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Anpassung an die sich ändernden klimatischen 
Verhältnisse durch Synthese von Städtebau und 
Stadtdurchgrünung


Grün und Stadt sind nicht von vornherein synergetisch verwoben, vielmehr heißt es oft ›entweder-oder‹. Schon in den großen Erzählungen der Menschheit spiegelt sich dies wider, darunter etwa in der Bibel: Infolge des Sündenfalls wurde das als umfriedeter Garten geschilderte ›Paradies‹ ersetzt durch die Vision der Polis, der ›Stadt‹ in Gestalt des himmlischen Jerusalem. Seit der Sesshaftwerdung des Menschen verdrängten erst Siedlungen, später Städte die ursprünglichen Wiesen und Felder.


Stadt und Grün schließen sich derzeit oft gegenseitig aus. Doch unter den Bedingungen des Klimawandels steht ohne eine sinnvolle Verbindung von beidem die bisherige städtische Lebensqualität auf dem Spiel. Im folgenden Beitrag sollen daher verschiedene Anpassungsstrategien an sich ändernde klimatische Verhältnisse durch die Synthese von Städtebau und Stadtdurchgrünung betrachtet werden.


Zunächst sei die Maßstabsebene Quartier oder Baublock gewählt. Hier gibt es zwei wesentliche gegensätzliche Anpassungsprinzipien. Schaut man beispielsweise Richtung Süden, kann man in Städten, die das künftig bei uns zu erwartende Klima bereits jetzt schon haben, die Folgen eines oft Jahrhunderte währenden Anpassungsprozesses beobachten: In mediterranen Klimaten werden die Straßen, Gassen und Plätze häufig be- und übergrünt, meist mit Platanen (Abb. 1). Alternativ dazu wird schlichtweg so dicht gebaut, dass Plätze und Straßen die meiste Zeit des Tages im Schatten liegen und dadurch kühl gehalten werden – wobei auf die Verdunstungskälte der Bäume in diesem Fall verzichtet werden muss.


Abb. 1: Luftbild von Nimes mit dichter Bebauung, schattigen Gassen und durch Platanen beschattetem Boulevard, Quelle: www.bing.com, Foto: Simmons.
 Abb. 1: Luftbild von Nimes mit dichter Bebauung, schattigen Gassen und durch Platanen beschattetem Boulevard, Quelle: www.bing.com, Foto: Simmons.


Das gegensätzliche Prinzip findet sich in den ›guten‹, behaglich ausgestatteten Städten. Hier können die Straßen eng, hell und hart sein (Abb. 2). Die Begrünung erfolgt vom Rand aus, innerhalb der Quartiere/Höfe oder in der offenen Bauweise, die mit Grün durchzogen ist. In Dresden wären hier beispielhaft Striesen oder Löbtau zu nennen.


Abb. 2: Innenstadt von Mechelen mit ›harter‹, heller Straße und grünen Gärten und Höfen, Foto: Matthias Lerm.
 Abb. 2: Innenstadt von Mechelen mit ›harter‹, heller Straße und grünen Gärten und Höfen, Foto: Matthias Lerm.


Camillo Sitte beschrieb bereits Ende des 19. Jahrhunderts, dass oft schon ein wenig Grün genügt: »Der Großstadtmelancholiker ist ein solcher teils eingebildeter, teils wirklicher Kranker; er leidet an der Sehnsucht, am Heimweh nach der freien Natur. Diese Krankheit, die sich bis zur Erschlaffung aller Arbeitslust steigern kann, wird nicht durch unbewusstes Einatmen von noch so und noch so viel Kubikmeter Sauerstoff oder Ozon geheilt, sondern durch den Anblick des Grünen, durch die Vorstellung der lieben, teuren Mutter Natur. Damit kann und muss der Stadtbaumeister rechnen und nun wird seine Aufgabe auch lösbar; denn während die Forderung, für jede atmende Lunge etliche Quadratmeter Pflanzenblattfläche herzustellen, jede Stadt in ein endloses Villenviertel auflösen würde, genügt jetzt die bloße Vorstellung, ja der bloße Anblick von grünem Laubwerk, wenn auch nur des einzelnen Baumes, der über eine Gartenmauer mit mächtigem Astwerk überhängt und eine ganze Gasse belebt, oder der mächtigen Linde in einer abgeschiedenen lauschigen Platzecke, etwa bei einem plätschernden Brunnen, oder eines vertieften Rasen- oder Blumenfeldes vor den verkehrslosen Seitenflügeln eines hochragenden Monumentalbaues. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass die Phantasie keine plumpen Massenwirkungen braucht, sondern nur Anregungen, nur Anknüpfungspunkte.«1

