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Den Kohlenstoffkreislauf in Schwung bringen


1. Einleitung


Kohlenstoff ist ein grundlegender Baustein unseres Lebens, aber auch Basis für die organische chemische Industrie sowie für die bedarfsgerechte Sicherung von Energieversorgung und Mobilität. Der rasante Anstieg der Weltbevölkerung und das damit einhergehende globale Wirtschaftswachstum ziehen einen bisher nie dagewesenen Bedarf an Kohlenstoffträgern nach sich. Dabei kann zwischen fossilen Kohlenstoffträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas sowie den in der jüngeren Vergangenheit wieder verstärkt eingesetzten biogenen Kohlenstoffträgern in Form von nachwachsenden Rohstoffen unterschieden werden. Weiterhin stehen grundsätzlich auch kohlenstoffhaltige Sekundärrohstoffe, d. h. kohlenstoffhaltige Abfälle, zur Verfügung.


Die anthropogene Nutzung von Kohlenstoffträgern hat seit der Industrialisierung zu einer deutlichen Verknappung natürlicher Ressourcen, aber auch zu erheblichen Veränderungen des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs sowie steigendem Abfallaufkommen geführt. Hauptproblem ist, dass sowohl fossile als auch biogene und sekundäre Kohlenstoffträger nach wie vor hauptsächlich energetisch zur Bereitstellung von Elektrizität, Wärme und Kraftstoffen genutzt und infolge der thermischen Verwertung zu CO2 umgewandelt werden. Dies hat zu einer signifikanten CO2-Anreicherung in der Atmosphäre geführt und wird letztlich als Auslöser für den prognostizierten Klimawandel gesehen. Das deutet auch darauf hin, dass, anders als in der Vergangenheit angenommen wurde, heute weniger die Verfügbarkeit von Rohstoffquellen als vielmehr die Aufnahmefähigkeit natürlicher Senken zum Problem geworden ist. Zur Erreichung des 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris formulierten Zwei-Grad-Zieles zur Begrenzung der globalen Erwärmung erscheint es unabdingbar, diesen Prozess wieder umzukehren oder zumindest aufzuhalten. Hierfür sind insbesondere zwei Optionen erfolgversprechend: Maßnahmen zur Verringerung der Kohlenstoff-Intensität und die Entwicklung geschlossener Kohlenstoffkreisläufe. Vor diesem Hintergrund besteht eine der größten Herausforderung darin, die derzeit CO2-intensive in eine CO2-arme Wirtschaft zu überführen, um die ambitionierten Klimaschutzziele – Minderung der Treibhausgasemissionen um 95 % bis 2050 gegenüber 1990 – überhaupt erreichen zu können. Auch wenn der gegenwärtige Stand der Verringerung der Treibhausgasemissionen noch nicht den Erwartungen entspricht und die angestrebten Ziele für 2020 vermehrt in Frage gestellt werden, wurden doch durch den Ausbau erneuerbarer Energien in der Energiewirtschaft die Voraussetzungen für eine Trendwende geschaffen. 


Ähnlich wie in der Energiewirtschaft steht auch die verarbeitende Industrie vor der Aufgabe, ihre Produktionsprozesse bis 2050 weitgehend CO2-neutral zu gestalten. Bisher ist es kaum gelungen, die anthropogene Nutzung von Kohlenstoffträgern naturangepasst am Prinzip geschlossener Kreisläufe zu orientieren. Eine Rohstoffwende ist jedoch zwingend notwendig. Im Gegensatz zur Energiewirtschaft ist beispielsweise die organische chemische Industrie nahezu alternativlos auf den Einsatz von Kohlenstoffträgern angewiesen. Eine Substitution von Kohlenstoffträgern scheidet hier aus. Durch eine deutlich verstärkte Nutzung sekundärer und nachwachsender Rohstoffe anstelle fossiler Rohstoffe kann aber die Grundlage für die Gestaltung neuer, innovativer Wertschöpfungsketten geschaffen werden, um Kohlenstoffkreisläufe zu schließen. 


