Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Der karolingische Garten Hortulus theodiscus und 
das Althochdeutsche Wörterbuch

Abb. 1: Der Hortulus theodiscus (August 2016). Abb. 1: Der Hortulus theodiscus (August 2016).

Im Frühjahr 2016 hat die Arbeitsgruppe des Vorhabens Althochdeutsches Wörterbuch mit viel privatem Engagement im Hof der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig einen kleinen Garten angelegt, der anlässlich der Langen Nacht der Wissenschaften am 24. Juni 2016 feierlich eröffnet wurde.1 Er soll mehr als eintausend Jahre zurückführen in eine Zeit, in der auch die Anfänge der Überlieferung der deutschen Sprache liegen. Diese Anfänge werden im Althochdeutschen Wörterbuch, einem groß angelegten Langzeitprojekt der Sächsischen Akademie, lexikografisch erschlossen. Derzeit wird am siebenten Band bzw. an den Wortstrecken zu Q und R gearbeitet.2 Über die Begleitmaterialien zum Garten und insbesondere zu den mittelalterlichen Pflanzennamen soll interessierten Besuchern ein erster Einblick in den Forschungsgegenstand des Wörterbuchvorhabens3 eröffnet werden.


Das Althochdeutsche Wörterbuch erfasst mit dem Anspruch der Vollständigkeit das gesamte in Texten und Glossen des 8. bis 11./12. Jahrhunderts überlieferte Wortgut. Die Pflanzennamen nehmen innerhalb dieses Korpus einen erstaunlich hohen Anteil ein. Ihre lexikografische Bearbeitung geht mit einer Fülle von Problemen einher: Wie in anderen Sprachen auch, kann ein und dieselbe Pflanze je nach Dialekt und Zeitstufe viele verschiedene Namen haben. Und umgekehrt können ganz verschiedene Pflanzen durch ein und denselben Namen bezeichnet sein. Hinzu kommt die fast vollständig vom Lateinischen abhängige Bezeugung des althochdeutschen Wortschatzes, sodass die angestrebte Identifizierung der genannten Pflanze nach der wissenschaftlich-botanischen Nomenklatur auf der Basis der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel eine echte Herausforderung darstellt.4

Pflanzennamen finden sich schon in der ältesten Textüberlieferung des Deutschen. Dazu gehören zum Beispiel die sogenannten Fuldaer (Basler) Rezepte gegen Epilepsie vom Ende des 8. oder Beginn des 9. Jahrhunderts.5 Das zweite der insgesamt drei Rezepte beschreibt die Zubereitung eines Tranks, dem eine Reihe pflanzlicher Zutaten zugesetzt werden, zum Beispiel murra ›Myrrhe‹, peffur ›Pfeffer‹, seuina ›Sadebaum‹, fenuhal ›Fenchel‹ und pipoz ›Beifuß‹. Auch weramote ›Wermut‹ und antar ›Andorn‹ werden genannt.


Viel häufiger als in fortlaufend geschriebenen deutschen Texten finden sich Pflanzennamen in der Glossenüberlieferung. Ein Beispiel für eine Textglos­sierung stammt aus Walahfrid Strabos Gedicht über den Gartenbau, auf das noch zurückzukommen sein wird. Das Gedicht wird De cultura hortorum oder auch Hortulus genannt. Walahfrid Strabo war im 9. Jahrhundert Abt auf der Reichenau (838–849) und beschreibt darin detailliert die Anlage eines klösterlichen Gartens mit seinen Pflanzen. Einen der wenigen Überlieferungsträger dieses Zeugnisses besitzt die Leipziger Universitätsbibliothek mit der Handschrift Rep. I. 53 aus dem 10. Jahrhundert. Diese Handschrift enthält zugleich auch wertvolle althochdeutsche Glossen, die im Althochdeutschen Wörterbuch ausgewertet und dokumentiert werden. Die 18. Strophe des Walahfridschen Gedichts handelt von der Minze. Sie beginnt mit den Worten: »nec mihi defuerit vulgaris copia mentae multa per et genera et species diversa colores que et vires.«6 Übersetzt lautet die Stelle: ›Möge mir niemals ein Vorrat an gewöhnlicher Minze fehlen, dieso verschieden nach Sorten und Arten, nach Farben und Kräften ist‹. Das lateinische Wort menta, das hier im Genitiv mentae steht, ist mit dem althochdeutschen Wort minzzun übersetzt (siehe Abb. 2).7 Der weitere Text verrät einige Anwendungsmöglichkeiten der Minze als Heilmittel: So gäbe es eine Art, die gut gegen Heiserkeit sei. Und überhaupt seien die Anwendungsmöglichkeiten der Minze so zahlreich, dass man sie genauso wenig zu nennen vermöge wie die Zahl der Fische, die im Roten Meer schwimmen, oder die Zahl der Funken, die der Vulkan Ätna aus seinen riesigen Essen in die Lüfte empor
schicke.