Denken wir uns aus den Abbildungen 1 und 2 die Komponenten jeweils anders kombiniert: ›Harte‹ Straßen, ›harte‹ Quartiere: Das wäre die übliche, gedanken-, leb- und verantwortungslose Stadt. Im Gegensatz dazu stehen ›grüne‹ Straßen und ›grüne‹ Höfe: Das ist die erstrebenswerte Stadt, die eine lebenswerte, vernünftige Synthese bildet, tauglich auch, im Klimawandel standzuhalten und die städtische Lebens- und Umweltqualität auch unter den Bedingungen extremerer Witterung, vor allem aber heißerer Sommer einigermaßen aufrechtzuerhalten.


Betrachtet man nun in einer nächsten Maßstabsebene den Stadtteil oder die Stadt, gilt es, zunächst verschiedene topografische Grundmuster zu unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Anpassungsmöglichkeiten bieten:


1. Städte ohne wesentliche topografische Hindernisse:


Hier erfolgen Stadterweiterungen meist in konzentrischen Ringen, wie beispielsweise in Köln, Münster oder Mailand (Abb. 3). Es besteht die Notwendigkeit, ›künstlich‹ Klimawandelausgleichsräume freizuhalten, beispielsweise Gewässer, Auen, Parke oder ausgedehnte, möglichst begrünte Verkehrsflächen.


Abb. 3: Mailand, Progetto Raggi Verdi: Grünzüge verknüpfen die kompakte Stadt mit ­ihrem Umland, Quelle: Progetto Raggi Verdi, Pgt – Comune di Milano.
 Abb. 3: Mailand, Progetto Raggi Verdi: Grünzüge verknüpfen die kompakte Stadt mit ­ihrem Umland, Quelle: Progetto Raggi Verdi, Pgt – Comune di Milano.


2. Städte mit wesentlichen topografischen Hindernissen (meist Städte in Tälern): 


Hier können Stadterweiterungen nur entlang der Talkorridore linear erfolgen, wie etwa in Stuttgart, Heidelberg oder Jena (Abb. 4). Ganze Quadranten sind von der intensiven Entwicklung linearer, städtisch kompakter Strukturen auszunehmen, etwa Gewässer, Auen, Parke, ausgedehnte, möglichst begrünte Verkehrsflächen und dazu auch noch Hänge und Hochflächen zur Kaltluftentstehung sowie zu deren Ein- und Durchleitung.


Abb. 4: Jena – kompakte, lineare Bebauungsbänder werden von ›grünen‹ (Wiesen, Wäldern, Parks zur Kaltluftentstehung) und ›blauen‹ Strukturen (Fluss- und Bachtälern) zur Kaltluftein- und -durchleitung begleitet, Grafik: Matthias Lerm, Stadt Jena.
 Abb. 4: Jena – kompakte, lineare Bebauungsbänder werden von ›grünen‹ (Wiesen, Wäldern, Parks zur Kaltluftentstehung) und ›blauen‹ Strukturen (Fluss- und Bachtälern) zur Kaltluftein- und -durchleitung begleitet, Grafik: Matthias Lerm, Stadt Jena.