Der Beitrag beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den durch Sektorkopplung für die Bereiche Energie, Abfall und Chemie anstehenden Herausforderungen sowie den Potenzialen kohlenstoffhaltiger Abfälle im Kontext der Schließung von Kohlenstoffkreisläufen und basiert auf den im Rahmen des Akademie-Kolloquiums vom 17.11.2017 vorgestellten Ergebnissen.


2. Schließung von Kohlenstoffkreisläufen durch Sektorkopplung


Die Transformation hin zu CO2-neutralen Wertschöpfungsprozessen ist nicht nur aus technischer Sicht eine große Herausforderung, sondern mit einem grundlegenden Strukturwandel verbunden. Dies erfordert neue Formen des Zusammenwirkens der Sektoren Energie, Chemie und Abfallwirtschaft und eine grundlegende Neugestaltung zentraler Wertschöpfungsketten. Hierbei geht es um die schrittweise Umstellung, Ergänzung bzw. Substitution vorhandener Technologien durch innovative, verfahrenstechnische Lösungen zur Schließung von Kohlenstoffkreisläufen, um Treibhausgasemissionen nachhaltig reduzieren zu können und den Einsatz fossiler Ressourcen auf ein Minimum zu begrenzen. 


Sowohl der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung als auch aus der thermischen Verwertung von Abfällen kann einen wesentlichen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. Durch den Umstieg auf erneuerbare Energien besteht die Möglichkeit, Braunkohle und kohlenstoffhaltige Abfälle aus der energetischen Nutzung herauszulösen. Gleichzeitig bietet eine stofflich-chemische Nutzung von Kohlenstoffträgern unter Nutzung von Überschussstrom aus erneuerbaren Energien Chancen für die Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten in den Bereichen Energie, Abfall und 
Chemie.


2.1 Energiewirtschaft


Mit der durch die Energiewende eingeleiteten Umstellung auf erneuerbare Energien werden fossile Kohlenstoffträger, die als Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen gelten, für die Energiewirtschaft zukünftig an Bedeutung verlieren. Allein in Deutschland wurden 2016 noch rd. 906 Mio. t Treibhausgase freigesetzt,1 wobei der größte Anteil an den Treibhausgasemissionen durch die Energiewirtschaft mit rd. 85 % verursacht2 wird. Auf die Kohleverstromung entfallen rd. 81 %.3 Vor dem Hintergrund, dass Braunkohle nach wie vor zu rd. 90 % direkt energetisch genutzt und schlussendlich als CO2 in die Atmosphäre abgegeben wird, ist der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung eine logische Konsequenz. Mit der derzeit dominierenden energetischen Nutzung von Kohlenstoffträgern ist kein geschlossener Kohlenstoffkreislauf im Sinne der Rückgewinnung des Kohlenstoffs nach der Nutzungsphase nachhaltig realisierbar. Selbst wenn es technisch und wirtschaftlich möglich wäre, das CO2 aus der Atmosphäre zurückzugewinnen, könnte die Kohlenstoffmenge nur zu einem geringen Teil von der chemischen Industrie aufgefangen werden. Vergleicht man beispielsweise, bezogen auf Deutschland, die in den CO2-Emissionen enthaltene Kohlenstoffmenge mit den Einsatzmengen der organischen chemischen Industrie, so wird deutlich, dass die jährlich freigesetzte Kohlenstoffmenge den Bedarf um ein Vielfaches übersteigt. 2016 wurden in Deutschland rd. 796 Mio. t CO2 freigesetzt,4 was einer Kohlenstoffmenge von rd. 217 Mio. t entspricht. Demgegenüber liegt der Bedarf der chemischen Industrie mit etwa 15 Mio. t Kohlenstoff5 deutlich darunter. 


