Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Von der Künstlerschöpfung zum multiauktorialen Werk


Großstädtischer Kirchenbau und der Wandel des Architekturbegriffs 
in der Ära der Modernisierung


Pfarrkirchen wurden in den Städten des (nachmaligen) Deutschen Reiches im 19. und im frühen 20. Jahrhundert zu Tausenden errichtet. Die Rahmenbedingungen dafür bildeten auf der einen Seite der rasante Urbanisierungsprozess, der schon quantitativ einen stetig steigenden Bedarf schuf, auf der anderen die mit ihm einhergehenden Säkularisierungs- und Entkirchlichungstendenzen, auf welche die Kirchen wie auch die der Religion treu gebliebenen Teile der städtischen Gesellschaften zu reagieren hatten. Bereits mit dieser grundlegenden Feststellung ist der Kirchenbau als Forschungsgegenstand in einem Dreieck zwischen Architekturgeschichte, Religionsgeschichte und einer weit gefassten sozial- und kulturgeschichtlichen Perspektive verortet.1

Im Unterschied zum hergebrachten Patronatswesen entstanden Pfarrkirchen nicht mehr im Einvernehmen zwischen Kirchenpatron (idealiter dem Landesherrn) und dem von ihm beauftragten Architekten; vielmehr waren zumal großstädtische Gemeindekirchen Ergebnisse oft langwieriger und mitunter konfliktreicher Aushandlungsprozesse zwischen zahlreichen Beteiligten, Institutionen und Individuen in unterschiedlichsten, strukturbedingt komplementären Rollen: Gemeinden fungierten als Bauherrinnen, kirchliche sowie kommunale oder auch staatliche Instanzen als Aufsichtsorgane mit Eingriffsrechten, Architekten als (konkurrierende) Projektanten oder künstlerische und technische Experten und nicht zuletzt waren außerdem Körperschaften und Gremien, denen Expertenstatus zukam oder die einen solchen beanspruchten, in die Aushandlungsprozesse involviert. Diese Auseinandersetzungen mitsamt den offen oder latent ins Feld geführten Interessen sind als ›Teil‹ der Architektur zu betrachten. Denn sie kreisten nicht etwa nur um die Entscheidung zwischen mehreren Bauentwürfen: Vielmehr mündeten sie in mitunter etliche punktuelle und keineswegs immer konsistente Änderungswünsche und Nachbesserungen in den Bauprojekten. Damit waren sie dem gebauten Resultat eingeschrieben und blieben über einen mindestens eine Generation umfassenden Zeitraum ›lesbar‹, ja, mehr noch, ›wirksam‹: Ein Kirchenbau ›dokumentierte‹ das Selbstverständnis der ihn frequentierenden Gläubigen als soziale Gruppe – oder auch Dissens, sei es innerhalb der Gemeinde oder etwa zwischen der Gemeinde und der Amtskirche – und ebenso die vorherrschenden Sympathien in Bezug auf architektonische Ästhetik, vor allem aber in Bezug auf den Platz, den Rang und die Funktion von Religion und Kirche in ihren Wertvorstellungen und ihrem Alltag. Dementsprechend wurde vom Kirchenbau umgekehrt auch erwartet, dass er die Einstellung der Menschen formt, modelliert, nötigenfalls korrigiert.2 Das hohe, mitunter kämpferische Engagement der involvierten Akteure rührte nicht zuletzt aus dieser medialen Dimension und Qualität der Architektur. Dabei ist ins Kalkül zu ziehen, dass die Bauplanung und die Nutzung von Kirchen – als einzelne Komponenten religiöser Praxis – nicht als isolierte Funktionsbereiche mit spezifischem Wertegefüge zu verstehen sind, sondern dass sie vielmehr als ein Interferenzbereich begriffen werden müssen, in dem sich soziale und weltanschauliche Orientierungen, Hegemonie- und Richtungskämpfe ebenso niederschlugen, wie sie aus ihm hinauswirken sollten. Damit ist der herkömmliche Architekturbegriff im Sinne eines ›Werks‹ der Baukunst bzw. eines Baukünstlers relativiert: Architektur wird als multiauktorial, als partizipatives, prozessuales und diskursives – kurz als soziales Phänomen fassbar.


In dieser Perspektive lassen sich bereits die Versuche der Amtskirchen – sowohl der katholischen als auch der evangelischen Landeskirchen – lesen, für den Bau von Pfarrkirchen verbindliche Standards festzuschreiben: eine der ­Liturgie angepasste Anordnung und bestimmte Würdeformeln für die Architektur, die nicht zuletzt den Status der Kirchen in den Städten garantieren und für Einheitlichkeit des architektonischen Erscheinungsbildes wie auch der darin artikulierten religiösen Orientierung sorgen sollten. Die Regularien sind ohne weiteres als Reaktion auf einen wahrgenommenen Bedarf erkennbar, der das in heftige Bewegung geratene soziokulturelle Gefüge in seiner Gesamtheit betraf und nicht nur sein religiöses Segment. So hatte die katholische Kirche frühzeitig das mittelalterliche Grundmuster festgeschrieben und beharrte darauf noch an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg.3 Wenn die evangelischen – und speziell die lutherischen – Landeskirchen mit dem 1861 verabschiedeten Eisenacher Regulativ prinzipiell Gleiches taten,4 so war das eine Vereinbarung, für die einerseits ebenfalls dauerhafte Verbindlichkeit beansprucht wurde, die aber andererseits per se offen für Debatte war. Die unierte Evangelische Landeskirche in Preußen akzeptierte das Regulativ nur mit Modifikationen, die de facto seine Substanz aushebelten,5 und sein Wortlaut wurde auch von der Konferenz der Landeskirchen selbst mehrfach neu diskutiert und nachjustiert.6 Die Kirchen positionierten sich damit im Bemühen, die Entscheidungshoheit über den Kirchenbau letztlich doch zu behaupten und ihren Wertekanon auch über diesen konkreten Bereich hinaus zu verteidigen, vor allem gegenüber den Gemeinden, deren Repräsentanzen in den Konzeptionen ihrer Pfarrkirchen zunehmend ›eigensinnige‹7 und keineswegs auf die Glaubensausübung eingeschränkte Vorstellungen entwickelten. Bürgerlichen Gesellschaften, in deren Wertehorizont Religion einen Stellenwert besaß, bot sich der Kirchenbau als die Bühne an, auf welcher sie ihr Selbstverständnis ausloten und präsentieren konnten: Schon im Raumzuschnitt konnten die internen Beziehungen – 
einschließlich der Machtverhältnisse – innerhalb der Gemeinde organisiert, wirksam stillgestellt und nach außen vermittelt werden. Ebenso vermochte das Kirchgebäude in der architektonischen, insbesondere der stilistischen Formulierung ein Bekenntnis zu Tradition und Autorität oder aber eines zu Fortschritt, Modernität und Eigenverantwortung zu transportieren. Analog gilt dies auch für intermediäre Akteure wie etwa die christlichen Kunstvereine, die von ihrem engeren Betätigungsfeld aus – wiewohl mitunter implizit – Stellung zu theologischen und kirchenpolitischen Fragen bezogen und darüber hinaus auf allgemeine Geschmacksbildung, Sittlichkeit und letztlich auch politische Grundhaltung Einfluss zu nehmen suchten.


Im Folgenden stellen wir zunächst summarisch die christlichen Kunstvereine vor und diskutieren die Züge und Bedingungen ihres Institutionscharakters. In einem zweiten Schritt erweitern wir die Perspektive auf die Akteurskonstellationen in ihrer gesamten Breite, wobei die Mitspracherechte der Beteiligten und die verschiedenartigen Interessen, die als treibende Kräfte wirkten – und sich in den Baukonzepten niederschlugen –, ins Blickfeld rücken. Schließlich richten wir ein Schlaglicht auf die Debattenkultur um den Kirchenbau in der Zwischenkriegszeit, die aus dem Bemühen maßgeblicher Akteure erwachsen war, über die Fachöffentlichkeiten hinaus ein breites Publikum für Fragen der Verortung von Religion und Kirchen im zeitgenössischen städtischen Umfeld und in der ›modernen‹ Kultur zu sensibilisieren.


Wie auf vielen anderen Gebieten der Artikulation gruppenspezifischer kollektiver Interessen wurden im 19. Jahrhundert auch religiöse Wertvorstellungen, ihre Formierung, Popularisierung und Vertretung vereinsförmig organisiert. Dies gilt auch für den Kirchenbau im engeren Sinne. Dabei sind nach Zielrichtung, Größe und Reichweite drei Kategorien zu unterscheiden: Den Großvereinen – wie Gustav-Adolf-Verein (1832) und Bonifatius-Verein (1849), in denen gezielte Förderung von Kirchenbauten eine zentrale Rolle spielte – standen ­lokale Kirchenbauvereine gegenüber, die sich im Vorfeld fast aller Bauvorhaben gründeten und die vornehmlich durch Sammlungen zu deren Finanzierung beitrugen. Auf einer mittleren Ebene ist eine Reihe christlicher Kunstvereine zu verorten, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Kirchenbau und religiöse sowie insbesondere kirchliche Kunst in ihrer Region zu unterstützen und zu begleiten, dabei aber auch zu regulieren.8

Bei den christlichen Kunstvereinen handelte es sich sowohl auf protestantischer wie auf katholischer Seite um Zusammenschlüsse von Geistlichen, Architekten, bildenden Künstlern und engagierten Bürgern, meist zwischen 200 und 1000 Mitgliedern.9 Ihre Gründung erfolgte überwiegend in den 1850er und 1860er Jahren, aber auch später kam es vereinzelt noch zu Neugründungen. Ihr gemeinsames Ziel war es, christliche Kunst und Künstler zu fördern und das gesellschaftliche Ansehen kirchlicher Kunst wieder zu erhöhen.10 In erster Linie bedeutete dies, das christliche Bildrepertoire wieder in seine ­alten Rechte einzusetzen und auf spezifische ästhetische Präferenzen bei Laien wie auch beim Klerus hinzuwirken, um so der vorherrschenden »beklagenswerthen Armut«11 auf diesem Gebiet entgegenzutreten. Mit Blick auf die Architektur versuchten sie häufig, Einfluss auf die Planungs- und Bauprozesse von Pfarrkirchen zu nehmen – dies jedoch weniger über materielle als über ideelle Ressourcen. So wurden Gemeinden auf Anfrage kostenlos oder kostengünstig Entwürfe zur Verfügung gestellt, vor Umbauten oder Restaurierungen Beratung durch vereinsnahe Architekten angeboten und es wurden Künstler für die Innenausstattung vermittelt. Ein wichtiges Instrument der Einflussnahme waren Gutachten zu Neubauprojekten, die Konsistorien und Vikariate regelmäßig bei den Ver­einen in Auftrag gaben und die den Kirchenbehörden als Entscheidungsgrundlage dienten.12 Hier wird eine Nähe zwischen Kirchen­behörden und Vereinen sichtbar, die oft schon in der Gründung angelegt war: Die ersten katholischen Vereine wurden teilweise auf Anregung des jeweiligen Bischofs gegründet,13 und auch die evangelischen Vereine versicherten sich früh des Wohlwollens der Landeskonsistorien. Als der Zusammenschluss der evangelischen Kirchen in den deutschen Ländern 1861 sein »Eisenacher Regulativ« herausgab, waren Mitglieder christlicher Kunstvereine maßgeblich daran beteiligt.14 Und auch später waren es die Vereine, die das Regulativ gegenüber den Gemeinden vor Ort durchzusetzen halfen.


Es handelt sich bei diesen Vereinen also nicht um eine Emanzipations­bewegung; im Gegenteil richtete sich ihr Engagement darauf, die kirchliche Autorität zu stützen und auch in genuin künstlerischen Fragen – in Bezug auf Funktion, Themenrepertoire und Formen- sowie Stilsprache – die von offizieller Seite festgelegten Standards zu propagieren. Es spricht einiges dafür, dass die christlichen Kunstvereine als eine Reaktion auf den Religionsdiskurs der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verstehen sind, der sich an den zunehmend sichtbar werdenden Tendenzen der Entkirchlichung und des Verfalls der Religiosität abarbeitete. Bei der Suche nach den Ursachen verwiesen zeitgenössische Beobachter unter anderem auch auf das kultische Defizit des Protestantismus.15 Da sich der Gottesdienst seit der Aufklärung vorwiegend an die Ratio richte, habe er etwas Blutleeres, so eine gängige zeitgenössische Kritik, während das religiöse Gefühl vernachlässigt werde. Wenn die christlichen Kunstvereine für die Restaurierung alter sowie die architektonische Gestaltung und Ausstattung neuer Kirchen an der Tradition orientierte Kriterien entwickelten, so bemühten sie sich um die Revitalisierung kirchlichen Lebens mit den Mitteln der Kunst: Sie hegten die Hoffnung, dass über sinnlich ansprechende Kirchen auch das kirchliche Leben insgesamt wieder an Attraktivität gewinnen würde. Im Blick hatte man dabei vor allem die aufgeklärte Bildungselite mit ihrem religiösen Indifferentismus, ab Mitte des 19. Jahrhunderts aber in zunehmendem Maße auch die proletarisierten unterbürgerlichen Schichten. In diesem Sinne bezogen diese Vereine immer wieder Stellung in den Auseinandersetzungen um konfessionelle Identitäten, Entkirchlichung und Modernisierung; welches Gewicht ihren Stimmen allerdings zukam, bleibt zu analysieren. 


