaut, sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext. Um hier partizipieren zu können, sind abgestimmte Arbeitsabläufe, die Einhaltung technischer, inhaltlicher und recht­licher Standards, die Sicherung von Langzeitarchivierung und persistenter Zugänglichkeit von großer Bedeutung. Durch diese fortschreitende Entwicklung sind die geisteswissenschaftlichen Landesforschungseinrichtungen mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert.


In diesem Resümee sollen die Genese des Verbundes skizziert, wichtige Themenfelder und auch Herausforderungen benannt und einige Schlussfolgerungen gezogen werden. 


Ausgangspunkt des Verbundprojekts war die allgegenwärtige Digitalisierung, die auch vor den Geisteswissenschaften nicht halt macht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Zusammengefasst werden diese neuen Möglichkeiten in den »Digital Humanities«, die je nach Betrachtungsweise eine Erweiterung des Methodenkanons der Humanities darstellen oder ein völlig neues Fach etablieren. Die anfangs fünf landesfinanzierten geisteswissenschaftlichen Forschungsinstitute des Verbundes befassten sich alle schon in Vorfeld mit unterschiedlichen Schwerpunkten der Digitalisierung, jedoch zumeist ohne Bezug aufeinander. Es stand jedoch außer Frage, dass dieser Aspekt der wissenschaftlichen Arbeit zunehmend bedeutender geworden ist. 


Im Verbundprojekt sollten Quellen im Vordergrund stehen, die schon digital verfügbar waren und bei ihren bestandhaltenden Institutionen präsentiert werden. Diese Quellen sollten nun virtuell im Rahmen eines Forschungs­zusammenhanges zusammengeführt werden. Damit erwiesen sich auch die Vorbehalte einiger Archivare als unbegründet, die befürchteten, dass in diesem Verbund Parallelüberlieferungen in Konkurrenz zu den klassischen Archiven entstehen würden. Die Bandbreite der Projekte, die die Institute in den Verbund einbrachten, zeigt, wie reich und auch wie heterogen geisteswissenschaftliche Forschung ist. Das Sorbische Institut suchte mit seinem Quellenrepositorium zur Geschichte der Sorben in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus3 am ehesten einen archivalischen Zugang. Das Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, über die Quellen und Publikationen ihrer Mitglieder das verlorene Archiv4 aus Parallelüberlieferungen wiedererstehen zu lassen, schließt sich hier an. Eine »klassische« Nachlasserschließung des Volkskundlers Adolf Spamer5 leistete das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, während das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung mit einer inhaltlichen Tiefenerschließung der nationalsozialistischen Zeitung »Der Freiheitskampf«6 eine weitere Facette hinzufügte. Das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow wiederum war mit einer Onlineausstellung zu Jüdischen Gelehrten an der Universität Leipzig7 vertreten. Seit Oktober 2017 verstärkte das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa den Verbund mit Nachlässen zur Osteuropaforschung8 und seit Juli 2018 komplettierte das Deutsche Literaturinstitut an der Universität Leipzig den Kreis mit den Abschlussarbeiten der Absolventen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.9 Neben den unterschiedlichen thema­tischen Zuschnitten unterschieden sich auch die bearbeiteten Materialien, 
das Vorwissen und die hausinternen Möglichkeiten zur Umsetzung digitaler Projekte.


Die Vorgaben für eine gemeinsame Entwicklung sollten von der koordinierenden Stelle, der Arbeitsgruppe der Sächsischen Akademie der Wissenschaften kommen. Zunächst wurden bilaterale Arbeitstreffen in den Instituten initiiert, auf denen die ersten Abstimmungen erfolgten und ausführlichen Zielsetzungen der Teilprojekte besprochen wurden, schon im Juni folgte ein erstes gemeinsames Treffen am Standort des Akademieprojekts in Dresden. Erst hier wurde erstmals die konkrete Zusammenarbeit und das Potenzial erörtert. Ein gemeinsames Präsentationsportal wurde gleich zu Beginn verworfen, unter anderem aufgrund der Gefahr, ein weiteres Spartenportal zu schaffen, dessen Fortbestand nach der Projektlaufzeit fraglich wäre. Stattdessen wurde eine Anbindung an bestehende sächsische Angebote angedacht.


