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Warum die Energiewende so schwer ist. Ethische Fragen 
und Akzeptanzprobleme1

1. Die Energiewende: angekommen in den Mühen 
der Ebene


Aus heutiger Sicht ist es schon fast vergessen: In der Zeit unmittelbar nach Fukushima bestand ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass die Energiewende nicht nur sinnvoll ist, sondern dass wir sie auch wirklich schaffen werden. Heute dagegen herrscht Katzenjammer, jedenfalls wenn man in die Massenmedien schaut oder sich im Bekanntenkreis umhört. Neue Infrastrukturen wie Hochspannungstrassen oder Pumpspeicherkraftwerke werden erforderlich und greifen in Lebenswelten und Landschaften ein, Sorgen über steigende Strompreise und abnehmende Versorgungssicherheit breiten sich aus. Auf einmal werden erneuerbare Energieträger, die in den meisten Medien bislang zumeist als die positiven Alternativen zu Atomstrom und fossilen Energieträgern dargestellt wurden, zum Problem erklärt. Ob nun Windanlagen als Häcksler für Vögel oder Totengräber für den lokalen Tourismus und die Wasserkraft in Fließgewässern als Shredder-Anlagen für Fische thematisiert werden, ob eine Subventionitis in der Photovoltaik beklagt und auch skandalisiert wird oder Biogasanlagen hauptsächlich wegen ihrer Geruchsbelästigung einen Bericht wert sind – die Stimmung hat sich verändert. Befürchtungen machen die Runde, dass Energie für untere Einkommensschichten unbezahlbar werden könne, und dass es offen sei, ob wir »den nächsten Winter schaffen«, gemeint ist ohne größeren Blackout der Stromversorgung. Zwar unterstützt nach wie vor die Mehrheit der Deutschen die Ziele der Energiewende. Aber der Optimismus, dass wir sie schaffen werden, ist verflogen.


Es gibt vordergründige Erklärungen für diesen Umschwung: das politische System käme nicht nach, vernünftige regulatorische Randbedingungen zu schaffen; soziale Schieflagen im EEG verminderten die Akzeptanz; die erhöhten Energiepreise gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie; der deutsche Föderalismus mit seinen komplexen Entscheidungsmechanismen würde keine kohärente Planung erlauben und die Bürgerinnen und Bürger würden schließlich gar keine Veränderungen akzeptieren, die sie selbst betreffen könnten – Energiewende ja, aber bitte so, dass man sie nicht bemerkt und vor allem nicht in meinem Vorgarten (»not in my backyard«). In all diesen Argumenten mag ein Körnchen Wahrheit stecken. Der Kern der Probleme liegt jedoch an anderer Stelle: Die Energiewende ist weit mehr als der Ersatz alter durch neue Technik. Und genau deswegen kommt es zu gesellschaftlichen Verwerfungen, zu Gewinnern und Verlierern, schließlich zu ethischen Debatten, Gerechtigkeitsdiskussionen und Akzeptanzproblemen. Die Behebung dieser eigentlichen Gründe, warum die Energiewende so schwer ist, bedarf einer neuen politischen und gesellschaftlichen Kultur im Umgang mit kontroversen Zukunftsfragen.


2. Die Energiewende – mehr als eine technische Herausforderung


Ich glaube, dass diese und weitere Erklärungen zwar alle irgendeine Berechtigung haben, aber nicht bis zum Kern vorstoßen. Sie sind für mich nur Symp­tome eines schmerzhaften Erkenntnisprozesses: die Energiewende ist ganz erheblich schwerer als 2011 erwartet wurde. Wir haben uns ein falsches und viel zu einfaches Bild vom Energiesystem und seiner Transformation gemacht.2

In Deutschland sind hohe Standards der Energieversorgung erreicht. Ausfälle im Stromnetz kommen praktisch nicht vor. Strom kann dem Netz jederzeit in (praktisch) beliebiger Menge in gleich bleibender Qualität entnommen werden. Unterschiedliche Nachfrage, abhängig vom Konsum, wird vom System abgefedert. Für Treibstoffe für die automobile Mobilität und Gas für Raumwärme gilt Ähnliches. Dass einmal eine Tankstelle ›ausverkauft‹ ist, dürfte man in Deutschland in den letzten Jahrzehnten kaum je erlebt haben. Dieses hohe Maß an Zuverlässigkeit der Energieversorgung ermöglicht den Konsumenten hohe individuelle Autonomie: Wir können unsere Energiebedürfnisse jederzeit befriedigen und müssen keinerlei Rücksicht auf Einschränkungen durch Versorgungssysteme nehmen. Das ist verglichen mit großen Teilen der Welt eine ausgesprochen komfortable Situation. 


