Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

»in die Korrespondenzen jener Tage einigermaßen einleben«1

Zu Gottscheds Reimbriefwechsel


250 Jahre nach Gottscheds Tod am 12. Dezember 1766 sind zehn Bände seiner Briefwechselausgabe zu feiern.2 Damit wird einer der bedeutenden Protagonisten der Aufklärung gewürdigt, wo doch Briefwechsel-Editionen aus der Frühen Neuzeit immer noch wahre Raritäten sind. Was gäbe es alles aus dem Briefwechsel auszuheben! Der Arbeitsstellenleiter Rüdiger Otto führt den Band mit einer ausführlichen Bestandsaufnahme prominent ein,3 wie das sein verstorbener Vorgänger Detlef Döring4 in den früheren Bänden dankenswerterweise begründet hat. Ich möchte mich auf Spezifika beschränken, die mir für Gottsched und das Bild, das die Nachwelt von ihm erhielt, charakteristische und die Sicht auf ihn bereichernde Facetten darstellen. Zwei Stichworte genügen dafür: einerseits geht es um die heilige Jutta von Sangerhausen, also um das merkwürdige Interesse eines Protestanten an einer Heiligen; und anderseits fällt im Kontext der Briefe die Sonderform des Reimbriefwechsels auf, die Gottsched besonders mit den Töchtern des mit ihm befreundeten Grafen Ernst Christoph von Manteuffel (1676–1749)5 verbindet. Beide Phänomene bleiben in der breit ausgefächerten Beschäftigung mit Gottsched ziemlich unterbelichtet.


1. Zu Jutta von Sangerhausen (um 1200–1260)


Christian Gottlob Kändler (1703–1766), Rektor der Sangerhauser Stadtschule,6 veröffentlichte 1740 die bis dahin gesammelten Kenntnisse über die Heilige7 und bat Gottsched, auf seiner Reise nach Königsberg weitere Nachrichten einzuholen.8 Man hatte die Überlegung, ob Gottscheds Geburtsort Juditten einen Bezug zu ihr haben könnte, und ob Gottsched auf seiner Reise von Gelehrten Näheres in Erfahrung bringen könne. Der Urheber Kändler vertraute, wie es scheint, auf Gottscheds patriotischen Bezug zu seiner Heimat, was dessen Nachfragen auch, obwohl es zu keinen neuen Kenntnissen kam, tatsächlich bestätigten. Obwohl Gottsched einst aus politischen Gründen von Preußen nach Sachsen gewechselt war, scheint er seiner Heimat verbunden geblieben zu sein. Und deshalb beteiligte er sich an den Nachforschungen nach der Heiligen, die immerhin auch als Pa­trona Borussiae galt. Wenn die Feier von Namenstagen eher auf eine süddeutsch-katholische Tradition verweist, ist man vielleicht überrascht, in Gottscheds Briefwechsel auf ein Zeugnis zu stoßen, das ihm zum Namenstag am 15. März 1741 zu Christophorus gratuliert.9 Schon dieser Glückwunsch ist so ein Reimbrief, wie ihn dann seine Korrespondenz mit den Manteuffel-Schwestern verbindet.


2. Gottscheds Reimbriefwechsel mit den Manteuffel-Schwestern


Gottscheds netzwerkartige Beziehungen etablieren ein umfängliches Nachrichtensystem, das über die personalen Verbindungen seiner Gesellschaftsgründungen10 und erwartbaren Adressatenkontexte weit hinausführt, auch über die Leipziger Regionalkontakte weit hinausreicht. So stoßen wir im 2016 erschienenen Band 10 des Gottsched-Briefwechsels auf ein ganz persönliches Zeugnis der in Braunschweig wohnenden Luise Marianne von Münchhausen (1719–1778), geborene von Manteuffel, die seit 1743 mit Ferdinand von Münchhausen11 verheiratet ist und am 1. Februar 1744 einen Sohn Ernst Christian Ludwig Ferdinand geboren hat, der in seinen Vornamen Großvater Ernst und Vater Ferdinand verbindet. Die junge Mutter dankt in ihrem Reimbrief vom März 174412 für Gottscheds Glückwunsch vom 20. Februar.13 Dieses köstliche Dokument führt uns einen privaten Gottsched ohne Perücke vor Augen, der hier auf einer Ebene spricht, die man dem berühmten Gelehrten so nicht ohne Weiteres zugetraut hätte. Dabei ist einerseits die Gattung des Reimbriefs eine geeignete Gattung, wie beispielsweise Goethes Knittelversbrief belegt, den er an Herder Anfang 1776 geschickt hat und ihm darin ankündigt, dass die Bemühungen um seine Berufung nach Weimar wohl erfolgreich sein werden.14 Anderseits ist der Reimbrief bei Gottsched so rar, dass sein Zeugnis umso aussagekräftiger erscheinen muss. Gleichwohl hat er Vorläufer, nämlich Briefe in Versen mit bestimmtem Metrum und regelmäßiger Reimstruktur, wie sie Gottsched schon zuvor erhalten hat, so 173915 oder 1741 eben den erwähnten zum Namenstag.