Eine ebenso offene Frage ist es, wie die Vereine mit ihren Vorstellungen von ›richtiger‹ kirchlicher Architektur im Kontext von Neubauplanungen ihre Position zwischen den Gemeinden, den Kirchenbehörden und der Stadt behaupteten. Folgt man dem Diktum, dass sich Soziales im Medium Architektur nicht nur reflektiert, sondern von vornherein konstituiert,16 so kann ihnen im Gefüge der nicht selten konkurrierenden Akteure kaum nur eine akzidentielle Rolle zugeschrieben werden. In diesem Zusammenhang gilt es – zumal in ­Anbetracht der an Mikrostudien armen sozialgeschichtlichen Vereinsforschung – zu erhellen, wie sich Vereine Autorität und Legitimität gegenüber denjenigen verschafften, die sie von ihren Ansichten zu überzeugen suchten. Denn die Bestimmung der christlichen Kunstvereine, »ächt christliche Kunst«17 zu fördern, war eine selbstgewählte, das damit einhergehende Angebot an die Gemeinden konnte keine Verbindlichkeit beanspruchen.


Die bisherigen Ergebnisse der Aktenanalyse zeigen, dass die Vereine verschiedene Strategien einsetzten, um sich Gehör zu verschaffen. Die erste dieser Strategien war Öffentlichkeitsarbeit: So verschickten sie ihre Jahres­berichte nicht nur an Mitglieder, sondern auch an alle in Betracht kommenden Stadtverwaltungen,18 und sie gaben Zeitschriften heraus, von denen etliche überregionale Verbreitung fanden.19 In diese Kategorie fallen auch die Berichte über imageträchtige Exempel, von denen sich die Vereine vor allem in den Anfangsjahren einen Zugewinn an Bekanntheit und Renommee versprachen. Als ein solches sah der »Verein für kirchliche Kunst in Sachsen« die Johanneskirche in Dresden an, die Anfang der 1870er Jahre nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel erbaut wurde (Abb. 1) und mit der entsprechend dem Eisenacher Regulativ eine monumentale Neugotik als verbindlicher Baustil für evangelisch-lutherische Pfarrkirchen auch in der vom Barock geprägten Hauptstadt des Königreiches Sachsen etabliert werden sollte.20 Der Verein agierte hier als Gutachter im Auftrag der Gemeinde und befürwortete den Entwurf nachdrücklich, wobei er offensichtlich vorhandene Bedenken – eine »Störung des Stadtbildes durch den gotischen Bau« – zu zerstreuen versuchte.21 Stolz verwies er in seinem Jahresbericht von 1873 darauf, sich mit diesem Urteil ganz auf der Linie so renommierter Architekten wie Oberbaurat Conrad Wilhelm Hase aus Hannover und Dombaumeister Friedrich Schmidt aus Wien zu befinden, die ebenfalls positive Gutachten zu dem Bauvorhaben vorgelegt hatten.22

Abb. 1: Dresden, ev. Johanneskirche, 1874–1878, Außenbau 
 Abb. 1: Dresden, ev. Johanneskirche, 1874–1878, Außenbau 
 (aus: 11. Jahres­bericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1873).

Indem die Vereine nicht als Sachwalter eigener Interessen auftraten, sondern ihre Ziele unter das Vorzeichen des Gemeinwohls stellten, konnten sie eine Form der Anerkennung generieren, die Pierre Bourdieu als den »Verallgemeinerungsprofit« apostrophiert hat: eine »allgemeine Anerkennung der Anerkennung des Allgemeinen«.23 Darin lag, folgt man Bourdieu weiter, das erste symbolische Kapital, das Vereine und ihre Akteure akkumulieren konn­-
ten.24 Eine weitere Strategie bestand darin, sich die Reputation von Personen und Institutionen zunutze zu machen. Hierbei handelte es sich gleichsam um einen Transfer von symbolischem Kapital zugunsten des Vereins und seiner Zwecke. Diesen Effekt zeitigte vor allem das wechselseitig loyale Verhältnis der Vereine zu den Kirchenbehörden auf Landes- bzw. Bistumsebene. Die Anerkennung durch eine einflussreiche und zudem weisungsbefugte Institution wertete sie schon per se gegenüber den Gemeinden auf. Eine ähnliche Wirkung hatte die Kooptation angesehener Persönlichkeiten in die Führungsgremien. Neben hochrangigen Geistlichen wie beispielsweise dem jeweiligen sächsischen Oberhofprediger suchten die Vereine auch geachtete bildende Künstler und Architekten gezielt für exponierte Funktionen zu gewinnen. 


Als der wichtigste Mechanismus zur Herstellung von Autorität muss aber die Etablierung des Expertenprinzips angesehen werden. Die Vereine beanspruchten offensiv, im Besitz des für ›echte‹ kirchliche Kunst erforderlichen Spezialwissens zu sein und den Gemeinden sowohl dieses Wissen als auch die entsprechenden Fachkräfte vermitteln zu können. Die Differenz zwischen ›Experten‹ – vereinsseitig – und ›Dilettanten‹ – gemeindeseitig – wurde mithin schon mit der Gründung der christlichen Kunstvereine etabliert. Dabei ging es neben baufachlichen Fragen im engeren Sinne immer auch um ästhetische Präferenzen. Die Vereine monopolisierten tendenziell die Befähigung zum Kunsturteil und sprachen sie den Gemeinden ab, die überwiegend von einem »unausgebildeten Geschmacke der maßgebenden Kreise am Orte« geprägt seien.25 Daraus resultierte eine mehrfache Synergie, die sowohl die Kräfteverhältnisse im offenen Prozess der Konsensherstellung zu regulieren vermochte als auch die Unwägbarkeiten zu zügeln versprach, die der freie Kunstmarkt für Architekten und bildende Künstler, aber auch die damit einhergehende zunehmend kontroverse Kunstkritik für die Urteilskriterien über künstlerische Qualität mit sich gebracht hatten. Wenn die christlichen Kunstvereine aus ihrer loyalen Kooperation mit den Kirchenbehörden Legitimität und Autorität beziehen konnten, so nutzten diese auch umgekehrt deren Expertenstatus für ihre eigenen Zwecke. Aufmüpfige Gemeinden konnten mit Verweis auf die Gutachten der Vereine diszipliniert und Änderungen der Baupläne eingefordert werden, ohne dass dies den Anschein von Behördenübergriffen hatte.26 Künstler und Architekten sicherten mit ihren Kompetenzen den Anspruch der Vereine auf Expertentum ab und konnten im Gegenzug auf einen gewissen Schutz vor der offenen Marktkonkurrenz hoffen oder, wenn es sich um beamtete Architekten handelte, auf eine Steigerung ihres Renommees, etwa durch Gutachtertätigkeit.27

Die regionalen Vereine für christliche oder kirchliche Kunst erweisen sich dank ihrer Mittelstellung zwischen Gemeinden, Behörden und, andererseits, individuell agierenden Künstlern als ein aufschlussreiches Objekt für historisch-soziologische Studien zu Institutionalisierungsprozessen, zur Formierung von Expertenautorität, Verfahrensweisen der Konkurrenz- und Konfliktregulierung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren im 
19. Jahr­hundert. Im engeren Rahmen des Themas lassen sich aus der multiperspektivischen Analyse der Binnenstrukturen und -dynamiken der Vereine wie auch der Art und Weise, wie diese ihre Außenbeziehungen gestalteten, Einsichten in die komplexen Mechanismen der Auseinandersetzung um Stellenwert und Ausrichtung von Religion in der Situation eines als bedrohlich empfundenen Bedeutungsverlustes von Kirchenbindung und christlicher Moral gewinnen. Nicht zuletzt erlaubt die Rekonstruktion der von den Vereinen propagierten Wertmaßstäbe auch Rückschlüsse auf die Debatte um Funktionen und ästhetische Standards von Kunst im breiteren gesellschaftlichen Feld, jenseits der Grenzen akademischer Kunstkritik, und auf Strategien des Umgangs mit dem offenen Markt.


Im konkreten Planungsgeschehen stießen die Vereine auf Seiten der bauwilligen Gemeinden oftmals auf größere Widerstände, als sie es zu Beginn ­ihrer Tätigkeit erwartet hatten. Wiederkehrende Klagen lassen erkennen, dass sie in manchen Fällen erst hinzugezogen wurden, wenn innerhalb der Gemeinden kein Konsens zu erzielen war.28 Der Verein sollte dann mit seinem Gutachten als Mehrheitsbeschaffer für die eine oder andere Seite fungieren. In anderen Fällen zeigt sich, dass die Gemeinden beim zuständigen Verein initiativ anfragten und um Entwürfe baten, dies jedoch nur, um sich erste Anregungen zu holen, keineswegs in der Absicht, diese Vorschläge auch zu realisieren.29 Oft beharrten Gemeinden darauf, mit einem örtlichen Baumeister zusammen­zuarbeiten, während die Vereine in der Regel dafür eintraten, akademisch ausgebildete und überregional bekannte Architekten zu beauftragen.30 Auch hatten die Gemeinden häufig eigene Vorstellungen von Stil und äußerer Erscheinung der neuen Kirche, und gelegentlich brachten sie auch liturgische Einwände gegen das vom Landeskonsistorium favorisierte Bauprogramm vor. Weder amtskirchliche ­Auto­rität noch der Expertenstatus der Vereine vermochten es dabei a priori, Auseinandersetzungen zu unterbinden oder auch nur einzudämmen.


Ein wichtiger – und bislang nicht hinreichend ernst genommener – Grund dafür liegt in der Komplexität der Entscheidungsprozesse mit der Vielzahl der mit unterschiedlichen Kompetenzen ausgestatteten, aber prinzipiell gleichberechtigt daran beteiligten und dementsprechend um Primat ringenden Akteure.31

Grafik: Am Kirchenbau beteiligte Akteursgruppen. Grafik: Am Kirchenbau beteiligte Akteursgruppen.

Die Gemeinde als nominelle Bauherrin wirkte nicht als Kollektiv an der Bauplanung mit, sondern vertreten durch den Kirchenvorstand sowie den Pfarrer als dessen obligatorischen Vorsitzenden. Die Vorstände besaßen seit den 1860er Jahren – allerdings zeitlich versetzt in den einzelnen amtskirchlichen Bezirken – das Bauherrenrecht und damit die Möglichkeit, die Bauplanung aktiv zu gestalten.32 Sie konnten Wettbewerbe ausloben, in die zahlreiche Architekten entweder als Konkurrenten oder als Preisrichter (›Sachverständige‹) eingebunden wurden. Der einmal preisgekrönte Entwurf wurde nahezu immer vom Kirchenvorstand im Zusammenwirken mit ›Sachverständigen‹ und dem Architekten durchgreifend überarbeitet. Darauf folgte zunächst eine umfangreiche Prüfung durch mehrere kommunale Behörden sowie amtskirch­liche ­Instanzen. Dabei stand sämtlichen Akteuren das Recht zu, einen Entwurf mit Hilfe von Gutachten externer oder auch lokaler Architekten (stets als ›Autoritäten‹ bezeichnet) oder auch der – vermeintlich neutralen – christlichen Kunstvereine zu unterstützen, zu modifizieren oder ganz abzulehnen, so dass sich nicht selten ein komplexes Geflecht hochkontroverser Positionen ergab. Verhandlungsgegenstand waren nicht nur ästhetische Präferenzen, sondern auch liturgische und mitunter ganz spezifische Anliegen, die die jeweiligen Akteure verfolgten – darunter durchaus auch sachfremde Interessen, für die das Bauvorhaben einen willkommenen Ersatzschauplatz abgegeben haben mag. In jedem Falle ist festzuhalten, dass die Untersuchung des Kirchenbaus aus der Perspektive der amtskirchlichen Vorgaben oder der Œuvres einzelner Architekten zu kurz greift.33 Für diese letzteren lassen sich vielmehr unterschiedliche Rollenmodelle beobachten: Während einige ihre Entwurfstätigkeit als eine Art Dienstleistung begriffen und selbstverständlich die Wünsche ihrer Auftraggeber aufgriffen, traten andere als Bau-Künstler und Experten mit exklusiven Kompetenzen auf, die Einwände gegen ihre Entwürfe kaum duldeten.34

Der Gewinn einer Analyse in dieser erweiterten Perspektive wird an einem Fallbeispiel deutlich. Die 1905–1908 errichtete Pfarrkirche St. Paul am Sachsenring inmitten der Kölner Neustadt (Abb. 2) gilt bis heute als Werk der Baupolitik des damaligen Kölner Erzbischofs Antonius Fischer und wird zugleich als Paradefall einer konfessionspolitisch motivierten Architektur gewertet. Der Erzbischof habe mit dem Kirchenbau demonstrativ seinen Vorgänger Paulus Melchers, ein ›Opfer‹ des Kulturkampfes, ehren wollen.35 Verschiedene Festschriften brachten die Ansprüche des Erzbistums unverhohlen zum Ausdruck: Die Pfarrkirche St. Paul sei »das gigantische Denkmal der Erzdiözese Köln für den großen Bekennerbischof«,36 die Architektur mit ihrer »wuchtigen Massenwirkung […] symbolische[r] Ausdruck der unentwegten Grundsatzfestigkeit eines Paulus Melchers«.37 Eine nennenswerte Mitwirkung anderer Akteure am realisierten Entwurf wurde stets mit dem Verweis auf die strengen architektonischen Vorgaben des Erzbischofs38 ausgeschlossen, ein gewisser Anteil allenfalls dem Architekten Stephan Mattar zugebilligt.39

Abb. 2: Köln, kath. Kirche St. Paul, 
1903–1908, Außenbau von Süden (aus: Heinrich Maria Ludwigs, Kardinal Erzbischof Dr. Paulus Melchers und die St. Paulus Kirche in Köln, Köln 1909, Taf. 2). Abb. 2: Köln, kath. Kirche St. Paul, 
1903–1908, Außenbau von Süden (aus: Heinrich Maria Ludwigs, Kardinal Erzbischof Dr. Paulus Melchers und die St. Paulus Kirche in Köln, Köln 1909, Taf. 2).