3. Mischformen – eine eher flächige Ausdehnung ist möglich, obwohl topografische Zäsuren vorhanden sind:


Als Beispiele können etwa Leipzig oder Dresden benannt werden, bei denen Flussauen oder ausgedehnte Stadtwälder (Leipziger Auwald, Dresdner Heide) großflächig von der baulichen Entwicklung auszusparende Areale bilden. Hier sind beide Anpassungsstrategien in Kombination anwendbar.


So werden beispielsweise in Dresden im kleinen und im großen Maßstab verschiedene Herangehensweisen kombiniert. Dies wird exemplarisch deutlich an den beiden wesentlichen gesamtstädtischen Planungsdokumenten der letzten Dekade. Im Planungsleitbild Innenstadt von 2007/08 (Abb. 5) lässt sich eine Synthese von intensiver Stadtentwicklung und Stadtdurchgrünung beobachten. Das Planungsleitbild bietet somit Beispiel für ein gestuftes System aus ausgedehnten Parks  Wiesen, linearen Grünzügen, Stadtboulevards und Alleen. 


Abb. 5: Dresden, Planungsleitbild Innenstadt 2007/08 mit urbanen Stadtquartieren, durchzogen von breiten Alleen und Boulevards (Ausschnitt), Grafik: Franz Pesch, Pesch Partner im Auftrag der Landeshauptstadt Dresden.
 Abb. 5: Dresden, Planungsleitbild Innenstadt 2007/08 mit urbanen Stadtquartieren, durchzogen von breiten Alleen und Boulevards (Ausschnitt), Grafik: Franz Pesch, Pesch Partner im Auftrag der Landeshauptstadt Dresden.


Federführend vom Umweltamt wurde das Leitbild der »kompakten Stadt im ökologischen Netz« (Abb. 6) erstellt. Darin wurde die Idee stadtklimatisch wirksamer Grünzüge noch deutlicher herausgearbeitet. Diese können in peripheren Räumen durch Talauen, Wiesen, Äcker oder Gärten gebildet werden. Je weiter die Bebauung innerstädtische Dichten annimmt, können an die Stelle solcher vergleichsweise wenig versiegelter Bereiche dann auch Boulevards, ­Alleen, Rasenflächen oder Spielplätze treten – wie es aus vorrangig stadtplanerischer Perspektive im Planungsleitbild Innenstadt dargestellt wurde. 


In der Regel sind die Netzkomponenten also multifunktionale Räume, in denen sich mehrere ökologische Funktionen überlagern und ergänzen. Die stadtklimatische Wirkung als Luftleitbahn oder Ausgleichsraum wird künftig entscheidend sein hinsichtlich Bewahrung oder Einbuße der städtischen Lebensqualität, insbesondere bei sommerlichen Hitzeperioden.


Tatsächlich neu sind diese planerischen Ansätze nicht, fanden sie sich doch etwa im Städtebau des ausgehenden 19. Jahrhunderts, verstärkt dann in den sich anschließenden Phasen des Reformstädtebaus im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts:


Abb. 6: Dresden – die kompakte Stadt im ökologischen Netz. Strategisches Leitbild des Landschaftsplans der Landeshauptstadt Dresden, aus: Landeshauptstadt Dresden, Umweltamt (Hg.), Landschaftsplan Dresden, Anlage 5, Juni 2014.
 Nachträgliche Ergänzung: Urheber der Abbildung: Landschaftsarchitekt Paul, verändert durch Landeshauptstadt Dresden. Abb. 6: Dresden – die kompakte Stadt im ökologischen Netz. Strategisches Leitbild des Landschaftsplans der Landeshauptstadt Dresden, aus: Landeshauptstadt Dresden, Umweltamt (Hg.), Landschaftsplan Dresden, Anlage 5, Juni 2014.
 Nachträgliche Ergänzung: Urheber der Abbildung: Landschaftsarchitekt Paul, verändert durch Landeshauptstadt Dresden.