Darin wandte sich am 15. März 1741 der junge Ferdinand von Münchhausen (1719–1780) an Gottsched. Einem Musenanruf verwandt, als wende er sich an Apoll persönlich, bat er darin: »erwecke mich zum Dichten«.16 Es ist eine sonderbare Konstellation, dass der Gelehrte diesen Glückwunsch von dem nachmaligen jungen Vater erhielt, dessen Sohn er im Geburtstagsglückwunsch an die junge Mutter drei Jahre später feierte. Es sind die Manteuffel-Schwestern, an die sich Gottsched in Reimbriefen wandte, zuerst an Luise Marianne am 30. Juni / 1. Juli 174217 sowie am 28. Juli 174218 und wieder zur Geburt ihres Sohnes am 20. Februar 174419, worauf die junge Mutter im März d. J. antwortete.20 Am 6. Juli 1742 schrieb Gottsched ihrer Schwester Wilhelmine Ernestine (1715–1771), verheiratete von Plotho.21 Und, um die Reimbriefe zu vervollständigen, sei ergänzt, dass die Gottschedin am 24. Juli 1742 an Henriette Johanna Konstantia von Manteuffel (1718–1785), damals bereits verlobte von der Goltz, gleichfalls einen Reimbrief schrieb.22 Der Vater der Schwestern, Reichsgraf und Diplomat von Manteuffel, der seit 1737 mit Gottsched korre­spondierte, hatte 1736 in Berlin die Gesellschaft der Alethophilen gestiftet und wohnte seit 1741 in Leipzig. Diese Alethophilen, die ›Wahrheitsliebenden‹, waren Freunde und Liebhaber der leibniz-wolffschen Philosophie, deren mäzenatischen Mittelpunkt in Leipzig der Graf bildete. Der Graf war, wie Detlef Döring bemerkte, gut vertraut mit bestimmten, in Adelskreisen verbreiteten Formen der Geselligkeit, die in vermeintlicher Anknüpfung an mittelalterliche Ritterorden dem Amusement, der Pflege harmonischer Beziehungen und nicht zuletzt dem Spiel, dem Tändeln mit der Erotik verpflichtet waren.23 Möglich war das, weil in der Gesellschaft der Alethophilen Frauen Mitglieder werden konnten und sollten. Das war in den wenigsten Sozietäten jener Zeit denkbar.24 Im Kreis der Alethophilen waren Gottsched und die jungen Frauen über ihre intellektuelle Bindung zugleich freundschaftlich verbunden, sodass Gottsched in seinen Reimbriefen einen auch für ihn ungewöhnlich leichten Ton anzustimmen vermochte. Beispielsweise eröffnet er seinen Brief an die junge Frau von 
Plotho:


Hier kömmt, o Gräfinn, ohne Spott


Von Deinem Knecht, Professor Gott-


sched ein gereimtes Schreiben.25

Er schmeichelt ihr mit einer für die niedere Form des Knittelverses, den er im Versuch einer Critischen Dichtkunst (zuerst 1730) für die komische Gattung empfiehlt,26 hochgestochenen captatio benevolentiae:


O edle Göttinn vom Parnaß!


Du reimst viel besser; aber laß


Dein Aug was schlechters [d. i. schlichters] sehen.27

In Kenntnis der an das Ende von Knittelversdichtung zu rückenden Datierung parodiert Gottsched schließlich unbeschwert, da er sich als Dekan und Abgesandter der Leipziger Universität zum kursächsischen Landtag in Dresden aufhielt und, wenn man so wollte, die captatio benevolentiae bestätigt:


Geschrieben Dresden, in dem Jahr


Das schwer in Reim zu bringen war


Siebenzehn hundert vierzig


Noch zweÿ dazu den sechsten Tag


Des Monats der Heu ärnten mag.


