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Denken und Sprechen aus philosophischer Sicht


1.


In der Auseinandersetzung zwischen den ›empirischen‹ Wissenschaften und der Philosophie geht es nie darum, ob man etwas absolut a priori, durch reines Denken im Lehnsessel, wissen könnte, bevor man reale Erfahrungen gemacht hat. Es geht immer darum, dass es keine sinnvolle empirische Untersuchung gibt, die nicht allgemeine Selbstverständlichkeiten voraussetzt, wie sie die Philosophie explizit macht. Empirische Beobachtungen begründen und widerlegen ein kanonisierbares Allgemeinwissen nur im Zusammenhang eines dialektischen Streits zwischen der Bestätigung lebensweltlichen Vorherwissens und der Kritik an möglichen vorschnellen Verallgemeinerungen. Diese treten zwar manchmal in gedankenlosen Traditionen auf – obgleich es zur natürlichen Dummheit der jeweiligen Gegenwart gehört, die Vergangenheit und andere Kulturen zu unterschätzen. Häufiger aber gehen wir von statistischen Häufigkeiten a posteriori allzu schnell zu Allgemein- oder Wahrscheinlichkeitsaussagen a priori über. Ironischerweise tendieren gerade die empirischen Wissenschaften zum trans­zendenten Überschwang, wenn nämlich das dialektische Denken der Streit­gespräche um die besten generischen Erklärungen anerkannter Phänomene fehlt. Wichtig ist, dass die Sätze der Wissenschaften von der Art des Beispiels »die Katze frisst Mäuse« sind und bloß allgemeine Orientierungen bieten. Ihrem Zweck gemäß sollen sie nie ein Sonderwissen einer Elite bleiben, sondern zu einem Allgemeinwissen oder Fundus mit allgemeinem Zugriff werden. Sie artikulieren auch selten oder nie empirische Allsätze über alle möglichen (auch zukünftigen) Einzelereignisse. Ihre Allgemeinheit ähnelt eher der von Merksätzen wie z. B. »wir denken wesentlich in Sprache«, welche die Philosophie typischerweise im Interesse einer logischen Geografie formuliert hat. Schon Heraklit (~520–460 v. Chr.) erkennt diese als lakonische Gnomen. Thomas Hobbes (1588–1679) nennt Axiome dieser Art ›Aphorismen‹. Philosophie ist seit dem Anfang echter Wissenschaft, also seit Platon (427–347 v. Chr.), dialektikē technē in selbst­bewusster Explikation begrifflicher Prinzipien als den Vor- und Rahmen­bestimmungen sinnvoller disziplinärer Einzeluntersuchungen.


2.


Rodins Skulptur Der Denker kennt jeder: Vornübergebeugt, das Kinn auf die Faust gestützt, sitzt er auf einem Stein und sinnt über etwas nach.1 Man sieht ihm nicht an, dass er sprechen können muss, um denken zu können. Dabei meinen wir zumeist, dass es umgekehrt ist und das vorstellende Denken unmittelbarer sei als das Sprechen: Müssen wir nicht erst denken, um dann zu sprechen? Überzeugungen sind doch eine Art innerer, dispositioneller Zustand, oder nicht? Und denken nicht auch Tiere? – Die Reihenfolge kehrt sich schnell um, wenn wir das normale Denken als ›leise Planung‹ einer möglichen ›Sprechhandlung‹ begreifen. Es gleicht dem Entwurf einer langen Rede, bei dem man möglicherweise gar nicht mit ganzen Sätzen, sondern mit Stich- und Schlagwörtern operiert, manchmal auch mit bildlichen Vorstellungen oder diagrammatischen Skizzen, die man dann vielleicht beschreibend ausmalt oder auch nur als Plan für ein laute Rede oder ein leises Selbstgespräch gebraucht.


3.