In einer ›guten Stadt‹ sollten auch aus damaliger Sicht nicht nur durch Straßen verbundene Fabrikations-, Geschäfts- und Wohnviertel entstehen, sondern auch Alleen, Grünzüge und Boulevards, die sich – ausgehend von den inneren Ringboulevards und verknüpft durch Schmuckplätze und Parkanlagen – durch die gesamte Stadt ziehen. So engagierte sich etwa Peter Joseph Lenné für die Anlage von breiten, begrünten Ringstraßen, Schmuckplätzen und Boulevards, um allen Gesellschaftsschichten Anteil zu geben an vorteilhaften Lebensbedingungen der wachsenden Großstadt Berlin: »Denn je weiter ein Volk in seiner Kultur und in seinem Wohlstande fortschreitet, desto mannigfaltiger werden auch seine geistigen und sinnlichen Bedürfnisse. […] Dahin gehören dann auch die öffentlichen Spazierwege, deren Anlage und Vervielfältigung in einer großen Stadt nicht allein des Vergnügens wegen, sondern auch aus Rücksicht auf die Gesundheit dringend empfohlen werden muß.«2

Um diese unverändert aktuellen Anforderungen besser erfüllen zu können, werden heutzutage oft Stadtbaumkonzepte erarbeitet. Jena hat in umfangreicher fachübergreifender Zusammenarbeit das Konzept »Stadt und Straßenbäume im Klimawandel – Stadtbaumkonzept zur nachhaltigen Sicherung und Entwicklung des Baumbestandes«3 vorgelegt, in dem es um die Erhaltung und Entfaltung eines vitalen und artenreichen städtischen Grüns in der Stadt auch unter den Bedingungen des voranschreitenden Klimawandels geht. Darin wurde durch den Stadtrat am 27. April 2016 unter anderem beschlossen, dass die Stadt ihren Baumbestand zukunftsfähig erhält und entwickelt, um sich an neue klimatische Herausforderungen anzupassen.


Die Zusammensetzung von Pflanzengesellschaften, auch des urbanen Raumes, weist auch zukünftig eine hohe Dynamik auf, die den jeweiligen Standorteigenschaften und klimatischen Bedingungen, aber auch der Verfügbarkeit geeigneter Arten folgt. Wichtig für das städtische Grün ist vor allem, dass es dauerhaft Bestand hat. Angesichts der zunehmenden Stressfaktoren im urbanen Raum tritt dabei die Frage der Pflanzenherkünfte häufig in den Hintergrund. Im ohnehin extremeren Stadtklima ist meist alles willkommen, was auch unter schwieriger werdenden klimatischen Bedingungen zur Erhaltung und Entwicklung stabiler und artenreicher städtischer Grünbestände beiträgt. Ggf. notwendige Anpassungen der Artenauswahl und -zusammensetzung folgen dabei dem sich entwickelnden Stand der Forschung und Anwendung zur Resilienz von Pflanzengesellschaften.


Neue Stadtbäume werden sich dabei einerseits im sommerlichen Trockenstress bei immer länger und häufiger werdenden Hitzewellen bewähren müssen, was für Provenienzen aus wärmeren Klimaten spräche, andererseits aber auch in den nach wie vor (wenn auch tendenziell seltener auftretenden) Kälte­einbrüchen. Dafür kämen vorrangig innerkontinentale Baumherkünfte in Frage, bei denen sich eine größere Hitze- und Trockenheitstoleranz mit Frosthärte verbinden könnte.


Hinsichtlich des Spezialproblems der ›invasiven Neophyten‹ bei der Weiterentwicklung städtischen Grüns sind neue Ansätze nötig. Pflege von Pflanzungen oder deren Isolierung durch dichtes städtisches Gefüge und eine durchgängige Pflege können helfen, stadtklimaverträgliche Zukunftsbaumarten auch unter den Bedingungen des forcierten Klimawandels dauerhaft und pflegearm zu etablieren.