Die genaue Quellenauswertung zeigt indes, dass in diesem Fall insbesondere dem Kirchenvorstand ein nicht unbedeutender Part zukam. Zu Beginn der Planung verkündete der Kirchenvorstand das Ansinnen, einen ›modernen‹ Entwurf »in freieren Grundriss- und Architekturformen« zu realisieren. Entgegen dem von Fischer als verbindlich verordneten Typus der klar gerichteten und in mittelalterliche Formen gekleideten Basilika wollte er das »einseitige«40 Erscheinungsbild der überwiegend gotischen oder romanischen Kölner Kirchen überwinden, und auch die Gestaltung des Laienraumes als Aufenthaltsort der Gemeinde sollte sich an Prinzipien orientieren, die sich weder liturgisch rechtfertigen ließen noch unter Berufung auf eine regionale Bautradition. Angestrebt wurde ein zentral angelegter Raum ohne trennende Schiffspfeiler, der von allen Plätzen aus freie Sicht auf den Altar und die Kanzel erlaubte und damit auch für eine tendenziell egalitäre Verteilung der Kirchenbesucher im Raum sorgte.41 Vor der amtskirchlichen Behörde führte der Vorstand aus: »Warum sollte [man] da, bei dem großen Fortschritt, […] und in einer Zeit, wo auch sonst manches gar anders geworden ist, als es früher denkbar war, rückständig bleiben!«42

Auch wenn das Erzbistum »die Bestrebungen des Kirchenvorstandes rühmend« anerkannte,43 sah es sein eigenes Anliegen in einem derart reformerischen Baukonzept nicht hinreichend artikuliert. Der Erzbischof verfügte, dass die neue Kirche entweder gotisch oder romanisch gebaut werden müsse.44 Dennoch trat der Vorstand nach Abschluss des Wettbewerbs in eine intensive Verhandlung mit dem Architekten über den Entwurf ein. Das Ergebnis war ein Kompromiss, der deutliche Brüche zu den Gotikvarianten anderer Kölner Kirchen aufweist: Der leicht zentrierte Kirchenraum bildet den Überrest des vom Vorstand gewünschten Versammlungsraumes, die zum Teil ungewöhnlich kombinierten spätgotischen Elemente der Fassade und die Staffelung des Baukörpers zeugen von dem Streben der Gemeinde, eine ›zeitgemäße‹, zumindest im historischen Horizont unorthodoxe Lösung der Bauaufgabe zu erreichen. 


Die Mitglieder des Kirchenvorstandes, der sich selbstbewusst und letztlich erfolgreich der Disziplinierung durch die Amtskirche widersetzte, waren überwiegend finanzstarke Kölner Kaufleute,45 von denen sich einige erst kurz zuvor Villen in der Umgebung der geplanten Pfarrkirche hatten errichten lassen.46 Sie gehörten einer gesellschaftlichen Gruppe an, die sich seit dem Kulturkampf schrittweise von den amtskirchlich betriebenen Rückbindungsversuchen an ­einen ultramontanen Katholizismus distanzierte.47 Insbesondere die Kaufleute, denen in Köln nach 1870/71 ein markanter sozialer Aufstieg gelungen ­
war,48 verfolgten trotz unbestrittener Loyalität zur katholischen Kirche zunehmend auch eigene Standesinteressen, mit denen sie in Konflikt zu dem Primatsanspruch des Erzbischofs und dem von ihm verfochtenen Traditionalismus im Kirchenbau gerieten. Eine Möglichkeit zum Ausgleich dieses Interessengegensatzes eröffnete ihnen das Engagement in den Kirchenvorständen und die damit verbundene Einflussnahme auf Neubauprojekte. 


Die Kölner Pfarrkirche St. Paul kann als ein prinzipiell repräsentatives Beispiel für den im ›langen‹ 19. Jahrhundert vorherrschenden Aushandlungs­charakter von Kirchenbauten – und nicht nur dieser Bauaufgabe – qualifiziert werden. Ihre Architektur ist weder allein eine Schöpfung ihres Architekten noch das Produkt erzbischöflicher Baupolitik oder gar Zeichen einer Solidarisierung der Gemeinde mit dem im Kulturkampf gebeutelten Katholizismus. Vielmehr wird der Bau als Konsenslösung zwischen mehreren Akteuren erkennbar, die um ihre erkennbaren Anteile daran gerungen haben. Der Kirchenvorstand hatte in der neuen Pfarrkirche ein Medium erkannt, das auch der Selbstbeschreibung der sozialen Status- und Interessengruppe, welche er gleichsam vertrat, dienen konnte. Hinter dem im Planungsprozess eher vage gesteckten Ziel, die Kirche ›modern‹ zu gestalten, verbarg sich das entschiedene Bemühen, die Architektur für eine Neubestimmung des Verhältnisses ­einer sich ihrer selbst und ihrer eigenen Wertmaßstäbe versichernden Gemeinde zur Amtskirche und darüber hinaus zur Religion zu nutzen. Zudem treten an diesem Beispiel die in der Architektur beschlossenen Ambivalenzen für deren – 
zeitgenössische wie die rückblickende – ›Lesbarkeit‹ plastisch zutage: Bau- und Raumtyp wie auch die stilistische Formulierung lassen sich nicht eindeutig qualifizieren, sondern sind offen für durchaus verschiedene Lesarten.


In weiteren Fallstudien zeichnen sich ebenfalls komplexe und strukturell ähnliche Konstellationen bei differierenden Kräfteverhältnissen und vor allem markanten Unterschieden in den Argumenten ab, die – ob als genuine Interessen oder stellvertretend etwa für ein diffuses Autonomiestreben – ins Feld geführt wurden: Das Spektrum reicht von sozial begründeten Ansprüchen über konfessionelle Konkurrenzen und die Eindämmung von Säkularisierungsvorgängen, (lokal-)politische Loyalitätsbekundungen und Partizipationsbestrebungen bürgerlicher Gruppen bis hin zu künstlerischen Interessen und zu Rücksichten auf lokale Bautraditionen. Mit einer schematischen, vordergründig semantischen Interpretierbarkeit der Architektur kann im Ergebnis der Analyse einer Anzahl von Fallbeispielen gewiss nicht gerechnet werden: Vergleichbare Raumlösungen, Motive und Formen gehen keineswegs auf analoge Ansprüche oder Akteure zurück. Gerade die Relevanz des konkreten Kontextes zeigt aber, dass der Aushandlungscharakter der Architektur und die letztlich gleichsam ›kollektive‹ Autorschaft der Bauprojekte als der Regelfall im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert anzusehen sind.


Dennoch lassen sich insbesondere vor der Folie der Regulierungs- und Vereinheitlichungsbemühungen der Amtskirchen Tendenzen erkennen, die – ungeachtet des spezifischen Niederschlags konkreter Kontextbedingungen – auf Zusammenhänge zwischen konfessionellen und sozialen Faktoren hinweisen. Nach dem Willen der amtskirchlichen Wortführer – auf katholischer Seite wie auch der Eisenacher Bewegung – sollten neue Gotteshäuser das Erscheinungsbild mittelalterlicher Kirchenbauten aktualisieren. Als verbindliches Muster wurde die dreischiffige Basilika in romanischen oder, besser noch, gotischen Formen vorgegeben, sie sollte mit einem Turm eine Dominante im Stadtraum setzen und im Inneren mit bewährten Gestaltungsmitteln dafür sorgen, dass sich die Gläubigen in ergriffener Stimmung dem Altar näherten und mindestens für die Dauer des Gottesdienstes Erhebung aus dem Alltag verspürten.49

Die Wahl der Bautypen unterlag im Historismus, aber auch noch in der Ära der ›klassischen Moderne‹ in erster Linie Gesichtspunkten, die Anleitung für die Wahrnehmung bieten sollten. Die mittelalterlichen Typen mit ihrer eindeutigen Ausrichtung des Gemeinderaumes auf den erhöhten und zusätzlich abgeschrankten Altar schuf Distanz zwischen dem Ort des Sakraments, aber auch dem zelebrierenden Geistlichen und der Gemeinde: ein räumliches Gefälle, das sich ohne weiteres als ein hierarchisches Beziehungssystem lesen lässt. Dies wurde zeitgenössisch immer gesehen und immer wieder auch bekräftigt. Wenn die lutherischen Landeskirchen dieses Schema mit kategorischer Entschiedenheit übernahmen, so implizierte das zugleich den – traditional begründeten – Stellenwert, den sie für Religion, Kirche und Geistlichkeit in der Gesellschaft reklamierten: eine Rolle als übergeordnete Instanz, ja als Autorität, welche auf die Binnenordnung der Gemeinde und ihr Selbstverständnis in diesem Verhältnis einzuwirken sucht.50

Der erste theoretisch formulierte Widerspruch dagegen berief sich auf soziale Argumente: Der Dresdner Pfarrer Emil Sulze trat Anfang der 1880er Jahre mit der Forderung hervor, das »katholische« Raumschema aufzugeben und evangelische Kirchen statt dessen als »einheitliche« Räume zu konzipieren, in denen sich die Gemeinde um eine Mitte versammeln würde. Er ließ keinen Zweifel daran, dass der Raumfigur eine Wirksamkeit zuzuschreiben sei: Die räumlich artikulierten Relationen zwischen dem Geistlichen und den Gläubigen, aber auch unter den Gläubigen prägten ganz zwangsläufig das Selbstverständnis der versammelten Gemeindemitglieder. Sulzes Idealvorstellung waren im Sinne seiner Herkunft aus dem Pietismus kleine Gemeinden, die einen »familiären« Zusammenhalt entwickeln sollten – in der Hoffnung, damit der Entkirchlichung gerade in den Städten entgegenzuwirken.51

Zeitgenössische Stellungnahmen zu Kirchenbauten illustrieren regelmäßig, mit welcher Sensibilität die räumlich organisierten Beziehungen unter den Anwesenden registriert und daraufhin ›geprüft‹ wurden, ob sie als der eigenen Einstellung angemessen akzeptiert werden konnten.52 Im Kirchenbau verband sich die soziokulturelle Dimension der Differenzierung mit der konfessionellen und, darüber hinaus, auf evangelischer Seite auch mit einer innerkonfessionellen.53 Darauf lassen – lange vor dem »Wiesbadener Programm« Pfarrer Emil Veesenmayers von 189154 – zentrierende Kirchenräume vor allem in Berlin schließen, qualifiziert als explizite Gegenentwürfe zur »katholischen Dreischiffigkeit«.55 Auf die Spitze getrieben wurde die Zentrierung des Raumes beispielsweise in der Luisenstädter Emmauskirche (Abb. 3).56

Abb. 3: Berlin, ev. Emmauskirche, 1891–1893, Inneres (aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 369). Abb. 3: Berlin, ev. Emmauskirche, 1891–1893, Inneres (aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 369).

Hier wurde in Abstimmung mit der Gemeinde57 die Kanzel in der geometrischen Mitte des Oktogons platziert. Diese Anordnung erfüllte zwei wichtige Interessen: zum einen den prinzipiell gleichmäßigen Sicht- und Hörkontakt zum Geistlichen, wie er für protestantische Predigtgottesdienste als praktische Notwendigkeit und auch als Signum der konfessionellen Identität eingefordert wurde;58 zum anderen erlebte die Gemeinde sich selbst – im Unterschied zur Hierarchie, wie sie katholische Räume und solche nach dem Eisenacher ­Regulativ strukturierte – als egalitäre Versammlung. Schon in Anbetracht der Größe des Kirchenbaus59 ist hier an andere Beweggründe zu denken, als sie Sulze in seinem Plädoyer für Kirchenräume von überschaubaren Ausmaßen, die schon dadurch eine starke soziale Bindekraft entwickeln sollten, formuliert hatte. Aus dem historischen Kontext lassen sich zwei grundlegende Faktoren erschließen: zum einen eine Spezifik der unierten Kirche mit hohen Anteilen reformierten Selbstverständnisses60 und, in Wechselwirkung damit, eine ausgeprägt liberale Haltung der maßgeblichen Gesellschaft, wie sie in der damaligen Berliner Luisenstadt vorherrschte.61 Es ging hier zunächst nicht so sehr darum, der Religion und der Kirche entfremdete unterbürgerliche Schichten der Stadtbevölkerung aufzufangen;62 in erster Linie dürfte das Konzept des Oktogons mit kreissegmentförmig angeordneten Sitzen als selbstvergewissernde und demonstrative Inszenierung einer bürgerlichen Gesellschaft zu interpretieren sein, die sich ­ihrer Stellung als Trägerschicht des Staates in jedem Sinne – 
vom ökonomischen bis hin zum moralischen – wohl bewusst war. Die Kirche war mit insgesamt rund 2000 Plätzen die größte in Berlin, in Anbetracht der rund 100.000 Menschen zählenden Gemeinde63 wird sie jedoch ohne weiteres als Einrichtung einer bürgerlichen Gruppe erkennbar, die Unabhängigkeit und Egalität unter­einander – keineswegs schichtenübergreifend! – zumindest als Ideal hochhielt.64 Hier wird unmittelbar anschaulich, dass die Raumfigur – über die spezifischen liturgischen Anforderungen an eine evangelische Predigtkirche hinaus – auch die Relationen unter den Versammelten zu definieren hatte und dass ihr eine Funktion sowohl als Bild wie auch als Stimulans der sozialen Ordnung und des moralischen Selbstverständnisses der Gemeinde zugedacht war.65