Sprichwörtlich ist der Satz geworden »Der Strom kommt aus der Steckdose«. Ist dieser eigentlich dahingehend kritisch gemeint, dass man auch darüber nachdenken solle, wie denn der Strom in die Steckdose ›hineinkommt‹, so drückt er doch auf geniale Weise den erwähnten Komfort aus. Im Idealzustand haben Konsumenten zum Energiesystem nur zwei Schnittstellen: die Steckdose zum Konsumieren der Leistung (bzw. die Zapfsäule bei Treibstoffen) und das Bankkonto zur Begleichung der Rechnung. Wie Strom bzw. Treibstoffe an den Ort kommen, an dem sie konsumiert werden können, ist den Konsumenten verborgen und muss sie nicht interessieren, sondern spielt sich in den Technologien und Systemen ›hinter‹ Steckdose und Zapfsäule ab.


So steckt in der erwähnten Redewendung ein ganzes Stück Wahrheit. Denn als Konsumenten benötigen wir weder Kraftwerke noch Solarzellen noch Hochspannungsleitungen, sondern Steckdosen und Tankstellen, aus denen ­sicher, verlässlich, und zu vernünftigen Preisen Energie der gewünschten Form konsumiert werden kann. Entsprechend haben wir uns die Energieversorgung als ein technisches System vorgestellt, bestehend aus Kraftwerken verschiedenster Art, Hochspannungsleitungen, Verteilnetzen, Umspannstationen, Regelungs- und Überwachungsanalagen, Speicherkraftwerken, Erdölraffinerien, Pipelines, Großtankern, Förderanlagen für Öl, Gas und Kohle, Tagebau für Uran und Braunkohle, um nur einige Elemente zu nennen. Das Energiesystem war – und ist vielfach noch – für uns all das, was technisch ›hinter der Steckdose‹ oder auch ›hinter der Tankstelle‹ liegt: technische Infrastrukturen, die dafür sorgen, dass wir aus Steckdosen und Tankstellen zu jeder Zeit Strom oder Treibstoff in der gewohnten Qualität entnehmen können. Die komplexen, vor allem technischen, logistischen und organisatorischen Systeme hinter den Steckdosen und Tankstellen interessieren die Verbraucher in der Regel nicht, solange die gewünschten Dienst- und Versorgungsleistungen störungsfrei erhältlich sind. Die Versorgungssysteme mit ihren Technologien sind nur Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst. Wir bemerken ihr Vorhandensein oft erst dann, wenn sie entweder nicht funktionieren oder in irgendeiner Form ›stören‹, d. h. wenn sie Emissionen verursachen, zum Klimawandel beitragen, die Landschaft verschandeln oder Umweltschäden und Gesundheitsrisiken verursachen. 


Solange wir uns die Energieversorgung als ein technisches System vorstellen (und so wurde vielfach in Politik und Medien argumentiert), würde sich die Energiewende nur im Hintergrund abspielen. Die Konsumenten würden sie im Idealfall gar nicht bemerken, weil sich an Steckdose und Zapfsäule nichts ändern sollte. Die Energiewende könnte Ingenieuren und Managern anvertraut werden, die die Sache schon meistern würden und von der Politik nur zielführende Randbedingungen benötigten. 