Der Umstieg auf erneuerbare Energien und die Sicherung einer bedarfs­gerechten Bereitstellung bildet die Voraussetzung, um Prozesse der stofflich-chemischen Nutzung von Kohlenstoffträgern vergleichsweise CO2-arm gestalten zu können. Im Kontext einer Rohstoffwende sind dabei vor allem sekundäre bzw. nachwachsende Rohstoffe von Bedeutung. Weiterhin bieten dezentrale Lösungen für eine thermochemische Konversion die Möglichkeit, erneuerbare Energien regional zu nutzen und damit die Problematik des Netzausbaus zu entschärfen.


2.2 Abfallwirtschaft


Im Bereich der Abfallwirtschaft konzentrieren sich die neuen Wertschöpfungsketten auf die weitgehende Schließung von Stoffkreisläufen durch eine Erhöhung des Recyclinganteils. Bezogen auf die Schließung industrieller Kohlenstoffkreisläufe stehen dabei insbesondere Abfallarten im Fokus, die bisher thermisch verwertet und damit einer Rückführung in den Kohlenstoffkreislauf entzogen werden.


Stand der Technik in Deutschland ist, dass insbesondere die sogenannten Wertstoffe entsprechend des Kreislaufwirtschaftsgesetzes bereits zu einem Großteil recycelt oder direkt wiederverwendet werden. Deutschland nimmt hier international eine Spitzenposition ein. Der in den Abfällen enthaltene Kohlenstoff wird dabei z. T. schon mehrfach, aber dennoch temporär begrenzt, im Kreislauf geführt. Dieses klassische, werkstoffliche Recycling führt zu einer besseren Effizienz der Rohstoffnutzung, nach ein- oder mehrmaligem Recycling ist jedoch i. d. R. die Recyclingfähigkeit erschöpft. Die nach einer Mehrfach- bzw. Kaskadennutzung anschließend praktizierte thermische Verwertung reduziert zwar den Bedarf an primären fossilen Energieträgern, löst jedoch nicht die durch die Verbrennung entstehende CO2-Problemematik. Insofern steht die bisher für viele Abfallarten noch charakteristische thermische Verwertung nach dem werkstofflichen Recycling für eine lineare Kohlenstoffwirtschaft. Demgegenüber bietet ein rohstoffliches Recycling sekundärer Kohlenstoffträger direkt bzw. nach ihrem werkstofflichen Recycling die Möglichkeit, bisher thermisch verwertete sekundäre Kohlenstoffträger durch neue, innovative Wertschöpfungsketten auf Basis thermochemischer Konversionsverfahren nachhaltig im Kreislauf zu führen. Somit werden erhebliche Potenziale für geschlossene Kohlenstoffkreisläufe bei den Stoffströmen gesehen, die bisher einer rein thermischen Verwertung zugeführt werden.