Naturschutz- und Ausgleichsflächen unterliegen demgegenüber speziellen Regulativen. Hier werden in den Pflege- und Entwicklungskonzepten meist ursprüngliche, charakteristische Arten präferiert und es wird versucht, die (sich auch natürlich vollziehende) Anpassung an sich verändernde Bedingungen durch eine geeignete Pflege zumindest zu verzögern. Es ist selbstverständlich, dass der Schwerpunkt an solch sensiblen Standorten auch weiterhin auf der Erhaltung und Förderung der bisherigen Arten liegen wird.


Die im Rahmen der Jenaer Klimaanpassungstrategie4 erarbeiteten grundlegenden, auch kartographisch dargestellten Informationen zum Lokalklima, zu Böden, pflanzenverfügbarem Wasser, der jeweiligen Globalstrahlung, zu Versiegelung und Erwärmung des jeweiligen Standortes haben Eingang in das Stadtbaumkonzept gefunden. Diese Planungsdaten ermöglichen, Arten im Rahmen der Planungen im öffentlichen und privaten Bereich ganz konkret und standortspezifisch auswählen zu können. So kann zeitnah auf die jeweils aktuellen Erkenntnisse etwa zu Pathogenen, Einschränkungen in der Verwendung bestimmter Arten oder Verfügbarkeiten reagiert werden.


Die Erwartungen an das Stadtgrün sind groß5 und werden zukünftig noch größer werden: Stadtgrün ist Schmuck und Zierde, führt dank seiner wechselnden Erscheinung durch die Jahreszeiten, bietet Ruhe, Orientierung und – vor allem zunehmend mit dem Alter von Bäumen – Identität, kühlt durch Schatten und Verdunstung, bindet Staub, Schadstoffe und Kohlendioxid, ist vielfältiger Lebensraum und verdeckt manch misslungene Gestaltung. Der größte Nutzen hinsichtlich der Klimafolgen ist jedoch, dass vor allem Bäume unmittelbar in den Wasserkreislauf eingebunden sind. Sie nehmen Niederschlags- und Grundwasser auf, speichern und verdunsten es, halten den Boden zusammen und leben in Symbiose mit seinen Lebewesen. Von allen auf Klimaregulierung zielenden Begrünungsmöglichkeiten haben Bäume das günstigste Aufwand-Nutzen-Verhältnis.


Gerade die Kühlwirkung bei sommerlichen Hitzeperioden lässt es angemessen erscheinen, ihre Rolle mit der der leitungsgebundenen Infrastruktur gleichzusetzen und Bäumen daher den notwendigen unversiegelten Wurzelraum im Konzert der Anforderungen aller Versorgungsträger zuzubilligen. Deshalb ist es in Jena bereits seit vielen Jahren bewährte Praxis geworden, Wurzelgräben oder große Pflanzgruben anzulegen. Wo immer möglich, werden diese auch nicht weiter durch Wurzelschutz, der eigentlich Leitungsschutz heißen müsste, eingeengt. Die Verbesserung der Standortverhältnisse von Bäumen ist eine wichtige Maßnahme, den Stadtbaumbestand an den laufenden Klimawandel anzupassen.


Nicht Bäume alleine vermögen all dies zu leisten, sondern auch Sträucher, Stauden, Blumenarrangements in Kübeln und Töpfen, Fassadenrankpflanzen und Dachbegrünungen, ja selbst das eine oder andere Kraut, das aus Ritzen und Spalten kriecht, hilft mit, die Stadt zu schmücken, zu beleben und anderen Lebewesen Nahrung und Versteck zu bieten. Das Grün in der Stadt verhindert so, dass sich die Stadt völlig von ihrer natürlichen Grundlage entfremdet und entfernt.


Der Klimawandel wird die städtische Lebensqualität auf den Prüfstand stellen: »Treibhausgase heizen den Planeten auf, und die nicht zuletzt von der globalen Temperaturverteilung diktierten Verbreitungsgrenzen von Tier- und Pflanzenarten werden ungewohnt heftig in Bewegung geraten. Die Anfänge sehen wir bereits jetzt.«6 Die Zunahme der Temperatur und extremer Wettersituationen werden viele verfügbare Ressourcen für Schadensbeseitigung und Wiederaufbau binden, zulasten der der Annehmlichkeit des städtischen Lebens (›Convenience‹).


