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Was heißt und zu welchem Zweck betreibt man 
»Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext«?


Das Projekt »Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext«1 versteht sich als sprachhistorisches (diachronisches) Wörterbuch, das onomasiologisch aufgebaut ist, d. h. von Wortbedeutungen oder besser den ihnen innewohnenden Konzepten ausgeht und daher nicht alphabetisch angeordnet ist. Konzepte umfassen verschiedene Inhalte: So haben wir von dem Körperteil Fuß eine Vorstellung, die auf unserer Wahrnehmung und Erfahrung basiert, z. B. dass er untrennbar zu unserem Körper gehört und sich am unteren Ende der Beine befindet, dass er zum Laufen dient, dass Zehen, Spann, Ferse usw. Teile von ihm sind. Diese Vorstellungen haben wir völlig verinnerlicht, wir müssen das Konzept von Fuß nicht ständig neu definieren.2 Solche Konzepte bilden nun Netze, wie sie z. B. in den »semantischen Netzen« sichtbar gemacht werden. Diese Modelle sind Grundlage für die Darstellung der Konzepte einzelner und verschiedener Sprachen, indem sie Begriffe (als Knoten) und die Relationen zwischen ihnen (als Kanten) abbilden.3 Der Fuß z. B. steht mit dem Zeh in ­einer Ganzes-Teil-Relation, während stehen eine für den Fuß typische Tätigkeit beschreibt.4 Auf sprachlicher Seite entsprechen den semantischen Netzen 
die Wortfelder. Die Wörter einer natürlichen Sprache sind im menschlichen Gehirn nicht alphabetisch angeordnet, sondern in Begriffs- oder Wortfeldern. So assoziiert man etwa mit Hand eben nicht alphabetisch nahestehende Wörter wie Hanf oder Hang, sondern vielmehr Fuß, Bein oder Arm. Wortfelder sind Gruppen von Wörtern mit einem oder mehreren übereinstimmenden semantischen Merkmalen (»Semen«5), im soeben genannten Beispiel Hand etwa <IST: menschlich>. Bei anderen Lebewesen sagt man bekanntlich nicht Hand oder Fuß, sondern Pfote, Tatze, Pranke etc.6 Wenn sich die Konzepte in der Vernetzung ändern, ändern sich auch die Wörter in den Wortfeldern als sprachliche Realisierungen der Konzepte. Unter dieser Prämisse bedeutet Wortfeldetymologie (insbesondere für das Substantiv, das wichtigste Begriffswort):


  1. Ermittlung von Wortbildung und Benennungsmotiv eines Wortes (»étymologie origine«),7
  2. Darstellung der Einbindung eines Wortes in sein Wortfeld vom Althochdeutschen bis in die Gegenwart (»étymologie-histoire des mots«),

  3. Beschreibung der Veränderungen innerhalb des Gesamtwortfeldes, die infolge von Wandel, Ersatz, Schwund, Neuschaffung, Entlehnung der Einzelwörter entstehen (»étymologie-histoire des champs lexicaux«).


Ein Ziel der Wortfeldetymologie ist also die systematische Erfassung von Wortfeldern natürlicher Sprachen und die Dokumentation von semantischem Wandel anhand dieser Wortfelder über Jahrhunderte, im Idealfall über den gesamten Zeitraum der schriftlichen Bezeugung einer Sprache – im Falle des Deutschen ab dem Althochdeutschen, also ab dem 8. Jahrhundert n. Chr. – (vgl. Beispiel 1).


Beispiel 1: Wortfeld »Recht«


Althochdeutsch reht n. »Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechtssache, Gerechtigkeit, Urteil; Beweis; Sieg«, 


mittelhochdeutsch reht »Gesamtheit der rechtlichen Verhältnisse bzw. der gesetzlichen Bestimmungen, Rechtsbuch, Gericht, Rechtsverfahren, Urteilsspruch«,


frühneuhochdeutsch recht »Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechtssache, Gerechtigkeit, Dienstpflicht, Abgabe«, 


älteres neuhochdeutsch recht »Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechtssache, Gerechtigkeit, Gericht, Hinrichtung«, 


neuhochdeutsch Recht »Gesamtheit der staatlich festgelegten bzw. anerkannten Normen des menschlichen, besonders gesellschaftlichen Verhaltens, Gesamtheit der Gesetze und gesetzähnlichen Normen, Rechtsordnung; berechtigter zuerkannter Anspruch, Berechtigung oder Befugnis«.8

Man sieht, wie sich die Bedeutungen von Recht im Laufe der Jahrhunderte erweitern oder einschränken. So ist etwa die Bedeutung »Hinrichtung« nur im Älteren Neuhochdeutschen nachweisbar; in dieser Zeit wurde der Rechtsbegriff offensichtlich sehr weit gefasst. 


Die Wortfeldetymologie ist wie die Einzelwort-Etymologie, die die unabdingbare Grundlage der Wortfeldetymologie bildet, nur über den Sprachvergleich möglich. Stärker noch als bei dieser spielt jedoch die historische Kognition eine Rolle. Eine Wortfeldetymologie des Deutschen ist deshalb nur im »europäischen Kontext« möglich. Der europäische Kontext umfasst dabei sowohl sprachgenetische Aspekte – die Verwandtschaft mit den anderen germanischen und weiter den indogermanischen Sprachen – als auch den europäischen Sprachbund. Während aber die Rekonstruktion von urgermanischen und urindogermanischen Vorformen prinzipiell anerkannt ist, ist die Idee eines ­europäischen Sprachbundes umstritten.9 Die Deutsche Wortfeldetymologie kann hier durch ihren kognitiv-onomasiologischen Zugang neue Aspekte aufzeigen. Die Bestimmung des »europäischen Kontextes« erfolgt dabei in zwei Richtungen: 1. Lehnwörter im Deutschen und speziell Europäismen, die das Deutsche mit anderen Sprachen teilt10 und 2. Germanismen in den Sprachen Europas. Für die Bestimmung der Europäismen und zur Demonstration der Verbreitung der Germanismen werden schwerpunktmäßig folgende Sprachen heran
gezogen:


  1. Deutsch als Ausgangssprache des Projekts

  2. Englisch als die am weitesten verbreitete Fremdsprache11
  3. Französisch als gleichfalls weit verbreitete Fremdsprache, die auch historisch von großem Einfluss war12
  4. Niederländisch als dem Deutschen besonders eng verwandte Sprache 

  5. Rumänisch als einzige romanische Sprache auf dem Balkan

  6. Russisch als wichtiger Vertreter der slawischen Sprachen

  7. Finnisch als finno-ugrische Sprache des Ostseeraums

  8. Ungarisch als finno-ugrische Sprache in Südosteuropa


Im Einzelfall werden auch andere jeweils nah verwandte Sprachen in die Betrachtung einbezogen (z. B. Ukrainisch oder Weißrussisch statt Russisch). Prinzipiell gilt dabei als »europäisch«, was in mindestens drei dieser Sprachen vorhanden ist, sofern es sich nicht um nur verwandte oder unmittelbar benachbarte Sprachen handelt.


Die Wortfeldetymologie ist ein Teilbereich der Etymologie. Zugleich ist sie auch Teilbereich der Semantik, da sie semantischen Wandel beschreibt, wie auch der Kognitionswissenschaft – sie stellt u. a. Konzeptwandel dar. Überschneidungen gibt es daher mit der Sprachtypologie und der Sprachuniversalienforschung, sofern diese Disziplinen sprachliche Repräsentationen von Konzepten und nicht, wie zumeist, lautliche Phänomene behandeln. Mit der Sammlung und Beschreibung von möglichen regelhaften Erscheinungen bei Übertragungsprozessen nach semantischen Merkmalen kann die Wortfeldetymologie bestehende Theorien verifizieren oder die Annahme neuer Thesen zur Wortfeldproblematik begründen. Dies kann entweder innerhalb einer Einzelsprache oder sprachübergreifend geschehen. 


Gegenüber der traditionellen etymologischen Forschung hat die Wortfeldetymologie den Vorteil, dass durch die Einbettung in Wortfelder der Bedeutungswandel nach Synonymen, Antonymen/Komplementärbegriffen/Oppositionen, Meronymen (Teilbegriffe), Holonymen (Begriffe für das Ganze), Hyperonymen (Oberbegriffe) und Hyponymen (Unterbegriffe) sowie nach Form, Funktion und weiteren semantischen Merkmalen systematisch erfasst wird (vgl. Beispiel 2).


Beispiel 2: Wortfeld »Haus«

Das Wort Zimmer hat eine Entwicklung vom Meronym »Bauholz« (vgl. althochdeutsch zimbar n.) zum Holonym »Wohnraum« (vgl. frühneuhochdeutsch zimmern.13) durchgemacht.14 In dieser letzten Bedeutung hat es sich zunehmend als Hyperonym von Stube und Kammer etabliert, die auch Wohnräume bezeichnen, aber jeweils spezifische Charakteristika aufweisen, nämlich Stube das prototypische Merkmal <HAT: Ofen> und Kammer <HAT: keinen Ofen>. Beide Wörter stehen damit in Opposition zueinander. Zimmer selbst ist mit Stube und Kammer wiederum Kohyponym zu Raum. Mit der Markierung von Stube als <IST: veraltet> und <IST: gut bürgerlich> gewinnt Zimmer an Gewicht in der Synonymenkonkurrenz, v. a. in der speziellen Bedeutung »Wohnzimmer«.15

Sprachwandelerscheinungen jeglicher Art, die ohne die Betrachtung des restlichen Wortfeldes ohne Bezug und daher im hypothetischen Bereich bleiben, können so als durch Interaktion mit dem Wortfeld bedingte Veränderungen aufgezeigt werden. Dies kann den semantischen Wandel ebenso betreffen wie lautliche oder morphologische Varianten (vgl. Beispiel 3).


Beispiel 3: aus dem Wortfeld »Körper«16

Das neuhochdeutsche Wort Auge ist nach rein etymologischen Gesichtspunkten sozusagen »falsch«: Es müsste nämlich nach den Gesetzmäßigkeiten des Sprachwandels, die von den historischen Sprachwissenschaften in den letzten Jahrhunderten aufgedeckt wurden, Age lauten. Was also ist passiert? Für die Erklärung muss man in der Geschichte der deutschen Sprache zurückgehen. In der Zeit der urgermanischen Grundsprache lautete das Wort *auǥan, sollte aber lautgesetzlich korrekt *aǥan sein.17 Da das urgermanische Wort *auzan- »Ohr« demselben Wortfeld »Sinnesorgane« angehört und auch häufig in Redewendungen neben Auge (vgl. deutsch ganz Auge und Ohr sein »ganz aufmerksam sein«) vorkommt, hat das Wort für »Ohr« das Wort für »Auge« im Anlaut beeinflusst, so dass aus älterem *aǥan- neben *auzan- schließlich *auǥan- neben *auzan- wurde. Die Lautveränderung ist also nicht durch ein Lautgesetz bedingt, sondern durch die Interaktion der Wörter im Wortfeld. Im Verlauf der weiteren Sprachgeschichte bis zum Neuhochdeutschen wurde *auǥan- dann durch Endsilbenschwächung zu Auge, *auzan- hingegen durch einen regelmäßigen, auch sonst beobachtbaren Lautwandel zuerst zu auran- und dann zu Ohr. Ein ähnliches Beispiel bietet die Auslautsangleichung von armenisch unkn »Ohr« nach akn »Auge«. Ein weiterer Fall für eine derartige Beeinflussung innerhalb eines Wortfeldes ist etwa die Redewendung mit Bitten und Betteln, die häufig als mit Bitteln und Betteln18realisiert wird.


