Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Diskussionsbemerkungen zur geplanten Neufassung des Sächsischen Hochschulgesetzes (SHG)1

Das Bessere ist der Feind des Guten. An diesen Merkspruch wird man aber allzu schnell erinnert, wenn es um eine anstehende Entscheidung über zu erlassende Regelungen und Gesetze geht. Man wird dann manche wohlmeinende Kritik zwar noch anhören und vielleicht für später, etwa die nächste Hochschulreform, verwenden, aber jetzt, wie man meint, sinnvollerweise nicht mehr zu berücksichtigen haben. Andererseits will das neue Gesetz die sächsische Hochschullandschaft neu, nachhaltig und zukunftsweisend gestalten, und zwar als ein Hochschulautonomie- oder Hochschulfreiheitsgesetz. Das kann es aber nur sein, wenn nicht bloß die Gesichtspunkte der Regierung, Gesetzgeber und Juristen, sondern gerade auch die praktischen Erfahrungen derer berücksichtigt werden, deren Arbeit durch das Gesetz ihren rechtlichen Rahmen erhält. Ich trage hier daher unter anderem gerade auch die Erfahrungen als Studiendekan vor, der mit der Verantwortung für die Umsetzung der Bologna-Beschlüsse an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig betraut war und ist. Aus dieser Praxis heraus stelle ich die Frage, ob das Ziel der Reform im neuen Gesetz nicht doch in einigen zentralen Punkten verfehlt wird, wenn das Gesetz selbst nicht noch in einigen teils offensichtlich allgemein wichtigen, teils scheinbar marginalen, aber für das Funktionieren von Lehre ungemein wichtigen Passagen und Paragraphen geändert würde. Denn sonst wäre am Ende die Zeit nach der Reform die Zeit vor der Reform.

1. Experimentierklausel und Präsidialsystem

Im Moment haben wir nur eine Experimentierklausel für die neuen Fakultätsstrukturen, nicht aber für die vom Gesetz verpflichtend vorgesehene Rektoratsverfassung. Eine moderne Präsidialstruktur mit einer dazugehörigen Neustrukturierung der Leitung und Verwaltung der Universität ist damit durch den Gesetzesentwurf leider ausgeschlossen. Kurz: Die Wahl zwischen Rektorats- vs. Präsidialsystem gehört in die Grundordnung der Hochschulen und sollte wenigstens in der Form einer Erprobungsklausel möglich sein; das Gesetz sollte die Optionen also offen halten. Selbstverständlich kann man auch unter dem Titel des Rektors/Rektorats ein Präsidialsystem zulassen. Zentral ist nicht das Wort, sondern die Stellung der Verwaltung und dabei insbesondere die Organisation der Aufgaben, die bisher von einem Kanzler übernommen wurden.

2. Ressortierung der Verwaltung

Nur durch eine partielle Abkehr vom im Gesetz vorgeschriebenen Rektor- Kanzlersystem wird eine entsprechende Ressortierung möglich, wie sie eine reformierte Hochschule dringend braucht. Nur in einer solchen Ressortierung können die Vizepräsidenten oder Prorektoren zu Ressortleitern mit einem funktionstüchtigen Apparat werden. Das wiederum ist nötig, um das Dienstleistungsprinzip zu entwickeln. Die Verwaltung dient den Erfordernissen des akademischen Auftrags der Universität. Administrative Dezernate wie die Studien- und Prüfungsangelegenheiten gehören entsprechend einem Vizepräsidenten/ Prorektor für Lehre zugeordnet. Andere Ressorts gehören zu einem Vizepräsidenten für Haushalt und Finanzen etc.

Die Festschreibung eines Rektorensystems mit einem Kanzler als vom Ministerium eingesetzten oberstem Chef der Verwaltung ist dagegen, ob man es wahr haben will oder nicht, am Ende die Fortschreibung der Kameralistik des 19. Jahrhunderts. Sie ist mit dem Grundgedanken moderner Hochschulautonomie nicht vereinbar. In der Doppelspitze blockieren sich Rektor und Kanzler ja auch oft genug. Und es wird schlimmer werden. Wenigstens über eine Experimentierklausel sollte die entsprechende Ressortierung als Alternative zu einer faktisch vom Kanzler allein geführten Hochschulverwaltung im Gesetz als Möglichkeit zugelassen werden. Die Hochschulverfassung (Grundordnung) sollte über die je angemessene Ausgestaltung selbst entscheiden können.