Wie die Bautypen und Raumfiguren folgten auch die formalen Eigenschaften der Architektur nicht so sehr einem Kunst- oder Geschmacksurteil, sondern erfüllten eine ikonographische Funktion. Für die verschiedenen städtischen Bauaufgaben kamen jeweils nur bestimmte historische Stile in Betracht, die sie gleichsam attributiv kennzeichneten, und feinere Differenzierungen in den Motiv- und Formenrepertoires dienten der Verortung des jeweiligen Baus in der sozialen Hierarchie. Wenn für Kirchen nach dem katholischen Standard und dem Leitbild des Eisenacher Regulativs die Stilwahl vom mittelalterlichen Bautyp abhängig gemacht wurde,66 so gewährleistete erst beides in Kombination die eindeutige Bestimmung des Baus, verwies auf die beanspruchte Legi-timation der Kirche aus ihrer ›Altehrwürdigkeit‹ und vermittelte ihr Beharren auf Unabhängigkeit von historischem Wandel. Umgekehrt kamen dementsprechend selbst subtilen Abweichungen vom ›Standard‹ diskursive Qualitäten zu. Die angewandten Stile und Stilmodi steckten einen Rahmen für die Glaubensausübung ab und definierten Bedingungen für das Gottesdiensterlebnis in der Absicht, Emotion und Geisteshaltung zu reflektieren und zugleich auch zu steuern. In der jeweils gewählten Variante war eine Positionsbestimmung artikuliert, die als ›lesbar‹ im Sinn der Tradition ›sprechender Architektur‹ betrachtet wurde: dank eines Feldes von Konnotationen, vergleichbar dem Bedeutungsfeld eines sprachlichen Begriffs. Historische Baustile und die nahezu unendlich ausgedehnten Möglichkeiten, sie zu variieren, fungierten als ein Code und unter­lagen dementsprechend Logiken der Semiose. In verschiedenen Modi ­eines Baustils konnten weit divergierende Religionsauffassungen auch innerhalb ­einer Konfession artikuliert werden.67 Wenn in Berlin beispielsweise die Thomas­-
kirche (Abb. 4) in den 1860er Jahren in gotisierende Formen nahe an dem im Profanbau weit verbreiteten so genannten Berliner Rundbogenstil gekleidet 
und in ihrem Inneren Gusseisen unmaskiert zur Erscheinung gebracht wurde,68 so bedeutete das eine nachdrückliche Distanzierung vom ›Eisenacher Muster‹: Die Kirche war als zeitgemäß, ja ausgesprochen modern gedacht, was auf die ­Gemeinde und den Platz der Religion in ihrer Lebenswelt schließen lassen sollte.69

Die Rede von regionalen Ausprägungen oder ›Schulen‹ der Architektur im 19. Jahrhundert tendiert mithin zu einer Überbewertung ›eigendynamischer‹ Formen der Verbreitung und Tradierung; demgegenüber sind Spezifika als Ergebnis von – rekonstruktionsbedürftigen – Bedingungen und sozialen Auseinandersetzungen in Betracht zu nehmen, die keineswegs nur ästhetische Momente und die Einflussmöglichkeiten von Architekten oder auch der Amtskirchen umfassten und letztlich nicht einmal auf den engeren Bereich von Glauben und religiösem Leben beschränkt waren. Aus dieser Perspektive wird erkennbar, dass der Kirchenbau ein – dank des hohen Stellenwerts von ›Bekenntnischarakter‹ und der dichten Verflechtung von Akteuren unterschiedlichsten Zuschnitts (von Behörden über Körperschaften und Interessengemeinschaften bis hin zu Individuen) und divergenter Orientierung (von Kirchentheologen und Gemeindepfarrern über standesbewusste Bürger bis hin zu Künstlern) – zwar besonders profiliertes Feld mit zahlreichen scharfen Überschneidungen, prinzipiell aber sicher keinen ›Sonderfall‹ innerhalb der Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts darstellt. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass (auch) das Feld der (Kirchen-)Architektur als eine Arena70 fungierte, in der das Kräftespiel der in Formierung begriffenen ›Öffentlichkeit‹ ausgelotet werden konnte.


Abb. 4: Berlin, ev. Thomaskirche, 1864–1869, Inneres (aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 262). Abb. 4: Berlin, ev. Thomaskirche, 1864–1869, Inneres (aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 262).

Diese Verflechtung der Reflexion über den Kirchenbau sowie insbesondere der Regulierungsversuche und der dadurch provozierten Konflikte mit gesellschaftlichen Bereichen, die – aus der Perspektive einer schematisch aufgefassten funktionalen Differenzierung – der Religion fern zu liegen scheinen, wird auch in der Zwischenkriegszeit plastisch greifbar, als unter den Vorzeichen architekturikonographischer Fragen letztlich grundsätzliche Probleme erörtert wurden wie einerseits die Vereinbarkeit technischer Möglichkeiten des modernen Bauwesens mit den kulturellen Selbstverständnissen der relevanten Akteursgruppen und andererseits die Position und Rolle der Kirchen, des Glaubens und der Religionspraxis in der zeitgenössischen großstädtischen Lebenswelt.


In den 1920er und 1930er Jahren reichte das Spektrum der architektonischen Konzeptionen im Kirchenbau von einer Fortführung des Historismus bis hin zu gänzlich traditionslosen, von historischen Semantiken freien Lösungsansätzen.71 Dabei spielte jedoch die Gotik als ein ebenso zentraler wie vielschichtig verwertbarer Bezugspunkt eine herausragende Rolle – und das weit über die Ära des Expressionismus hinaus, bis in die frühen 1930er Jahre. Bezeichnend ist, dass an der anhaltend lebhaften Debatte, in welcher der Stellenwert gotischer Elemente im modernen Kirchenbau ebenfalls ­einen konstanten Bezugspunkt bildete, keineswegs nur unmittelbar involvierte Fachleute – Theologen und Architekten – teilnahmen, sondern auch Kunstwissenschaftler und Autoren ohne vordergründig erkennbare spezifische Kompetenzen, und dass die Debatte weit über die Grenzen von Fachzeitschriften für Kunst, Architektur und Religion hinausgriff: Sie erreichte über Ausstellungen und die Arbeit einschlägiger Vereine sowie über Tagespresse und Rund-
funk72 eine breite Öffentlichkeit. Auch wurde sie nicht innerhalb des jewei­ligen konfessionellen Rahmens geführt; vielmehr nutzten die Beteiligten – abgesehen von den konfessionsgebundenen Zeitschriften – dieselben Medien und nahmen aufeinander Bezug.73 Schon daraus wird deutlich, dass die Orientierung im Kirchenbau als ein Problem von grundsätzlicher kultureller Bedeutung in der modernen Welt verhandelt wurde.


Die transzendentalen Kathedralvisionen, wie sie in Reaktion auf die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen in der expressionistischen Bewegung entstanden, waren utopischer Natur und folgten der Idee, die Fragmentierung der Gesellschaft in einem überrealen Gedankenraum aufzuheben.74 Auch wenn sich in den frühen 1920er Jahren Teile der Kirchenbaudebatte wie auch etliche Bauentwürfe in dem Bemühen, jene visionäre Einheit von Geistigkeit, Religion und Nation in die lebensweltliche Realität zu implementieren, in diesen Diskursrahmen einfügten,75 so wurde diese Debatte im gesamten Beobachtungszeitraum doch von weitaus pragmatischeren Interessen dominiert. Die Verweise auf konstruktive, formale und ideelle Charakteristika gotischen Bauens sind gerade im Kontext der Propagierung moderner Materialien und Techniken sowie der daraus resultierenden Ästhetik zunächst als eine Strategie zu erkennen, um der Abwehrhaltung der Amtskirchen gegenüber jedweder Modernisierung zu begegnen.76 Die vor einer breiten Öffentlichkeit geführte, mit Wort und Bild sowie einer inhaltlich vielschichtigen Argumentation arbeitende Auseinandersetzung kann aber auch als ein Indikator für die gegenüber dem 19. Jahrhundert nochmals deutlich gesteigerte Bedeutung der öffentlichen Resonanz gelesen werden: Nicht nur galt es dafür zu sorgen, dass der technologische Fortschritt die Schranken des Gebrauchsbauwesens überschreiten, in ›monumentale‹ Aufgaben der ›Architektur‹77 vordringen und so eine zeitgemäße Ästhetik etabliert werden konnte; vielmehr ging es auch darum, neuen Kirchenbauten Verständlichkeit und Akzeptanz zu sichern. Religion und institutionalisierte Kirchen sollten mittels der Synthese aus dem legitimierenden Verweis auf ihre Altehrwürdigkeit und der Überführung der hergebrachten Typologie und Architekturikonographie in fortschrittsorientierte Gestaltungsmittel im Horizont der modernen Welt verankert werden. Dies setzte aber ›Übersetzungshilfen‹ voraus: Vertraute Signalmotive und Stimmungswerte – und gerade ihre intensive Erörterung78 – richteten sich nun an die gesamte Öffentlichkeit der Kirchen und Kirchenangehörigen, der Gläubigen und der (potentiellen) Abtrünnigen, ohne deren Zustimmung auf breiter Basis – über die einzelne Gemeinde hinaus – der Kirchenbau nicht mehr auskam. Für eine solche Lesart spricht schon die anhaltende Aktualität des Gotikdiskurses bis in die 1930er Jahre.79 Und ebenso deutet darauf die Vielfalt der Experimente mit Gotikverweisen: Neben der Legitimation ingenieurstechnisch orientierter Architektur aus der Verwandtschaft mit gotischem Bauen – 
die auf maßgebliche Vorläufer im 19. Jahrhundert zurückgreifen konnte80 –, der Konstruktion einer nationalspezifischen Tradition des Ausdrucks von Transzendenz81 und dem Erzeugen einer der Alltagswelt entrückten Stimmung durch Inszenierung lichtmetaphysischer Effekte82 spielte dabei die paraphrasierende Aktualisierung einzelner, nicht selten isoliert eingesetzter Motive wie des Spitzbogens oder gotisierender Gewölbeformen eine wichtige Rolle.83

Dass diese Vielfalt der Verweise auch mit einer Ambivalenz in der Argumentation einhergehen konnte, verdeutlichen zwei evangelische Kirchenbauten und ihre Diskussion in der zeitgenössischen Presse (Abb. 5–8). Sowohl die Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf84 als auch die Dortmunder Nicolai-Kirche85 sind in einer Eisenbeton-Rahmenkonstruktion errichtet. In Dortmund blieb der Skelettbau auch außen unverhüllt sichtbar, die Berliner Kirche erhielt eine Klinkerverkleidung. Der kompromisslose Einsatz neuer Baumaterialien und der Verzicht auf sichtbare historische Anleihen musste beim Bau der Dortmunder Kirche gegen den hartnäckigen Widerstand des Landeskonsistoriums durchgesetzt werden.86 Um den Entwurf zu stützen, betonte Paul Girkon87 den Gotikbezug der Konstruktion: Im »konstruktiven Eisenbetonskelett« erblickte er eine »seltsame […] Seelenwanderung des gotischen Bauwillens«.88 Girkon war überzeugt: »[D]er moderne Ingenieurbau ist der legitime Spross und Erbe der Gotik.«89 Für Fritz Höger, den Architekten der Kirche am Hohenzollernplatz, war es dagegen wichtig, zumindest vor der Fachöffentlichkeit der Bautechniker klarzustellen, dass die spitzbogige Form der Rahmenbinder seiner Kirche rein statisch-konstruktiv bedingt gewesen sei und gerade nicht »gotisieren« sollte.90

Abb. 5: Berlin, ev. Kirche am Hohenzollernplatz, 1928–1934, Außenbau (aus: Alfred Wiesenhütter, Protestantischer Kirchenbau des deutschen Ostens in Geschichte und Gegenwart, Leipzig 1936, S. 154). Abb. 5: Berlin, ev. Kirche am Hohenzollernplatz, 1928–1934, Außenbau (aus: Alfred Wiesenhütter, Protestantischer Kirchenbau des deutschen Ostens in Geschichte und Gegenwart, Leipzig 1936, S. 154).
Abb. 6: Berlin, ev. Kirche am Hohenzollernplatz, 1928–1934, Inneres (aus: Deutsche Bauzeitung 66 [1932], S. 589).
 Abb. 6: Berlin, ev. Kirche am Hohenzollernplatz, 1928–1934, Inneres (aus: Deutsche Bauzeitung 66 [1932], S. 589).


Die spitzbogige Form wurde wohl auf Wunsch des Gemeindekirchenrates ein
geführt, der die ursprünglich geplanten Parabel- oder Rundbögen91 wegen ihrer Nähe zur Industriearchitektur zurückwies: Sie ließen den »sakralen Charakter eines gottesdienstlichen Raumes vermissen«.92 Ein Zeitgenosse kritisierte dann diese spitzbogigen Betonbinder als ›katholisch‹.93

Abb. 7: Dortmund, ev. Nicolai-Kirche, 1929–1930, Außenbau (aus: Zement 20 [1931], Nr. 1, S. 22). Abb. 7: Dortmund, ev. Nicolai-Kirche, 1929–1930, Außenbau (aus: Zement 20 [1931], Nr. 1, S. 22).
Abb. 8: Dortmund, ev. Nicolai-Kirche, 1929–1930, Inneres (aus: Zement 20 [1931], Nr. 1, S. 12).
 Abb. 8: Dortmund, ev. Nicolai-Kirche, 1929–1930, Inneres (aus: Zement 20 [1931], Nr. 1, S. 12).