Nun spricht mein Gaul: Hier stürz ich.28

Dieser halsbrecherische Schluss, der Reim »vierzig […] stürz ich«, mit dem sein Dichterross, der Pegasus, das Ende auch poetologisch begründet, ist singulär und höchst mutwillig. So witzig konnte Gottsched sein.


Schon der Schwester Luise Marianne hatte er eine Woche zuvor: »O schönste Gräfinn hochgebohrn« als »Knecht u. Diener« gestanden:


Drum komm ich auch so spät u. lahm


Mit meinem Flügelrosse zahm


Recht kriechend angestochen.29

Geradezu trotzig spielt er mit der versepischen Tradition, da er sich zu der gerade bemühten Gattung bekennt:


Doch schreit ich nun ohn allen Spott


Hilft mir gleich nicht der Musengott


Zu meinen Knittelreimen.30

Da sich das lyrische Ich »Dein Hauptmann« nennt, muss man wissen, dass sich die Leipziger Alethophilengesellschaft das »Regiment von Sans-Façon« [›Ohne Umstände‹] nannte.31 In ihm war jedem männlichen »Hauptmann« ein weib­liches Mitglied als »Compagnie« zugedacht. Und Luise Marianne von Manteuffel war Gottscheds Compagnie. Aus dieser Verbindung resultierten Gottscheds Reimbriefe an sie, auf deren letzten sie, nun verheiratete von Münchhausen, im März 1744 gleichfalls in Reimform antwortete. Dieses hoch angesiedelte Gesellschaftsspiel in bewusst niederer Form, die das spielerisch Zwanglose betont, charakterisiert die beiden Reimbriefe von Hauptmann und Compagnie vom Februar und März 1744. Davon ist gleich zu sprechen.


Die spezielle Situation, dass Gottsched in Dresden weilte, auch einen katholischen Gottesdienst besuchte und Zeuge der gerade entstehenden Hofkirche (geweiht 1751) wurde, brachte es mit sich, dass er zugleich auch Zeuge des vorläufigen Abschlusses der Frauenkirche von George Bähr am 30. Juni 1742 wurde und dies als Chronist behandelte. Das veranschaulicht sein:


Post scriptum. Lieber Leser schau,


Man satzte gestern auf die Frau-


enkirche Knopf und Spitze.


Ganz oben steht ein plumpes Kreuz;


Da denken wir nun allerseits:


Was ist der Plunder nütze?32

Mokiert sich Gottsched hier mehr über das provisorische Turmkreuzmodell aus Pappe? Oder erwartet er voller Ungeduld das Original, das erst am 27. Mai 1743 aufgesetzt wurde? Immerhin war ihm als Chronisten der historische ­Augenblick wichtig genug, ihn auch in seinem launigen Postscriptum festzuhalten.


Drei Wochen später machte Gottsched der »Erhabne[n] Gräfinn« mit einem Reimbrief erneut seine Aufwartung, womit er auf »ein geschriebnes Blatt« von ihrer »schönste[n] Dichterhand« antwortete, das leider nicht überliefert zu sein scheint.33 Mit Freuden habe er gesehen, »Daß Dich Dein Phöbus [Apollo] noch so schön | Zur edlen Dichtkunst treibet«.34 Ihr Reim fließe so niedlich wie der Nektar der Götter. Deshalb müssen wir ihre Kunst an dem erwähnten Reimbrief, ihrem einzigen erhaltenen, betrachten, mit dem sie im März 1744 auf Gottscheds Glückwunsch vom 20. Februar zu ihrem erstgeborenen Sohn geantwortet hat.35

Gottsched hatte mit einem Briefgedicht von 18 sechsversigen Strophen gratuliert. Darauf antwortete die Mutter gleichfalls in Reimform. Weil die junge 24-jährige Compagnie sich durch ihre Heirat von ihrem 43-jährigen Hauptmann verabschiedet hat, spricht Gottsched vom »abgesetzte[n] Hauptmann«36. Die Geburt Christi postfigurierend singt er mit Bezug auf den neugeborenen Freiherrn und Baron:


Wer ward darob so herzlich froh


Als ich, in dulci Jubilo,


Beÿ so erwünschten Freuden?37

In diese Freude stimmen die Familienmitglieder, voran der »Großpapa« Manteuffel, mit ein, die in Leipzig wohnen. Doch auch die andere Tochter von der Goltz, die Tante des Neugeborenen im schlesischen Ratibor, wird miteinbezogen, wo, wie es heißt, der »hochberühmte Rübenzahl« auf den Blocksberg zürne, weil er ihm die Ehre der Nachbarschaft des neuen Helden nicht gönne. Denn dieser Berg habe sich »recht ausgerecket« und den »Hals empor gestrecket«, um im benachbarten Braunschweig »Aus Lust das Wochenbett zu sehn«.38 Weil ein guter Hauptmann aber für die Kadetten zu sorgen habe, so empfehle er für dessen Pflege, also des Neugeborenen:


Wenn er des morgens aufgewacht


So wird ihm allezeit gebracht


Pommersche Chocolade.


Zu Mittag dient ein Stückchen Wurst


Und Tibi soli löscht den Durst


Daß ihm die Speis’ nicht schade.39

Mit einer Kontrafaktur auf die Marienhymnik, derzufolge die Gottesmutter »Non tibi soli progenita es«, also: nicht sich allein geboren sei, dient die Mutter- bzw. Ammenbrust allein dazu, ihn zu stillen.40 Außerdem: »Beÿm Schlafengehn ein Gläschen Mumm: | Und macht es gleich das Köpfchen dumm, | So schläft er desto besser.«41 Mumm oder Mumme meint hier ein Braunschweigisches Bier. Wie im früheren Brief gerade die provisorische Vollendung der Frauenkirche zu melden war, so steht jetzt – dem Stern von Bethlehem verwandt – ein »riesenmäßiger Komet | Im Pegasus am Himmel«42, wie er damals seit November 1743 zu beobachten war. 


Die Antwortreime der jungen Mutter quellen über vor Glück, da, wie Gottsched in seinem Glückwunschbrief bestimmt habe, sogar


Der Rübezahl des Blocksbergs höhe


Auf meines Kleinen Windeln sähe.


Das ist fürwahr ein arges Ding,


Darüber ich viel Lust empfing[.]43

Sie nimmt jene vorgegebene Opposition vom schlesischen Rübezahl und Harzer Brocken auf, indem sie beide Mythen zum »Rübezahl des Blocksbergs« synthetisiert. Doch die Anspielung auf das Regiment Sans-façon44 der Alethophilen betrachtet sie mit gespielter Skepsis, da sie weiß, dass einem zu erringenden Siegeskranz stets kleinere Kämpfe vorausgehen. Deshalb müsse man nach des Chefs sehr weisem Spruch – sie spricht von ihrem Vater als Haupt der Gesellschaft – erst den Versuch machen,


Ob dieser Knab, wie ich wohl gläube


Auch wircklich habe herz im Leibe.45

Wenn er größer werde, wolle man ihn auf Gottscheds hohe Schule schicken. Aber er möge nicht der Schönen sieben, wie von ihm im Casualcarmen »Wiegenlied« verheißen46, lieben, sondern erst »einst im Dienst befließen | […] eine Schöne küßen«.


Und wird er wie du hast gelehrt,


Mit Wurst, Choclad, und Mumm ernährt


Wird er im [!] Worten und Gebehrden


Recht handfest, starck, und männlich werden.47

Sonderbarerweise brechen mit dieser Aussicht auf den Stammhalter die Reimbriefe ab.48 Dieser ist allerdings der einzige, den Gottsched in dieser Form von einer Frau – eben seiner einstigen Compagnie – erhalten hat. Auf Grund der Quellenlage lässt sich nur darüber spekulieren, wieso die Reimkorrespondenz nach der Verheiratung der Manteuffel-Schwestern abebbte. Das reizvolle höhere Gesellschaftsspiel endete, zumal auch das Haupt der Alethophilen, Graf von Manteuffel, 1749 starb. In Gottscheds Korrespondenz aber bieten die Reimbriefe eine einzigartig persönliche Facette, die ihn von einer Seite nahe rückt, die ohne sie und das gesellige Ritual der ›Wahrheitsliebenden‹ wohl verborgen geblieben wäre.