2015 betrug das gesamte Abfallaufkommen in Deutschland 402,2 Mio. t. Davon hatten Bau- und Abbruchabfälle einen Anteil von 209,0 Mio. t. Das Abfallaufkommen aus Produktion und Gewerbe betrug 59,2 Mio. t gefolgt von Siedlungsabfällen mit 51,6 Mio. t. Abfälle aus Aufbereitungsanlagen lagen mit 51,0 Mio. t in der gleichen Größenordnung.6 Kohlenstoffhaltige Sekundärrohstoffe sind in nahezu allen Abfallarten vertreten. Sie werden werkstofflich recycelt, bilden aber auch in nicht unerheblichem Maße Einsatzstoffe für thermische Abfallbehandlungsanlagen bzw. Feuerungsanlagen. Der Stand der Verwertung von Abfällen bewegt sich in Deutschland bereits auf einem sehr hohen Niveau. 2015 wurden 79 % aller anfallenden Abfälle einer Verwertung zugeführt, wobei zwischen stofflicher Verwertung – dem klassischen werkstofflichen Recycling – mit 68 % und der energetischen Verwertung mit 11 % zu unterscheiden ist.7 Die Deponierung von Abfällen ist stark rückläufig, nachdem seit 2005 die Ablagerung unvorbehandelter organischer Abfälle untersagt ist. Zudem haben deponierte Abfälle aufgrund ihres geringen Kohlenstoffgehalts kaum Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf. Bei der Betrachtung einzelner Abfallströme sind jedoch große Unterschiede festzustellen. So beträgt beispielsweise die Recyclingquote für Pappe und Papier bereits 99 % und für Abfälle aus der Biotonne 98 %. Demgegenüber liegt die Recyclingquote bei Restabfällen deutlich niedriger und bewegt sich zwischen 57 % für Sperrmüll und lediglich 17 % für Hausmüll.8 Gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle, einschließlich Verpackungsgemische, wurden 2013 zu mehr als 50 % direkt in thermischen Abfallbehandlungsanlagen bzw. Feuerungsanlagen thermisch verwertet. Auch die 45 % in Sortieranlagen aufbereiteten Abfälle wurden überwiegend thermisch verwertet, sodass insgesamt nur rd. 7 % der insgesamt anfallenden gemischten gewerblichen Siedlungsabfälle einer stofflichen Verwertung zugeführt werden konnten.9 Kunststoffabfälle werden nur zu 42 % stofflich verwertet. Der überwiegende Teil wird damit ebenfalls einer thermischen Verwertung zugeführt.10 Auch Klärschlämme werden derzeit zu etwa 64 % überwiegend thermisch verwertet.11 Trotz der vielfältigen Bestrebungen zum Ausbau des Recyclings von Abfällen werden bisher nur 14 % der nicht-energetischen Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, aus Abfällen gewonnen.12

Kohlenstoffhaltige Sekundärrohstoffe sind in nahezu allen Abfallarten enthalten. Das Spektrum reicht von Haus- und Sperrmüll, Holz, Papier und Pappen, Kunststoffen, Textilien bis zu Bio- und Grünabfällen, Klärschlamm sowie heizwertangereicherten Abfallfraktionen aus Abfallbehandlungsanlagen, wobei sich Abfallmengen und Kohlenstoffgehalte deutlich unterscheiden. Die nachfolgende Abschätzung des in kohlenstoffhaltigen Abfällen enthaltenen Kohlenstoffpotenzials wurde auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes zur Abfallentsorgung vorgenommen.13 Berücksichtigt wurden feste kohlenstoffhaltige Abfälle, die in thermischen Abfallbehandlungsanlagen und Feuerungsanlagen mit energetischer Nutzung eingesetzt werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick zu den kohlenstoffhaltigen Abfallmengen und deren Kohlenstoffgehalten, die bisher thermisch verwertet werden. Die mengenmäßig größten Anteile haben dabei Holz mit ca. 8 Mio. t, Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle mit zusammen rd. 7 Mio. t und Siedlungsabfälle sowie brennbare Abfälle mit jeweils 6 Mio. t.


Tabelle 1: Mengen und Kohlenstoffgehalte ausgewählter Abfallarten, die bisher thermisch verwertet werden (Angaben in Klammern beziehen sich auf die Gliederung der Abfallverzeichnisverordnung nach Abfallbezeichnungen und Abfallschlüsseln)14
Abfallart Abfallmenge
in t C-Gehalt 
in g/kg C-Menge 
in t
Hausmüll (AVV 20030101) 5.910.600 23115 1.365.349
Hausmüllähnl. Gewerbeabfälle (AVV 20030102) 1.069.300 29715 317.582
Sperrmüll (AVV 200307) 791.900 33716 266.870
Kunststoffe (AVV 200139, 191204) 85.200 68015 57.936
Holz (AVV 200137, 200138, 150103, 170201, 191207, 030101, 030104, 030105, 030301) 7.636.200 38015 2.901.756
Papier und Pappe (AVV 19120100, 19120101, 200101, 030307) 548.800 37015 203.056
Altreifen (AVV 160103) 169.700 73317 124.390
Biologisch abbaubare Abfälle (AVV 02, 200201) 1.102.700 16015 176.432
Textilien und Bekleidung (AVV 150202, 200110, 200111) 146.100 38017 55.518
Siedlungsabfälle (AVV 20, 200399, 20030100) 5.642.700 34217 1.929.803
Brennbare Abfälle (Brennstoffe aus Abfällen) (AVV 191210) 5.853.500 40315 2.358.961
Sonstige Abfälle aus der mechanischen Behandlung von Abfällen, die gefährliche Stoffe enthalten (AVV 191211) 211.200 41015 86.592
Klärschlamm (AVV 030305, 030311, 1908) 5.252.600 40017 2.101.040
Insgesamt 33.784.300 11.945.285

