Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Promovieren und betreuen


Die Akademien-Stellungnahme Promotion im Umbruch behandelt vornehmlich strukturelle und Statusfragen. Mit dem konkreten Prozess des Promovierens befasst sie sich nur zurückhaltend, was wesentlich der Textsorte »Akademien-Stellungnahme« geschuldet ist. Ein Punkt, an dem diese Zurückhaltung etwas durchbrochen wird, ist die Betreuung. Favorisiert wird hier die herkömmliche mentorbetreute Promotion, nicht ausgeschlossen die strukturierte Promotion, wobei sich zu letzterer Risikoanzeigen notiert finden. Empfohlen werden die vielerorts bereits üblichen Betreuungsvereinbarungen.1

Das damit thematisierte Problem ist, dass manche Promovierende sich unzulänglich betreut fühlen. Andere indes leiden, umgekehrt, unter zu viel betreuender Zuwendung. Was in einer Akademien-Stellungnahme (an der der Autor beteiligt war) schlecht zu verhandeln ist, sind die Idiosynkrasien, die dem Promovieren als sozialem Prozess auch innewohnen (können). Befreit von der Verpflichtung auf die spezielle Textsorte lässt sich dazu aber nun etwas nachtragen, das lediglich anekdotische Evidenz beanspruchen kann und sich die Freiheit leiser Ironie leistet. 


Zwei Voraussetzungen liegen zugrunde. Erstens: Man muss nicht promovieren, um glücklich, erfolgreich, wohlhabend oder all dies zusammen werden zu können. Vielmehr muss, wer promoviert, es mit heftiger Ergriffenheit von seinem Thema wollen. Zweitens: Fasst man das Promovieren als erste Phase wissenschaftlicher Tätigkeit – und nicht als dritte Phase des Studiums – auf,2dann handelt es sich dabei um einen Vorgang, in dem sich zweifelsfrei Erwachsene mit wechselseitigem Respekt begegnen. Der Respekt schließt die Akzeptanz ein, dass Promovend3 und Betreuerin4 unterschiedliche Rollen einnehmen und differenzierte Erwartungen aneinander haben. Diese sind nicht nur nicht einheitlich, sondern auch nicht zu vereinheitlichen.


Verschattete Idylle


Abweichend von dominanten Wahrnehmungen ist das Promovieren nicht allein ein einsamer und entsozialisierender Prozess, der einseitige Interessen befestigt, dabei merkwürdige Verhaltensweisen hervorbringen und Spleene fördern kann. Vielmehr ist Promovieren in wenigstens einer Hinsicht auch ein Prozess, der von sozialer Interaktion geprägt ist: nämlich derjenigen zwischen dem Promovierenden und der Doktormutter. Die idealtypische Vorstellung davon ist ein wenig romantisch. Akademischer Schüler und akademische Lehrerin befinden sich danach in einem gegenseitig befruchtenden Austausch, der durch Regelmäßigkeit gekennzeichnet ist und in dem beide voneinander profitieren: der eine von der forscherischen Erfahrung und methodischen Routiniertheit der anderen, die andere von der intellektuellen Unverbrauchtheit und produktiven Provokanz des einen. 


Allein: Diese Idylle ist verschattet. Der akademische Betriebsstress führt zu permanenten Terminschwierigkeiten zwischen Promovend und Betreuerin, ungenügend besprochenen Exposés, ungelesenen Kapiteln, Paniklektüren durch die Doktormutter kurz vor der geplanten Dissertationseinreichung, die dann plötzlich zu dutzenden Nachbearbeitungswünschen führen, usw. usf. 
So die Klage zahlloser enervierter Doktoranden. 


Die Häufigkeit dieser Klagen ist meist nicht dadurch begründet, dass Betreuerinnen nur mäßig an Thema, Person oder Fortgang der Arbeit interessiert wären (so etwas gibt es selbstredend auch). Vielmehr fühlen sich Promovenden unzulänglich betreut, weil für sie die Promotion im Mittelpunkt einer meist oder – abhängig vom Fach – mindestens dreijährigen Lebensphase steht, während diese Promotion für die Betreuerin eine mehr oder minder aufmerksamkeitserheischende Aktivität unter vielen ist. Daher kann die Betreuung grundsätzlich nie die vom Promovierenden gewünschte Intensität erreichen. 