Höger, der sehr wohl einen »gotischen Geist« in seinen Bauten sah, konnte in der Erläuterung der Materialität der Außenwände problemlos an die Tradition der Backsteingotik mit ihren »prachtvollen Dome[n]« anknüpfen, habe doch der Backstein »als solche[r] schon in seinem Wesen sakralen Klang«.94 Dagegen bescheinigte Paul Girkon dem Stahl, Glas und Beton der Dortmunder Nicolai-Kirche eine »sakrale Sendung«.95 Um den neuen, industriellen Baustoffen – vor allem dem schalungsrau belassenen Eisenbeton – eine Legitimierung im Sakralbau zu verschaffen, verwies Girkon auf »das Arme und Dürftige dieses gänzlich undekorativen und unrepräsentativen Materials«, das zu einer »Seligpreisung geistlicher Armut« geworden sei.96 Mit dieser Qualifizierung des Betons ließ sich an die Tradition kommunaler und monastischer Gotik – im Unterschied zu den bischöflichen Kathedralen – anschließen.97

Die hier für das 19. und frühe 20. Jahrhundert am Beispiel (groß)städtischer Pfarrkirchen als Bauaufgabe vorgeschlagene Modifikation des Architekturbegriffs impliziert eine Erweiterung des Forschungsprogramms. Sowohl die kirchengeschichtliche Perspektive als auch die beiden in der Kunstgeschichte etablierten Zugriffe – den künstler- und den regionalgeschichtlichen – gilt es aufzubrechen: Die amtskirchlichen Regulierungsversuche werden erst durch konsequente historische Kontextualisierung ganz verständlich. Ebenso lässt sich die Stellung der Architekten erst dann realistischer erfassen, wenn die Vielfalt der professionellen Einstellungen, Rollenbilder und Verhaltensweisen rekonstruiert und so die Pauschalierung, wie sie der Künstlerbegriff mit sich bringt, relativiert wird. Wie regionale Differenzen zu deuten sind, bleibt auszuloten: offensiver zu klären, ob es sich nicht eher um strukturbedingte Spezifika handelte, die sich regional auswirken konnten, als um künstlerische Eigen­arten bestimmter historisch gewordener ›Landschaften‹, wie sie zumeist aus forschungspraktischen und verlagsstrategischen Erwägungen implizit nahe gelegt werden. Methodisch bedeutet dies eine Kombination klassischer kunsthistorischer Analyseverfahren – insbesondere Architekturtypologie und -ikonographie – mit entsprechend interessierten Fragestellungen benachbarter Disziplinen: mit religionsgeschichtlichen Perspektiven, die sowohl die Sozialgeschichte der Religion als auch, in Rückbindung daran, die Frage nach inter- und innerkonfessionellen Profilbildungen und Abgrenzungen umfassen würden, und darüber hinaus auch mit der gesellschafts- und kulturgeschichtlich orientierten Stadtforschung jenseits spezieller religionsgeschichtlicher Inte­ressen. Als entscheidend werden sich die Schnittstellen und Interdependenzen zwischen den Funktionsbereichen erweisen, die mit Hilfe von Instrumenten der Sozialwissenschaften freigelegt werden können.


  1. 1Die Forschung geht auf diesen Kontext bisher allenfalls ansatzweise ein. In der Religionsgeschichte fehlt der Blick auf Kirchenbauten und damit auch auf die Planungsprozesse völlig; diese berücksichtigt auch die Kunstgeschichte in der Regel nur am Rande und kursorisch, sie geht vom realisierten ›Werk‹ aus und nimmt dabei überwiegend die Künstler- oder die Regionalperspektive ein. Der vorliegende Beitrag bildet eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts »Gemeindlicher Kirchenbau in der Zeit beschleunigter Urbanisierung als ›eigensinniger‹ Prozess (ca. 1880–1930)«, das vom Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig gefördert wird. Beteiligt sind Michaela Marek (Projektleiterin), Uta Karstein, Fanny Stoye und Philipp Rinn (wissenschaftliche MitarbeiterInnen), Ilka Hausmann (assoziiert) und Elisabeth Schaber sowie Ralf Breitsprecher (studentische Hilfskräfte).

  2. 2So sprach Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 293, die – allgemein akzeptierte – Erwartung an den Kirchenbau aus, die »Zersetzung der bisherigen Gesellschaftsordnung« aufzuhalten. Dies entspricht der zeitgenössischen Definition der Kategorie ›Monumentalbauten‹. Vgl. beispielsweise Wenzel Herzig, Die angewandte oder praktische Aesthetik oder die Theorie der dekorativen Architektur, Leipzig 1873, S. 9 f. 

  3. 3Holger Brülls, Neue Dome. Wiederaufnahme romanischer Bauformen und antimoderne Kulturkritik im Kirchenbau der Weimarer Republik und der NS-Zeit, Berlin/München 1994, bes. S. 25–27.

  4. 4Vgl. die Erstveröffentlichung des Eisenacher Regulativs mit Ausführungen zu seiner Umsetzung: »Regulativ über den evangelischen Kirchenbau«, inChristliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus 4 (1862), Nr. 8, S. 113–121; vgl. dazu Paul Kaiser, »Das sogenannte Eisenacher Regulativ von 1861. Ein kirchenrechtliches Phantom«, in Klaus Raschzok und Reiner Sörries (Hg.), Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, S. 114–118. Im Jahr 1891 stellte K. E. O. Fritsch lakonisch fest, dass »wir heute die Hamburger Nicolai-Kirche [George Gilbert] Scott’s [1844–1863] als Ausgangspunkt für die noch heute herrschenden, sich in blinder Nachahmung des mittelalterlichen katholischen Kirchenideals gefallenden Anschauungen des letzten halben Jahrhunderts ansehen«: F. [= Karl Emil Otto Fritsch], »Dritte evangelische Kirche für Wiesbaden. Architekt Johannes Otzen in Berlin«, in Deutsche Bauzeitung 25 (1891), Nr. 43, S. 257 f., 261, hier S. 257. Auch wenn Fritsch fraglos, zumal er rückblickend urteilt, ein gewisser polemischer Impetus zugestanden werden muss, so ist der von ihm artikulierte Standpunkt ernster zu nehmen, als dies in der neueren Forschung etwa Eva-Maria Seng tut, wenn sie ihm rundweg widerspricht und dagegen die primäre Orientierung der Eisenacher Bewegung an zeitgemäßen Erfordernissen des evangelischen Gottesdienstes betont: Eva-Maria Seng, Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins, Tübingen 1995, 
S. 269.

  5. 5»Erlaß des Ministers der geistlichen Angelegenheiten vom 10. Juni 1862, betr. ein Regulativ für evangelischen Kirchenbau«, inAllgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland 11 (1862), Nr. 28, S. 369–375 (unter Rubrik »Preußen«).

  6. 6Abgesehen von den Originalpublikationen bietet Abdrucke zahlreicher Dokumente Gerhard Langmaack, Evangelischer Kirchenbau im 19. und 20. Jahrhundert. Geschichte – Dokumentation – Synopse, Kassel 1971, darin bes. Teil II., Dokumentation, B. Regulative, Programme und Leitsätze, S. 178–293; vgl. auch Seng, Der evangelische Kirchenbau(Fn. 4), S. 284–418.

  7. 7Der Begriff wird als Anleihe bei der historischen Anthropologie und der Sozialgeschichte verwendet: im Verständnis der Generierung eines ›eigenen Sinns‹. Vgl. zur (Begriffs-)Geschichte des Konzepts Jaana Eichhorn, Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation. Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Göttingen 2006, S. 230–237.

  8. 8Die Forschungslage zum konfessionellen Vereinswesen gestaltet sich sehr ungleichmäßig. Neben einigen Überblicksarbeiten – vgl. u. a. Otto Dann (Hg.), Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, München 1984; ders., Vereinsbildung und Nationsbildung: sieben Beiträge, Köln 2003 – gibt es erst zu wenigen Großvereinen eingehende Untersuchungen, so zur Inneren Mission – Jochen-Christoph Kaiser, Sozialer Protestantismus im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Inneren Mission 1914–1945, München 1989 – und zum Protestantenverein – Claudia Lepp, Protestantisch-liberaler Aufbruch in die Moderne. Der deutsche Protestantenverein in der Zeit der Reichsgründung und des Kulturkampfes, Gütersloh 1994. Die lokalen Kirchenbauvereine finden in der vorliegenden Forschung praktisch keine Beachtung und den christlichen Kunstvereinen wurde bislang keine eigenständige Untersuchung gewidmet.

  9. 9Hinweise auf die Mitgliederzahlen finden sich regelmäßig in den Jahresberichten der Vereine.

  10. 10Eindrucksvoll sind diese Anliegen dokumentiert beispielsweise (für die evange­lische Seite) in den Diskussionen auf dem Hamburger Kirchentag von 1858: O., »Berathungen über christliche Kunst auf dem Hamburger Kirchentage«, inChristliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus 2 (1859), Nr. 1, S. 1–6, 11–15; Nr. 5, S. 33–37, und in den Diskussionen über die ersten von August Reichensperger vorgelegten Ideenskizzen für einen katholischen Kunstverein Anfang der 1850er Jahre: (ohne Autor), »Entwurf zu einem Vereine für kath. Kunst«, in Organ für christliche Kunst 1 (1851), Nr. 4, S. 25 f.; (ohne Autor), »Der Entwurf zu einem Vereine für katholische Kunst«, in ebd. , S. 34 f., S. 44 f., S. 55 f.; (ohne Autor), »Den kath. Kunstverein betreffend«, in ebd., Nr. 8, S. 57 f.

  11. 11Gründungsaufruf des Vereins für kirchliche Kunst in Sachsen. Pfarrarchiv Taborkirche, Leipzig-Kleinzschocher (im Folgenden: PfA Taborkirche, Leipzig), ohne Nr., unpaginiert (loses Blatt).

  12. 12Bereits in den Vereinbarungen zur Durchsetzung des Eisenacher Regulativs heißt es, dass die Kirchenregimenter hierzu die Vereine heranziehen sollten. Vgl. Regulativ über den evangelischen Kirchenbau 1862 (Fn. 4), S. 118.

  13. 13So gründete sich der Diözesankunstverein München-Freising 1857 auf Anregung des amtierenden Erzbischofs; vgl. (ohne Autor), »Christlicher Kunstverein für Deutschland«, inOrgan für christliche Kunst 7 (1857), Nr. 8, S. 164 f., hier S. 164. Auch wo die Vereinsgründung auf Diözesanebene nicht auf Wunsch oder Anregung des Bischofs zustande gekommen war, versicherte man sich in der Regel des Wohlwollens des amtierenden Bischofs und legte diesem die Vereinsstatuten zur Genehmigung vor; vgl. Kreuser, Statz, Stein und Baudri, »I. Bericht des geschäftsführenden Ausschusses des christlichen Kunstvereins für Deutschland an die VI. Generalversammlung des kath. Vereins Deutschlands«, in Beilage zum »Organ für christliche Kunst« 2 (1852), Nr. 19, S. 165–168, hier S. 166.

  14. 14Dies gilt beispielsweise für den Architekten Christian Friedrich Leins sowie den Hofprediger und Oberkonsistorialrat in Stuttgart Carl Grüneisen. Beide waren Gründungsmitglieder des württembergischen Vereins für christliche Kunst, Grüneisen sein langjähriger Vorsitzender und zugleich Präses der Eisenacher Kirchenkonferenz. Vgl. Seng, Der evangelische Kirchenbau (Fn. 4), S. 232 f., S. 241–246 (zum Verein für christliche Kunst), S. 262–283 (zur Eisenacher Konferenz).

  15. 15Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, Bonn 2004, S. 74.

  16. 16In diese Richtung argumentiert die neuere Architektursoziologie, vgl. Heike ­Delitz, Gebaute Gesellschaft. Architektur als Medium des Sozialen, Frankfurt a. M. 2010.

  17. 17Vgl. oben, Fn. 11.

  18. 18In Bibliotheksbeständen finden sich häufig Exemplare mit Eigentumsstempeln verschiedenster Stadtverwaltungen.

  19. 19Dazu zählen vor allem dasChristliche Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus (Stuttgart 1858–1927), das regelmäßig über die Aktivitäten der evangelischen Vereine berichtete, und das Organ für christliche Kunst. Organ des Christlichen Kunstvereins für Deutschland (Köln 1851–1873), das die Aktivitäten der katholischen Diözesanvereine dokumentierte. Daneben gab es noch eine Reihe weiterer Zeitschriften, die vorrangig einem Verein als Sprachrohr dienten, aber dennoch überregionale Verbreitung fanden. Dazu zählten unter anderem das Archiv für christliche Kunst (Stuttgart 1883–1929) als Organ des Rottenburger Diözesankunstvereins, Kirche + Kunst (Nürnberg, seit 1909), herausgegeben vom Verein für Christliche Kunst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern oder Die christliche Kunst (München 1903–1937), Periodikum der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst. Eine Analyse der christlichen Kunstzeitschriften – ohne jedoch auf die Vereine als ihre Träger einzugehen – findet sich bei Adolf Smitmans, Die christliche Malerei im Ausgang des 19. Jahrhunderts – Theorie und Kritik. Eine Untersuchung der deutschsprachigen Periodika für christliche Kunst 1870–1914, Sankt Augustin 1980.

  20. 20Zu Möckel vgl. Hartmut Mai, Kirchen in Sachsen. Vom Klassizismus bis zum ­Jugendstil, Berlin/Leipzig 1992, hier bes. S. 93–131.

  21. 21Vgl. die Berichterstattung zu diesem Bau, insbesondere11. Jahresbericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1873, S. 6.

  22. 22Ebd.

  23. 23Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt a. M. 1998, S. 154.

  24. 24Zum symbolischen Kapital vgl. Pierre Bourdieu, »Sozialer Raum und symbolische Macht«, in ders., Rede und Antwort, Frankfurt a. M. 1992, S. 135–154, sowie ders., »Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital«, in Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten (Soziale Welt, Sonderband 2), Göttingen 1983, S. 183–198.

  25. 2537. Jahresbericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1900, S. 8.

  26. 26Ein Beispiel hierfür ist die 1910 bis 1913 erbaute Markuskirche in Plauen/Vogtland. Dort favorisierte die Gemeinde zunächst einen Innenraum entsprechend dem Wiesbadener Programm, ließ die Pläne aber wieder umarbeiten, nachdem das Konsistorium – im Anschluss an ein Gutachten des Vereins für Kirchliche Kunst – dieses Anliegen kritisiert hatte. Ev.-Luth. Pfarramt der Markusgemeinde Plauen (Hg.), Markuskirche Plauen 90 Jahre: Die Geschichte einer Kirchgemeinde und ihrer Kirche, Plauen 2003; s. 48. Jahresbericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1910, S. 4.

  27. 27Der Verein für Kirchliche Kunst in Sachsen bevorzugte unter den Architekten Christian Friedrich Arnold, Gotthilf Ludwig Möckel, Constantin Lipsius, Christian Gottfried Schramm und Julius Zeißig. Dem württembergischen Verein für christliche Kunst waren die Architekten Christian Friedrich von Leins, Heinrich Dolmetsch und Theophil Frey verbunden, später dann Theodor Fischer und Martin Elsässer. Diese Architekten erledigten für einen gewissen Zeitraum einen Großteil der anfallenden – oft mühsamen und schlecht vergüteten – Gutachter- und Beratungstätigkeiten, konnten dafür aber im Gegenzug auch immer wieder große Kirchenbauprojekte realisieren.