Die Nutzung abfallbasierter, sekundärer Kohlenstoffträger hat das Potenzial, einen signifikanten Beitrag zur Schließung von Kohlenstoffkreisläufen und damit zur Reduzierung des Einsatzes fossiler Kohlenstoffträger sowie von Importabhängigkeiten zu leisten. Die im Aufkommen der betrachteten kohlenstoffhaltigen Abfälle enthaltene Kohlenstoffmenge von rd. 12 Mio. t würde theoretisch ausreichen, um etwa 80 % des Kohlenstoffbedarfs der organischen chemischen Industrie zu decken.


2.3 Chemische Industrie


Bei der Senkung der Kohlenstoff-Intensität der organischen chemischen Industrie geht es vorrangig um die Entwicklung von Strategien zur Schließung von Kohlenstoffkreisläufen und die Minimierung des Einsatzes fossiler Kohlenstoffträger. Bisher wird der Kohlenstoffbedarf der organischen chemischen Industrie noch zu fast 90 % durch fossile Kohlenstoffträger gedeckt. Drei Viertel sind erdölbasiert. Die darauf aufbauende Petrochemie ist aus historischer Sicht vor allem dadurch begründet, dass beim Übergang von der kohle- zur erdölbasierten Chemieproduktion Erdöl in ausreichenden Mengen zu vergleichsweise niedrigen Preisen zur Verfügung stand und die Prozesse nicht zuletzt aufgrund des hohen Kohlenstoffgehaltes und der Zusammensetzung von Erdöl eine hohe Effizienz aufweisen. Beginnend mit den Erdölkrisen in den 1970er Jahren hat sich vor dem Hintergrund der Endlichkeit fossiler Ressourcen und der zunehmenden Wahrnehmung ökologischer Probleme ein verstärktes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft entwickelt, das bisherige Praktiken der Rohstoffnutzung zu Recht in Frage stellt. Die gesellschaftspolitisch allgemein akzeptierte Energiewende ist ein Ergebnis dieses Umdenkens. Bei der Schließung von Kohlenstoffkreisläufen geht es in einem nächsten Schritt darum, den in Produkten gespeicherten Kohlenstoff nach der Nutzungsphase wieder als Sekundärrohstoff für die chemische Industrie bereitzustellen. Dadurch kann ein wesentlicher Beitrag zur Verbreiterung der Rohstoffbasis der organischen chemischen Industrie und zur Substitution fossiler Rohstoffe erwartet werden. Gleichzeitig sind mit der Kohlenstoffbindung in Produkten deutliche Reduzierungen der Treibhausgasemissionen bei der stofflichen gegenüber der energetischen Nutzung verbunden. Darüber hinaus werden fossile Ressourcen ­geschont und Importabhängigkeiten gemindert.


Ein rohstoffliches Recycling auf Basis thermochemischer Konversionsverfahren bietet die Möglichkeit, bisher rein thermisch verwertete sekundäre Kohlenstoffträger nach ihrem werkstofflichen Recycling im Kreislauf zu führen (Abbildung 1).


Abb. 1: Schließung des Kohlenstoffkreislaufes durch thermochemische Konversion. 
 Abb. 1: Schließung des Kohlenstoffkreislaufes durch thermochemische Konversion. 