Sprechen beginnt mit ganz einfachen Nennungen. Am Anfang stehen ›primitive‹ Einwortsätze wie: ›mama!‹ oder vielleicht auch ›wauwau!‹.2 Daraus entstehen später Titelwörter wie ›Hund‹, ›Katze‹ und noch später Begriffswörter, wenn sie nämlich im Kontext ganzer Aussagen stehen und entsprechend gebraucht werden. In ›dies ist eine Katze, das eine andere‹ wird ›Katze‹ zum Prädikat, in ›Mama ist Lehrerin‹ wird ein Wort, das am Anfang bloß eine Art Ruf war, zu einem Eigennamen. Syntaktisch ausformulierte Sätze stehen am Ende der allgemeinen Entwicklung der Sprache, des individuellen Spracherwerbs und dann auch wieder des konkreten Prozesses der Herstellung eines Gedankens im Reden. Die Anwendung setzt eine kulturelle Evolution grammatischer Ausdifferenzierungen voraus. Die Annahme, es gäbe eine besondere Sprache des Denkens im Gehirn, eine Language of Thought,3 die jeder von uns erst in Lautsprache übersetzen müsse, erweist sich als überflüssig und irreführend, auch wenn das Computermodell, in welchem es verschiedene Ebenen von Maschinen- und Oberflächensprachen gibt, sie als Metapher überleben lässt. Es stimmt zwar, dass wir in der ›Sprechplanung‹ nicht sofort einen ganzen Satz im Kopf vorproduzieren, bevor wir ihn am Ende aussprechen. Es reichen oft Titelwörter. Dementsprechend erklärte auch René Descartes (1596–1650), dass man nur die Überschriften der scholastischen Bücher kennen müsse, um sich den Inhalt herzuleiten. 


Bei genauer Betrachtung ist das Sprechplanen weder zirkulär noch mysteriös: Es ist kein Ereignis, kein Ergebnis zufälliger Gehirnströme, wird auch nicht hervorgebracht durch verdrahtete Glaubenszustände. Wir kennen Sprechhandlungsformen und wissen sie zu aktualisieren. Nach leisen Planungen, die im Fall erfahrener und konzentrierter Redner sehr schnell ablaufen, kann ich mich dafür oder dagegen entscheiden, die entsprechende Sprechhandlung auszuführen oder zu unterlassen. Das gilt für andere Handlungen auf die gleiche Weise. Ob wir es merken oder nicht, als intentionale Handlungen hängen auch Sprechhandlungen von einem Denken und damit von einem leisen Sprechplanen ab, was für bedingte Reaktionen und unbewusste Verhaltensweisen nicht gilt. Nehmen wir ein Versprechen gegenüber Freunden zum Beispiel: Ich kann leise darüber nachdenken, ob ich ihnen meine Hilfe beim Renovieren zusagen möchte. Die Zusage selbst kann ich dann auf ganz einfache Weise geben – durch ein einfaches ›Ich komme‹ oder ein bloßes ›ja‹ oder nur ein Nicken. Wichtig ist die aus meinem Sprech- bzw. Zusage-Akt folgende Handlungskonsequenz: Nun bin ich verpflichtet, die Zusage einzuhalten, aufgrund meiner Selbstverpflichtung in einer Rollenübernahme, dem undertaking eines commitment.4 Den reinen Satz ›ich verspreche zu kommen‹ als bloß phonetische Aktform könnte auch ein Papagei nachplappern oder ein Aufnahmegerät in Dauerschleife wieder­geben. Es wäre dann aber weder ein Sprechen noch ein Denken.


4.


Für den Begriff des Denkens ist die zentrale Konnotation des Ausdrucks cogitatio zu bedenken, da man diese seit alters als Zusammenfassung von etwas im Geiste auffasst, was man – im Verstehen – nach implizit tradierten Formen des inferentiellen Schließens immer wieder aus(einander)legt.5 Die Bedeutung von Denken reicht vom einfachen mitdenkenden Wahrnehmen und wahrnehmungsgestützten Urteilen zum anspruchsvollen ›Nachdenken‹, also zur reflektierenden Rückwendung auf das, was hinter dem Rücken der unmittelbaren Aufmerksamkeit liegt. Die Definition, Denken umfasse »alle Stufen und Formen der menschlichen höheren Gehirntätigkeit«,6 lässt dagegen völlig offen, was das Wort ›höher‹ meint, zumal schon Platon die Leere einer Erklärung des Denkens als Tätigkeit des Gehirns erkennt und kritisiert.7 Denn das Funktio­nieren des Gehirns ist nur notwendige Bedingung sinnvollen Denkens und Sprechens, nie ausreichende Ursache. 


Bei allen bisher betrachteten Bedeutungen für das Denken ist das Gedächtnis mitzudenken. Denken wird nämlich auch als Sammlung der Seele oder von etwas in der Seele gedeutet.8 Platon verbindet dabei den Gebrauch der griechischen Wörter logos, legein und eidos mit seiner Definition des Menschen als das Wesen, das denkend weit verstreutes ›zusammenschaut‹, wie Schleiermacher einen Sprachwitz aus dem Kratylos um das Wort anthropos kongenial übersetzt:9 Wir legen die Welt in ihren Formen aus, indem wir Worte sozusagen vor uns hinlegen, ausbreiten, und diese dann wieder lesen. Denken ist also Aktualisierung der Kompetenz, implizite Formen in Natur und Handlungswelt durch Verdichtung und Auslegen explizit zu machen. Denken in diesem Sinn muss sogar das bewusste Wahrnehmen und Vorstellen begleiten, wenn das Wahrgenommene oder Vorgestellte begrifflich strukturiert und damit durch Zeichen artikulierbar sein soll.


