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Organspende – in theologischer Sicht


Die christlichen Kirchen in Deutschland werben seit vielen Jahren für die Bereitschaft zur Organspende. Als Ende 2012 das neue Transplantationsgesetz in Kraft trat, hat sich der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, mit einem geistlichen Wort an die evangelischen Christen in Deutschland gewandt und für die Bereitschaft zur Organspende geworben:


Nach christlichem Verständnis sind das Leben und damit der Körper des Menschen ein Geschenk Gottes. Diesen kann und darf er aus Liebe zum Nächsten und aus Solidarität mit Kranken einsetzen. Eine Entnahme von Organen verletzt nicht die Würde des Menschen und stört nicht die Ruhe der Toten. Unsere Hoffnung auf die Auferstehung bleibt davon unberührt.1

Präses Schneider weist freilich auch darauf hin, dass es keine christliche Verpflichtung zur Organspende gibt – Nächstenliebe ist immer eine persönliche Sache –, bittet aber alle Menschen in Deutschland darum, in eigener Selbstverantwortung zu prüfen, ob sie zu einer Organspende bereit seien und dies dann auch entsprechend dokumentieren könnten. Dieses geistliche Wort des höchsten Repräsentanten des deutschen Protestantismus fügt sich ein in eine ganze Reihe von ähnlichen Appellen und Bitten kirchenleitender Personen und Gremien an die Christen und insgesamt die Bürger in Deutschland. Insbesondere am Tag der Organspende, der jedes Jahr am 1. Samstag im Juni stattfindet, werben die christlichen Kirchen wie auch andere Verbände intensiv für eine Bereitschaft zur Organspende.


Dieses Werben wird begleitet von einer intensiven kirchlichen Aufklärungs- und Beratungsarbeit. So haben verschiedene christliche Kirchen in Deutschland höchst gelungene Informationsbroschüren als Entscheidungshilfen erstellt. Daran haben vor allem Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger mitgewirkt. Sie haben darin ihre Erfahrungen aus den Gesprächen mit Sterbenden oder Angehörigen von sterbenden Menschen eingebracht, in denen es auch um die Bereitschaft und Einwilligung zu einer Organspende geht. So bietet beispielsweise die Evangelische Landeskirche in Baden in einer mehrfach überarbeiteten und wiederholt neu aufgelegten Broschüre mit dem Titel Organtransplantation. Fragen und Impulse für eine persönliche Entscheidung einen ganzen Katalog von Fragen, die dann sehr verständnisvoll beantwortet werden.2 Dabei geht es nicht nur um Fragen, ob der Hirntod ein verlässliches Kriterium ist oder ob ich einen Organspende-Ausweis brauche, sondern auch darum, ob ein Stück von mir weiterlebt, wenn ich ein Organ spende oder wie es mit dem Leben nach dem Tod aussieht, wenn man Organe gespendet hat. Dies sind Fragen, mit denen Seelsorger im Gespräch konfrontiert werden. An ihnen wird bereits deutlich, das es bei der Klärung einer Bereitschaft zur Organspende oder der Zustimmung zu einer Organentnahme nicht nur um eine rationale Abklärung und die Klärung medizinischer Fakten geht, sondern um ein ganzes Bündel weiterer Gesichtspunkte – um Emotionen, Beziehungen und grundsätzliche Fragen nach dem Ende des Lebens, zu denen auch die Dimension eines Lebens nach dem Tod gehört. Eine Konsequenz daraus ist die Einsicht, dass möglicherweise Gespräche über die Zustimmung zu einer Organentnahme bei einem verunglückten und sterbenden nahen Angehörigen wohl besser von einer Seelsorgerin als von einem Arzt geführt werden. Der Arzt muss natürlich garantieren, dass Organe erst entnommen werden, wenn ein Mensch wirklich tot ist. Er hat dafür ein Kriterium, das aus medizinischer Sicht allgemein anerkannt ist und als verlässlich gilt: den Hirntod. Doch dieses Kriterium ist häufig nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für eine Zustimmung zu einer Organentnahme oder für eine Bereitschaft zu einer Organspende.


Auf die Bedenken von Menschen gegenüber einer Reduzierung der Definition des Todes auf die medizinische Perspektive geht ausführlich eine 60 Seiten lange Broschüre der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Bayern zum Thema Leben und Sterben im Herrn ein:


Ein Mensch, der als tot gilt, weil sein Hirn nicht mehr funktioniert, dessen Organe aber noch funktionieren, weil die Atmung und der Kreislauf maschinell aufrecht erhalten werden, ist in einem merkwürdigen Zwischenzustand: nicht mehr richtig lebendig, aber auch noch nicht richtig tot. Da hilft es nur bedingt, dass die medizinische Wissenschaft versichert, dass dieser Mensch wirklich tot sei und Juristen diese Diagnose in positives Recht umsetzen. Ausgehend von unserem alltagsweltlichen Verständnis bleibt es eine Herausforderung, gleichsam wider den Augenschein den Tod anzuerkennen. Denn hierbei geht es dann ja nicht um eine neutrale Tatsache, sondern um einen Angehörigen, mit dem eine Lebensgeschichte verbindet, die jetzt für beendet erklärt wird.3