Für die Darstellung der Wortfeldetymologie werden vor allem jüngere Semantiktheorien19 als Grundlage genommen. Zentrales Element ist, die Wörter im Bereich der Prototypikalität mit ihren semantischen Merkmalen zu erfassen. Diese sogenannten prototypischen Merkmale lassen sich nach Beziehungsklassen zum Lemma (z. B. nach Eigenreferenz »beeigenschaftende Merkmale« und Fremdreferenz »affizierende und effizierende Merkmale«) strukturieren.20 Dieses Vorgehen gewährt eine bessere Vergleichbarkeit von Sem(em)en. Die Darstellung des semantischen Wandels erscheint damit nicht mehr, wie früher oftmals, vom »intuitiven« Sprachverständnis des einzelnen Forschers abhängig. Zugleich werden Tendenzen im Sprachwandel sichtbar, die sprachtypologische und universale Aussagen zulassen. So zeigt sich nach der Untersuchung der Wortfelder »Körper«,21 »Haus und Hausrat« / »Essen« / »Kleidung«22 sowie »Familie« / »Gesellschaft« / »Recht«,23 dass die Kippeffekte24 bei Metaphern im Allgemeinen bei den prototypischen Merkmalen zu suchen sind.


Das Auftreten mehrerer Bedeutungen bei einem Wort, die sogenannte Polysemie, wird bei etymologischen Untersuchungen nur selten beachtet.25 Daher ist die Einbindung des jeweiligen Wortes in seinen Kontext besonders wichtig. Dies wird im Projekt durch die Erfassung von Kollokationen, d. h. festen Wortverbindungen, mit Adjektiven, Verben und Präpositionen usw. gewährleistet (vgl. dazu Beispiel 4).


Beispiel 4: Amt

a) Älteres Neuhochdeutsch26
BEDEUTUNG WORTFELD TEILWORTFELD
»Umfang derjenigen Obliegenheiten, wozu jemand von einem Höhern angewiesen ist«: Seinem Amte ein Genüge thun, demselben nachkommen, wohl vorstehen. Das ist mein Amt, mein Amt bringt es so mit sich. Das ist meines Amtes nicht […]. Einem in sein Amt greifen […]. Von Amts wegen […]. Gesellschaft Pflicht
»einzelne Verpflichtungen und Befugnisse zu gewissen Verrichtungen in dem gesellschaftlichen Leben«: ein Amt auf oder über sich nehmen, des andern Amt verrichten. Einem ein Amt, (eine einzelne Verrichtung) auftragen. Gesellschaft Pflicht
(Theologie) »Mittleramt Christi, wozu dessen prophetisches, hohepriesterliches und königliches Amt gerechnet wird.« Religion Christentum
»damit verbundene Würde und Vortheile«: Ein geistliches, weltliches, obrigkeitliches, öffentliches Amt. Ein ansehnliches, mittelmäßiges, einträgliches Amt. […] Nach einem Amte streben, ein Amt suchen, sich um ein Amt bewerben, um ein Amt anhalten. Ein Amt bekommen, erhalten. In ein Amt kommen. In einem Amte sitzen. Ein Amt verwalten, bekleiden. Ein Amt antreten. Er stehet schon zehen Jahre in einem öffentlichen Amte. Ein Amt niederlegen. Einen seines Amtes entsetzen. Das Amt ist erlediget. Ein Amt eingehen lassen. […] Es ist kein Amt so klein, das nicht den Galgen verdienet. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Das Amt macht wohl satt, aber nicht allemahl klug. Gesellschaft gesellschaftliche Stellung
»[i]n der protestantischen Kirche das Predigtamt, welches im gemeinen Leben auch nur schlechthin das Amt genannt wird«: In das Amt kommen. […] Religion Stellung innerhalb einer Religions
gemeinschaft
»verschiedene gottesdienstliche Amtsverrichtungen«: […] das Amt halten, oder singen […]. Das Amt der Schlüssel […]. Religion religiöse 
Handlung
»Handhabung der Rechtspflege, und die Verwaltung der landesherrlichen Einkünfte eines Ortes oder einer Gegend, und eine solche Gegend selbst.« Gesellschaft Verwaltung
»Wohnung des Vorgesetzten eines solchen Amtes« Haus
»Collegium gewisser zu einer Verrichtung bestimmter Personen« Gesellschaft Gemeinschaft (zu einem bestimmten Zweck)
»Gebäude, wo selbige ihre Sitzungen halten« Haus
»Innungen alter und zahlreicher Handwerker, welche einige besondere Vorrechte genießen, zum Unterschiede von den schwächern und geringern Zünften, welche nur Werke oder Gilden genannt werden«: 
Das Amt berufen […]. In das Amt freyen […]. Gesellschaft Gemeinschaft (zu einem bestimmten Zweck)
»Werkstätte eines Handwerksmannes« Wirtschaft

So ergibt sich für das Ältere Neuhochdeutsche folgende Übersicht für die Bedeutungen des Wortes Amt:

denkstroeme-heft16_beitraege_bock_ziegler_1.png

b) Neuhochdeutsch27
BEDEUTUNG WORTFELD TEILWORTFELD
»offizielle Stellung (in Staat, Gemeinde, Kirche u. Ä.), die mit bestimmten Pflichten verbunden ist; Posten«: ein geistliches, öffentliches A.; das höchste A. im Staat; ein A. übernehmen, verwalten, antreten, ausüben, bekleiden, innehaben; sein A. niederlegen; jmdn. aus einem A. entfernen; für ein A. kandidieren; [noch] im A. sein; sich um ein A. bewerben; *in A. und Würden Gesellschaft gesellschaftliche Stellung
»Aufgabe, zu der sich jmd. bereit gefunden hat; Obliegenheit, Verpflichtung«: ihm wurde das schwere A. zuteil, diese Nachricht zu überbringen; […] *seines -es walten Gesellschaft Pflicht
»Behörde, Dienststelle«: A. für Denkmalpflege, für Statistik; in einem A. vorsprechen; […] *Auswärtiges A. […]; von -s wegen Gesellschaft Verwaltung
»Gebäude, Raum, in dem ein Amt […] untergebracht ist«: das A. betreten Haus
»(veraltend) Telefonamt; Amtsleitung«: das A. anrufen; bitte A. (eine Amtsleitung)!; das Fräulein vom A. […] Technik
»Gemeindeverband in einigen Bundesländern« Gesellschaft Verwaltung
»(kath. Kirche) Messe mit Gesang (des Priesters u. des Chors)«: ein A. halten, besuchen; einem A. beiwohnen […] Religion religiöse Handlung