5.


»Es ist ein altes Vorurteil, daß das, wodurch sich der Mensch von dem Tiere unterscheidet, das Denken ist; wir wollen dabei bleiben«,10 sagt Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) leicht ironisch, da er das vermeintliche Vor-
urteil nicht angreift. Dabei stimmen am Ende fast alle Philosophen mit Platon überein, dass das Denken im Wesentlichen ein innerer Dialog ist,11 »eine Rede, welche die Seele bei sich selbst durchgeht über dasjenige, was sie erforschen will«.12 Das Wort ›diskursiv‹ verbindet dieses Bild mit dem gemeinsamen Durchgehen von Argumenten. »Das Denken ist ein Sprechen u. dieses ein 
höhren«, schreibt auch Immanuel Kant (1724–1804) im Opus Postumum13 und zeigt sich damit offen für das, was auch Johann Georg Hamann (1730–1788) in seinen Sokratischen Denkwürdigkeiten sagt: »Vernunft ist Sprache. Logos«, was wiederum sinngemäß auch bei Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Wilhelm von Humboldt (1767–1835) zu finden ist. Kant hält aber an der cartesischen Perspektive einer kognitionsphilosophischen Reflexion auf die Konstitution oder Verfassung unseres symbolischen oder ›vorstellenden‹ Wissens über die Welt fest. Denken ist für Descartes inneres Repräsentieren mit Con-Scientia,14 wobei dieses ›Bewusstsein‹15 im Sinn von potentiell gemeinsamer Wissenskontrolle, also der Prüfung des verstehbaren Sinns und der Richtigkeit des Vorgestellten zu verstehen ist, nicht bloß als subjektives Gewahrsein der empiristischen awareness, die wir neben der auf Dinge fokussierten Auf-
merksamkeit (attention) mit den Tieren teilen. Nur der Mensch hat wahre Sprache, wie Descartes sagt, ist veraloquens. D. h. die ›Signalsprachen‹ der Tiere sind nur Systeme zur präsentischen Koordinierung des Verhaltens und unterstützen keine Repräsentation allgemein verständlicher Gedanken. Daher hilft auch eine Formel wie die von Josef Simon (1930–2016) »Wir denken, indem wir […] Zeichen verstehen«16 nicht wesentlich weiter, wenn nicht genauer nachgefragt bzw. erläutert wird, wie sich das Verstehen von Zeichen bei Tieren und Menschen unterscheidet. – Kants zentraler Kernsatz, »ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können«,17 umfasst dagegen schon die Einsicht, dass jedes diskursive Denken durch einen reflektierenden Denkakt, das cogitare durch ein reflectere animum begleitbar sein muss. Es gibt also die Möglichkeit der unendlichen Reflexion im das Denken und Sprechen kommentierenden Sprechen und Denken. »Etwas durch Begriffe, d. i. im Allgemeinen vorstellen, heißt denken«, schreibt Kant in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik.18 Und: Es geschieht »alles Denken« durch Begriffe, Urteile und Schlüsse.19

6.


Was wir Denken nennen, verhält sich zum Sprechen weitgehend so wie das leise zum lauten Lesen. Im Unterschied zum Lesen etwa auch von Comics, wo wir Vorgegebenes nachvollziehen, planen wir im Sprachdenken schriftliche oder mündliche Sprechhandlungen, oft versuchsweise, um sie nach Prüfung gegebenenfalls laut oder leise in Langform zu vollziehen. Dabei ist das Bonmot Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799), wir sollten sagen »es denkt«, nämlich das Gehirn, »so wie man sagt: ›es blitzt‹«20 – was dann auch Friedrich Nietzsche (1844–1900) kopiert –, nur die halbe Wahrheit. Es ist zwar Vieles am Denken Einfall, was selten so klar wird, wie wenn wir zuhören, was psychisch Verwirrten so alles aus dem Mund fällt und dabei nur lose an das Wahr­genommene gekoppelt ist. Im Unterschied dazu wählen wir im guten Fall aus und steuern weitere Einfälle partiell frei mit. Die gerade auch von Kant betonte Spontaneität des Denkens und Handelns ist in Wahrheit eine Mischung zwischen unwillkürlichem Widerfahrnis und willkürlicher Auswahl. Es gibt sie auch im bildhaften oder akustischen Vorstellen – wobei die musikalische Notenschrift das Sprachartige ebenso klar macht wie Filmsequenzen oder räumliche Vorstellungen der Bewegungsorientierung. Schon Platon hatte wie Wittgenstein neben der Schriftsprache die Musik und ihre projektive Darstellung in einer Notenschrift als Beispiele für strukturelle Repräsentationen genannt. Denken ist also spontane Repräsentation von Möglichkeiten im Sprechplanen, mitunter begleitet durch ikonische Bildsequenzen wie in Comics oder 
Tonfilmen.