Die Trennung der Energiewelt in einen Bereich des Konsums vor Steckdose bzw. Zapfsäule und in das technisch-ökonomische Feld der Bereitstellung dahinter stellt jedoch eine für die Energiewende irreführende Vereinfachung dar. Denn das Energiesystem funktioniert nur, wenn technische, organisa­torische, wirtschaftliche und soziale Faktoren einigermaßen aufeinander abgestimmt sind.3 Um nur einige Beispiele aus dem bestehenden Energiesys
tem zu nennen: Der internationale Handel mit Öl, Gas und Kohle bedarf kooperativer vertraglicher Regelungen, ziviler politischer Rahmenbedingungen und funktionierender staatlicher Autoritäten (die beiden Ölkrisen 1973 und 1980 zeigen die Folgen adverser politischer Konstellationen); die energetische Nutzung der Kernkraft ist gegen den (teils erbitterten) Widerstand großer Bevölkerungsteile nicht auf Dauer möglich, wie das deutsche Beispiel zeigt; die Idee, das Kohlendioxidproblem bei neuen Kohlekraftwerken an der Wurzel zu behandeln, also das Gas im Kraftwerk abzuscheiden und unterirdisch zu verpressen (CCS-Technologie), ist wenigstens in Deutschland vorläufig am Widerstand möglicherweise betroffener Regionen gescheitert; komplexe Kraftwerke, insbesondere Kernkraftwerke, bedürfen komplexer Bedienung, Wartung und unabhängiger Überwachung sowie eines adäquaten Krisenmanagements für den Fall der Fälle. Auch der Normalbetrieb des Energiesystems ist durchzogen von gesellschaftlichen Anteilen: an den Strombörsen wird Handel getrieben und werden Preise beeinflusst; Manager und Ingenieure entscheiden im Zusammenwirken mit technischen Steuerungselementen über das Herunter- oder Hochfahren von flexiblen Kraftwerkselementen oder über den Einsatz von Pumpspeicherkraftwerken; über politisch festgelegte Beimischungsverordnungen entsteht ein Treibstoff namens E10 und führt zu kontroversen gesellschaftlichen Debatten; Wertschöpfungsketten verändern sich mit dem zunehmenden Einzug des Internets in die Energiewelt; Stadtwerke und Energieversorgungsunternehmen bieten den Verbrauchern neue Tarifmodelle an. 


Diese Verflechtungen zwischen technischen Systemen und ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeldern intensiviert sich im Rahmen der Energiewende in einem bislang nicht gekannten Maß. Beispielsweise werden viele Konsumenten nicht in der rein passiven Rolle als Abnehmer und Zahler von Energiedienstleistungen verbleiben. Wer Solarzellen auf dem Dach hat und Sonnenenergie ins Netz einspeist, ist bereits jetzt nicht nur Verbraucher, sondern auch Anbieter, nicht nur Konsument, sondern auch Produzent (hier ist das Kunstwort ›Prosumer‹ entstanden). Neue Akteure, vor allem viele kleine in das Netz einspeisende Anbieter, müssen über Regeln, Verträge, Abmachungen über Rechte und Pflichten, Haftungsfragen etc. sozial und rechtlich eingebunden werden. Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten müssen neu verteilt werden. Gerade die stärkere Einbindung von kleineren, dezentralen Produzenten und die möglicherweise notwendige Beteiligung von Nutzern am Management des Gesamtsystems erfordern neue Regelungen und Anreizstrukturen, aber auch neue Wege der Datenübertragung, -interpretation und -vorhaltung, die jeweils die Komplexität des Gesamtsystems erhöhen. Eine erheblich größere Anzahl mitsteuernder Akteure muss koordiniert werden, ohne die Stabilität des Gesamtsystems zu gefährden. Die verstärkte Nutzung des Internets und digitaler Technologien für die Steuerung der Energieversorgung macht das Energiesystem anfälliger für Hacker, die entweder versuchen könnten, das System oder Teile davon lahm zu legen (Blackout) oder auf sensible Daten zuzugreifen. Auch hier gilt es, geeignete Regulierungsansätze zu entwickeln, die Robustheit und Resilienz des Systems zu erhöhen sowie Kompetenzen und Verantwortlichkeiten angemessen zuzuordnen.4 Weitere nicht-technische Handlungsfelder sind die Entwicklung von Anreizsystemen zur Einrichtung von systemstabilisierenden Elementen wie Speichern und zu ihrer Integration in die Gesamtsteuerung; die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Dienstleistungen im Energie­bereich; die Weiterentwicklung von Planungsrecht und Beteiligungsverfahren, um sozialverträglich neue Infrastrukturen einrichten zu können und die Ausarbeitung von vielversprechenden Innovationspfaden. Neue Infrastrukturen wie Hochspannungstrassen verändern Landschaften. Verbraucher werden sich zwischen mehr Optionen und Modellen ihrer Energieversorgung entscheiden können (und müssen!). Auch werden Verbraucher möglicherweise in die Steuerung des Gesamtsystems einbezogen werden. Technisch wird dies als ›Demand Side Management‹ bezeichnet: um dem teils stark wechselnden Stromangebot, weil eben Wind und Sonne als Energielieferanten nur recht unterschiedlich zur Verfügung stehen, zu begegnen. Denn Speicher und der Transport von Strom über weite Entfernungen reichen dann möglicherweise nicht aus – in diesem Fall müssten die Konsumenten ihren Beitrag leisten. Stichworte wie Smart Grid, Smart Home, oder Internet der Energie zielen auf eine aktive Beeinflussung der Stromnachfrage. Was sich so sachlich anhört, läuft aber auf eine Einschränkung der Autonomie der Konsumenten hinaus.