Im Gegenwartsdeutschen sind dagegen folgende Bedeutungen des Wortes Amt belegt, in den dunkler markierten Wortfeldern sind semantische Änderungen angezeigt:

denkstroeme-heft16_beitraege_bock_ziegler_2.png

Die Kollokation ein Amt bekleiden schließt zum Beispiel die Lesart »religiöse Handlung« ebenso aus wie die Lesart »Gebäude, das mit einem Amt verbunden ist«. Aber natürlich gibt es zwischen den einzelnen Bedeutungen Assoziationen, die auch eine Zuweisung an ein jeweils anderes Wortfeld nicht ausschließen.

Durch Assoziationen einzelner semantischer Merkmale können Wörter aber nicht nur innerhalb ihres Wortfeldes interagieren, sondern auch aus ihrem angestammten Wortfeld heraus in andere Wortfelder übergehen, wie Beispiel 4 mit den vielfältigen Bedeutungen von Amt zeigte. Ein solcher Übergang kann auch vollständig sein (vgl. Beispiel 5).


Beispiel 5

Im Gegenwartsdeutschen hat Kopf inzwischen nur noch die Bedeutung »Kopf«, die ursprüngliche Bedeutung »Schale, Becher, Tasse« ist dem Simplex völlig verloren gegangen und erscheint nur noch in dem Kompositum Schröpfkopf »kleines Gefäß für den Aderlass«. Die Betrachtung der Sprachgeschichte vom Althochdeutschen bis zum Gegenwartsdeutschen zeigt, dass die Bedeutung »Schale, Becher, Tasse« des Simplex Kopf in dieser Zeit kontinuierlich abnimmt, die übertragene Bedeutung »Kopf«, die sich in einer pars-pro-toto-Relation aus »Hirnschale« entwickelt hat, dagegen zunimmt:28

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Häufiger finden sich aber Bedeutungsaufspaltungen wie in den Beispielen 1 und 2.29 Die Beobachtung solcher Erscheinungen gibt Aufschluss über die Denkweise des menschlichen Gehirns in den Bereichen der Sprache und über die kognitive Strukturierung der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Die Wortfeldetymologie ist daher eine Basis für die kognitive Linguistik einerseits und die Neurolinguistik andererseits. Hierher gehören auch Analysen der Kollokationen, die z. B. Aufschluss über Veränderungen in der Wahrnehmung von Bewegungen und Lokalisationen zeigen (vgl. Beispiel 6).


Beispiel 6

neuhochdeutsch am Fenster sitzen vs. älteres neuhochdeutsch im Fenster sitzen,30

oder die häufig auftretende Verwechslung von Iris »farbige Regenbogenhaut des Auges« und Pupille »Sehloch; von der Regenbogenhaut umgebene, schwarze Lichteinfallsöffnung«, die sich deutlich in den Adjektivkollokationen mit dem Merkmal <Farbe> zeigt.


Beispiel 7: Interaktion zwischen Iris und Pupille


»Beim werbenden Männchen werden dagegen die Bauchseiten und die Flanken in ein feuriges Rot gehüllt, der Rücken ist zart hellgrün, die Iris der Augen ist himmelblau31

»Um seine blassen Lippen zuckte ein leises Lächeln, seine schwache Hand versuchte, die meine zu umschließen, die Lider deckten sekundenlang die stahlblauen Pupillen, – dann zuckten sie schreckhaft wieder empor.«32

Die Pupille ist in der Regel schwarz, falls sie nicht durch eine Krankheit wie z. B. Leukokorie verändert ist; die Iris kann bei Tieren und Menschen dagegen ganz verschiedene Farben aufweisen. Der Beleg stahlblaue Pupillen zeigt, dass hier eine Vermischung oder Verwechslung der beiden Begriffe, ausgelöst durch das unmittelbare Nebeneinander von Pupille und Iris, stattgefunden hat.


Zusammenfassend ist noch einmal festzuhalten, dass mit der Wortfeldetymologie der komplex vernetzte Wortschatz unter zwei Aspekten erfasst wird: mit linguistischer Genauigkeit und mit der Wiedergabe aller Relationen. Sowohl das Grundkonzept der Wortfeldetymologie als auch die Datenbank gehen weit über bisherige Formen der Wort- und Begriffsanalyse hinaus. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass sprachwirkliche – kognitiv verankerte – 
Beziehungen zwischen verschiedenen Wörtern ab gebildet werden. 


Beispiel 8 (siehe auch Beispiel 1)


Eine vollständige Bedeutungsveränderung ist bei dem Wort Zimmer im Deutschen eingetreten. Das althochdeutsche zimbar zeigt folgende Bedeutungen: »(Bau-)Stoff, Bauholz; Bau, Gebäude«. Erst im Frühneuhochdeutschen taucht die heutige Bedeutung »Wohnraum« auf. Die alten Bedeutungen »Bauholz, Baustoff« finden sich noch bis ins 18. Jahrhundert im Hochdeutschen und teilweise noch länger in den Mundarten. Der semantische Übergang ist durch zwei Auslöser zustande gekommen: Zum einen liegt eine metonymische Übertragung im Frame »Haus« vor, bei der die Benennung eines einzelnen Teils zur Bezeichnung für das Ganze verwendet wird. Im Frame »Haus« finden wir in ähnlicher Weise auch Dach »Haus«. Diese metonymische Übertragung ist die häufige Konzeptmetonymie TEIL-GANZES.33 Zum anderen spielt hier ein kulturgeschichtliches Faktum eine Rolle: Das Konzept »Haus« mit seinen Merkmalen und Meronymen hat sich in zweierlei Hinsicht verändert. Einerseits haben wir eine Entwicklung vom Ein-Raum-Haus hin zum Haus mit mehreren Räumen, was andererseits zu der Entwicklung des Ofens für den Wohnraum führt, woraus sich die Opposition Stube (<HAT: Ofen>) vs. Kammer (<HAT: kein Ofen>) ergibt. Mit der Einführung der modernen Heizungen für alle Räume im 20. Jahrhundert wird diese Opposition jedoch bis auf wenige Reste obsolet.