7.


Die berühmte These Ludwig Wittgensteins (1889–1951) im Tractatus logico-philosophicus: »Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen«,21 lese ich so: Nur dort, wo es eine öffentliche Praxis des Urteilens nach wahr und falsch gibt, gibt es sachhaltige Urteile. Nur in einer solchen Praxis zeigen sich die Tatsachen der Welt. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Wittgenstein dem Logiker Gottlob Frege (1848–1925) folgt, wenn er erklärt »Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich aus«, »Der Gedanke ist der sinnvolle Satz«, »Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhang des Satzes hat ein Name Bedeutung.«22 – Wer dagegen mittels bloßer Beobachtungen der Vorgänge im menschlichen Gehirn – auch in Verbindung mit Beobachtungen des Verhaltens – Gedanken identi­fizieren oder analysieren will, ohne die Vermittlung des öffentlichen Gebrauchs von Artikulationssystemen hinreichend ernst zu nehmen, der stellt äußerst gewagte Hypothesen auf. Eine derartige Spekulation ähnelt dem Versuch, allein durch Beobachtungen des Gehirns und des äußeren Verhaltens eines Mathematikers etwas über die Arithmetik erfahren zu wollen. Besser wäre wohl, mit den Menschen zu sprechen und ihre (mathematische) Kultur kennenzulernen.


8.


Hegel zufolge ist die Wissenschaft insgesamt, nicht etwa bloß die Philosophie, Arbeit am Begriff. Interessanterweise stimmt dem Nietzsche vollinhaltlich zu: 


An dem Bau der Begriffe arbeitet ursprünglich […] die Sprache, in späteren Zeiten die Wissenschaft […] an jenem großen Kolumbarium der Begriffe, der Begräbnisstätte der Anschauungen, baut immer neue und höhere Stockwerke, stützt, reinigt, erneut die alten Zellen und ist vor allem bemüht, […] die ganze empirische Welt, das heißt die anthropomorphische Welt, hineinzuordnen.23

Sprache – generisch verstanden – wird so zur Kanonisierung differenzbedingter Normalfallerwartungen, ausgedrückt in Defaultinferenzen bzw. begriffs­bestimmenden Dispositionen. 


9.


Obwohl man den Philosophen nicht nur die für jede Wissenschaft nötige Streitlust, sondern auch unheilbare Zerstrittenheit nachsagt, stimmen viele von ihnen darin überein, dass wir alle wesentlich diskursiv und damit in Sprache denken. Inzwischen erkennt man sogar an,24 dass menschliches Wahrnehmen im Kontrast zum ›enaktiven‹ Perzipieren von Tieren25 begrifflich, genauer, sprachlich wesentlich mitgeprägt ist. Bis auf die Fälle, in denen wir völlig unbewusst auf Empfindungen reagieren, kontrollieren wir zuerst, was wir wahrnehmen, indem uns die Empfindung zu einem Einfall eines möglichen Wahrnehmungs­urteils führt, den wir durch ein zweites und drittes Hinschauen kontrollieren. Es gibt Menschen, und man trifft diese Unglücklichen auch in öffentlichen Räumen, die das nicht tun. Indem sie sozusagen automatisch Wahrnehmungssätze aus ihrem Mund fallen lassen, erfüllen (nur) sie die behavioristische ›Theorie‹ Francis Skinners (1912–1941) von einem Reiz-Reaktions-Schema, wie es bei Willard Van Orman Quine (1908–2000) in Word and Object zu einer Theorie der Stimulus Meaning entwickelt wird. Ihrem (öffentlich gemachten) Bewusstseinsstrom (Stream of Consciousness) kann man anhören, dass er ein Fluss von durch Worte, Sätze und Bildskizzen (auch akustischen) getragenen Inhalten ist. Wenn man ihm ohne weitere Kontrolle seinen Lauf lässt, gilt tatsächlich: ›Es denkt‹. Doch normalerweise kontrollieren wir unsere ersten Einfälle, getriggert durch Wahrnehmungen, noch einmal an der Wahrnehmung. Wir kontrollieren unsere weiteren konnotativen oder formalen, kanonischen und über die ›Zweite Natur der Gewohnheit‹ habitualisierten, aber nie völlig automatischen, weil immer in Reflexionen kritisch beurteilbaren Schlüsse an der laufenden Situation. Das alles tun wir auch im Gespräch mit anderen Personen. Wir lassen also unsere Welt nicht einfach mit dem zusammenfallen, was uns in einem autistischen Selbstgespräch einfällt. Daher ist es auch kein Wunder, dass das menschliche Wahrnehmen, besonders im Blick auf Normalfallerwartungen, durch die jeweilige Sprache, die morphologischen und syntaktischen Kontrastierungen über Wörter und Ausdrucksformen, damit aber auch durch das in der Sprache über differentiell bedingte Inferenzregeln verschiedenster Art kodierte und kanonisierte Allgemeinwissen wesentlich mitgeformt sein kann. Die Rede von der Theorieabhängigkeit der Erfahrung meint, wenn sie recht verstanden wird, eben diese Tatsache.