3. Vom Kanzler zum Vizepräsidenten für Haushalt und Finanzen

In der Form eines etwa vom Hochschulrat im Einvernehmen mit dem Ministerium ernannten Vizepräsidenten/Prorektors für Finanzen wäre die Rolle des Kanzlers ohnehin viel besser in eine autonome Universitätsleitung eingebunden. Und es würde allererst Platz geschaffen a) für eine Ressortierung der Verwaltung, b) für eine verantwortliche autonome Finanzverwaltung, welche am Ende gerade bei der Globalfinanzierung die Kräfte eines Kanzlers entweder übersteigen wird oder aber seine Bedeutung gegenüber dem ganzen Rest der Universität, insbesondere aber gegenüber dem Rektor allzu groß werden lässt, wenn er zugleich Chef der gesamten Universitätsverwaltung bleibt. Die Balance zwischen Rektor und einem ›Provost‹ (wie in den USA) bzw. Rektor, Prorektoren und Kanzler ist in der Situation eines Globalhaushaltes faktisch viel bedrohter, als die Gesetzgeber offenbar zu sehen belieben.2 Im Übrigen sind wir dabei, die Strukturen der Universität für das 21. Jahrhundert neu zu entwickeln. Ohne die Möglichkeit, auf die dabei mit Sicherheit entstehenden Strukturprobleme schnell zu reagieren, werden wir die unvermeidliche Strukturreform nicht zum Guten hin vollenden können. Gerade auch angesichts des Wettbewerbs zwischen den Universitäten, Hochschulen, Regionen und Zentren in unserem Land ist eine entsprechende Öffnung auch für Experimente mit Strukturen, in denen die Institutionen selbst Erfahrungen mit neuen Modellen sammeln und diese in Feinsteuerungen der Strukturformen umsetzen können, unabdingbar.

4. Hochschulrat

Dabei ist es durchaus verständlich, dass es eines Hochschulrats insbesondere in der Rolle als Finanzaufsichtbehörde bedarf. Wichtig ist dessen Ausgestaltung und Verantwortlichkeit. Das neue Gesetz ist insbesondere darin halbherzig, dass es bloß einige Kompetenzen aus dem Ministerium auslagert und in die Hände eines Hochschulrates legt, viele andere aber bei diesem belässt. Wenn nun aber der Hochschulrat insbesondere mit der Finanzaufsicht der Universität betraut wird, warum nicht auch mit der Einsetzung des Kanzlers bzw. des Prorektors oder Vizepräsidenten für Finanzen?

Stattdessen wird einem nicht von den Hochschulgremien gewählten Kanzler durch weiche Formulierungen weiterhin die Möglichkeit gegeben, strategische Entscheidungen des Rektorats mit dem Hinweis auf möglicherweise bloß behauptete ›sachliche Gründe‹ zu blockieren oder gar im Benehmen mit dem Ministerium die Universität direkt zu steuern.

Echte Kompetenz und Verantwortung für die Finanzen der Hochschule erhielte der Hochschulrat dagegen erst dann, wenn er den Finanzverantwortlichen der Universität in geeigneter Kooperation mit dem Präsidenten/Rektor und nach einem geeigneten Verfahren je auf eine begrenzte Zeit bestimmen, bestätigen oder ihm das Misstrauen aussprechen kann. Es wäre sonst wohl die klassische Variante der direkten ministeriellen Entscheidungen etwa von höchst fachkompetenten Unterstaatssekretären die wahrere und effektivere. Das aber heißt, wenn man es durchdenkt, dass die Reform bestenfalls halbherzig ist – ein Urteil, das sich ja auch in den massiven Bedenken von Jürgen Mittelstraß und Wolfgang Fach findet. In ihren Beiträgen zur Lage der Hochschulstruktur in diesem Lande wird ja klar der Mangel an Flexibilität und Autonomie diagnostiziert.3