Kritische Phasen und Ausdauerleistung


Promovieren ist wie fliegen. Wirklich kritische Phasen gibt es zwei: den Start und die Landung. Dazwischen rumpelt man, je nach Antriebsart und Wetterlage mehr oder weniger komfortabel, durch die Luft und schrubbt Kilometer. Manchmal geht es, beim Fliegen wie beim Promovieren, durch eine Schlechtwetterfront, da muss man stoisch bleiben und Kurs halten. Mitunter führt der Weg durch ein Wolkenfeld, man sieht nichts, weiß aber, dass die Richtung stimmt – vorausgesetzt, die Navigationsinstrumente (Kapitelgliederungen) funktionieren. Öfter aber ist man über den Wolken. Das sind die Phasen, in denen der Fliegende (der Promovierende) in die Sphären der Erhabenheit gelangt. Verführerisch lockt zugleich der Gedanke, wenn man sich jetzt fallen ließe, würden einen die Wolken sanft und weich auffangen. Doch die Vernunft schaltet sich ein und sagt, was Sache ist: man fiele durch, die Festigkeit ist nur Illusion. Ganz selten gibt es auch Luftlöcher, kurzer Absturz, großer Schrecken, abruptes Ende des freien Falls, das bleibt im Gedächtnis. 


Start und Landung aber, wie gesagt, sind die eigentlichen Herausforderungen. Bei größeren Maschinen ist eine Kopilotin dabei. Bei großen wissenschaftlichen Arbeiten auch. In den beiden kritischen Phasen ist diese auch ganz bei der Sache. Während des langen Fluges aber lässt die Aufmerksamkeit nach. Da muss man sich dann etwas einfallen lassen, damit Munterkeit und gute Laune erhalten bleiben.


Was kennzeichnet eine geschickte Navigation des Promotionsfluges, welche die Kopilotin, also Promotionsbetreuerin, munter und bei Laune hält? Erstens gilt, wie bei jeder pädagogischen Bemühung: Ein Erziehungsziel muss bestimmt werden. Das heißt hier: Der Promovierende muss für sich die Frage beantworten, ob eher viel Hilfestellung gewünscht wird oder allzu viel Hineinreden vermieden werden soll. 


Die jeweils gegebene Betreuungsintensität ist sowohl steiger- als auch reduzierbar. Dafür aber tragen beide eine gemeinsame Verantwortung. Die der Betreuerin liegt auf der Hand. Doch auch der Promovierende sollte seine Betreuerin durch ein gleichsam pädagogisch geschicktes Agieren zu einem optimalen Betreuungsverhalten führen. Zum Geschick gehört dabei, diese Bottom-up-Pädagogik nicht spürbar werden zu lassen bzw. nur so weit, wie das die Betreuerin amüsiert. Es geht also darum: Die zielgerichtete fachliche Betreuung sollte durch den zu Betreuenden zielgerichtet sozial betreut werden. 


Die eine Variante erfordert, aufmerksamkeitssteigernde Techniken einzusetzen, die andere verlangt aufmerksamkeitsmindernde Techniken. Doch weder das eine noch das andere sollte die Betreuerin allzu deutlich merken. Die Aussicht auf zu intensive Zuwendungswünsche kann ebenso die Laune verderben wie das Gefühl, eigentlich nicht gefragt zu sein. Deshalb gilt zweitens, gleichfalls wie in jeder anderen pädagogischen Bemühung: nicht überfordern und nicht unterfordern. Promotionsbetreuerinnen möchten spüren, gebraucht zu werden, aber sie möchten nicht von anderen Dingen, die sie unter Umständen doch mehr interessieren, abgehalten werden. 


Diese Gratwanderung des Promovierenden ist umso heikler, je weiter weg das Promotionsthema von den aktuellen Forschungsgegenständen der Betreuerin ist. Es gilt dann herauszufinden, ob das Promotionsthema dennoch ein besonderes Interesse berührt. Entstammt das Thema jedoch dem Kernbereich der Forschungsaktivitäten der Betreuerin, ist eher mit Interventionsfreudigkeit zu rechnen. Der Promovend muss also das eigene Bedürfnisprofil und das der Betreuerin bestimmen, beide abgleichen und dann die richtigen Instrumente zur Weckung oder Dämpfung von Aufmerksamkeit und Zuwendung 
wählen. 