Veränderungen warten auch im Bereich der Mobilität. Wenn es zu einer starken Expansion der Elektromobilität kommt, benötigen Konsumenten neue Handlungsmuster im Alltag, da E-Mobile sich auch bei weiterem Fortschritt der Speichertechnologien nicht in wenigen Minuten betanken lassen und auch vollgetankt nicht mehr als 600 oder 1.000 km weit fahren können. Wenn Autobatterien als Zwischenspeicher genutzt werden (Vehicle to Grid) könnten Autobesitzer – gegen Geld – ihre Batterie zur Verfügung stellen, müssten aber auch auf ein Stück Autonomie verzichten.


Die zukünftige Entwicklung des Systems wird also stark von den Wechselwirkungen zwischen technischen und nicht-technischen Faktoren geprägt sein. An vielen Stellen werden die Karten neu gemischt, wenn neue und komplexere sozio-technische Systeme der Energieversorgung entstehen.5 Die Welten ›vor‹ und ›hinter‹ Steckdose und Tankstelle lassen sich eben nicht so einfach trennen, heute nicht und in Zukunft noch weniger. Das Energiesystem ist keineswegs nur ein technisches System im Hintergrund, sondern ist vielfältig mit der Gesellschaft – also mit uns – verbunden. Und deswegen ist die Energiewende so schwer: nicht nur neue Technik wird benötigt, sondern es werden sich auch gesellschaftliche Regeln und Gesetze, Machtverhältnisse und Einflussmöglichkeiten, Gewohnheiten und Lebenswelten, Landschaften und lieb gewordene Annehmlichkeiten verändern müssen. Es wird Gewinner und Verlierer geben und gibt sie bereits heute – dies leitet über zum nächsten Punkt.


3. Ethische Fragen und Akzeptanzprobleme


Über Gewinner und Verlierer wird nicht gerne gesprochen; stattdessen redet man entweder gerne über die Gesamtbilanz, die Verteilungsfragen ausblendet, oder man flüchtet sich in die Rhetorik von Win-win-Situationen. Dabei liefert bereits die grundlegende Innovationstheorie von Joseph Schumpeter unter dem Begriff der »schöpferischen Zerstörung« schlagende Argumente, die zeigen, dass jede Neuerung mit Gewinnern und Verlierern zu tun hat. Denn wenn das Neue das Alte verdrängt oder ersetzt, wird alles abgewertet, was mit dem Alten verbunden war. Das kann den Arbeitsmarkt betreffen, den Wert von Aktien, Immobilienpreise, aber auch soziale Reputation und Selbstwertgefühle. Jede Innovation und jede Transformation ist eine Zumutung für bestimmte Personen und Gruppen. Es geht daher im harten Kern der Debatte um Gewinner und Verlierer, um die unfreiwillig einzugehenden Zumutungen und ihre gesellschaftliche Verteilung, die der – im Prinzip nicht in Frage gestellte – ­technische Fortschritt mit sich bringt, sowie um die gesellschaftsweit verbindliche Regelung dieser Zumutungen und Zumutbarkeiten.6 Das bedeutet, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, das auf der Ebene gelöst werden muss, wo wir kollektive Verbindlichkeiten regeln: auf der Ebene demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, beraten durch ethische Überlegungen.