Thermochemische Konversionsverfahren bilden damit eine zukunftsfähige Alternative zur bisherigen Praxis der thermischen Verwertung kohlenstoffhal­tiger Abfälle. Neben klassischen Verfahren wie Pyrolyse und Vergasung existieren auch eine Reihe neuerer Entwicklungen wie Plasma-, Verölungs- oder hydrothermale Verfahren,18 wobei im großtechnischen Maßstab derzeit nur die Vergasung für die angestrebte Sektorkopplung geeignet ist. Dabei werden die kohlenstoffhaltigen Abfälle in Synthesegase mit einem hohen Anteil von Wasserstoff und Kohlenmonoxid umgewandelt. Die Synthesegase bilden nach ihrer Reinigung den Ausgangspunkt für die Herstellung neuer Grundchemikalien, wie z. B. Olefine. Diese können am Ende ihrer Nutzungszeit als Rohstoffe wieder in den industriellen Kohlenstoffkreislauf der Chemie zurückgeführt werden und für ein breites Spektrum stofflicher Nutzungsoptionen Verwendung finden. Eine vollständige Schließung des Kohlenstoffkreislaufes ist prozess­bedingt aber auch hier nicht möglich. Durch die Nutzung regenerativ erzeugten Elektrolysewasserstoffs können die prozessbedingten Kohlenstoffverluste jedoch deutlich reduziert und die Prozesse vergleichsweise CO2-arm gestaltet werden. Als alternative Rohstoffe für die chemische Industrie steht auch die gemeinsame stoffliche Nutzung einheimischer Braunkohle und kohlenstoffhaltiger Abfälle als Option. Kohle wirkt dabei prozessstabilisierend und gleicht die stark heterogene Zusammensetzung der Abfallströme für die Synthesegasproduktion aus. Für eine Vertiefung der Thematik sei an dieser Stelle auf eine Publikation von Meyer et. al.19 verwiesen, in der am Beispiel der Olefinproduktion in Deutschland die Prozessketten vorgestellt werden. 


Erste praktische Beispiele für eine industrielle, stofflich-chemische Nutzung von Abfällen liegen beispielsweise in Kanada und Japan vor. Das kanadische Unternehmen Enerkem Alberta Biofuels verarbeitet auf Basis einer Wirbelschichtvergasung jährlich rd. 100.000 t vorsortierte Siedlungsabfälle zu 38 Mio. Litern Basischemikalien in Form von Methanol und Ethanol.20 In Japan wird eine Anlage zur Ammoniakproduktion auf Basis der Vergasung gemischter Kunststoffabfälle betrieben.21 Im großindustriellen Maßstab stellen diese eingesetzten Abfall-Monovergasungstechnologien aufgrund hoher Ansprüche an Anlagenverfügbarkeit und den Hochdruckbetrieb keine ausreichende Technologiebasis dar. Bis zur Entwicklung und Demonstration geeigneterer Vergasungstechnologien erscheint die Co-Vergasung von Abfall mit Beigabe von Braunkohle zur Prozessstabilisierung als aussichtsreichere Technologieoption, wobei sichergestellt werden muss, dass durch die Begrenzung der Braunkohlezugabe und die Einkopplung von regenerativ erzeugtem Wasserstoff die CO2-Bilanz insgesamt günstiger als die der linearen Kohlenstoffwirtschaft ausfällt.