Um die Intensität der Aufmerksamkeit zu steuern, gibt es ein vergleichsweise einfaches Mittel. Es beruht darauf, dass die Betreuerin einerseits den Fortschritt der Arbeit sehen möchte, andererseits wenig Zeit hat. Denn Professorinnen sollen ja vieles zugleich tun: exzellente Forschung wie vorzügliche Lehre betreiben, begeistert in der akademischen Selbstverwaltung mitarbeiten, dynamisches Netzwerkmanagement und Drittmitteleinwerbungen vollbringen, Projekte leiten, sich hinreichend fintenreich gegenüber der Hochschulverwaltung zeigen, gelassen und kompetent in der Mitarbeiterführung sein, dazu souveräne Instrumentalisten auf allen alten und neuen Medien, sich als kognitive Innovateure wie auch unablässige Erzeuger öffentlicher Resonanz und nimmermüde Übersetzer wissenschaftlicher Fragestellungen auf gesellschaftliche Relevanzbedürfnisse hin erweisen.


Den Fortschritt seiner Arbeit dokumentiert der Promovend vor allem durch geschriebenen Text. Dessen Präsentation seitens des Promovenden entscheidet wesentlich über das Lektüreverhalten der Betreuerin.


Dämpfung der Leseneigung


Sollen die Einreden der Doktormutter gering gehalten werden, ist das allzu ­intensive Lesen eher zu verhindern. Das lässt sich geschickt fördern: immer ­alles komplett schicken, was man schon geschrieben hat, inklusive angefangener Kapitel, mittenrein notierter kruder Stichwortsammlungen, an sich selbst adressierter Arbeitshinweise usw. Dies sollte mit dem einladenden Hinweis versehen werden, ganz besonders intensiv habe man zuletzt an den Unterkapiteln 14.8.2.12. bis 16.4.3.9. gearbeitet (aber keine Seitenzahlen angeben, das würde das Ausdrucken erleichtern!). Dies führt recht zuverlässig dazu, dass die genauere Inaugenscheinnahme erst einmal verschoben wird. Und wenn dann doch irgendwann der Vorsatz zur Lektüre gefasst werden sollte, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die E-Mail nicht mehr auffindbar. 


Ebenso lektüredämpfend wirkt die umfängliche Präsenz der Betreuerin im Literaturverzeichnis, völlig unabhängig davon, ob die dort angegebenen Titel tatsächlich im eigenen Text verarbeitet wurden. Noch der flüchtigste professorale Blick auf ein beliebiges Manuskript übersieht nicht den eigenen Namen in den Quellennachweisen. Geht es um ein Promotionsvorhaben, verbindet sich damit eine Beruhigung: Hier scheint, sagt sich die Doktormutter, der betreuende Aufwand schon deshalb gering gehalten werden zu können, weil der Doktorand ja die wesentlichen Texte bereits gefunden habe – und was er von mir, so beruhigt sie sich weiter, bereits gelesen hat, muss ich ihm ja nicht noch einmal mündlich erzählen.


Der häufigere Fall ist aber wohl, dass Promovierende nicht weniger, sondern mehr Aufmerksamkeit der Betreuerin wünschen. Wie lässt sich diese ­erlangen? 


Stimulation der Leseneigung


Wie oben erwähnt, zeichnet sich die Hochschullehrerrolle durch erhebliche Komplexität aus. Überforderung ist daher professionstypisch und wird noch dadurch gesteigert, dass sie zu überspielen ist. Um herauszufinden, wie unter solchen Umständen Aufmerksamkeit zu erlangen ist, gilt es deshalb zunächst, indivi­duelle Eigenheiten und Talente der Betreuerin zu identifizieren. 


Die professorale Ästhetin etwa ist blank entsetzt, wenn die zugesandten Texte nicht vernünftig formatiert sind. Die Lust, diese zu lesen, ist dann entsprechend. Die Pedantin schrecken Rechtschreibfehler ab. Da sollte man vorher die Rechtschreibprüfung über den Text laufen lassen. Die eher theoretisch interessierte Betreuerin freut sich wohl über Grundlagenkapitel, ist aber dankbar, wenn der Promovend für die anwendungsorientierten Kapitel andere Gesprächspartner sucht und findet. Manche Betreuerinnen kennen sich in den Details des Promotionsthemas nicht so intensiv aus. Sie sind daher angetan, wenn sie gebeten werden, eher etwas zur Richtung der Argumentation zu sagen als zu den Einzelheiten der Argumentationsschritte. 