Angesichts des Klimawandels wird es nötig sein, Stadtgrün als vollwertige Infrastruktur – ›Grüne Infrastruktur‹ – zu verstehen, die dabei hilft, die städtische Lebensweise auch unter extremeren Witterungssituationen und angesichts tierischer und pflanzlicher Schadorganismen aufrechterhalten zu können. Grüne Infrastruktur leistet dies ohne klimaschädliche Auswirkungen, wie sie häufig mit technischen Anpassungsreaktionen verbinden sind – etwa bei Fahrzeug- und Gebäudeklimatisierung oder technischem Hochwasserschutz. 


Geht es um eine signifikante Temperaturabsenkung durch Begrünung der Stadt, so muss das gute Leben, das sich um 1900 eine begüterte Schicht in den behaglichen, schattigen Villenvierteln ermöglichte, künftig klimatischer Standard für die gesamte Stadt werden. Dass das möglich ist, zeigen die Ergebnisse der Forschungsarbeiten zur Klimaanpassung. Wird der Grünanteil in einem Quartier durch Entsiegelung, Straßen-, Wand-, Dach- und Hofbegrünung wesentlich erhöht, kann die Temperatur an heißen Sommertagen deutlich abgesenkt werden.

Natürlich kann es auch hinsichtlich erfolgversprechender Begrünungsstrategien kein ›Weiter so‹ geben. Soll das Stadtgrün auch künftig mit all seinen infrastrukturellen und ästhetisch-gesundheitsfördernden Leistungen wirksam werden (Abb. 7), bedarf es eines Umdenkens auf ganzer Linie. 


Der ganze volle, pralle Instrumentenkasten, gespeist aus den langjährigen Erfahrungen erfolgreicher Stadtgärtner, ist weit zu öffnen; so beklagte doch schon Camillo Sitte im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts das harte Leben der Stadtbäume: »Die stetige Neubepflanzung gehört zu den immerwährenden Budgetsorgen des Stadtgärtners, und doch wie jammervoll sieht dieses Baumlazarett aus: im Herbst sind die Bäume der Stadtalleen die ersten, welche ihr dürres Laub frühzeitig herabschütteln; ein frisches, gesundes Grün ist niemals ihr eigen. Zu den Zerstörern der Straßenalleen gehört noch der Winterfrost, weil der Boden wegen der mangelnden Schneedecke friert; ferner die Leuchtgasausströmungen, welche den Boden verseuchen. […] Bei den Wiener Ringstraßenalleen forderte anfangs die Wurzelfäule derart viele Opfer, dass nachträglich je zwei oder mehrere Einzelgruben miteinander verbunden wurden, um den Wurzeln eine naturgemäßere Verbreitung zu ermöglichen.«7

Abb. 7: Jena – Stadt im Grünen: Auftrag auch für die Zukunft der städtischen Lebensweise unter den Bedingungen des sich verschärfenden Klimawandels, Foto: Matthias Lerm.
 Abb. 7: Jena – Stadt im Grünen: Auftrag auch für die Zukunft der städtischen Lebensweise unter den Bedingungen des sich verschärfenden Klimawandels, Foto: Matthias Lerm.