Die Heterogenität der Projekte war zugleich eine Chance, eine möglichst breite Basis an digitaler Expertise zu generieren und in den Verbund zurückzugeben. Vielleicht ergaben sich nicht immer sofort Gewinne für jeden, aber wie Prof. Bürger10 bei einer Sitzung der projektbegleitenden Kommission der Akademie formulierte: »Digitalisierung ist eine Lebensaufgabe«. 


Mit regelmäßigen Workshops in Leipzig, Dresden und Bautzen wurden die Grundlagen der Vernetzung im Verbund gelegt, sowohl inhaltlich als auch technisch. In kleineren internen Arbeitstreffen wurden weitere Festlegungen getroffen – z. B. über die Nutzung der gemeinsamen Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek (DNB), mit der sich Personen, Orte, Schlagworte, Institutionen und Publikationen eindeutig identifizieren lassen. Für Personendaten stand mit dem Beacon-Service von Wikipedia eine einfache, aber wirkungsvolle und erprobte Schnittstelle zur Verfügung. Für Workshops am Jahresende konnten Experten der Stelle für Normdaten der DNB, von Wikidata, der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und vom Archivportal-D gewonnen werden, die mit dem Blick von außen wertvolle Expertise für die Arbeit beisteuerten. Dabei zeigte sich aber auch der noch immer deutliche Unterschied zwischen der Welt der Archive und der Welt der Bibliotheken, der sich die Projekte verbunden fühlten. Kommt die GND aus dem bibliothekarischen Kontext und ist dort eine feste Größe, so findet sie im Archivwesen gerade verhalten Eingang. 


Schon seit Dezember 2017 bestand dankenswerterweise eine Kooperation mit der SLUB, die anfangs eher beratend tätig war, später als aktiver Partner eine gemeinsame Projektpräsentation auf dem zu diesem Zeitpunkt neu aufgesetzten Portal Saxorum11 initiierte. Erörtert wurden auch Teilnahmen an den nationalen und europäischen Kulturportalen Deutsche Digitale Bibliothek und Europeana oder auch am Archivportal-D für Archivalien. Sichtbarkeit von Digitalisaten war ein Hauptziel des Verbund-Projekts und doch oft scheitert diese an den Hürden des Urheberrechts, der Lizenzen und des Archivrechts, vor allem, wenn man sich im 20. Jahrhundert bewegt. Als Schlagworte seien hier nur vergriffene Werke, lückenloser Rechtenachweis, Persönlichkeitsrechte und Sperrfristen genannt. Grundlegend ändern kann dies nur die Politik – für Wissenschaftler verbinden sich mit dieser Problematik momentan täglich Hürden im Forschungsalltag. 


Neben der eigenen Verbundarbeit beteiligten sich die Partner auch an verschiedenen Tagungen und Initiativen. Exemplarisch sollen hier auf die Mitarbeit an der GND-Erweiterung für geografische Datensätze, die 1. GNDCon – 
Öffnung der GND12 im Dezember 2018, an der Vertreter des HAIT, der SLUB und der SAW teilnahmen, und auf die Teilnahme an der Tagung Forschungsdesign 4.013 des ISGV hingewiesen werden. »Vielfalt vernetzen – Wissen teilen«14 – 
diesen Titel trug schließlich die sehr gut besuchte internationale Abschlusstagung des Verbundprojekts. Mit dem Tagungstitel wurde auch noch einmal sehr treffend zusammengefasst, was in den zweieinhalb Jahren zu leisten war und was mit viel Einsatz, trotz zum Teil widriger Umstände, in den Einzelprojekten und im Verbund geleistet wurde – nämlich die Projekte mit ihren Materialien digital verfügbar zu machen, zu verbinden und in den Projekten generiertes Wissen gemeinsam zu nutzen. 


Dabei geht es einerseits um das Wissen der historischen Inhalte und anderseits um das Wissen, welches man für Digitalisierungsprojekte benötigt sowie auch um das Wissen umeinander in der Forschungslandschaft. Mit dem Verbundprojekt wurden erfolgreich die ersten Schritte gemacht und der Grundstein für eine nachhaltige Zusammenarbeit gelegt. Weitere Schritte müssen folgen, will man den erreichten Fortschritt nicht wieder verlieren. Bedauerlicherweise war dies nicht in einer Fortführung des Verbundes möglich.