Anhang


Johann Christoph Gottsched an Luise Marianne von Münchhausen,


Leipzig 20. Februar 1744


Abschrift von der Hand Luise Adelgunde Victorie Gottscheds: Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, M 166, Band VIII, Nr. 153, S. 244–246. Druck in Gottsched-Briefwechsel (Fn. 2), Band 9, Nr. 203, S. 501–505.


Absender, Adressatin, Ort und Datum ergeben sich aus der Briefüberschrift: »Schrei­ben vom Herrn Prof. Gottsched, an die Frau Drostinn von Münchausen. Leipzig. den 20. Febr.«


denkstroeme-heft19_beitraege_manger_1.jpeg

Erhabne Gräfinn Hochgebohrn,


Und Baronessinn auserkohrn,


Frau Drostinn auch darneben,


Du allerschönste Compagnie,


Die es beÿ Regimentern je


Im deutschen Reich gegeben.


So wahr ich mit ergebnem Sinn,


Dein abgesetzter Hauptmann bin


In Züchten und in Ehren.


So wahr konnt ich die letzte Pust


Von Deines Hauses Glück u. Lust,


Vor Freuden, kaum recht hören.


Man schrieb u. las, man hört u. sah


Es seÿ bereits, cum Gloria,


In Braunschweig was vorhanden:


Es lieg in deinem Arme schon,

Ein kleiner Freÿherr und Baron

In zarten Windelbanden.

Wer ward darob so herzlich froh

Als ich, in dulci Jubilo,

Beÿ so erwünschten Freuden?

Seÿ willkomm! rief ich, kleiner Held,

Du hast Dich herrlich eingestellt

Beÿ Deinen Aeltern beÿden.

Man sagt es freu sich der H. Drost,

Dem diese Lust nicht Schmerzen kost,

Der nichts dabeÿ gelitten,

Und der von seiner Gräfinn zart

Aus Großmuth so beschenket ward,

Nach langem Flehn und Bitten.

denkstroeme-heft19_beitraege_manger_2.jpeg


Es freut sich hier der Großpapa,


Desgleichen auch die Großmama,


Der Kronprinz auch nicht minder.


Das weisse Roß und eine Schaar


Die oft daselbst versammlet war,


Bis auf die kleinen Kinder.


In Schlesien freut sich zumal


Der hochberühmte Rübenzahl,


Thut Ratibor es melden.


Er zürnet auf den Blocksberg sehr,


Und gönnt ihm wahrlich nicht die Ehr


Der Nachbarschaft des Helden.


Auch geht die Rede, dieser Berg,


Dabeÿ ich wahrlich bin ein Zwerg,


Hab sich recht ausgerecket;


Und als in Braunschweig dieß geschehn,


Aus Lust das Wochenbett zu sehn,


Den Hals empor gestrecket.


Nun merk auch, theure Wöchnerinn!


Wie eifrig ich gewesen bin


Den kleinen Gast zu ehren:


Ich trug dem Chef es plötzlich an,


Dem neugebohrnen Rittersmann


Ein Fähnlein zu bescheren.


Vernimm beÿ unserm Regiment,


Das sich von Sans façon benennt,


Und für die Wahrheit streitet.


Vom Vater und der Mutter her,


Verdient er daß er Fähndrich wär


Der tapfre Krieger leitet.


Die Compagnie der Grenadier,

Bereitete vor Freuden schier

Die Fahne, bunt gesticket;

Allein mir ward zum Ungelück,

Durch unsers Chefs gestrengen Blick,

Und Wort, das Ziel verrücket.

Nun, sprach er, ohn Verdienst u. Werth,

Wird eine Fahne nicht beschert.

Cadet muß er erst werden.

Bis daß er zeiget, daß er kann,

Sich als ein tapfrer Rittersmann

Bezeigen, und Geberden.

Das nahm ich an, und meld es Dir,

Daß nicht des Freÿherrn Ruhmbegier

Sich wenden darf nach Schwaben;

Wird er ein Jahr nur überstehn,

Und lernet erst in Hosen gehn;

Soll er das Fähnlein haben.

Weil nun ein guter Hauptmann auch,

Nach löblichem und altem Brauch,

denkstroeme-heft19_beitraege_manger_3.jpeg

Für die Cadets muß sorgen;


So schreib ich her ohn arge List,


Wie der Baron zu pflegen ist,


Des Abends und am Morgen.