  28. 28Dies war Anfang der 1890er Jahre beim Bau einer neuen evangelischen Kirche im sächsischen Schirgiswalde der Fall. Dort favorisierten der Kirchenvorstand und der Hausväterverein unterschiedliche Entwürfe, die sie jeweils eigenständig beschafft hatten. Den Ausschlag gab das Votum des Evangelisch-lutherischen Landeskonsistoriums auf der Basis eines ausführlichen Gutachtens des Vereins für Kirchliche Kunst. Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden (im Folgenden: LKA Dresden) 8-B, Nr. 1116;30.Jahresbericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1893, S. 4–6.

  29. 29Ein Beispiel für diese Praxis ist die Taborgemeinde in Leipzig. Diese bat den Verein für Kirchliche Kunst in Sachsen, Entwürfe, die Julius Zeißig für die Gemeinde angefertigt hatte, zu begutachten. Der Verein äußerte sich verhalten positiv, nannte einige Kritikpunkte, war aber der Ansicht, dass Zeißig die Schwierigkeiten sicher souverän lösen würde, und empfahl ihn als ausführenden Architekten. Die Gemeinde schrieb allerdings einen Wettbewerb aus. Als sie durch die Stadt aufgefordert wurde, einen der Zeißigschen Entwürfe zu realisieren, erklärte sie, dass es sich hier nur um erste Anregungen für den Wettbewerb gehandelt habe. PfA Taborkirche, Leipzig, Nr. 52 und 55, LKA Dresden, 8-L, Nr. 43 und Nr. 224 sowie36.Jahresbericht des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen, 1899, S. 4.

  30. 30Mahnungen und Negativbeispiele finden sich beispielsweise in den Jahresberichten des Vereins für Kirchliche Kunst in Sachsen von 1871, 1887 und 1900.

  31. 31Die graphische Darstellung der Akteure wurde aus Quellenbefunden zu mehreren Fallbeispielen synthetisiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Interesse der Anschaulichkeit ein schematisierter Idealfall gezeigt wird, von dem Einzelfälle aus verschiedenen Gründen abwichen, etwa aufgrund struktureller Unterschiede der Verwaltungsapparate in den Regionen des Kaiserreiches.

  32. 32Vgl. für Sachsen Cornelius Gurlitt, Kirchen (Handbuch der Architektur. Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude. Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen), Darmstadt 1906, S. 309; Mai, Kirchen in Sachsen (Fn. 20), S. 94. Dieser grundlegende Sachverhalt hat bisher in der Forschung zum Kirchenbau kaum Beachtung gefunden.

  33. 33Die Bedeutung amtskirchlicher Richtlinien betonen etwa Hartmut Mai, Kirchen in Sachsen (Fn. 20); Eva-Maria Seng, Kirchenbau zwischen Politik, Kunst und Liturgie. Theorie und Wirklichkeit im evangelischen Kirchenbau, Stuttgart 1995; dies., Der evangelische Kirchenbau (Fn. 4); Albert Gerhards, »Die Aktualität der Avantgarde. Katholische Liturgie und Kirchenbau 1900–1950«, in Wolfgang Jean Stock (Hg.), Europäischer Kirchenbau 1900–1950. Aufbruch zur Moderne, München / Berlin / London / New York 2006, S. 70–89; Manuela Klauser, »Funktion und Erlebnis katholischer Sakralräume im Rheinland zu Beginn des 20. Jahrhunderts«, in Hans Körner und Jürgen Wiener (Hg.), »Liturgie als Bauherr«? Moderne Sakralarchitektur und ihre Ausstattung zwischen Funktion und Form, Essen 2010, S. 11–26. Planungs- und Baugeschichte zahlreicher Pfarrkirchen werden außerdem an den biographischen und baukünstlerischen Werdegang des jeweiligen Architekten zurückgebunden, vgl. zum Beispiel Jörn Bahns, Johannes Otzen (1839–1911). Beiträge zur Baukunst des 19. Jahrhunderts, München 1971; Jutta Schuchard, Carl Schäfer (1844–1908). Leben und Werk des Architekten der Neugotik, München 1979; Uwe Schumacher, Dombaumeister ­August Hartel, Beucha 2011. Zahlreiche weitere Architektenmonographien ließen sich anführen.

  34. 34Vgl. dazu den Vortrag von Uta Karstein und Fanny Stoye: »›If they gave me plenty of rope in designing the interior and the exterior‹: Positioning strategies of freelance ­architects – exemplified by parish church architecture around 1900«, gehalten auf dem ­internationalen Workshop »The Making of Architects. Architecture in the Making« am 2./3. Februar 2012 in Darmstadt, ausgerichtet von der Architectural Sociology Working Group.

  35. 35Melchers ignorierte in seinem Erzbistum Teile der preußischen Gesetzgebung, was zunächst zu seiner Verhaftung führte und im Jahr 1875 schließlich in der Flucht Melchers’ nach Rom gipfelte. Danach blieb der Kölner Bischofsstuhl über zehn Jahre vakant, das Erzbistum wurde durch eine staatliche Behörde geleitet. Vgl. Sybille Fraquelli, Im Schatten des Domes. Architektur der Neugotik in Köln 1815–1914, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 226; Anselm Verbeek, Die Kölner Bischofsfrage und die Beilegung des preußischen Kulturkampfs, Frankfurt a. M. 1989; Eduard Hegel und Wilhelm Neuss, Das Erzbistum Köln zwischen der Restauration des 19. Jahrhunderts und der Restauration des 20. Jahrhunderts, 1815–1962, Köln 1987, S. 549–576.

  36. 36Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens der Pfarre St. Paul, Köln, Köln 1926. Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Pfarrarchiv Köln, St. Paul (im Folgenden: AEK, PfA Köln St. Paul), Nr. 5, Bl. 6. Vgl. auch Heinrich Maria Ludwigs, Kardinal Erzbischof Dr. Paulus Melchers und die St. Paulus-Kirche in Köln, Köln 1909.

  37. 37Festschrift der Pfarre St. Paul (Fn. 36), Bl. 8. 

  38. 38Es bleibt jedoch zu prüfen, wie konkret die Vorgaben waren. So ist einem Schreiben des Erzbistums an den Kirchenvorstand von St. Paul vom 25.9.1903 zu entnehmen, dass man nun »aus triftigen Gründen und auf Grund unliebsamer Erfahrungen« von einer Stilvorgabe nicht mehr absehen könne: AEK, PfA Köln St. Paul 32, Bl. 195. Auch in der Folgezeit sind Konflikte um die Architektur anderer Pfarrkirchen nachweisbar, so etwa St. Nikolaus in Essen-Stoppenberg, deren Weihe Fischer im Jahr 1907 wegen ihrer angeblichen Nähe zu Konzert- und Theaterbauten zunächst ablehnte; vgl. Klauser, Funktion und Erlebnis (Fn. 33), S. 26, Anm. 34. Erst 1912 publizierte Erzbischof Kardinal Fischer dann Richtlinien für die Erbauung und Ausstattung von Kirchen in der Erzdiözese: Antonius Fischer, »Zum Bau und der Ausstattung von Kirchen und anderen kirchlichen Gebäuden«, inKirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln 52 (1912), Nr. 4, S. 29–33.

  39. 39Vgl. Fraquelli, Im Schatten des Domes (Fn. 35), S. 263; Gabriele Oepen-Domschky, Kölner Wirtschaftsbürger im Deutschen Kaiserreich. Eugen Langen, Ludwig Stollwerck, Arnold von Guilleaume und Simon Alfred von Oppenheim, Köln 2003, S. 266; Werner Schäfke, »›Die Erfolge der Neuzeit‹. Von Denkmälern und Kirchen am Ring, mancherlei Palästen, Pissoirs, Trinkhallen und ihren Benutzern«, in Hiltrud Kier und ders. (Hg.), Die Kölner Ringe. Geschichte und Glanz einer Straße, Köln 1994, S. 33–61, hier S. 37. Insbesondere die unangefochtene Darstellung des Architekten dürfte auf eine zeitgenössische Stimme zurückzuführen sein, die den besonderen künstlerischen Wert im Schaffen des Architekten hervorhob. Vgl. Andreas Huppertz, »Stephan Mattar«, in Die christliche Kunst 9 (1912/13), Nr. 7, S. 181–190, hier bes. S. 181.

  40. 40Beide Zitate: AEK, PfA Köln St. Paul 32, Bl. 201b.

  41. 41Vgl. ebd., Bl. 201c.

  42. 42Ebd.

  43. 43Ebd., Bl. 195.

  44. 44Ebd.; zudem sollten an dem Wettbewerb nur die »kunstverständigen Architekten Rheinlands und Westfalens« teilnehmen, wie auch die Preisrichter möglichst »rheinische Sachverständige« sein sollten.

  45. 45Daneben waren ein Baumeister, ein Restaurator und ein Lehrer vertreten. AEK, PfA Köln St. Paul 88, Bl. 1. Später wurde in den Vorstand noch ein Amtsrichter aufgenommen. Ebd., Bl. 27.

  46. 46Vgl. Hiltrud Kier, Die Kölner Neustadt. Planung, Entstehung, Nutzung, Düsseldorf 1978, S. 226; Schäfke, Erfolge der Neuzeit (Fn. 39), S. 38.

  47. 47So knapp zusammengefasst eines der Ergebnisse von Thomas Mergel, Zwischen Klasse und Konfession. Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794–1914, Göttingen 1994.

  48. 48Vgl. ebd., S. 217.

  49. 49So vermisste ein konservativer Kritiker in den 1880er Jahren an Martin Gropius’ an die Typologie evangelischer Kirchen in der Zeit der Aufklärung anschließendem, einem Auditorium ähnlichem Entwurf zur Thomaskirche in Berlin von 1862/63 die wichtigste gewünschte Wirkung eines dreischiffigen, eindeutig gerichteten Baus: »[…] da ist kein ›Aufwärts die Herzen‹, kein ›Vorwärts zu ewigem Ziele‹«, (ohne Autor), »Martin Gropius’ Entwurf zur Thomaskirche in Berlin«, inChristliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus 24 (1882), Nr. 2, S. 27–29, hier S. 29; zu dem Entwurf vgl. Manfred Klinkott, Martin Gropius und die Berliner Schule, Phil. Diss. TU Berlin, Berlin 1971, S. 60–64. Vgl. auch Othmar von Leixner, »Kirchenbau und Stimmungsarchitektur«, in Architektonische Rundschau. Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst 5 (1904), S. 35–38. Die in diesem Sinne verstandene zeitgenössisch gängige Qualifizierung katholischer Kirchenbauten als »Meß- und Processionskirche« erläuterte der Dresdner Pfarrer Emil Sulze folgendermaßen: »In einer katholischen Kirche kommt es zumeist darauf an, daß aller Augen nach dem Altare sich wenden können, auf dem Christus den Versammelten erscheint. Es ist der Zug zu diesem Geheimnis, der die Versammelten eint. So wird der Gottesdient gleichsam eine Procession, das Abbild eines Kreuzzuges.« Emil Sulze, »Der evangelische Kirchenbau. Ein Vortrag«, in Protestantische Kirchenzeitung 28 (1881), Nr. 11, Sp. 249–257, Zitate Sp. 254. Den Beitrag arbeitete Sulze später zu Buchumfang aus: ders., Die evangelische Gemeinde, Gotha 1891 (21912). 

  50. 50Vgl. Regulativ über den evangelischen Kirchenbau (Fn. 4), § 8, S. 120 (»muß«); vgl. auch, mit Blick auf die gewünschte Dominanz der Kirche im Stadtbild, ebd., § 6, S. 119: »Ein Thurm sollte nirgends fehlen, wo die Mittel irgend ausreichen […]«. Prägnant fasste dies aus der konträren Perspektive Emil Sulze in den Satz: »Eine protestantische Kirche mit ­einem Chor ist der Palast einer republikanischen Regierung mit einem Königs- und Tronsal.« Sulze, Der evangelische Kirchenbau (Fn. 49), Sp. 251.

  51. 51Er vertrat die »Auffassung der Gemeinde als einer in Christo geeinten Familie«. Ebd., Sp. 254. Vgl. zur Verbindung Sulzes mit dem kulturprotestantischen Milieu und zu seiner zeitgenössischen Relevanz Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994, S. 220–223.

  52. 52Für Beispiele vgl. oben, Fn. 49. Siehe dazu die raumsoziologischen Thesenbildungen zur Entsprechung, aber auch wechselseitigen Modellierung sozialer und räumlicher Ordnungen: Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a. M. 2006, bes. S. 62 f. (zu Georg Simmel), S. 100 f. (zu Norbert Elias), S. 82–89 (zu Pierre Bourdieu); vgl. auch Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1991 (Originalausgabe: La mémoire collective, Paris 1950), S. 126–130; Pierre Bourdieu, »Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum«, in Martin Wentz (Hg.), Stadt-Räume, Frankfurt a. M. / New York 1991, S. 25–34; Sighard Neckel, »Felder, Relationen, Ortseffekte: Sozialer und physischer Raum«, in Moritz Csáky und Christoph Leitgeb (Hg.), Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem »Spacial Turn«, Bielefeld 2009, S. 45–55; die Berücksichtigung der konkreten Beschaffenheit und Gestaltung des physischen Raumes unter Einbindung ideen- und kulturgeschichtlich fassbarer Kontexte mahnt besonders Dieter Läpple, »Gesellschaftszentriertes Raumkonzept«, in Wentz, Stadt-Räume (s. o.), S. 35–46, an; aus der Sicht der Sozialgeographie Peter Weichhart, »Gesellschaftlicher Metabolismus und Action Settings«, in Peter Meusburger und Thomas Schwan (Hg.), Humanökologie. Ansätze zur Überwindung der Natur-Kultur-Dichotomie, Stuttgart 2003, S. 15–44, hier bes. S. 18–20.