Und dennoch gibt es eine institutionalisierte Fortführung – dank der Einrichtung einer gemeinsamen dauerhaften Arbeitsstelle im Bereich der Digital Humanities an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften durch das SMWK. Seit Februar 2020 bauen die Mitarbeiter des gemeinsam getragenen »KompetenzwerkD«15 ein Angebot zur Unterstützung digitaler Forschungsprojekte an den sächsischen geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen auf. Es soll jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass gerade das erarbeitete Spezialwissen um digitale Methoden und die besonderen Herausforderungen wissenschaftlicher Arbeit in Projekten mit starker digitaler Komponente in besonderem Maße an die bearbeitenden Personen gebunden ist. Bei der überwiegenden Zahl der Projekte hätte es nach der jetzigen Projektphase Potenzial für eine ertragreiche Erweiterung gegeben. Mit diesem Wissen und vor dem Hintergrund, dass Forschungsprojekte ohne digitale Komponente kaum noch förderfähig sind, fällt der Braindrain durch das Ausscheiden der Projektgruppen besonders stark ins Gewicht. Lediglich an zwei Instituten verblieben Bearbeitende mit neuen Projekten am Haus. Fünf Institute verloren diese wertvolle Expertise, die durch eine externe Arbeitsstelle nicht zu ersetzen, sondern nur zu ergänzen ist.


In den nachfolgenden fünf Aufsätzen16 kann man einen Einblick in die vorliegenden Ergebnisse der Teilprojekte des Verbundes erhalten, die ebenfalls aufzeigen, wie vielfältig – je nach gewählter Methode – die Bearbeitungen auf dem Gebiet der Digital Humanities sein können. Es wäre ein schöner Gewinn, wenn diese Beiträge die Konzeption zukünftiger digitaler Verbundprojekte ­erleichtern würden. 


  1. 1Heute: Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus. Besonderer Dank gilt Frau Staatsministerin a. D. Eva-Maria Stange für ihr Engagement für dieses Projekt und Frau Dr. Caroline Wagner und Frau Friederike May für die wohlwollende Betreuung seitens des Ministeriums.

  2. 2Auszug aus dem Projektantrag, verfasst von der Wissenschaftskoordinatorin der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Frau Dr. Ute Ecker.

  3. 3https://www.serbski-institut.de/de/Digitales-Archivportal (2.10.2020).

  4. 4https://archiv.saw-leipzig.de (2.10.2020).

  5. 5https://www.isgv.de/spamernachlass (2.10.2020).

  6. 6https://hait.tu-dresden.de/ext/forschung/der-freiheitskampf.asp (2.10.2020).

  7. 7http://www.dubnow.de/forschung/gelehrtenprojekt (2.10.2020).

  8. 8https://www.leibniz-gwzo.de/de/forschung/forschungsspektrum/abgeschlossene-themen/virtuelles-archiv (2.10.2020).

  9. 9https://www.deutsches-literaturinstitut.de/textarchiv.html (2.10.2020).

  10. 10Prof. Dr. Thomas Bürger war bis 2018 Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und Vorsitzender der projektbegleitenden Kommission des Akademieprojekts.
  11. 11https://www.saxorum.de/themen/virtuelle-archive-fuer-die-geisteswissenschaftliche-forschung (5.10.2020).

  12. 12https://www.dnb.de/DE/Professionell/ProjekteKooperationen/Projekte/GND4C/gnd4c.html (5.10.2020).

  13. 13https://www.isgv.de/aktuelles/veranstaltungen/details/forschungsdesign-4-0-datengenerierung-und-wissenstransfer-in-interdisziplinaerer-perspektive (5.10.2020).

  14. 14https://www.saw-leipzig.de/de/aktuelles/rueckblick-abschlusstagung-des-verbundprojekts-virtuelle-archive-fuer-die-geisteswissenschaftliche-forschung (5.10.2020).

  15. 15https://www.saw-leipzig.de/de/akademie-digital/akademie-digital/kompetenzwerkd-saechsisches-forschungszentrum-und-kompetenznetzwerk-fuer-digitale-geisteswissenschaften-und-kulturelles-erbe (5.10.2020).

  16. 16Ein weiterer Aufsatz wurde schon an anderer Stelle veröffentlicht. Clemens Heitmann, »Digitales Archivportal zur Geschichte der Sorben. Arbeitsfortschritt und erste Ergebnisse«, in Lětopis 66 (2019) 1, S. 129–140. Der Launch der Onlineausstellung zu jüdischen Gelehrten in Leipzig wurde auf 2021 verschoben.
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Heft 22 (2020)
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