Wenn er des morgens aufgewacht


So wird ihm allezeit gebracht 


Pommersche Chocolade.


Zu Mittag dient ein Stückchen Wurst


Und Tibi soli löscht den Durst


Daß ihm die Speis’ nicht schade.


Beÿm Schlafengehn ein Gläschen Mumm:


Und macht es gleich das Köpfchen dumm,


So schläft er desto besser.


Behält man diese Vorschrift freÿ;


So wett ich, eh das Jahr vorbeÿ


Ist der Cadet Kopfs größer


Geschrieben in dem Februar


Des sonderbaren Jahrs fürwahr


Da mit dem gelben Glanze


Ein riesenmäßiger Komet


Im Pegasus am Himmel steht,


Mit ungeheurem Schwanze.


Hiermit empfehl ich kurz und gut


Mich an den niedlichen Recrut


Und die, so ihn geworben,


Und bleibe, hochgebohrne Frau,


Dein treuer Knecht, bis alt und grau,


Ich dermaleins gestorben.


Luise Marianne von Münchhausen an Johann Christoph Gottsched,

Braunschweig März 1744

Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 0342, Band IX, Bl. 41–43. 5 S. Bl. 41 r oben von Luise Adelgunde Victorie Gottscheds Hand: R. den 27. Mart.

Druck in Gottsched-Briefwechsel (Fn. 2), Band 10, Nr. 13, S. 26–29.

denkstroeme-heft19_beitraege_manger_4.jpeg

Berühmter Herr Professor mein,

Wie auch Collegiate fein,

Hiernechst der Teuschen Sprach Großmeister,

Und endlich liebling großer Geister!

Ich dancke Dir von hertzens Grund,

Daß du mir hast gemachet kund,

Wie sehr mein erstes Wochen bette

So vieles hertz erfreuet hätte!

Wie jeder starcken Antheil nimmt

Und auch so gar, wie du bestimmt

Der Rübezahl des Blocksbergs höhe

Auf meines Kleinen Windeln sähe.

denkstroeme-heft19_beitraege_manger_5.jpeg

Das ist fürwahr ein arges Ding,


Darüber ich viel Lust empfing,


Und ob ichs selber gleich nicht wuste


Gewiß doch hertzlich lachen muste.


Vom Regimente Sans-façon


Hast du auch ferner Ruhm davon,


Daß du die Anzahl zu vermehren


Mit Eifer dich hast woll‘n beschweren,


Ein Fähnlein nemlich für mein Kind


Dir auszubitten sehr geschwind.


Die Sorge war an sich sehr gut


Jedoch ein edles tapfres Blut


Pflegt eh es kann den Siegskrantz tragen,


Zu erst mit kleinen es zu wagen;


Und nach des Chefs sehr weisen Spruch,


Muß man erst machen den Versuch,


denkstroeme-heft19_beitraege_manger_6.jpeg

Ob dieser Knab, wie ich wohl gläube


Auch wircklich habe herz im Leibe.


Drum preiß ich selbst den Ausspruch sehr,


Den du mir schreibest ohnbeschwer,


Daß er in unsern hohen Orden


Zu erst ist ein Cadet geworden.


Doch ist dieß für ihn nicht zu viel;


Denn treibt er gleich noch Kinder Spiel,


So macht er doch schon saure Minen


Wenn man ihn nicht recht will bedienen.


So bald er nun wird größer seÿn, 


So woll‘n wir ihn bald schicken fein


Zu dir auf deiner hohen Schulen,


Da soll er mit der Weisheit buhlen,


Und du sollst ihn zur Wahrheits Bahn


Recht ritterlich selbst führen an.


denkstroeme-heft19_beitraege_manger_7.jpeg

Doch soll er nicht der Schönen Sieben


Wie du, mein Herr, wohl meinest lieben.


Nein er soll sich im Ehren lauf


Sehr keusch und züchtig führen auf.


Und ist er einst im Dienst befließen


Mag er erst eine Schöne küßen.


Und wird er wie du hast gelehrt,


Mit Wurst, Choclad, und Mumm ernährt


Wird er im Worten und Gebehrden


Recht handfest, starck, und männlich werden.


Dieß seÿ genug von ihm gesagt,


Ein mehrers werde nicht gewagt


Von ihm beÿ seinem Windeln tüchern


Mit wahren Grunde zu versichern.