In der Energiewende stehen hier zum einen Fragen der Gerechtigkeit auf der Tagesordnung. Das ist einerseits die Verteilungsgerechtigkeit mit Fragen, wer welche Kosten (nicht nur ökonomische) trägt, wer davon befreit ist und ob die Verteilung gerecht ist. Das Thema der Energiearmut ist hier einschlägig, aber nicht das einzige. Es geht auch um volkswirtschaftlich motivierte Ausnahmeregelungen und insgesamt um die Verteilung der Belastungen durch die Energiewende. Andererseits ist dies mit Grundsatzfragen der Zukunftsethik verbunden. Welches Maß an Belastungen und Zumutungen müssen wir auf uns nehmen, um der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen gerecht zu werden?7 Welche Verpflichtungen haben wir und wie können wir ihnen gerecht werden?


Zum anderen gibt es Verlierersituationen in den konkreten Lebenswelten. Die Energiewende betrifft die Lebenswelt vieler Menschen direkt – und externe Eingriffe in die unmittelbaren Lebensumstände werden oft als Übergriffe empfunden und führen zu Akzeptanzproblemen, weil die persönliche Lebensqualität betroffen wird. Auf der lokalen Ebene geht es vor allem um die Flächennutzung im Rahmen der Erzeugung erneuerbarer Energie durch Wind- oder Photovoltaik-Anlagen oder im Rahmen der Biomasse-Vergasung. Aber auch Standortentscheidungen wie über die Trassenführung von Hochspannungsleitungen oder den Bau von Pumpspeicherkraftwerken betreffen direkt die lokale Ebene. Entsprechende Maßnahmen erfordern hohe Investitionen, organisatorisches Geschick, Kooperationsbereitschaft unter den Beteiligten und innovative politische Initiativen. Hier sind insbesondere Maßnahmen und Strategien gefragt, entsprechende Infrastrukturentscheidungen gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung zu planen und umzusetzen, um Verwerfungen durch Akzeptanzverweigerung und Protest oder Verzögerungen durch langwierige Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Auch wenn Umfragen zufolge mehr als 75 % der Deutschen für die Energiewende sind, folgt daraus nicht die Akzeptanz von Umsetzungsmaßnahmen auf der lokalen Ebene. Vor allem gilt dies, weil es meist auch Alternativen gibt, so z. B. zur Trassenführung von Hochspannungsleitungen, etwa die Wahl anderer Trassen oder die Verlegung als Erdkabel. Entsprechend ist, wenn neue Netze verlegt werden, wenn Windanlagen gebaut, wenn zu neuen Smart-Modellen in der Elektromobilität und in der Stromversorgung Vorleistungen bei der Infrastruktur getätigt werden müssen, bei denen auch die Autonomie des Verbrauchers ein Stück weit eingeschränkt werden soll, mit kritischen Nachfragen und Widerständen der betroffenen Bevölkerung zu rechnen. Von daher ist Partizipation eine wesentliche Bedingung für die Umsetzung der Aufgaben, Systemwissen ortsspezifisch zu generieren, Orientierungswissen in einer pluralen Gesellschaft zu begründen und Handlungswissen sozialverträglich wirksam werden zu lassen8. 


Hoffnungen auf eine sozialtechnologische Beschaffung von Akzeptanz für schon getroffene Entscheidungen durch Partizipation sind allerdings verfehlt. In Standortfragen sind Individualinteressen und Gemeinwohl gegeneinander abzuwägen. Dies hat oft wenig mit Technik zu tun und darf auf keinen Fall als Technikfeindlichkeit interpretiert werden. Es ist eher das Phänomen, dass von außen aufgezwungene Veränderungen der Lebenswelt schlecht akzeptiert werden (NIMBY-Phänomen: »not in my backyard«). Eine aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an öffentlichen Planungen in diesen Feldern ist notwendig, um die Bedingung der Möglichkeit von Akzeptanz zu schaffen. Sie setzt zweierlei voraus: eine Legitimation durch das Verfahren und eine offene, transparente Auseinandersetzung mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen. Ein offener Dialog darf sich hierbei nicht auf die Information der Betroffenen beschränken, sondern auch Mitwirkungsrechte der Betroffenen an der Entscheidungsfindung einschließen. Ohne eine solche Rückkopplung wird jeder Dialog letztendlich im Sande der Frustration scheitern. Mitwirkung und Offenheit über Optionen sind also notwendige Bedingungen für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess.9