  53. 53Auf dem bisherigen Stand der Forschung ist die (inter-)konfessionelle Dimension durchaus präsent, kaum jedoch die innerkonfessionelle und die soziokulturelle; beide ­bedürfen überhaupt erst der Konturierung. Auf den Niederschlag der differierenden Orien­tierungen innerhalb des Protestantismus hat Hanns Christof Brennecke, »Zwischen Tradition und Moderne. Protestantischer Kirchenbau an der Wende zum 20. Jahrhundert«, in Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Der deutsche Protestantismus um 1900, Gütersloh 1996, S. 173–203, nachdrücklich hingewiesen.

  54. 54Emil Veesenmayer, »Die Reformationskirche in Wiesbaden. Eine Reform im protestantischen Kirchenbau«, inProtestantische Kirchenzeitung 38 (1891), Sp. 553–557; vgl. dazu F[ritsch], Dritte evangelische Kirche (Fn. 4).

  55. 55Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus (Fn. 2), S. 261; ähnlich Sulze, Der evangelische Kirchenbau (Fn. 49), Sp. 252. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich an­führen.

  56. 56Heute Kreuzberg; errichtet nach Auspfarrung aus der liberalen Thomas-Gemeinde 1891–1893 nach Plänen von August Orth als dritte Kirche analoger Konzeption: nach der Dankeskirche auf dem Wedding (1882–1884) und gleichzeitig mit der Gethsemanekirche in Pankow. Vgl. Elke Herden, Kirchen für die moderne Großstadt. Der Beitrag August Orths zum protestantischen Kirchenbau im Berlin des 19. Jahrhunderts, Berlin 1988, S. 106–121 (zur Emmauskirche); Peter Lemburg und Klaus Schulte, »Kirchen zwischen 1861 und 1918«, in Peter Güttler (Red.), Berlin und seine Bauten. Teil VI: Sakralbauten, Berlin 1997, S. 69–132, 366–397, hier S. 86–88 und S. 371. Die Planung hatte unmittelbar nach Gründung der Gemeinde 1887 eingesetzt, zog sich aber durch Verweigerung der Baugenehmigung bis 1891 hin; Carmen Schäfer, 100 Jahre Emmaus-Kirche 1893–1993. Festschrift. Eine Kreuzberger Kirche und ihre Gemeinde, Berlin 1993, Kap. »Die neue Gemeinde entsteht und baut sich ihr Haus (Teil 1), http://www.emmaus.de/chronik/hausbau1.html (30.8.2012). Im Vergleich mit August Orths erstem Entwurf von 1887 wird deutlich, dass das räumliche Konzept ursprünglich radikaler war und für die Ausführung ›abgemildert‹ wurde: Der Zentralraum war kreisrund vorgesehen, das Schiff mit den Emporen nahm sich wie eine Art Annex aus; vgl. TU Berlin, Architekturmuseum, Inv. Nr. 14117 und F5469.

  57. 57F. [= Karl Emil Otto Fritsch], »Die Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz« [Rubrik »Berliner Neubauten«], inDeutsche Bauzeitung 27 (1893), Nr. 68, S. 413–415, hier S. 413, berichtet über die »Zähigkeit, mit der die Gemeinde-Vertreter ihren Baumeister unterstützten« im »Kampf« gegen die Berliner Baubehörden, die sich gegen das Konzept des zentrierten Baus stellten. Vgl. auch Schäfer, 100 Jahre Emmaus-Kirche (Fn. 56).

  58. 58Vgl. besonders prägnant Sulze, Der evangelische Kirchenbau (Fn. 49).

  59. 59F[ritsch], Die Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz (Fn. 57), S. 413, gibt 2000 Plätze an, das Kompendium Berlin und seine Bauten, bearbeitet und herausgegeben vom Architekten-Verein zu Berlin und der Vereinigung Berliner Architekten, 3 Bde, Berlin 1896, 
Bd. 2, S. 171 f., hier S. 171, nennt die Zahl 2600.

  60. 60Zur preußischen unierten Kirche: Rudolf von Thadden, Art. »Preußen, II. Die Geschichte des Brandenburgisch-Preußischen Staates (ab 1618)«, in Horst Balz u. a. (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 27, Berlin 1997, S. 364–376, hier bes. S. 371–373 (zum Zeitraum von 1848 bis zum Ersten Weltkrieg); vgl. auch oben, Fn. 5. K. E. O. Fritsch stellte diesen Konnex in Bezug auf die Wiesbadener Ringkirche explizit heraus: »Anscheinend ist es der in den rheinischen Gemeinden trotz der Union noch vielfach lebendig gebliebene Geist ihres ursprünglichen reformierten Bekenntnisses, der auch bei den vorbereitenden Maßnahmen für den jüngsten Wiesbadener Kirchenbau eine wesentliche Rolle gespielt […] hat […].« F[ritsch], Dritte evangelische Kirche für Wiesbaden (Fn. 4), S. 258.

  61. 61Vgl. dazu Schäfer, 100 Jahre Emmaus-Kirche (Fn. 56).

  62. 62Allerdings bestand seit Gründung der Gemeinde eine Diakonie, die mit dem ­rasanten Wachstum der Bevölkerungszahlen, bedingt durch Zuwanderung von Arbeitern und kleinen Handwerkerfamilien um und nach 1900, stetig ausgebaut wurde. Zur Zuwanderung und dem Wachstum der Bevölkerungszahlen von 70.000 bei Gründung der Gemeinde 1887 auf mehr als 120.000 Mitglieder um 1900: ebd.: »Die Gemeinde wächst weiter«, http://www.emmaus.de/chronik/weiter.html (30.8.2012); zur Diakonie: »Konturen des Gemeindelebens (Teil 1)«, http://www.emmaus.de/chronik/konturen_1.html (30.8.2012).

  63. 63F[ritsch], Die Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz (Fn. 57), S. 413; vgl. zur Entwicklung der Gemeindegrößen in Berlin Hugh McLeod, Piety and Poverty. Working-Class Religion in Berlin, London and New York 1870–1914, New York / London 1996, S. 7 f.; vgl. für die ältere Entwicklung Wolfgang Ribbe, »Zur Entwicklung und Funktion der Pfarr­gemeinden in der evangelischen Kirche Berlins bis zum Ende der Monarchie«, in Kaspar Elm und Hans-Dietrich Loock (Hg.), Seelsorge und Diakonie in Berlin. Beiträge zum Verhältnis von Kirche und Großstadt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Berlin 1990, S. 233–264.

  64. 64Vgl. Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik (Fn. 51), S. 224 f.; zur Stellung des liberalen Protestantismus in Berlin in den 1870er und 1880er Jahren vgl. Lepp, Protestantisch-liberaler Aufbruch (Fn. 8), S. 244–282; siehe auch oben, Fn. 60.

  65. 65Vgl. oben, Fn. 52, bes. Weichhart, Gesellschaftlicher Metabolismus, S. 29–34.

  66. 66Vgl. beispielsweise Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus (Fn. 2), S. 243.

  67. 67Der Berliner Architekt und Spezialist für Kirchenbau Johannes Otzen unterschied in den 1880er Jahren unter den Akteuren evangelischen Kirchenbaus, welche die Gotik bevorzugten, »Realisten« und »Mystiker«; er verstand darunter die Differenz zwischen einer rationalistisch geprägten, liberalen Richtung und derjenigen der konfessionalistischen Lutheraner – eine Differenz, die auf der Ebene der Gemeinden das (gegebene oder angestrebte) Selbstverständnis der Mitglieder beschrieb und die auch in der konkreten Ausgestaltung der Architektur erkennbar sei: Johannes Otzen, »Über die Erscheinungen der Neuzeit in dem protestantischen Kirchenbau«, inDeutsche Bauzeitung 6 (1882), S. 31 f., hier S. 32.

  68. 68Errichtet 1864–1869 nach Plänen von Friedrich Adler. Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus (Fn. 2), S. 260–262; Berlin und seine Bauten (Fn. 59), Bd. 2, S. 164–167; Lemburg und Schulte, Kirchen zwischen 1861 und 1918 (Fn. 56), S. 71–75 und S. 366. Der realisierte Bau war im Verhältnis zum Wettbewerbsentwurf von Martin Gropius dennoch eine kompromisshafte Lösung; vgl. dazu Klinkott, Martin Gropius und die Berliner Schule (Fn. 49), S. 60–64.

  69. 69Vgl. zur zeitgenössischen Bewertung struktiver Bauglieder in sichtbar belassenem und damit ästhetisch wirksamem Eisenkunstguss Hermann Blankenstein, Der Bau der evangelischen Kirche als Aufgabe Schinkel’s und unserer Zeit. Festrede zum Geburtstage Schinkel’s am 13. März 1868, Berlin 1868, S. 15 f. und bes. S. 18 f.; Lemburg und Schulte, Kirchen zwischen 1861 und 1918 (Fn. 56), S. 75.

  70. 70Zum Begriff der Arena vgl. Karsten Holste, Dietlind Hüchtker und Michael G. Müller, »Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure – Arenen – Aushandlungsprozesse«, in dies. (Hg.), Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure – Arenen – Aushandlungsprozesse, Berlin 2009, S. 9–19; Tobias Jakobi, Akteurszentrierter Institutionalismus und Arenen-Konzept in der Mitbestimmungsforschung. Zum theoretischen Rahmen eines Forschungsprojekts (Frankfurter Arbeitspapiere zur gesellschaftsethischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, 47), Frankfurt a. M. 2007, http://www.sankt-georgen.de/nbi/fileadmin/redakteure/Dokumente/FAgsFs/FAgsF_47_Institutionalismus.PDF (30.8.2012).

  71. 71Vgl. dazu v. a. Brülls, Neue Dome (Fn. 3), bes. S. 27–30; Britta Giebeler, Sakrale Gesamtkunstwerke zwischen Expressionismus und Sachlichkeit im Rheinland, Weimar 1996, bes. S. 42 f.; Jürgen Wiener, Gefühlte Geschichte und lebendige Zeitkunst. Zur Topik des westdeutschen Kirchenbaus der Weimarer Republik, Düsseldorf 2008; Hans Körner und Jürgen Wiener (Hg.), Frömmigkeit und Moderne. Kirchenbau des 20. Jahrhunderts an Rhein und Ruhr, Essen 2008; Christian Welzbacher, »Kirchenbau und Moderne (1920–1940). Anmerkungen zu einer traditionsverbundenen Baugattung«, in Kritische Berichte 1 (2007), S. 33–46.

  72. 72Beispielsweise Georg Lill im Süddeutschen Rundfunk im Februar 1928 zum Thema »Zeitgenössische christliche Kunst«, erwähnt imJahresbericht der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst 35 (1927), 2. Halbjahr, S. 19.

  73. 73So besprach der evangelische Theologe Paul Girkon eine Ausstellung katholischer Kunst: Paul Girkon, »Religiöse Kunst der Gegenwart. Anmerkungen zu der Ausstellung katholischen Kunstschaffens in Essen«, inDas evangelische Rheinland 9 (1932), S. 227–228. Umgekehrt wurden etwa in der Zeitschrift der katholischen Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst aktuelle Entwicklungen im evangelischen Kirchenbau besprochen und sogar auf ihre potentielle Vorbildrolle für den katholischen hin befragt: Karl Gabriel Pfeill, »Zur neuen religiösen Baukunst«, in Die christliche Kunst 25 (1928/29), S. 278–280. Vgl. auch Paul Brathe, »Zweck und Wesen im Kirchenbau«, in Zentralblatt der Bauverwaltung 48, 1928, S. 692–694. Er bezieht sich sowohl auf Rudolf Schwarz, »Die Eisenbetonkirche. Entgegnung und Grundlegung«, in ebd., S. 18–21, als auch auf Adolf Behne, »Zweck contra Nimbus«, in ebd., S. 173–176. Auf Behnes Beitrag reagierte auch Rudolf Günther, »Die Zweck-Kirche«, in Deutsche Bauzeitung 62 (1928), S. 397.

  74. 74Dazu Magdalena Bushart, »Zukunftskathedralen«, in Rainer Stamm und Daniel Schreiber (Hg.), Bau einer neuen Welt. Architektonische Visionen des Expressionismus, Köln 2003, S. 103–121; Wolfgang Pehnt, Die Architektur des Expressionismus, Ostfildern-Ruit 1998, bes. S. 269–278: »Vom neuen Kirchbau«.

  75. 75Vgl. Remigius Boving, »Kirche und moderne Kunst«, inZentralblatt der Bauverwaltung 41 (1921), S. 556; Dominikus Böhm und Martin Weber, »Der Bau und seine innere Ausgestaltung. Denkschrift zur Einweihung [1923]«, in Michael Pfeifer (Hg.), Sehnsucht des Raumes. St. Peter und Paul in Dettingen und die Anfänge des modernen Kirchenbaus in Deutschland, Regensburg 2005, S. 9–12; August Hoff, »Die katholische Kirche in Frillendorf bei Essen«, in Deutsche Bauzeitung 62 (Fn. 73), S. 789–794; Rudolf Günther, »Kunst und Kirche«, in Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 34 (1929), S. 21–26.

  76. 76Brülls, Neue Dome (Fn. 3), S. 25–27; vgl. beispielsweise die folgenden amtskirchlichen Beschlüsse: Richtlinien des Kölner Generalvikariats 1930 gegen »Experimente« der »modernen Kunstrichtung«, in Wilhelm Corsten (Hg.), Sammlung kirchlicher Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen für die Erzdiözese Köln, Ergänzungsbd. 1929–1935, Köln 1935, S. 187, und der Fuldaer Bischofskonferenz 1932, welche die Berücksichtigung der »durch die christliche Tradition übernommenen Formen« einforderte; dazu Robert Witte, Das katholische Gotteshaus. Sein Bau, seine Ausstattung, seine Pflege im Geiste der Liturgie, der Tradition und der Vorschrift der Kirche, Mainz 1939, Zitat S. 50. Georg Lill nahm im Namen der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst Stellung zu den Beschlüssen der Fuldaer Bischofskonferenz und relativierte dabei offensiv die Befürchtungen, die Beschlüsse könnten in Fortschrittsfeindlichkeit ausmünden: Georg Lill, »Die künstlerische Entwicklung und die künstlerischen Aufgaben der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst«, in Die christliche Kunst 29 (1932/33), S. 135–144, hier S. 142.