Was nun die Untergliederung von Wortfeldern angeht, so könnte man eine solche zwar wie in der Fachsprache der Technik vornehmen. Für das Wortfeld »Material« würde das heißen, dass man stets die neueste technische Entwicklung berücksichtigen muss. Schließlich kann man z. B. mit Rasterelektronenmikroskopen einzelne Moleküle erkennen; durch physikalische Untersuchungsanlagen wie CERN in Genf lassen sich sogar die subatomaren Bestandteile Elektron, Proton, Neutron sowie die verschiedenen Arten von Quarks, Leptonen, Higgs-Bosonen, Eichbosonen und Gluonen unterscheiden. Aber macht es Sinn, in jedem Wortfeld, das Materielles zum Inhalt hat, so weit zu gehen? Gewiss nicht, denn eine solche Feinstgliederung entspricht nicht der menschlichen Kognition. Da in dem vorliegenden Projekt der Mensch, seine Perzeption und seine Wahrnehmungsfähigkeiten im Mittelpunkt stehen, kann eine Untergliederung bis in die kleinsten Teilchen nicht sinnvoll sein. Die unterste Ebene bilden daher im Allgemeinen die Lemmata, die die Sprecher einer Sprache als Basiswörter empfinden.34

Zwei Aspekte sind hier des Weiteren zu berücksichtigen: 


Zum einen gelten die oben dargestellten Prinzipien der Einteilung vor ­allem für die stofflichen Dinge. Da letztlich alle diese stofflichen Dinge auf den kleinsten physikalischen Teilchen aufgebaut sind, würde, wie gerade dargelegt, eine Feinstgliederung den Wortfeldbegriff ad absurdum führen, wenn sich alles Stoffliche auf ein einziges Wortfeld eben dieser kleinsten physikalischen Teilchen zusammenführen ließe. Diese Erkenntnisse wurden zudem im Wesentlichen35 erst im 20. und 21. Jahrhundert gewonnen; eine diachrone Betrachtung des Wortfeldes wäre darum nicht möglich. Außerdem widerspricht die Feinstgliederung der allgemeinen menschlichen Wahrnehmung, und selbstverständlich wird diese Form des Spezialwissens auch nicht von der gesamten Menschheit geteilt.


Zum anderen gibt es Wortfelder für Abstraktes: beispielsweise für Gefühle und Emotionen,36 aber auch für Handlungen und Sachverhalte. Das sind Kontinuitiva, die nicht weiter unterteilt werden können. Häufig sind solche Abstrakta durch die Wortbildung gekennzeichnet (vgl. z. B. das Suffix ‑heit/‑keit,das Abstrakta zu Adjektiven bildet). Das gilt nun sowohl für das Gegenwartsdeutsche wie auch für das weit zurückliegende Urindogermanische. Begriffe wie »Liebe« oder »Hass«, »Trauer«, »Wut« oder »Freude« kann man kaum weiter unterteilen. Wortfelder im Bereich der Abstrakta sind daher weniger fein aufgefächert als stoffliche Dinge, die eine genauere taxonomische Gliederung erlauben. Letztlich befinden wir uns auch bei diesen abstrakten Begriffen wieder auf der Basisebene, dem basic level.


Dass der Gedanke des Wortfeldes nicht eine »Erfindung« des 20. Jahrhunderts ist, sondern in der menschlichen Kognition ankert, zeigen Sprachen, die die Konzepte der Wortfeldgliederung zumindest teilweise auch ausdrucksseitig berücksichtigen – dies geschieht selbstverständlich unbewusst, zeigt aber, dass im Gehirn eine solche Gliederungsmöglichkeit biologisch angelegt ist. Zu diesen Sprachen gehören unter anderem die Bantusprachen wie etwa Swahili, das sogenannte Klassenpräfixe für bestimmte Nominalklassen verwendet. Diese Klassenpräfixe erscheinen im morphologischen Verbund und sind dann typisch für je eine bestimmte Klasse. So bezeichnen etwa Wörter, die im Singular mit m- (1. Klasse) und im Plural mit wa- (2. Klasse) beginnen, menschliche Wesen, z. B. mtoto »Kind«, watoto »Kinder«. Dabei werden die Klassenpräfixe auch bei den jeweils kongruierenden Pronomina, Adjektiven und Verben verwendet, z. B. wa-tu (2. Klasse Plural »Mensch«) wa-refu (2. Klasse Plural »groß«) wa-wili (2. Klasse Plural »zwei«) wa-na-ingia (2. Klasse Plural Präsens »hineingehen«) nyumba-ni (»Haus-in«) »zwei große Menschen gehen ins Haus«.37

