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Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs


Herausgegeben von Mirko Breitenstein, Stefan Burkhardt, Julia Dücker (Vita regularis, Abhandlungen 48), Lit Verlag, Berlin 2012, VIII + 316 Seiten, 
3 Abbildungen, Broschur 


Vom 19. bis 21. September 2011 fand in den Räumen der Dresdner Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG) die erste Studienwoche des Forschungsprojektes »Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore euro­päischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle« statt, das gemeinsam von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften getragenen wird. Mit der nun vorliegenden Publikation der Tagungsakten verbinden die Herausgeber zwei Ziele: Zum einen sollen Einblicke in die jeweiligen Forschungen der Projektmitarbeiter gegeben werden, zum anderen gilt es, den für das Akademieprojekt wesentlichen Begriff der »Innovation« zur Diskussion zu stellen und in der Projektarbeit häufig ­gebrauchte Prädikate wie »innovativ« oder »innovatorisch« einer kritischen Prüfung zu unterziehen. 


Im Band wird das innovatorische Potential klösterlichen und religiosen Lebens im Mittelalter von verschiedenen Seiten in den Blick genommen und die vielschichtige Semantik von Innovation dabei anhand von Fragen wie den folgenden diskutiert: Deuteten bereits die mittelalterlichen Zeitgenossen bestimmte Entwicklungen als Neuschöpfungen oder lassen sich derartige Prozesse überhaupt erst retrospektiv als innovativ einordnen? Wurden die zweifellos stattfindenden Veränderungen als Ausdruck einer individuellen Vervollkommnung oder eines die Gemeinschaft betreffenden kollektiven Fortschritts gedeutet? In welchem Verhältnis standen Innovation und Tradition? Gab es »Strategien der Erneuerung«? Und nicht zuletzt: Handelt es sich bei »Innovation« überhaupt um eine taugliche analytische Kategorie? Der Band folgt damit dem Konzept der Studienwoche und ist analog zu deren Verlauf in vier Sektionen gegliedert, die sich an den Gegenstandsbereichen des Projektes orientieren. Jeder dieser Abschnitte wird von einem Kommentar beschlossen, der zum Ziel hat, die Inhalte der Beiträge nicht nur zu analysieren, sondern die gestellten Fragen und gebotenen Lösungsansätze aus der je eigenen Perspektive weiterzudenken.


Die erste Sektion des Bandes ist der »Wirkung von Innovation in die Welt« gewidmet, womit gleich zu Beginn für das Erkenntnisinteresse des Projektes zentrale Transformationsprozesse in den Blick genommen werden. Unter dem Titel »Konflikte um das Neue. Innovationsprozesse im Mainzer Erzbistum des 12. Jahrhunderts« untersucht Stefan Burkhardt die Hintergründe und Umstände des Entstehens der Vita des ermordeten Mainzer Erzbischofs Arnold von Selenhofen. An diesem Beispiel vermag er nicht nur die dramatischen Folgen des Scheiterns von Erneuerungsbemühungen zu demonstrieren, sondern kann zugleich Faktoren aufzeigen, die eine Durchsetzung von Innovationen begünstigen. Ernst Dieter Hehl verweist unter dem Titel »Innovatio / Renovatio. Prozesse von Abstrahierung und Differenzierung im 12. Jahrhundert« auf den engen Zusammenhang von klösterlicher und allgemein-gesellschaftlicher Innovation, wobei die Dynamiken durchaus verschieden gerichtet waren. Dem engen Zusammenhang von »Reform und Bildung« ist der Beitrag von Nathalie Kruppa gewidmet, die sich den »Klosterreformen der Hildesheimer Bischöfe im 12. Jahrhundert am Beispiel der Regularkanonikerreform« zuwendet und dabei auf die Bedeutung innovativer religiöser Bildungsinhalte für die Pfarrseelsorge verweist. Wie Christoph Dartmann in seinem Kommentar zu Recht betont, sollten derartige Transformationsprozesse, wie sie die drei Beiträge beschreiben, durchaus noch in einer weiteren und nicht allein lateinisch-christ­lichen Perspektive in den Blick genommen werden.


Die zweite Sektion des Bandes steht unter dem Titel »Normativität und Innovation« und ist damit, wie Sébastien Barret in seinem Kommentar ausführt, dem Zusammenhang von Innovation und ›Technologie‹ gewidmet. Guido Cariboni beleuchtet das Themenfeld »Ius proprium, Appellation und Appellationsverbot an den Apostolischen Stuhl in der vita religiosa des 12. Jahr­-
hunderts«, Florent Cygler die Beziehung von »Ius particulare und Innovation«. Beide zeigen auf, dass innovative Verfahren wie auch Strukturen mit eben solchen Techniken, insbesondere mit innovativer Schriftlichkeit korrespondieren. Lars-Arne Dannenberg lenkt den Blick auf »Kommentierungen von Kloster- und Ordensregeln«.


Die dritte Sektion ist mit »Innovation und Gemeinschaft« überschrieben und als solche insbesondere Fragen der Kommunikation gewidmet, wie Ekatarini Mitsiou in ihrem Kommentar hervorhebt. Unter dem Titel »Das Ringen um Bedeutung« untersucht Silke Schwandt »Innovationen in der ethisch-moralischen Sprache des Mittelalters«. Anhand der Predigten Bernhards von Clairvaux, aber auch anderer Autoren des 12. Jahrhunderts vermag sie am Beispiel der Semantiken des Begriffs virtus zu demonstrieren, dass eine detaillierte Untersuchung sprachlicher Bedeutungen geeignet ist, Innovationen aufzuzeigen. Im Zentrum gleich zweier Beiträge steht das Bienenbuch (Bonum universale de apibus) des Thomas von Cantimpré: Christian Chandon und Daniel Dorsch widmen sich in ihrem Beitrag der in ihm enthaltenen Kirchenkritik. Julia Dücker untersucht die in ihm wie auch anderen dominikanischen Werken des 13. Jahrhunderts impliziten »Vorstellungen von Gemeinschaft und sozialer Ordnung« und kann dabei zugleich den »konservierenden Charakter von Innovationen« aufzeigen.


Unter dem Titel »Innovation und Individuum« beschäftigen sich die letzten drei Beiträge des Bandes mit Fragen nach den – wie Dominik Fugger in seinem Kommentar hervorhebt – »Ermöglichungsbedingungen« von innovatorischem Denken und Handeln. Die Sektion wird eröffnet mit einem Beitrag von Katharina Ulrike Mersch über »Kanonikerreform, Selbstreflexivität und Konventsgeschichte im Miniaturenprogramm des Hohenburger Hortus Deliciarum«, in dem sie »Innovationen auf der Grundlage von Traditionen« erkennt. Der »Studienorganisation und Predigtpraxis des Dominikanerordens im 13. Jahrhundert« widmet sich Johannes Schütz, wobei er die dominikanische Predigt als Innovation begreift, die bereits von den Zeitgenossen als solche wahrgenommen und beschrieben wurde. Am Beispiel des Traktates »Vom inneren Haus« schließlich zeigt Mirko Breitenstein eine der weitestreichenden Innovationen des Mittelalters auf: das Gewissen und die aus ihm resultierenden Pflichten des Einzelnen sich selbst, aber auch anderen gegenüber. Abgeschlossen wird das Buch durch eine Zusammenfassung von Stefan Weinfurter. Personen-, Quellen-, Orts- und Handschriftenregister versuchen, den Band möglichst breit zu erschließen.


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Heft 9 (2012)
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ISSN:
1867-7061

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