  1. 1Dazu und zum Folgenden ausführlicher: Pirmin Stekeler-Weithofer, Sprachphilosophie. Eine Einführung, München 2014, Kap. 1.

  2. 2Ebd.; siehe auch Willard Van Orman Quine, Word and Object. Cambridge, Mass. 1960, S. 81 ff.

  3. 3So, noch in der bewusstseins- und ideentheoretischen Tradition von Thomas Hobbes und John Locke stehend, Jerry Fodor, The Language of Thought, Cambridge, Mass. 1975, ders., The Modularity of Mind, Cambridge, Mass. 1983.

  4. 4Robert B. Brandom, Making it Explicit: reasoning, representing, and discursive commitment, Cambridge, Mass. 1994.

  5. 5Dazu ausführlicher: Pirmin Stekeler-Weithofer, Denken: Wege und Abwege in der Philosophie des Geistes, München 2014, S. VII–IX.

  6. 6Art. »Denken«, in Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz (Hg.), Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Bd. 1, Berlin 1964. Onlineversion: http://www.dwds.de/?view=13&qu=Denken (17.6.2016).

  7. 7Etwa beim Pythagoreer Alkmaion von Kroton, siehe Platon, Phaidon, in ders., Sämtliche Werke, nach der Übers. von Friedrich Schleiermacher, Reinbek bei Hamburg 1967, Bd. 3, 96b5 ff.

  8. 8Ebd., 83a7–b2.

  9. 9Platon, Kratylos, in ebd., Bd. 2, 399c.

  10. 10Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I 
(Werke, Bd. 18), Frankfurt a. M. 1986, S. 22, Fn. 12, Einfügung von Michelet; siehe auch: ders., Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften [1830], hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler, Hamburg 1991, § 2, S. 34.

  11. 11Platon, Sophistes, in ders., Sämtliche Werke (Fn. 7), Bd. 4, 263e3–5.

  12. 12Platon, Theaitetos, in ebd., 189e.

  13. 13Immanuel Kant, Opus Postumum, Convolut 1–4 (Kants gesammelte Schriften, Bd. 21), Berlin 1936, S. 103.

  14. 14Boris Hennig, ›Conscientia‹ bei Descartes, Freiburg 2006.

  15. 15Wie Christian Wolff den Ausdruck übersetzt. Siehe ebd., S. 18.

  16. 16J. Simon, Philosophie des Zeichens, Berlin / New York 1989, S. 46.

  17. 17Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft [2. Aufl. 1787] (Kants gesammelte Schriften, Bd. 3), Berlin 1911, S. 108.

  18. 18Immanuel Kant, »Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik«, inKants ­gesammelte Schriften, Bd. 20, Berlin/Leipzig 1942, S. 253–332, hier Beilage, S. 325.

  19. 19Immanuel Kant, »Logik«, in Kants gesammelte Schriften, Bd. 9, Berlin/Leipzig 1923, S. 33.

  20. 20Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, hg. von Wolfgang Promies, München 2005, Bd. 2, Heft K, Nr. 76, S. 412.

  21. 21Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, 12. Aufl., Frankfurt a. M. 1977, Vorwort.

  22. 22Ebd., Satz 3.1, S. 20; Satz 4, S. 32 und Satz 3.3, S. 24.

  23. 23Friedrich Nietzsche, »Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn«, in ders., Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, 2. Aufl., Bd. 1, München 1999, S. 886.
  24. 24John McDowell, Mind and World, Cambridge, Mass. 1994.

  25. 25Alva Noë, Action in Perception, Cambridge, Mass./London 2004.
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Heft 16 (2016)
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