Die Berücksichtigung dieser individuellen Vorlieben kann dann mit ­einigen Techniken, welche die Leseneigung stimulieren, verbunden werden. So ist es sinnvoll, den Dissertationstext zu portionieren. Es ist unklug, einmal im halben Jahr 100 Seiten zum Lesen oder auch nur »zum Drüberfliegen« zuzuschicken. Aller acht Wochen ein Kapitel zu senden, erhöht die Chance, dass es gelesen wird, und sei es in der Stunde vor der verabredeten Konsul
tation.


Jeder Zusendung an die Betreuerin die Gliederung der Gesamtarbeit beizufügen, macht den systematischen Zusammenhang nachvollziehbar, in den sich das oder die aktuell verschickten Kapitel einordnen. Im Unterschied zum Promovenden ist die Betreuerin nicht jeden Tag mit der Promotionsarbeit befasst und daher ist ihr nicht zwingend deren Systematik gegenwärtig. Hinzu tritt: Durch regelmäßige Zusendung der Gliederung kann sich der Doktorand die fortwährenden Änderungen und Umgruppierungen seiner Arbeit gleichsam unter der Hand akkreditieren lassen.


Nie sollte der Doktorand davon ausgehen, dass die Betreuerin die ihr bisher zugeschickten Materialien griffbereit habe. Der Hinweis »vgl. hier Kapitel 4 (im Februar zugeschickt)« produziert nur ein schlechtes Gewissen bei der Doktormutter. Sie wird sich unter Umständen weder an die Zusendung noch an den Inhalt des Kapitels erinnern und ihr möchte auch im Augenblick partout kein Ort einfallen, an dem sie jetzt das Kapitel suchen könnte. Falls auf frühere Kapitel Bezug genommen wird, sind diese also besser immer noch einmal mitzuschicken (dabei aber auch erwähnen, dass sie der Betreuerin schon einmal zugegangen waren – falls die Doktormutter dann doch besser organisiert ist als angenommen werden durfte). 


Das gleiche Kapitel dagegen sollte niemals in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien mit der Aufforderung zur wiederholten Lektüre gesendet werden. Betreuerinnen, welche die Zeit haben, zweimal oder noch öfter das gleiche Kapitel zu lesen, müssen in anderen Hinsichten so wenig nachgefragt sein, dass genau dies Anlass für ein Nachdenken darüber sein sollte, ob es sich wirklich um die richtige Betreuerin handle. Stattdessen lässt sich bei einer wiederholten Zusendung eines Kapitels eine kurze Zusammenfassung geben, wie darin die aus der Erstlektüre resultierenden Anregungen der Betreuerin aufgenommen worden sind. Eine farbige Markierung geänderter Textstellen kann auch hilfreich sein. 


Im Übrigen ist es immer sinnvoll, Kapitelübersendungen durch Thesen­papiere zu ergänzen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es ist dann recht wahrscheinlich, dass die Betreuerin nur das Thesenpapier liest, aber die alternative Option wäre häufig, dass gar nichts gelesen wird. Die Doktormutter fühlt sich ebenso eingeschlossen wie nicht überfordert. 


All dies garantiert nichts, aber es erhöht die Chancen auf betreuende Zuwendung. Die Interaktion von Doktorand und Doktormutter sollte jedenfalls als gegenseitige Doppelbetreuung aufgefasst werden, in die auch der Promovend ein wenig Energie, Zeit und soziale Klugheit investiert. Was herauskommen kann, ist eine gute Platzierung im aufmerksamkeitsökonomischen Haushalt der Betreuerin. Besonders souverän ist es, wenn sich beide Seiten über solche Techniken der Kommunikation zu Beginn verständigen. Das mag sinnvoller sein, als eine formale Betreuungsvereinbarung mit Regularien zu überfrachten, die gegenseitige Überforderungssituationen programmieren.


  1. 1Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Federführung: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) (Hg.), Promotion im Umbruch, Halle a. d.  S. 2017, S. 36–39, https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2017_Promotion_im_Umbruch.pdf (30.1.2018).
  2. 2So votiert auch die Stellungnahme Promotion im Umbruch (Fn. 1), S. 23.

  3. 3Gemeint ist im Weiteren immer auch die Promovendin.

  4. 4Gemeint ist im Weiteren immer auch der Betreuer.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 19 (2018)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1