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Grüne Stadt: Urbanität und Natur


Die Stadt der Zukunft wird aus meiner Sicht deutlich grüner sein als die historische Stadt. Waren Städte in ihrer Entstehungszeit ein klarer Gegenentwurf zur umgebenden Landschaft, ist die Polarität zwischen Stadt und Natur seit Schleifung der Stadtmauern zunehmend verblasst und in ein vielfältiges Patchworkmuster übergegangen, welches künftig noch enger und qualifizierter ineinandergewirkt werden sollte. Denn ohne eine hochwertige Grünausstattung werden unsere Städte schlichtweg nicht zukunftsfähig sein! Wir werden beispielsweise bei der zu erwartenden Verdopplung bis Verdreifachung der Anzahl der Hitzetage (> 30 °C) keine klimaangepasste Stadt ohne einen gezielten Einsatz klimaoptimierter Grünflächen entwickeln können. Dresden hatte z. B. in der Klimanormalperiode von 1961–90 durchschnittlich ca. 5,5 Hitzetage pro Jahr zu verzeichnen, 2015 wurden für Dresden-Klotzsche 23 Hitzetage konstatiert – und das wird voraussichtlich keine Ausnahme bleiben. Wir werden auch das Zukunftsthema Wasser einschließlich der Problematik der Starkregen­ereignisse nicht ohne klugen Einsatz vegetativer Elemente und Flächen angehen können. Zudem ist Stadtgrün ein, wenn nicht sogar der entscheidende Schlüssel für das Wohlbefinden der Bevölkerung in der Stadt. In einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in Leipzig wurde die Nähe zu Parkanlagen von 92 % der Befragten als sehr wichtig für ihr Wohlbefinden eingeschätzt; zwei Drittel der Leipziger besuchen mindestens zweimal in der Woche Parkanlagen.1 30 % befragter Dresdner gaben in einer kommunalen Bürgerumfrage an, dass mehr Grün und behagliche Klimaverhältnisse ausschlaggebend für ihren geplanten Umzug sind.2 Grün ist also durchaus mitunter einen Umzug wert. Aber nicht nur das: Nach Untersuchungen in Leipzig fällt der Wohnungsleerstand im Umfeld von Parks und Wäldern signifikant geringer aus als im Umfeld von Brachflächen. Vergleicht man zudem bebaute Gebiete innerhalb des Sichtbereiches von Parks und Wäldern mit denen außerhalb, lässt sich anhand der Leipziger Studie belegen, dass sowohl der Wohnungsleerstand als auch der Leerstand von Ladengeschäften innerhalb des Sichtbereiches von Grünflächen erheblich niedriger ist als außerhalb, im Falle von Ladengeschäften um mehr als 20 %.3 Grünflächen haben also auch ganz klar positive wirtschaftliche Effekte. Nach einer bundesweiten Studie von Hoffmann und Gruehn4 beeinflussen freiraumbezogene Parameter sogar zu 25 bis 37 % den Bodenrichtwert in Städten – ausschlaggebend ist hierbei die Ausstattung mit öffentlichen Grünflächen hoher Aufenthaltsqualität. 


Aber trotz alledem wird, wenn es im Wettbewerb um zunehmend rare Flächen hart auf hart geht, in vielen Fällen eben doch für eine Bebauung und gegen Grün entschieden. Vor diesem Hintergrund ist mit dem Blick auf unsere Zukunftsstadt zu fragen, wie freiraumbezogene Argumente in den stadt­-
politischen Aushandlungsprozessen ›gehärtet‹ werden können, wie sie durchsetzungsstärker gemacht werden können. Vier Punkte möchte ich dabei ­hervorheben.


1. Verbindliche Rahmen setzen


Wollen wir eine ausreichende quantitative Ausstattung der Zukunftsstadt mit Grün absichern, sind klare und verbindliche Rahmensetzungen nötig – wir brauchen Leitplanken. Es gibt bekanntermaßen Richtwerte der Gartenamtsleiterkonferenz, die grundsätzlich ein zentrales und strategisch wichtiges Instrument darstellen. Aber sie stammen von 1973. Seither haben sich neue Typen von Stadtgrün wie Gemeinschaftsgärten oder Naturerfahrungsräume und neue Akteurskonstellationen entwickelt. Die Funktionen des Stadtgrüns sind noch vielfältiger geworden, beispielsweise hat die Funktion des Klimaschutzes und der Klimaanpassung enorm an Bedeutung gewonnen. Die Richtwerte benötigen insofern eine Weiterentwicklung, und vor allem: Sie brauchen eine Spezifizierung, denn Stadt ist nicht gleich Stadt. Die Stadt Dresden hat gerade


eine solche stadtspezifische Konkretisierung der Richtwerte begonnen.5 Zu hoffen ist, dass daraus künftig klare Rahmensetzungen für Bebauungspläne erwachsen.