Du hast von ihm viel prophezeÿt


Das rühm ich stets mit Danckbahrkeit


denkstroeme-heft19_beitraege_manger_8.jpeg

Und will, wird bald dir zum Vergnügen


Dein wehrte Frau in Wochen liegen,


Dir auch viel gutes wünschen an 


So gut ichs immer weis und kan


Und dir, so bald es ihr wird glücken


Die allerbeste Wiege schicken.


Es grüßet dich mein Ferdinand.


Und deine Schöne wohl bekanndt


Und ich bleib von euch wehrten beÿden


Stets eine Dienerin mit Freuden.


Geschrieben in der Bruno Stadt


Da man nun sichre Nachricht hat


Daß Matthews einen Sieg erfochten


Worauf zu erst die Franzen pochten


Als hatten sie den Preiß erlangt


Der doch weit herrlicher jetzt prangt


Auf aller Engelländer Scheitel


Weil unerschöpflich war ihr beutel. 


  1. 1Gustav Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur seiner Zeit, Leipzig 1897, S. 18.

  2. 2Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel unter Einschluss des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf, Bd. 1–10: 1722–1745, Berlin/Boston 2007–2016, in den folgenden Fußnoten zitiert als: Gottsched-Briefwechsel. Vgl. im Textanhang Handschrift und Transkription von Gottscheds Reimbrief an Luise Marianne von Münchhausen vom 20. Februar 1744 sowie von ihrer Antwort vom 27. März 1744. Inzwischen ist Bd. 11, 2017, erschienen.

  3. 3Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, S. XIII–LIV.

  4. 4Vgl. »Detlef Döring (1952–2015), Zum Tode des langjährigen Leiters der Arbeitsstelle in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig«, in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, S. VII–XII.

  5. 5Vgl. das Bio-bibliographische Korrespondentenverzeichnis in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, S. 628 zu Ernst Christoph von Manteuffel sowie zu seinen Töchtern Bd. 8, S. 527 f. Wilhelmine Ernestine, verh. von Plotho (1715–1771), S. 519 Henriette Johanna Konstantia, verh. von der Goltz (1718–1785) und S. 519 f. Luise Marianne, verh. von Münchhausen (1719–1778).

  6. 6Vgl. Bio-bibliographisches Korrespondentenverzeichnis in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, S. 618.

  7. 7Christian Gottlob Kändler, De Vita Et Rebus Gestis Sanctae Iuttae De Sangerhausen Patronae Borussiae Commentarius … Dissertatio Prima, Leipzig 1740. Ein geplanter zweiter Teil ist nicht erschienen. Vgl. die Übersetzung: Leben und Taten der Heiligen Jutta von Sangerhausen, aus dem Lateinischen übersetzt von UIrich Höroldt, mit einer Einleitung von Peter Gerlinghoff, Sangerhausen 2002.

  8. 8Vgl. Kändlers Brief an Gottsched vom 30. März 1744, in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 15 (S. 31).

  9. 9Ferdinand von Münchhausen an Gottsched, Leipzig 15. März 1741, in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 7, Nr. 130 (S. 367). Als Fest des heiligen Christophorus gilt der 25. (24.) Juli. Doch ist, wie der Briefkommentar belegt, auch der 15. März nachweisbar; vgl. Calender für Prediger und Schullehrer der Königl. Sächsischen Lande … auf das Jahr 1813, S. XV.

  10. 10Vgl. Detlef Döring, »Die Leipziger Sozietäten in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts und das Auftreten Johann Christoph Gottscheds«, in Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 5: Aufklärung in Europa, Weimar u. a. 1999, S. 17–42. Sowie Detlef Döring, Kurt Nowak (Hg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820) (Sächs. Akad. der Wissensch. zu Leipzig, Abh. der Phil.-hist. Klasse, Bd. 76, H. 2/5/6), Stuttgart 2000–2002.

  11. 11Vgl. Fn. 9.

  12. 12Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 13 (S. 26–29).

  13. 13Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 203 (S. 501–505).