4. Schlussfolgerungen


Gelegentlich heißt es bereits in manchen Medien, die Energiewende sei schon heute gescheitert (wenn sie überhaupt noch Thema ist), weil z. B. der Ausbau der Hochspannungstrassen nicht schnell genug vorankomme. Aber auch wenn es einer zügigen Umsetzung bestimmter Schritte bedarf, wäre angesichts der oben geschilderten Komplexität und Vielschichtigkeit Aktionismus und Defätismus fehl am Platz. Die Energiewende ist ein Generationenprojekt, über dessen Ge- oder Misslingen nicht in wenigen Monaten entschieden wird. Zeit benötigt insbesondere, das richtige Maß zwischen einerseits stabilen Rahmenbedingungen und einer gewissen Flexibilität andererseits zu finden. Die Energiewende ist ein Lernprozess, der nicht ohne Nachjustierungen auskommen wird. Ein Planungsoptimismus mit einem Masterplan, der nur abgearbeitet werden muss, ist eine Illusion, auch wenn viele sich das wünschen würden. Die Energiewende dagegen hat eher den Charakter einer politisch motivierten und ambitionierten Vision und ist alles andere als ein Plan, den man nur abarbeiten muss.


Vor allem Ehrlichkeit und offene Analyse sind gefragt. So muss klar gesagt werden, dass die Energiewende etwas kostet und dass eine sichere und umweltverträgliche Energieversorgung auch etwas kosten darf. Prozessqua­lität (sichere und umweltfreundliche Bereitstellung) hat ihren Preis, wie ja auch ökologisch erzeugte Lebensmittel ihren Preis haben. Es muss darüber gesprochen werden, wie diese Kosten auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen, aber auch über die Zeit verteilt werden sollen. Soziale Ungerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Belastungen müssen auf den Tisch gebracht, offen diskutiert und offensiv und vorausschauend angegangen werden. Die gerechte Verteilung der Lasten, aber auch der Nutzen, ist zentrale Voraussetzung für weitere gesellschaftliche Akzeptanz. 


Die Energiewende ist damit keine Aufgabe allein für Politiker, Ingenieure und Manager, sondern ein Gemeinschaftswerk. Sie stellt Gerechtigkeitsfragen und erfordert, dass wir uns mit ändern – und das ist erheblich schwerer als der Ersatz traditioneller durch neue Technologien. Dies anzuerkennen dürfte der erste Schritt zu einem realistischen Blick auf die Energiewende und zu einer Überwindung des ›Katzenjammers‹ sein.


  1. 1Der Beitrag basiert auf dem im Juni 2016 in Dresden gehaltenen gleichnamigen Vortrag im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltungsreihe »Zukunft – Energie – Zukunft« der Technischen Universität Dresden und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

  2. 2Armin Grunwald, »Technikzukünfte in der Energiewende – mehr als Zukünfte der Energietechnik«, in ders. (Hg.), Technikzukünfte als Medium gesellschaftlicher Technikdebatten, Karlsruhe 2012; Armin Grunwald und Jens Schippl, »Die Transformation des Energiesystems als gesellschaftliche und technische Herausforderung«, in Jörg Radtke und Bettina Hennig (Hg.), Die deutsche »Energiewende« nach Fukushima. Der wissenschaftliche Diskurs zwischen Atomausstieg und Wachstumsdebatte, Marburg 2013, S. 21–35.

  3. 3Grunwald und Schippl, Transformation des Energiesystems (Fn. 2).

  4. 4Ortwin Renn, Risk Governance. Coping with uncertainty in a complex world, London 2008.

  5. 5Christian Büscher und Jens Schippl, »Die Transformation der Energieversorgung: Einheit und Differenz soziotechnischer Systeme«, in Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 22/2 (2013), S. 11–19.

  6. 6Armin Grunwald, Technik und Politikberatung. Philosophische Perspektiven, Frankfurt a. M. 2008.

  7. 7Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt a. M. 1979.

  8. 8Ortwin Renn u. a., Public Participation for Planning New Facilities in the Context of the German »Energiewende« (Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. (Hg.), POLICY BRIEF 01/2014), www.energy-trans.de/downloads/Policy_Brief-Public_Participation_for_Planning.pdf (20.2.2018); Jens Schippl, Armin Grunwald und Ortwin Renn (Hg.), Die Energiewende verstehen – gestalten – orientieren, Baden-Baden 2017.

  9. 9Renn u. a., Public Participation (Fn. 8).
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Heft 19 (2018)
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