In schriftlicher – aber wahrscheinlich nicht gesprochener – Form bieten auch die keilschriftlich geschriebenen Sprachen wie Hethitisch ähnliche Erscheinungen. Im Hethitischen wird durch meist aus der sumerischen Sprache stammende sogenannte Determinative, die den einzelnen Wörtern vorangestellt werden, oftmals die Zugehörigkeit zu einem Wortfeld oder einem Teilwortfeld als wichtiges Gliederungsprinzip ausgedrückt, vgl. z. B. die sumerischen Determinative GIŠ »Holz« oder LÚ »Mann«. Im Text erscheinen sie so: GIŠhapūti- »Stuhl« und westara- »Hirte«, wobei die Determinative nicht mitgesprochen wurden.38 Interessanterweise halten aber Sprachen oft nicht mit technischen Neuerungen mit: Hethitische Werkzeuge und andere Gegenstände, die nicht vollständig oder gar nicht (mehr) aus Holz sind, werden ebenfalls mit GIŠ »Holz« determiniert, z. B. GIŠarimpa- »Bronzegerät im Ritual«. Dies zeigt, dass die Klassifikation durch Determinative im Laufe der Zeit petrifiziert wurde und logische Inkonsistenzen in Kauf genommen wurden; hier scheint einerseits eine etablierte Tradition stärker gewesen zu sein als eine sachlich gerechtfertigte Anpassung (selbstverständlich wurden die sumerischen Determinative von den gebildeten akkadischen und hethitischen Schreibern noch verstanden), andererseits haben hier Umdeutungen und Lexikalisierungen stattgefunden, etwa von sumerisch GIŠ »Holz« ˃ »Werkzeug, Gerät« (unabhängig vom Material).39

Die Begriffe »Wandel« und »Veränderung«, die gewissermaßen zur Prototypikalität des Terminus Wortfeldetymologie gehören, implizieren immer einen diachronen Prozess. Deswegen kann eine rein synchrone Untersuchung von vornherein keine Ergebnisse zeitigen.


Wie die Beispiele zeigen, führt die Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext zu zahlreichen neuen und vertieften Erkenntnissen in Bezug auf die Sprachstufen des Deutschen und davor. Mit dem Projektfortschritt kann daraus ein Regelsystem semantischen Wandels zusammengefügt werden: ein »Tool« von Regeln oder zumindest Tendenzen des Bedeutungswandels und der Motivation von Wortbildung, das für die Rekonstruktion verwendet werden kann und muss. Bei sorgfältiger etymologisch und philologisch genauer Untersuchung von Wörtern können die in diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse helfen, die lautliche und morphologische Rekonstruktion durch die Semantik zu unterstützen. Zugleich erlaubt die Wortfeldetymologie einen Einblick in ­kognitive Vorgänge beim Sprachwandel, beginnend bei Benennungsmotiven bis hin zu Metaphorisierungen u. a. Mitunter kann die Sprache dann auch Hinweise auf gesellschaftliche Gegebenheiten und Veränderungen geben, die mit anderen Mitteln nicht erkennbar sind.

  1. 1Internetpräsenz: http://www.dwee.eu/ und http://www.dwee.uni-jena.de/.
  2. 2Zur Definition von »Konzept« und zum Beispiel Fuß vgl. Bettina Bock, »Das Wortfeld ›Der Mensch und sein Körper‹«, in dies., Susanne Zeilfelder und Sabine Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext. Bd. 1: Der Mensch und sein Körper, Wiesbaden 2012, S. 77–134, hier S. 81 f.


  3. 3Siehe beispielsweise die amerikanischen Projekte FrameNet und Wordnet und die europäischen Projekte EuroWordNet und Germanet:  https://framenet.icsi.berkeley.edu/
fndrupal/, http://wordnet.princeton.edu/, http://www.illc.uva.nl/EuroWordNet/, http://www.sfs.uni-tuebingen.de/lsd/ (26.11.2015).
  4. 4Zum Beispielwort Fuß finden sich im FrameNet unter dem Stichwort foot etwa folgende Angaben, die zugleich auf andere Begriffe und Relationen verweisen: »COD: the lower extremity of the leg below the ankle, on which a person or animal stands or walks. Governor(s): move. […] Incorporated FE: Body_part«, https://framenet2.icsi.berkeley.edu/fnReports/data/lu/lu2404.xml?mode=lexentry (30.12.2015).
  5. 5Vgl. zu dieser Gleichsetzung Rosemarie Lühr, Neuhochdeutsch, München 1986, S. 248 ff.

  6. 6
Eine Zwischenstellung nehmen Affen ein. Einerseits findet man oft den Ausdruck »Affenhand«: »Sie [die Affen] bringen die Nahrung mit den Händen oder dem Greifschwanze zum Munde« (Art. »Affen«, in Meyers Konversationslexikon, Bd. 1, Leipzig/Wien 1902, Sp. 127–129, http://www.woerterbuchnetz.de/Meyers?lemma=affen (9.2.2016), hier Sp. 127). Laut Wikipedia gehören sie nicht zu den Tieren, die Pfoten besitzen: »Als Pfote werden die Enden der Extremitäten bei vielen landlebenden Säugetieren, mit Ausnahme der Huftiere und Primaten, bezeichnet.«, http://de.wikipedia.org/wiki/Pfote, (26.11.2015). Andererseits gibt es sie doch, die »Affenpfote«: »Der Leibaffe erhält zwar einen Schlag auf die schmutzigen Pfoten, weil er die hellen Beinkleider des Besuchenden befleckt – dafür giebt ihm aber die Dame nachher gewiß Zuckerbrod und schmeichelt ihm wie einem Kinde.« (Karl August Heinrich Hoffmann, Unentbehrliches Galanterie-Büchlein für angehende Elegants, Mannheim [1827], S. 131, nach zeno.org); »Goethe war sich in der Tat nicht zu schade für den Hinweis: ›Die Pfoten der Affen dürfen nicht schlottern.‹« (Manfred Osten, »Schlotternde Affenpfoten. Unterschätzt: Goethes gesammelte Schriften zur Theaterpraxis«, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.5.2006, S. 40, http://www.faz.net/-gr3-skef (18.3.2016)).
  7. 7Vgl. dazu auch den Beitrag von Susanne Zeilfelder, »Indogermanistische Etymologie im ProjektDeutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext«, in Denkströme 2 (2009), S. 102–116, http://denkstroeme.de/heft-2/s_102-116_zeilfelder (26.11.2015).

  8. 8Weiteres bei Sabine Ziegler, »Das Wortfeld ›Recht‹«, in Bettina Bock, Susanne Zeilfelder und dies., Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext. Bd. 3: Mensch und Mitmensch, Wiesbaden 2015, S. 223–338, bes. ab S. 246 ff.