  14. 14Goethe an Herder, Weimar, kurz vor dem oder am 20. Februar 1776, in Johann Wolfgang Goethe, Briefe. Hist-krit. Ausgabe, Bd. 3 I: 8. Nov. 1775–Ende 1779. Text, hg. von Georg Kurscheidt und Elke Richter, Berlin 2014, Nr. 47 (S. 33 f.) – Gottsched hat in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst (41751) auf den Knittelvers bei Hans Sachs und in der Komödie hingewiesen: ND Darmstadt 1962, S. 631–656.

  15. 15Michael Werner Kestner an Gottsched, Groß Germersleben 12. Nov. 1739, in Gottsched-Briefwechsel, Bd. 6, Nr. 70 (S. 191–195).

  16. 16Wie Fn. 9, Vers 3.

  17. 17Gottsched-Briefwechsel, Bd. 8, Nr. 128 (S. 289–294).

  18. 18Ebd., Nr. 160 (S. 368–373).

  19. 19Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 203 (S. 501–505).

  20. 20Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 13 (S. 26–29).

  21. 21Gottsched-Briefwechsel, Bd. 8, Nr. 133 (S. 303–309).

  22. 22Ebd., Nr. 156 (S. 358–362).

  23. 23Vgl. Detlef Döring, »Ernst Christoph von Manteuffel und die Leipziger ›Wahrheitsliebenden‹ um Johann Christoph Gottsched«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 8 (2012), S. 64–73, http://www.denkstroeme.de/heft-8/s_64-73_doering (7.2.2018); Johannes Bronisch, Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus, Berlin / New York 2010.

  24. 24Allerdings bedachte die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt in ihrem Gründungsjahr 1754 bei der Zuwahl Gottscheds auch seine Frau, die aber offenkundig auf ihre Aufnahme verzichtete. Vgl. Rüdiger Otto, »Die Beziehung Gottscheds zur Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt in Dokumenten [1754–1766]«, in Jürgen Kiefer (Hg.), Miscellanea – Neue Beiträge zur Erfurter Akademiegeschichte, Erfurt 2011 (Sonderschriften, Bd. 42), S. 167–183, hier S. 169 f.

  25. 25Gottsched-Briefwechsel, Bd. 8, Nr. 133, Vers 1–3.

  26. 26Vgl. Fn. 14.

  27. 27Gottsched-Briefwechsel, Bd. 8, Nr. 133, Vers 10–12.

  28. 28Ebd., S. 309 Schlussverse. – Zum historischen Hintergrund vgl. ebd., S. 290 Erl. 1, 349 Erl. 3 und 351 Erl. 4.

  29. 29Ebd., Nr. 128, Vers 1, 7 und 13–15.

  30. 30Ebd., Vers 19–21.

  31. 31Ebd., Vers 23 mit Fußnote 2 sowie Vers 97 f. mit Fußnote 8.

  32. 32Ebd., Vers 109–114 und Fußnote 9.

  33. 33Ebd., Nr. 160, Vers 5 und 1.

  34. 34Ebd., Vers 25–27.

  35. 35Wie Fn. 20.

  36. 36Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 203, Vers 8.

  37. 37Ebd., Vers 19–21.

  38. 38Ebd., Vers 38, 45, 48 und 47.

  39. 39Ebd., Vers 85–90.

  40. 40Vgl. Franciscus Höger, Das Eröffnete Heiligthum / Zu Heiligmachung der Christen / Oder Erklärung der Wunder-Wercken GOttes in Seinen Heiligen / Durch verschiedene theils Lob- theils Sitten-Predigen […], Ingolstadt 1724, S. 330.

  41. 41Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 203, Vers 91–93.

  42. 42Ebd., Vers 100 f. und Fußnote 18, die auf Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 199, Erl. 14, verweist. Demnach wurde der am 29. November 1743 von Jan de Munck (1687–1768) in Middelburg entdeckte Komet bis in den März 1744 hinein in Europa verfolgt.

  43. 43Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 13, Vers 11–14.

  44. 44Ebd., Vers 17.

  45. 45Ebd., Vers 29 f.

  46. 46Ebd., Vers 45 f. mit Fußnote 3. Vgl. Gottsched-Briefwechsel, Bd. 9, Nr. 202, Erl. 13 (S. 500); Nr. 208, Erl. 3 (S. 514) und Nr. 209 (S. 514–516).

  47. 47Gottsched-Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 13, Vers 49–54.

  48. 48Freilich sind damit für die ausstehende Publikation des Gottsched-Briefwechsels weitere Reimbriefe keineswegs auszuschließen.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 19 (2018)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1