5. Dienstleistungsprinzip der Verwaltung

Es steht außer Frage: Wir brauchen eine entsprechende Strukturreform der Universität. Ohne eine Umwandlung der Verwaltung in einen Dienstleister für die Fakultäten und die akademische Universitätsspitze samt ihrer Leitungsstruktur geht das nicht. Das gilt insbesondere auch für das Rechenzentrum. Denn für eine moderne Entwicklung der Universität wird die enge Verzahnung der Anpassung der administrativen Prozesse in Lehre und Forschung an die Möglichkeiten der automatischen Datenverarbeitung und umgekehrt der Entwicklung von IT-Unterstützung für die Prozesse immer wichtiger werden. Die nötige enge Zusammenarbeit zwischen einem Chief Information Officer (CIO) als Leiter einer dem Rektor/Präsidenten direkt zugeordneten Dienstleistungseinheit Information und Kommunikation (IuK) allein kann hier die Bedürfnisse der Fakultäten bzw. des akademischen Bereiches der Universität strukturell angemessen befriedigen, nicht die Eingliederung in eine dem Kanzler unterstellte Verwaltung.

6. Wahl und Amtszeiten des Rektors

Die Amtszeiten des Rektors/Präsidenten samt der Vizerektoren und Dekane sollten zwischen 3 oder 4 und 6 Jahren frei durch die Grundordnung bestimmt werden können.

Und noch ein ceterum censeo: Nur eine Urwahl des Rektors/Präsidenten nach Vorlage eines Wahlvorschlags von mindestens drei Kandidaten durch den Hochschulrat würde einen starken Präsidenten/Rektor mit dem Vertrauen der akademischen und nichtakademischen Mitglieder schaffen, der die Uni als Person strategisch voranbringen kann. Das Wahlgremium bräuchte dazu nicht notwendigerweise eigens ein Konzil oder eine Vollversammlung eines Großen Senat abhalten; es könnte einfach aus allen gewählten Fakultätsräten und Senatoren als Wahlberechtigte bestehen. Auf diese Weise ließe sich die zu erwartende Apathie derer verhindern, die sich von wenigen anderen verwaltet sehen. Zielführende Kooperation und Corporate Identity sieht anders aus.

  1. 1Überarbeitete Fassung der Stellungnahme, die am 4. 9. 2008 im Sächsischen Landtag im Rahmen einer Expertenanhörung zum Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung »Gesetz über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulgesetz – SächsHG)« Drucksache 4/12712 abgegeben wurde.
  2. 2Magnifizenz Diepenbrock plädiert in seinem Beitrag dagegen dafür, dass die Verwaltungsaufgaben und die akademischen Aufgaben getrennt bleiben. Es ist sicher so, dass es auch dafürprima facie gute Gründe gibt. Allerdings beurteile ich die Lage insgesamt so, dass eine echte Hochschulautonomie nur funktionieren kann, wenn diese Trennung strukturell so aufgehoben wird, dass die Verwaltungsressorts klar als Dienstleister für die akademischen Aufgaben den entsprechenden Bereichen zu- oder untergeordnet werden und die Dienstleistung der Verwaltung nicht bloß vom good will der Ressortchefs abhängig gemacht wird. Die von Diepenbrock angemahnte vertrauensvolle Zusammenarbeit von Kanzler und Rektor ist daher zwar insofern richtig, als jede gute Teamarbeit von der Kooperativität und damit der Moral relativ selbständig agierender Mitspieler abhängt. Es ist aber die Aufgabe einer allgemeinen Struktur, diese Kooperativität möglichst unabhängig vom subjektiven Wohlwollen der Agenten zu machen, was nur dadurch geschehen kann, dass das eigene Interesse der Ressorts mit dem Gesamtinteresse der Universität strukturell zusammenfällt. Gleiches gilt freilich auch für die akademische Struktur. Daher wäre auch eine Rückkehr zur Fakultäten-Universität mit einem Rektor als bloßem Sprecher eines Dekane-Senats kein guter Weg.
  3. 3Jürgen Mittelstraß, »Die Universität zwischen Anspruch und Anpassung«, in diesem Heft, und Wolfgang Fach, »Der Laufstall«, ebd.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 1 (2008)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1