  9. 9Vgl. Benjamin Lee Whorf, der 1939 den Begriff »Standard Average European« (SAE) prägte (Language, Thought, and Reality. Selected Writings of Benjamins Lee Whorf, hg. von John B. Carroll, Cambridge, Mass. 1956, S. 138) oder das EUROTYP-Projekt, https://www.eva.mpg.de/lingua/tools-at-lingboard/tools.php (27.11.2015) und Kritiken wie von Jeroen Van Pottelberge, »Sprachbünde: Beschreiben sie Sprachen oder Linguisten?«, in Linguistik-online 8/1 (2001), http://dx.doi.org/10.13092/lo.8.978 (27.11.2015).

  10. 10Europäismen werden dabei nicht als exklusiv in Europa verbreitete Wörter und Wortverbindungen angesehen. Viele Europäismen weisen historisch über Europa hinaus, sowohl solche der griechisch-römischen Antike, als auch jüdisch-christlich fundierte Europäismen sowie schließlich Wörter, die mit der Erschließung außereuropäischer Länder in der Neuzeit und der modernen Globalisierung verbunden sind. Besonders deutlich wird dies beim umfangreichen Lehnvokabular im Bereich der Nahrungsmittel. Vgl. Susanne Zeilfelder, »Das Wortfeld ›Nahrung‹«, in Bettina Bock, dies. und Sabine Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext. Bd. 2: Der Mensch im Alltag, Wiesbaden 2013, S. 337–414.
  11. 11Vgl. Konrad Schröder, »Zur Problematik von Sprache und Identität in Westeuropa. Eine Analyse aus sprachenpolitischer Perspektive«, in Sociolinguistica 9 (1995), S. 56–66 (zu Englisch als »Euro-Sprache«); vgl. auch Manfred Görlach, »Englisch als neuer Typ von Weltsprache und europäische Nationalsprachen«, in Werner Besch u. a. (Hg.), Sprachgeschichte: ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, Teilbd. 2.2, Berlin u.a. 2000, Sp. 1117–1123.
  12. 12»Deutsch ist die Muttersprache von 90 Millionen Menschen – das entspricht 18 % der EU-Bevölkerung – und ist somit die meistgesprochene Sprache in der Europäischen Union. Jeweils 60 bis 65 Millionen Menschen sprechen Englisch, Italienisch bzw. Französisch als Muttersprache (12 bis 13 % der Unionsbevölkerung). Englisch wird von schätzungsweise 38 % der EU-Bürger als erste Fremdsprache gesprochen. Damit liegt es deutlich vor Deutsch und anderen Sprachen und stellt die am meisten verbreitete Sprache der ­Europäischen Union dar. Etwa 14 % der EU-Bürger beherrschen entweder Französisch oder Deutsch als erste Fremdsprache.« Europäische Kommission, Viele Sprachen für ein Europa. Sprachen in der Europäischen Union, 2008, S. 5, http://bookshop.europa.eu/de/viele-sprachen-fuer-ein-europa-pbNAAB08127/ (24.3.2016).
  13. 13Vgl. u. a. Art. »Zimmer«, in Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 31, Sp. 1294, http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=zimmer (29.3.2016): »Teurdank der gieng in sein zimmer MAXIMILIAN Teuerdank [1517] 121 Goedeke«.

  14. 14Älter ist allerdings die Entwicklung zum Holonym »Haus«, vgl. die althochdeutsche Glossierung vonzimbar durch lateinisch aedēs, ‑is f. und aedificium, ‑ī n., die beide die Bedeutung »Haus« haben. Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass die Bedeutung »Zimmer« als Meronym zum Holonym »Haus« aufkam.


  15. 15Weiteres zu den hier besprochenen Wörtern bei Bettina Bock, »Pragmatischer Wandel als Teil der Wortfeldetymologie«, in Peter Ernst und Martina Werner (Hg.), Linguistische Pragmatik in historischen Bezügen, Berlin u. a. 2016, S. 117–130.
  16. 16Vgl. dazu auch Sabine Ziegler, »Das Wortfeld ›Kopf, Hals und Sinnesorgane‹, in Bock, Zeilfelder und Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie Bd. 1 (Fn. 2), S. 226–304, hier S. 291 f.

  17. 17Möglicherweise wurde der Anlautwechsel bei Auge statt *Age noch durch unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Kasus unterstützt; ebd. S. 291 f.
  18. 18Z. B. in Ulrich Ammon, Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: das Problem der nationalen Varietäten, Berlin 1995, S. 169, vgl. auch Susanne Fröhlich, Frisch gemacht!, Frankfurt a. M. 2009, S. 38: »Devotes Winseln, Bitteln und Betteln um einen Minutenauftritt als Getränkeboy«.
  19. 19Zu nennen sind hier beispielsweise Andreas Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, Tübingen 2001; Anne Kimmes, Exploring the Lexical Organization of English. Semantic fields and their Collocational Ranges, Trier 2009; Joachim Grzega, Bezeichnungswandel: Wie, Warum, Wozu? Ein Beitrag zur englischen und allgemeinen Onomasiologie, Heidelberg 2004. Grundlegend ist ferner die Prototypentheorie.


  20. 20Vgl. dazu Bock, »Das Wortfeld ›Der Mensch und sein Körper‹« (Fn. 2), S. 82 f.

  21. 21Vgl. Bock, Zeilfelder und Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie Bd. 1 (Fn. 2).
  22. 22Vgl. Bock, Zeilfelder und Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie Bd. 2 (Fn. 10).

  23. 23Vgl. Bock, Zeilfelder und Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie Bd. 3 (Fn. 8).
  24. 24Der Kippeffekt beschreibt das Assoziationsmoment, das zur Übertragung führt.
  25. 25Vgl. zum theoretischen Hintergrund schon Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Berlin / New York 1995, v. a. Kap. 4: »Wandel der Wortbedeutung« mit der Unterscheidung von usuellem und okkasionellem Gebrauch.
  26. 26Bedeutungsangaben und Kollokationen nach Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Leipzig 1793–1801, elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand, Berlin 2004, http://www.woerterbuchnetz.de/Adelung?lemma=amt (5.4.2016).