Nicht nur diese Diskrepanz zwischen medizinischer Information und alltagsweltlichem Erleben hemmt die Bereitschaft zur Organspende oder zur Zustimmung zu einer Organentnahme. Skandale um Manipulationen bei der Verwendung gespendeter Organe haben die Bereitschaft in der Bevölkerung zu einer Organspende stark sinken lassen und das Vertrauen in das System einer gerechten Distribution gespendeter Organe erschüttert. Es sind freilich auch andere Dimensionen von Gerechtigkeit, die Anfragen an den gesamten Zusammenhang von Organspenden und Organtransplantation auslösen. Auf solche Fragen der Gerechtigkeit geht ausführlich ein im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Transplantationsgesetz 2012 entstandenes Positionspapier der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland ein.4 In diesem Text werden nicht nur die üblichen medizinischen und rechtlichen Aspekte des Themas ausführlich erläutert, sondern auch Fragen der Geschlechtergerechtigkeit (es werden deutlich mehr Männern als Frauen Organe transplantiert), der Kostengerechtigkeit (wie lassen sich angesichts der Rationierung medizinischer Leistungen in anderen Bereichen die hohen Kosten von Transplantationen – die nur ganz wenigen Menschen zugutekommen – und ihre Folgekosten in einem solidarischen Gesundheitssystem rechtfertigen?), der Gerechtigkeit bei der Organverteilung und der Gerechtigkeit im globalen Kontext (im Sinne der globalen Verflechtung der Transplantationsmedizin) diskutiert.


Aus theologischer Sicht ist der Tod eines Menschen nie nur durch das Ende der biologischen Funktionen des menschlichen Körpers definiert worden. In der platonischen Philosophie wurde und wird der Tod als Trennung von Körper und Seele definiert; der so verstandene Tod eröffnet dem Menschen als Seele geradezu den freien Weg zum wahren Leben. Aus solcher philosophischen und aus theologischer Sicht ist das menschliche Leben nicht mit den biologischen Funktion eines menschlichen Körpers identisch. Leben ist theologisch gesehen immer Zusammen-Leben: mit anderen Menschen und Geschöpfen, aber auch mit Gott. Mit einem solchen Verständnis des Lebens ist der Tod dann definiert als das Ende des Zusammenlebens, als das Ende aller Beziehungen; der Tod ist die Beziehungslosigkeit eines Menschen. Es gehört zu den Gewissheiten des christlichen Glaubens, dass es für einen Menschen eine vollständige Beziehungslosigkeit nicht gibt, weil Gott seine Beziehung zu jedem Menschen unbedingt aufrecht erhält. Christen halten sich in diesem Sinn an das Versprechen Jesu: »Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stürbe« (Joh 11,25). Im Blick auf das Thema ›Organtransplantation‹ ist dann eine Fixierung auf den absoluten biologischen Todeszeitpunkt obsolet und wenig sinnvoll. Vielmehr geht es dann darum, die Beziehungen mit in den Blick zu nehmen, in denen ein Mensch existiert, und diese Beziehungen und ihre Zukunft zu thematisieren.


Aus philosophischer und theologischer Sicht kann der Tod auch als das Ende aller natürlichen Möglichkeiten eines Menschen verstanden werden. Das Leben ist die immerwährende Bewegung eines Menschen, in denen Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden und diese dann wiederum neue Möglichkeiten eröffnen, usw. Der Tod ist dann das Ende aller Möglichkeiten und eine Wirklichkeit, die keine neuen Möglichkeiten eröffnet. Im Tod ist ein Mensch ganz auf seine Wirklichkeit reduziert, und es ist ihm nun rein gar nichts mehr möglich. Auch darüber ist zu reden, wenn über den Tod gesprochen wird. So gehört z. B. zu einem Gespräch eines Seelsorgers mit Angehörigen eines sterbenden Unfallopfers eben auch die Frage, was sie sich noch an Möglichkeiten für ihren Angehörigen vorstellen können. Dies ist für viele Menschen eine ganz schwierige Auseinandersetzung, für die sie Zeit und geduldige, verständnisvolle Gesprächspartner brauchen. Die neuen Möglichkeiten die ein glaubender Mensch sich erhofft, erwachsen bei einem sterbenden Menschen gerade nicht mehr aus seinen ihm von der Natur gegebenen Möglichkeiten, sondern werden aus dem ewigen Leben mit Gott erhofft. Auch diese Dimensionen des Lebens kommen im Angesicht des Todes zur Sprache; im Übrigen möglicherweise auch bei jungen Menschen, die das Ausfüllen eines Organspende-Ausweises erwägen. Wer steht ihnen bei diesem Nachdenken über die verschiedenen Dimensionen des Sterbens und des Todes als Gesprächspartner in einer Gesellschaft, die den Tod nur allzugern verdrängt, anonymisiert und entindividualisiert, zur Verfügung? In vielen deutschen Krankenhäusern werden solche Gespräche von Seelsorgerinnen und Seelsorgern täglich geführt. Eine gute Kooperation zwischen Ärzten und Seelsorgern in den Krankenhäusern kommt dabei sicherlich auch der Transplantationsmedizin und insofern den kranken Menschen, die auf ein passendes Organ hoffen, zugute.


  1. 1Nikolaus Schneider, »Geistliches Wort zur Organspende«, 27. 12. 2012, http://www.ekd.de/download/20121120_wort_zur_organspende.pdf (23. 3. 15).

  2. 2Evangelischer Oberkirchenrat (Hg.), Organtransplantation. Fragen und Impulse für eine persönliche Entscheidung, zuletzt publiziert 2014, http://www.ekiba.de/html/media/dl.html?i=17440 (23. 3. 15).

  3. 3Evangelisch-Lutherische Kirche von Bayern (Hg.), »leben und sterben im Herrn«. Handreichung zur Organspende und Organtransplantation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, München 2014, S. 51, http://www.bayern-evangelisch.de/downloads/elkb_Handreichung_Organspende.pdf (23. 3. 15).

  4. 4Evangelische Frauen in Deutschland e. V. (Hg.), Organtransplantation. Positionspapier 2013, Hannover 2013, http://www.evangelischefrauen-deutschland.de/images/stories/efid/Positionspapiere/organtransplantation_positionspapier%202013.pdf (23. 3. 15).
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Heft 14 (2015)
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1867-7061

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