Zur Verbesserung von Baumstandorten kann auch gehören, das Regenwasser von den Gehbahnen direkt in die (vergrößerten) Baumscheiben einzuleiten, wobei durch geeignetes Substrat und eine leichte Erhöhung in der Mitte der Baumscheibe auszuschließen ist, dass der Baum ›ersäuft‹. Parkbuchten sollten in versickerungsfähigem Pflaster mit bewachsenen Fugen ausgeführt werden. Durch helle Asphalte oder Flächenbeton kann die Wärmeabstrahlung von Straßenflächen reduziert werden (Albedowirkung), was die Verdunstungsverluste der Bäume reduziert. Über Standortverbesserungen, Anreicherung der Bodenlebewelt, Verbesserung der Wasserbereitstellung und Bodenmelioration, Vergrößerung des durchwurzelbaren Bodenvolumens, Auswahl von auch im Klimawandel resilienten Gehölzarten, ein behutsames Pflege- und Erhaltungsregime bis hin zur Etablierung bürgerschaftlichen Engagements für das Stadtgrün gibt es vielfältige Möglichkeiten. Es bedarf auch der Privatinitiative bei der Begrünung von Vor- und Hausgärten, von Stellplätzen, Baulichkeiten und deren Umfeld. Öffentliches Engagement kann bei der Erhaltung und Weiterentwicklung der Stadt eine Vorreiterrolle einnehmen, wird jedoch alleine nicht ausreichen.


Stadtbäume waren und werden auch in Zukunft die wichtigsten biotischen Instrumente zu einer vergleichsweise kostengünstigen und machbaren Regulierung des Klimawandels sein: »In Zeiten des Umbruchs und der Erschütterungen werden keine Bäume gepflanzt, weil der Glaube an ihr Wachstum geschwunden ist und niemand zu hoffen wagt, daß sich die Kinder in ihrem Schatten ergehen werden. In diesem Betracht sind die Baumschulen ein politisches Barometer von großer Zuverlässigkeit: Die Umsatzzahlen gehen zurück, wenn die Zeiten ins Wanken zu geraten scheinen. Der Baum hat das, nationalökonomisch gesprochen, mit den Konsumgütern des gehobenen Bedarfs gemein. Im Verschwinden des Baumes aus unserer Landschaft und in der Ablösung des zeitbrauchenden Schattenspenders durch schnellwüchsiges Klettergehölz kommt das Misstrauen in die Gegenwart zu Ausdruck und das Gewappnetsein auf konvulsivische Veränderungen der Zustände. Das Pflanzen des Baumes ist demgemäß ein Akt des Protestes und des Trotzes oder ein solcher der großen Zuversicht.«8

Falls es gelingt, entlang eines Straßenzuges, in einem Quartier oder auf einem Platz die Begrünung deutlich zu vergrößern (außer Stadtbäumen tragen z. B. auch Entsiegelung, Fassaden- und Dachbegrünung dazu bei), könnte zumindest ein Teil des klimawandelbedingten Temperaturanstiegs auf quasi natürliche Weise reduziert werden. Kaltluftströme sind zur Kühlung der Stadt nutzbar zu machen, Auen und weitere Grünverbindungen so auszubauen und zu vernetzen, dass sie Witterungsextreme wirksam abpuffern.


Auf Ödland- und Brachflächen, an Gebäuderücksprüngen und manch überraschend von der Natur ›vorgeschlagenen‹ Busch- und Baumstandorten kann und sollte man sich mit ruhigem Puls ansehen, was von einem solchen Vorschlag zu halten sei – ganz vergleichbar dem Gärtner, der die im Frühjahr im Blumenbeet aufgegangenen Kräuter danach betrachtet, ob sie nicht Blühfreude spenden könnten: Er lässt sie so lange heranwachsen, bis sie Art und Charakter preisgeben und entscheidet erst dann, ob er sie weiterhin behält und pflegt oder ausreißt. Es würde für eine hohe Kultur des Umgangs mit Bäumen in einer Stadt sprechen, wenn man sich ebenso verhielte, anstatt unmittelbar mit reflexartigem Ausreißen, Sägen und Fällen nachzukommen, sobald etwas nur entfernt nach ›Wildwuchs‹ aussieht. Oft sind diese ›Vorschläge der Natur‹ Ausdruck des vitalen Lebens- und Überlebenswillens alles Lebendigen – was für intelligente Anpassungen an den Klimawandel von großem Nutzen sein kann.