  77. 77›Monumentalität‹ wird hier im Sinne der Hierarchie der Bauaufgaben in der akademischen Tradition des 19. Jahrhunderts verstanden. Vgl. August Hoff, »Kirchenbauten von Dominikus Böhm«, inDie christliche Kunst 22 (1925/26), S. 345–355, hier S. 354; Gustav Steinlein, »Neue Kirchenbaukunst«, in Zentralblatt der Bauverwaltung 46 (1926), S. 85–88, hier S. 87: »Der Neubau der Kirche muss sich vielmehr sowohl gegenüber der Schule, als auch den sie umgebenden mehrstöckigen Häusern behaupten können. Durch ernsten, deutschen Geist atmenden Rhythmus in der Linie wie in den Flächen, durch Verzicht jeglichen kleinlichen architektonischen Beiwerks, erfüllt [Alfred] Boßlet den Baugedanken der monumentalen Einfachheit in vorbildlicher Weise«. Paul Girkon, »Eisenbetonkirche St. Nikolai in Dortmund«, in Zentralblatt der Bauverwaltung 51 (1931), S. 229–234, hier S. 233, spricht von Monumentalität, die »nicht durch Dimension sondern durch Suggestion« entstehen solle, durch die »Kraft« der Baugestalt. 

  78. 78Vgl. beispielsweise Richard Hoffmann, »Christliche Gegenwartskunst. Ein Wort versöhnender Aufklärung«, inKlerusblatt 8, 1927, S. 398–401, 420–423, 436–437. Der Artikel erschien in einer Zeitschrift, deren Schriftleitung erklärtermaßen modernen Architekturentwicklungen kritisch gegenüberstand; Hoffmann ging es hier um die Synthese aus traditionellen Formen und modernen Formulierungen; Curt Horn, »Der evangelische Kirch­bau unserer Tage«, in Kunst und Kirche 5 (1928/29), S. 81–95, hier bes. S. 83; Artur Wienkoop, »Der Kirchenneubau des Ordens der Pallottiner in Limburg«, in Moderne Bauformen 28 (1929), S. 183–194; Werner Hegemann, »Hans Herkommers neue Kirchen«, in Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau 13 (1929), S. 177–186; Ernst Meunier, »Katholische Kunst in Berlin«, in Die christliche Kunst 27 (1930/31), S. 65–76, hier S. 75; ders. Josef Bachem, Berlin/Leipzig/Wien 1931, Neuausgabe mit Nachwort von Christian Welz­bacher, Berlin 2001, S. 1–14.

  79. 79Vgl. beispielsweise Georg Kopp, »Neue evangelische Kirchen in Stuttgart und seinen Vororten«, inMonatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 37 (1932), S. 265–271, hier S. 266; Paul Girkon, »St. Nicolai in Dortmund. Ein Kirchbau aus Eisenbeton und Farbglas«, in Technische Blätter 21 (1931), S. 42 f., hier bes. die Abwägung einer »Wiedergeburt des gotischen Geistes« gegenüber der Aktualisierung der Stilmerkmale (S. 43); ebenso ders., »Kirchbau und moderne Technik«, in ebd., S. 826–829, 842–844, hier bes. S. 829.

  80. 80Vgl. Monika Steinhauser, »Gotik und Moderne. Zu Viollet-le-Ducs Architekturverständnis«, in Cord Meckseper und Harald Siebenmorgen (Hg.), Die alte Stadt. Denkmal oder Lebensraum? Die Sicht der mittelalterlichen Stadtarchitektur im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1985, S. 27–66.

  81. 81Vgl. Bushart, Zukunftskathedralen (Fn. 74), S. 106.

  82. 82Beispielsweise ist von »mystische[m] Weben eines Geheimnisvollen« die Rede bei Georg Lill, »Zu den Kirchenkonkurrenzen für Frankfurt a. M. und Nürnberg«, in Die christliche Kunst 22 (Fn. 77), S. 248–275, hier S. 260; Joseph Wimmerer, »›Christliche‹ Kirchenbaukunst«, inKlerusblatt 7 (1926), S. 452–452, 468–469, hier S. 468: Kirchenbau dürfe nicht an die Fabrik (»Haus des Schreckens«) erinnern, sondern müsse den Besucher »emporheben in eine ganz andere Atmosphäre« und »einführen in die Stimmung der heiligen Religion«; Klingenburg, »Ein neuer Weg zum evangelischen Kirchenbau«, in Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 33 (1928), S. 197–199, hier S. 198: Farbige Verglasung sorge dafür, dass die Besucher »Gott nicht im Schummrigen begegnen, sondern im Schimmernden«, weil Gott »im Lichte wohnt«; Fürstenau, »Neuere Bestrebungen im Kirchenbau«, in Zentralblatt der Bauverwaltung 44 (1924), S. 185–187; Hoff, Kirchenbauten von Dominikus Böhm (Fn. 77), S. 345–355; ders., »Wettbewerbe: Heilig-Geist-Kirche in Münster i. W.«, in Die christliche Kunst 23 (1926/27), S. 274–283; Gustav Lampmann, »Die Stahlkirche«, in Zentralblatt der Bauverwaltung 48 (Fn. 73), S.689–692; (ohne Autor), »Neue Kirchenbaukunst«, in Technische Blätter 20 (1930), S. 773–778. Vgl. dazu Brülls, Neue Dome (Fn. 3), S.159–165; ders., »Simulation des Heiligen in der experimentellen Sakralarchitektur nach dem Ersten Weltkrieg«, in Rainer Stamm und Daniel Schreiber (Hg.), Bau einer Neuen Welt. Architektonische Visionen des Expressionismus, Köln 2003, S. 122–139, hier S. 127–133; auch: Michael Pfeifer, »Das mystische Fluten. Licht als Baustoff Dominikus Böhms«, in Das Münster 58 (2005), S. 24–32.

  83. 83So heißt es beispielsweise über die in einem modernistischen Reformstil errichtete Lutherkirche in Erfurt: »Hat schon das spitzbogige Hauptportal in seiner ganzen Auffassung eine sakrale Note […]«, Bt.: »Lutherkirche in Erfurt (Jürgensen)«, in Deutsche Bauzeitung 62 (Fn. 73), S. 311–319, hier S. 311. Paraphrasen gotischer Motive (Fenster- und Portalformen) setzte besonders Dominikus Böhm häufig als hervorgehobene ›Zeichen‹ ein; vgl. zuletzt Wolfgang Voigt und Ingeborg Flagge (Hg.), Dominikus Böhm, 1880–1955, Ausstellungskatalog Tübingen 2005. Zur Evozierung des Anscheins spätgotischer Netzgewölbe wurde das sogenannte Zollinger-Verfahren eingesetzt, mittels Rabitz-Technik konnten Zellengewölben ähnliche Eindeckungen konstruiert werden. Vgl. (ohne Verf.), »Das Zollbaudach im Kirchenbau«, in Baukunst 6 (1930), S. 35 f.; Kopp, Neue evangelische Kirchen (Fn. 79), S. 265–271, spricht von der »sakrale[n] Ausdruckskraft« des Zollinger-Gewölbes; sie liege in der »gotisierenden Raumform« begründet, die diese Konstruktion erzeuge (S. 266). Vgl. zu Zollinger-Gewölben Welzbacher, Kirchenbau und Moderne (Fn. 71), S. 36 f.; zu ›Zellengewölben‹ in Rabitz-Technik Martin Struck, »Raumbildung und Gewölbe-/Deckengestaltung von Dominikus Böhm-Kirchen«, in Das Münster 58 (Fn. 82), S. 53–55. 

  84. 841928–1934, Fritz Höger. Immo Boyken, »Fritz Högers Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin. Architektur zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit«, inArchitectura 15/2 (1985), S. 179–198.

  85. 851929–1930, Karl Pinno und Peter Grund. Martin Röttger, »›Ein großes Zelt im Feuermeer der Großstadt‹. Kirchenbau in der Endphase der Weimarer Republik«, in Traugott Jähnichen (Hg.), Zwischen Tradition und Moderne. Die protestantische Bautätigkeit im Ruhrgebiet 1871–1933, Bochum 1994, S. 122–136.

  86. 86Vgl. Röttger, Ein großes Zelt (Fn. 85), S. 124 f.; Ulrich Althöfer, Der Architekt Karl Siebold. Zur Geschichte des evangelischen Kirchenbaus in Westfalen, Bielefeld 1998, S. 751–763 (Siebold war der leitende Baubeamte der Evangelischen Kirche von Westfalen. Er verfasste im Auftrag des Konsistoriums mehrfach Gutachten gegen die Bauprojekte und auch noch gegen den fertigen Bau). Vgl. auch St. Nicolai-Gemeinde (Hg.), 50 Jahre St.Nicolai-Kirche Dortmund. 1930–1980, Dortmund 1980, darin bes. »Persönliche Erinnerungen von Pfarrer W. Rohmeyer an die Vorbereitungen zum Bau und an die Einrichtung der neuen St. Nicolai-Kirche«, S. 15–19.

  87. 87Girkon, Theologe und Leiter der Beratungsstelle für kirchliche Kunst beim Evangelischen Preßverband (1924–1940) war als Berater beim Bau der Nicolai-Kirche tätig. Ebd., S. 15; Hans-Georg Gaffron, »Girkon, Paul«, in Friedrich Wilhelm Bautz (Hg.), fortgeführt von Traugott Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 33 (Ergänzungen, Bd. 20), Nordhausen 2012, Sp. 526–536. Er war sogar schon vor dem Planungs­beginn von den Gemeindepfarrern eingebunden worden, um die Gemeinde auf die geplante Aufgabe einzustimmen; siehe die Korrespondenz zwischen Paul Girkon und dem Pfarrer der Nicolai-Gemeinde über einen geplanten Vortrag von Girkon, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen (im Folgenden: LKA EKvW), Bielefeld, Bestand 3.1 (Nachlass Paul Girkon), Akt. Nr. 23.

  88. 88Paul Girkon, »St. Nikolai. Eine Kirche aus Eisenbeton und Glas«, inZement. ­Wochenschrift für Hoch- und Tiefbau 20 (1931), Nr. 1, S. 1–24, hier S. 2.

  89. 89Ebd., S. 3.

  90. 90Fritz Höger, »Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf«, inBauwelt 24, 1933, S. 3–6, hier S. 3 f.: »Ich habe also bei den Spitzbogenformen gar nicht gotisieren wollen – 
im Gegenteil. Gotischen Geistes freilich sollte mein Bau sein, wie alle meine Bauten dieses innere Gepräge tragen«; vgl. auch Rud. Schmidt, »Evangelische Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin«, in Deutsche Bauzeitung 66 (1932), Nr. 29, S. 585–589, der hervorhebt, »dass die spitzbogige Form kein eklektizistisches Anknüpfen an Altes darstellt« (S. 585).

  91. 91Vgl. die Vorentwürfe in Claudia Turtenwald, Fritz Höger (1877–1949). Architekt zwischen Stein und Stahl, Glas und Beton, Phil. Diss. Univ. Münster 2004, http://miami.uni-muenster.de/servlets/DocumentServlet?id=1584 (30.08.2012), Abb. WN 209l und WN 209m.

  92. 92Gemeindekirchenrat-Protokoll vom 4. Juni 1929, zitiert nach: Bauverein der Kirche am Hohenzollernplatz zu Berlin-Wilmersdorf e. V. (Hg.), Kirche: Baugeschichte. Der Architekt, http://www.bauverein-kah.de/kirche/index12.shtml (30.08.2012).

  93. 93Alfred Wiesenhütter, Protestantischer Kirchenbau des deutschen Ostens in Geschichte und Gegenwart, Leipzig 1936, S. 152.

  94. 94Fritz Höger, »Sakraler Backsteinbau«, in Kunst und Kirche 5 (Fn. 78), S. 105–114, hier S. 106 f. Zu Högers Verhältnis zu Klinker und Backstein siehe Turtenwald, Fritz Höger (Fn. 91), S. 175–188. Zu den zeitgenössisch ambivalenten und gegensätzlichen Konnotationen dieser Materialien siehe Christian Fuhrmeister, Beton, Klinker, Granit. Material, Macht, Politik. Eine Materialikonographie, Berlin 2001, S. 160–162.

  95. 95Paul Girkon, »Ein neuer Kirchbau«, inKunst und Kirche 8 (1931), S. 81–84, hier S. 81. Die Konstruktion sichtbar zu belassen, war essentiell für »eine Wiedergeburt des gotischen Geistes«. Ders., »St. Nikolai. Ein Kirchenbau aus Eisenbeton und Farbglas«, Vortrags-Ms., um 1931. LKA EKvW, Bestand 3.1 (Nachlass Paul Girkon), Akt. Nr. 58 (Vorträge).

  96. 96Paul Girkon, »Die neue Kirche der Petri-Nikolai-Gemeinde«, inWasmuths ­Monatshefte für Baukunst und Städtebau 14 (1930), Nr. 11, S. 490–496, hier S. 492.

  97. 97Jürgen Wiener verweist im Zusammenhang von Rudolf Schwarz’ Qualifizierung seiner Aachener Fronleichnamskirche als »Architektur aus der Armut« auf die »damalige Wiederentdeckung der Bettelordensgotik als asketische und puristische Architektur«; Wiener, Gefühlte Geschichte (Fn. 71),S. 60, Anm. 10.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 9 (2012)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1