3. Fazit


Mit der derzeit dominierenden energetischen Nutzung von Kohlenstoffträgern ist kein geschlossener industrieller Kohlenstoffkreislauf realisierbar. Dies gilt für alle Kohlenstoffträger, unabhängig davon, ob sie fossiler, biogener oder sekundärer Natur sind. Eine bedarfsgerechte Verfügbarkeit erneuerbarer Energien vorausgesetzt, liegt der Schlüssel für eine CO2-neutrale Wirtschaftsweise zukünftig vor allem im Übergang zur rein stofflich-chemischen Nutzung von Kohlenstoffträgern und der Schließung von Kohlenstoffkreisläufen. Ziel ist es, die nach der Produktnutzungsphase zwangsläufig anfallenden kohlenstoffhaltigen Abfälle als wertvolle Sekundärrohstoffe wieder in den Kreislauf zurückzuführen. Kohlenstoff ist in fast allen Abfallarten enthalten. Kohlenstoffhaltige Abfälle werden bereits in unterschiedlichem Umfang ein- oder mehrfach werkstofflich recycelt. Ist die Recyclingfähigkeit erschöpft, werden sie jedoch i. d. R. thermisch verwertet. Der enthaltene Kohlenstoff wird dem industriellen Kreislauf damit irreversibel entzogen, bei der Verbrennung zu CO2 umgewandelt und damit klimawirksam. Insofern hat die gegenwärtige Praxis noch überwiegend den Charakter einer linearen Kohlenstoffwirtschaft. Für den Übergang zu einer kreislaufgeführten Kohlenstoffwirtschaft bedarf es der Realisierung von Konsistenzstrategien, d. h. es geht um qualitative, naturangepasste Veränderungen anthropogener Stoff- und Energieströme.22 Bezogen auf die im Rahmen des Beitrages behandelte Thematik bedeutet dies, die historisch gewachsene enge Kopplung von Bergbau, Energie und Chemie schrittweise durch eine qualitativ neue Form der Sektorkopplung zwischen den Bereichen Chemie, Energie- und Abfallwirtschaft zu ersetzen. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, sind bisher kaum Konzepte für ein rohstoffliches Recycling von Kohlenstoffträgern und deren Rückführung in industrielle Wertschöpfungsketten verwirklicht worden. Notwendige Voraussetzungen sind neben der Verfügbarkeit kommerzieller Vergasungstechnologien im industriellen Maßstab u. a. der Nachweis der ökonomischen Tragfähigkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich eine thermochemische Konversion in direkter Konkurrenz zur gegenwärtigen thermischen Verwertung befindet. Weiterhin geht es um die Verbesserung der Informationsbasis zu den Innovationspotenzialen thermochemischer Konversionsverfahren sowie die bedarfsgerechte und kostengünstige Bereitstellung erneuerbarer Energien zur Einkopplung in thermochemische Prozesse. Hier besteht großer Forschungs- und Handlungsbedarf. 


Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Begrenztheit fossiler Ressourcen führt an der Nutzung von Sekundärrohstoffen langfristig gesehen kein Weg vorbei. Werk- und rohstoffliches Recycling müssen für die Realisierung geschlossener anthropogener Kohlenstoffkreisläufe komplementär zusammenwirken. Mit der Nutzung thermochemischer Konversionsverfahren steht eine durchaus nachhaltige Alternative zur Schließung der durch die thermische ­Verwertung kohlenstoffhaltiger Abfälle entstehenden Lücke bei der Schließung des Kohlenstoffkreislaufs zur Verfügung.


  1. 1Umweltbundesamt (UBA), »Treibhausgas-Emissionen«, www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgas-emissionen (19.1.2018).

  2. 2UBA, »Emissionsübersichten Treibhausgase Emissionsentwicklung 1990–2016 – Treibhausgase«, ebd.

  3. 3Projektionsbericht 2017 für Deutschland gemäß Verordnung (EU) Nr. 525/2013, www.karlsruhe.ihk.de/blob/kaihk24/innovation/energie/KlimaschutzEmissionshandel/Klimaschutz_aktuell/Aktuelle_Meldungen/3836152/21a9881f608878c43e1e3d44a21e5ff5/Projektionsbericht_2017-data.pdf (19.1.2018).


  4. 4UBA, Treibhausgas-Emissionen (Fn. 1).
  5. 5VCI Verband der chemischen Industrie, »Daten und Fakten – Rohstoffbasis der chemischen Industrie 2015«, www.vci.de/vci/downloads-vci/top-thema/daten-fakten-rohstoffbasis-der-chemischen-industrie.pdf (19.1.2018).