2. Vielfalt an Stadtgrün schaffen


Quantität ist nur die eine Seite der Medaille, nicht weniger entscheidend ist die Qualität unserer Grünflächen. Vervielfältigen sich die Ansprüche der Bevölkerung und die sonstigen Anforderungen, ist ein gut ausgeklügeltes System ganz unterschiedlicher Grünflächentypen vonnöten. Das heißt: ›Ja‹ zu neuen urbanen Wäldern, auch in der Kernstadt, denn sie vermögen in besonderer Weise, dem Wunsch nach Naturerlebnis mitten in der Stadt Rechnung zu tragen. Sie können zudem hervorragend als Klimakomfort-Insel fungieren. Genauso freilich ein klares ›Ja‹ zu Parkanlagen! Kein anderer Grünflächentyp erfüllt nach Zählungen auf Leipziger Grünflächen so viele soziale Funktionen und vermag beispielsweise den Bedürfnissen von Jugendlichen so gut Rechnung zu tragen.6 Aber auch ein ›Ja‹ zu Stadtwildnis, zu Naturerfahrungsräumen, zu Kleingärten und gern noch vielen weiteren Typen von Stadtgrün: Die Vielfalt macht es. Aber um diese Vielfalt zu kreieren, brauchen wir ein strategisches Vorausdenken. Es gibt Stadtentwicklungskonzepte; warum also gibt es nicht als Pendant ›Grünkonzepte‹, die die geeignete grüne Infrastruktur vordenken? Ich denke, wir brauchen eine Stärkung und kreative Weiterentwicklung der Landschaftsplanung im städtischen Raum.


3. Dynamik zulassen


Zudem sollten wir noch stärker als bislang Dynamik zulassen. Dabei gibt es schon eine Vielzahl sehr gelungener Beispiele, wie Sukzessionsbereiche gezielt gestalterisch in Parkanlagen integriert werden können, so dass sie nicht an Attraktivität verlieren, sondern gewinnen. Aber es lohnt sich aus meiner Sicht, noch einen Schritt weiter zu gehen und Stadtwildnis als Konzept zu verstehen, nämlich als dynamisches Gesamtsystem mit wechselnden Sukzessionsflächen, aber einem über die Zeit in etwa gleich bleibendem Anteil an städtischen Flächen, auf denen sich Natur frei entwickeln kann. Brachflächen verfügen nach umfangreichen Vergleichsuntersuchungen über die höchste Artendiversität, auch gegenüber Parkanlagen und Wäldern.7 Das ist ein Wert, der erst noch bewusst gemacht werden muss.


4. Landschaftliche Teilhabe fördern


Eine wesentliche Herausforderung ist zugleich, mehr landschaftliche Teilhabe zu fördern. Damit meine ich nicht, dass sich Städte aus ihrer kommunalen Verantwortung herausstehlen sollten. Es muss hoheitliche Aufgabe einer Stadt bleiben, eine attraktive Grünausstattung sicherzustellen. Aber immerhin wurde Ende des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Grünflächen bürgerschaftlich initiiert. Daran sollte wieder stärker angeknüpft werden, indem z. B. Modellprojekte einer bürgerschaftlichen Entwicklung von Grünflächen gefördert werden, indem Initiativen des Gemeinschaftsgärtnerns unterstützt oder alternative Organisations- und Managementansätze für die Pflege von Parkanlagen initiiert werden. Albert Einstein meinte einmal, dass Probleme selten durch dieselbe Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind. Ganz in diesem Sinne plädiere ich für Mut zum Experimentieren! Auf jeden Fall stehen eine grüne und eine lebendige und offene Stadt nicht nebeneinander, wie sie es zwangsläufig auf dem Programm der Tagung Zukunftsstadt: grün – offen – ­lebendig8 tun, sondern sie gehören untrennbar zusammen. 


  1. 1Dieter Rink in Catrin Schmidt u. a., Zwischenbericht zum Forschungs- und Entwicklungsvorhaben »Urbane Wälder«, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, Leipzig 2011.

  2. 2Stadt Dresden (Hg.), Kommunale Bürgerumfrage, Dresden 2012.

  3. 3Catrin Schmidt, »Urbane Wälder zwischen Forst und Park«, in Institut für Dendro­chronologie, Baumpflege und Gehölzmanagement Tharandt e.V. (Hg.), Aktuelle Fragen der Baumpflege und -verwendung, Stadtbaumeigenschaften und -wirkungen, Tagungsband Dresdner StadtBaumtage, Tharandt 2015, S. 144–154.

  4. 4Anne Hoffmann und Dietwald Gruehn (Hg.), Bedeutung von Freiräumen und Grünflächen in deutschen Groß- und Mittelstädten für den Wert von Grundstücken und ­Immobilien, LLP-report 010, Dortmund 2010.

  5. 5Catrin Schmidt, Marius Seidel und Frank Großkopf, Entwicklung einer Methodik für die Ermittlung stadtspezifischer Richtwerte für die quantitative und qualitative Ausstattung mit öffentlich nutzbarem Grün in Dresden, im Auftrag des Stadtplanungsamtes der Stadt Dresden, Dresden 2014.

  6. 6Catrin Schmidt, »Wald versus Park. Der Beitrag urbaner Wälder im Mosaik städtischer Grünflächen«, in Stadt und Grün (2015), S. 24–29.

  7. 7Andreas Roloff und Sonja Heemann in Schmidt u. a., Zwischenbericht zum Forschungs- und Entwicklungsvorhaben »Urbane Wälder« (Fn. 1).

  8. 8Tagung Zukunftsstadt: grün – offen – lebendig, 22.10.2015, Dresden, veranstaltet von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der Sächsischen Akademie der Künste und dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung
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Heft 18 (2017)
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