Die ›gute Stadt‹, also die ›klimagerechte‹ Stadt in Zeiten des Klimawandels, reduziert ihre Flächenansprüche, indem sie auf möglichst kleinstem Raum intensiv baut und (be-)wirtschaftet. Dadurch wird die Zersiedlung der kost­baren Landschaft vermieden, deren ökosystemische Leistungen und Ertragskraft für Mensch und Natur überlebenswichtig sind. Eine qualifizierte Weiterentwicklung städtischer Strukturen wird erst vervollständigt durch Erhalt und Schaffung von Grünzügen und Freiräumen, dank derer auch in den besonders strapaziösen Hitzeperioden kühlende Lüfte in die Stadt geführt werden. Eine weitere Ausdehnung der Stadt in geringer Dichte (Stadtauflockerung) jedoch wäre unverantwortlich angesichts der Tatsache, dass dies nur Wege verlängern, infrastrukturelle Aufwendungen vergrößern, den Klimawandel noch weiter beschleunigen und das urbane Leben insgesamt nur erschweren oder verhindern würde. 


Die Stadt ist und bleibt auch unter den Bedingungen eines sich wandelnden Klimas die kulturvollste und ökologischste Siedlungsform der Menschheit. Die anstehenden Veränderungen beschreibt Thomas Sieverts in seinem Aufsatz Zwischenstadt wie folgt: »Wir kommen gar nicht darum herum, uns Gedanken über die unserer Gesellschaft angemessene Kulturlandschaft zu machen, weil diese sich von der von uns so geliebten alten Kulturlandschaft wird unterscheiden müssen. Diese Kulturlandschaft wird in den Ballungsräumen eine verstädterte Landschaft sein, eine Zwischenstadt zwischen Kultur und Natur. Stadt und Landschaft werden eine neue Symbiose eingehen müssen, polarisiert zwischen biotechnischen Anlagen in der Stadt und neuen Wildnissen in der Landschaft. Stadtökologie wird sich dabei wandeln von einer vorwiegend der Analyse und dem Schutz vorhandener Landschaftsreste dienenden Wissenschaft zu einer Disziplin, die neue Formen von Stadt-Kulturlandschaften aktiv 
entwickelt.«9, 10

  1. 1Camillo Sitte, »Großstadtgrün«, in ders., Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Reprint der 4. Auflage von 1909, Braunschweig/Wiesbaden 1983, S. 193.
  2. 2So zitiert nach Heinz Ohff, Peter Joseph Lenné, Berlin 2012, S. 133.
  3. 3Stadt Jena (Hg.), Bäume in Jena. Stadt- und Straßenbäume im Klimawandel Stadtbaumkonzept, Jena 2016 (= Schriften zur Stadtentwicklung Nr. 7).

  4. 4
Stadt Jena (Hg.), Handbuch. Klimawandelgerechte Stadtentwicklung für Jena, ExWoSt-Modellprojekt Jenaer Klimaanpassungstrategie JenKAS, Jena 2012 (= Schriften zur Stadtentwicklung Nr. 3); ExWoSt-Pilotprojekt StadtKlima: Kommunale Strategien und Potenziale zum Klimawandel.
  5. 5Die folgenden Absätze beruhen auf Matthias Lerm, »Stadt und Grün – Aspekte einer problematischen Beziehung«, in Bäume in Jena (Fn. 3), S. 6–11.

  6. 6Bernhard Kegel, Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen, Köln 2013, S. 472, 512.
  7. 7Sitte, Großstadtgrün (Fn. 1).
  8. 8Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer und Gina Angreß, Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum, Berlin 1964, S. 77.

  9. 9Thomas Sieverts, »Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land«, in Bauwelt Fundamente 118 (1997), S. 55.
  10. 10Danksagung: Ein besonderer Dank gilt Frau Petra Verch, Umweltamt der Landeshauptstadt Dresden, für die weiterführenden Hinweise zur Konzeption »Dresden – die kompakte Stadt im ökologischen Netz« sowie der Landeshauptstadt Dresden für die Erteilung der Veröffentlichungsgenehmigung hierzu und für das Planungsleitbild Innenstadt 2008.
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Heft 18 (2017)
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