  6. 6Statistisches Bundesamt, »Abfallaufkommen in Deutschland stagniert«, Pressemitteilung vom 13.6.2017 – 196/17, www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/06/PD17_196_321pdf.pdf?__blob=publicationFile (19.1.2018).

  7. 7UBA, »Verwertungsquoten der wichtigsten Abfallarten«, www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertungsquoten-der-wichtigsten-abfallarten (19.1.2018).
  8. 8UBA, »Aufkommen, Beseitigung und Verwertung von Abfällen im Jahr 2015«, www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/dokumente/dok_verwertung_2000-2015.pdf (19.1.2018).

  9. 9Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), »Abfallwirtschaft in Deutschland 2016, Fakten, Daten, Graphiken«, www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/abfallwirtschaft_2016.pdf (19.1.2018).

  10. 10Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland e. V. (ITAD), »ITAD lässt von Consultic den Stoffstrom an Kunststoffen analysieren«, www.itad.de/information/studien/ITADConsulticStudieKunststoffstrmeBewertung2015.pdf (19.1.2018).

  11. 11BMUB, »Klärschlamm-Statistik«, www.bmub.bund.de/themen/wasser-abfall-boden/abfallwirtschaft/statistiken/klaerschlamm (19.1.2018).
  12. 12BMUB, Abfallwirtschaft in Deutschland 2016 (Fn. 9).

  13. 13Statistisches Bundesamt, »Abfallentsorgung, Fachserie 19, Reihe 1«, www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/UmweltstatistischeErhebungen/Abfallwirtschaft/Abfallentsorgung2190100157004.pdf?__blob=publicationFile (19.1.2018).

  14. 14Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJ), »Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis (Abfall-Verzeichnisordnung – AVV) vom 10.12.2001 (BGBL. I S. 3379), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 17.7.2017 (BGBL. I S. 2644)«, www.gesetze-im-internet.de/avv/BJNR337910001.html (19.1.2018).

  15. 15UBA, »Klimaschutzpotenziale der Abfallwirtschaft. Am Beispiel von Siedlungs­abfällen und Altholz«, in UBA Texte 6 (2010), www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/461/publikationen/3907.pdf (19.1.2018).

  16. 16Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG), »Klimarelevante Maßnahmen der Abfallwirtschaft«, in Schriftenreihe, Heft 3 (2013), publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/15183 (19.1.2018).

  17. 17UBA, »Einsatz von Sekundärbrennstoffen«, in UBA Texte 7 (2006), www.eefa.de/pdf/UBA-Texte_07_06.pdf (19.1.2018).

  18. 18UBA, »Sachstand zu den alternativen Verfahren für die thermische Entsorgung von Abfällen«, in UBA-Texte 17 (2017), www.umweltbundesamt.de/publikationen/sachstand-zu-den-alternativen-verfahren-fuer-die (19.1.2018).

  19. 19Bernd Meyer, Florian Keller, Christian Wolfersdorf und Roh Pin Lee, »Ein Konzept für die Kohlenstoffkreislaufwirtschaft. Sektorkopplung zwischen Energie, Chemie & Abfall«, in Chemie Ingenieur Technik 90 (2018).

  20. 20Enerkem, http://enerkem.com (19.1.2018).
  21. 21EBARA ENVIRONMENTAL PLANT CO., LTD, »Fluidized-Bed Gasification Technologies«, www.eep.ebara.com/en/products/gas.html (19.1.2018).

  22. 22Heiner Gutte, Lutz Schiffer und Bernd Meyer, »Nachhaltigkeitsstrategien für eine CO2-arme Wirtschaft«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 13 (2014), www.denkstroeme.de/heft-13/s_115-138_gutte-schiffer-meyer (19.1.2018).
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Heft 19 (2018)
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