  27. 27Bedeutungsangaben und Kollokationen nach Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.), Duden – Das große Wörterbuch, Mannheim 2000, CD-ROM auf der Basis der 3., völlig neu bearb. und erw. Auflage der Buchausgabe in 10 Bden. (1999).


  28. 28Genaueres bei Ziegler, Das Wortfeld ›Kopf, Hals und Sinnesorgane‹ (Fn. 16), S. 279. Die Abkürzungen stehen für: Ahd. = Althochdeutsch (ca. 750–1080), Mhd. = Mittelhochdeutsch (ca. 1080–1350), Frnhd. = Frühneuhochdeutsch (1350–ca. 1600), Änhd. = Älteres Neuhochdeutsch (ca. 1600–1900), Nhd. = Neuhochdeutsch (ab 1900).

  29. 29Vgl. auch die Bedeutungsvielfalt bei Auge: Aufgrund des Merkmals <IST: rundlich> wurde das Wort Auge schon ab althochdeutscher Zeit für die »Knospen von Pflanzen«, die »Augen auf dem Würfel« und, auch wegen des zusätzlichen Merkmals <IST: glänzend>, für »(Fett-)Augen auf der Suppe« verwendet. Neuere Assoziationen sind etwa »Auge des Sturms« für das windstille Innere eines Hurrikans aufgrund des Merkmals <HAT: rund­liche Form> sowie die pars-pro-toto-Übertragung »Auge des Gesetzes« für einen Polizisten nach der Funktion <FUNKTION: sehen>. Ausführlicher dazu Ziegler, Das Wortfeld ›Kopf, Hals und Sinnesorgane‹ (Fn. 16), S. 287 f.
  30. 30Mehr zu Veränderungen bei den Kollokationen dieses Typs siehe Bettina Bock, »Das Wortfeld ›Haus‹«, in Bock, Zeilfelder und Ziegler, Deutsche Wortfeldetymologie Bd. 2 (Fn. 10), S. 52 f.
  31. 31Belegstelle laut DWDS-Kernkorpusabfrage: Wolfgang von Buddenbrock, Das Liebesleben der Tiere, Bonn 1953, http://www.dwds.de/?view=1&qu=Iris (5.4.2016).

  32. 32Belegstelle laut DWDS-Kernkorpusabfrage: Lily Braun, Memoiren einer Sozialistin, München 1911, http://www.dwds.de/?view=1&qu=Pupille (5.4.2016). Weitere Belege unter http://dwee.eu/Iris/Wortfeld/Gegenwartsdeutsch/Kollokationen/Mit_Attributen (5.4.2016) und http://dwee.eu/Pupille/Wortfeld/Gegenwartsdeutsch/Kollokationen/Mit_Attributen (5.4.2016).
  33. 33In der Rhetorik ist diese Übertragung alspars-pro-toto-Stilmittel bekannt.
  34. 34Zum Problem der Basiswörter und dembasic level vgl. auch Bock, »Das Wortfeld ›Der Mensch und sein Körper‹« (Fn. 2), S. 97–99.
  35. 35Auf reiner Überlegung basiert beispielsweise die átomos-Theorie des Griechen Demokritos, die dieselbe Grundidee zeigt. Vgl. dazu Rudolf Löbl, Demokrits Atomphysik, Darmstadt 1987.
  36. 36Die Erklärung von Emotionen und Gefühlen ist nach wie vor umstritten. Vgl. dazu z. B. die Diskussion bei Ulrich Mees, »Zum Forschungsstand der Emotionspsychologie − eine Skizze«, in Rainer Schützeichel (Hg.), Emotionen und Sozialtheorie, Frankfurt a. M. 2006, S. 104–123.
  37. 37Alle Beispiele stammen aus Beat Wandeler, Lehrbuch des Swahili für Anfänger, Hamburg 2005.
  38. 38Eine Tabelle mit den wichtigsten sumerischen Determinativen findet sich in Harry A. Hoffner und H. Craig Melchert, A Grammar of the Hittite Language. Part 1: Reference Grammar, Winona Lake 2008, S. 21.

  39. 39Vergleichbare Fälle von Lexikalisierung durch technische Neuerungen sind etwa neuhochdeutsch Plombe »Zahnfüllung« ˂ lateinisch plumbum »Blei« (durch seine Weichheit und leichte Formbarkeit gut geeignetes Metall) oder neuhochdeutsch Feder »mit Tinte schreibender Stift« deren Lexikalisierung und Bedeutungsveränderung in Komposita wie Gold-, Keramikplombe »Zahnfüllung aus Gold bzw. Keramik« und Blei-, Goldfeder »Schreibgerät mit Schreibspitze aus Blei bzw. Gold« sichtbar wird, vgl. dazu auch Art. »Feder« und »Plombe«, in Wolfgang Pfeifer (Hg.), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin 1993, online: http://www.dwds.de/?view=1&qu=Feder und http://www.dwds.de/?view=1&qu=Plombe (5.4.2016). Ein weiteres Beispiel aus dem Deutschen ist der Fahrstuhl, heute im allgemeinen Sprachgebrauch vor allem eine »Kabine, in der Personen Höhenunterschiede (oft in Form von Stockwerken) überwinden«, im Älteren Neuhochdeutschen aber neben Fahrsessel zum einen Bezeichnung für eine Art »Rollstuhl«,zum anderen eine Art »Lift in Stuhlform zum Überwinden von Höhenunterschieden ohne Treppe« (vgl. Adelung (Fn.26), Art. »Fahrsessel«, http://www.woerterbuchnetz.de/Adelung?lemma=fahrsessel (30.12.2015).

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Heft 16 (2016)
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