Abb. 2: Beginn der »Minze«-Strophe des Hortulus-Gedichts. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. I. 53, f. 7r. Abb. 2: Beginn der »Minze«-Strophe des Hortulus-Gedichts. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. I. 53, f. 7r.

Ein drittes Beispiel stammt aus der kommentierenden Übersetzung der Psalmen durch den berühmten St. Galler Mönch Notker III. (ca. 950–1022), die in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts überliefert ist. Zum Psalmvers 45,9 »myrra et gutta et cassia . a vestimentis tuis« heißt es: »fone dinero uuate choment die stancha myrrun . unde guttę . diu ammoniaca heizet . unde cassię . 
diu fistula heizet.«8 Diese in einem für die frühe deutsche Überlieferung typischen Wechsel zwischen Latein und Deutsch geschriebene Textstelle lässt sich übersetzen mit: ›aus deinem (Jesu) Gewand steigen auf die Düfte der Myrrhe und der Gutta, die Ammoniaka heißt, und der Kassie, die Fistula heißt.‹ Von den drei im lateinischen Psalmvers vorkommenden Pflanzennamen ist nur lat. myrra ›Myrrhe‹ ins Deutsche übertragen, wie die Flexionsendung verrät. Die beiden anderen Bezeichnungen sind in ihrer lateinischen Gestalt übernommen und jeweils durch ein lateinisches Synonym erweitert. Alle genannten Pflanzen liefern wohlriechende Duftstoffe und wurden für die Herstellung von Parfüm, Salböl oder Gewürzen gebraucht.


Als letzte Quelle seien die Glossare, insbesondere Pflanzenglossare aufgeführt, also lateinisch-deutsche, meist in Spalten geschriebene Wörterverzeichnisse. In einem späten (nur nach dem ersten Buchstaben) alphabetisch geordneten Glossar des 14. Jahrhunderts9 finden sich beispielsweise zu den 16 mit P anlautenden lateinischen Einträgen pulegium, piretrum, pipinella, pastinaca, papirus, pentafolium, polipodium, petrosilinum, pencedanum, poten­tilla, psillium, preuinca, persicaria, policaria, pilosa, primula veris die deutschen Glossen poley, berttram, bibenele, morhen, bisen, funfbleter, steinwar, petersilie, olsnik, grensin, ageleie, singline, rotich, brunwurz, musere, himelwiz.10 Die vorletzte Glosse musere zu lat. pilosa kann als Pflanze namens Mausohr, ahd. mûsôra, gedeutet werden. Damit kann das Kleine Habichtskraut (Hieracium pilosella L.), vielleicht aber auch der Große Wegerich (Plantago maior L.) bezeichnet worden sein.11 Pflanzenglossare dieser Art, die unzählige Male abgeschrieben und dabei absichtlich oder unabsichtlich variiert sein können, liefern die größten Belegmengen an Pflanzen- oder Kräuterbezeichnungen. Allerdings sind diese aufgrund des Fehlens weitergehender Erklärungen oder gar Illustrationen kaum je sicher zu interpretieren.


Die Beschäftigung mit Klostergärten führt zurück zu den Anfängen der mitteleuropäischen Gartenkultur. Klöster waren seit dem frühen Mittelalter die Zentren der Heilkunde und auch des Gartenbaus. Mönche und Nonnen bauten Heilkräuter und Nahrungspflanzen zur Selbstversorgung der klöster­lichen Gemeinschaften an. So schreibt schon Benedikt von Nursia (ca. 480–547) in seiner Mönchsregel vor, dass jedes Kloster auch einen Garten haben solle: »Monasterium autem, si possit fieri, ita debet constitui ut omnia necessaria, id est aqua, molendinum, hortum, vel artes diversas intra monasterium exerceantur.« Übersetzt lautet die Stelle: »Das Kloster soll, wenn möglich, so angelegt werden, dass sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb des Klosters befindet und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden können«.12

Aus diesen weit zurückliegenden Zeiten sind keine Gartenanlagen erhalten geblieben. Um eine Vorstellung vom Aussehen und dem Pflanzenbestand eines frühmittelalterlichen Klostergartens zu erhalten, ist es nötig, andere Quellen heranzuziehen: Aus dem frühen Mittelalter bzw. Anfang des 9. Jahrhunderts sind das vor allem drei Zeugnisse:13


  1. der »Klosterplan von St. Gallen« (um 825)

  2. das »Capitulare de Villis« (wohl 812)

  3. das Gedicht »De cultura hortorum« von Walahfrid Strabo (1. Hälfte 9. Jahrhundert).


Der sogenannte »Klosterplan von St. Gallen«, ein fast ein Quadratmeter großes Pergament, stellt die älteste überlieferte Architekturzeichnung des Abendlandes dar. Sie zeigt die Anlage eines idealtypischen karolingerzeitlichen Klosterkomplexes und enthält detaillierte Grundrisse mit lateinischen Beschriftungen von rund 50 Gebäuden, zu denen die Klosterkirche, das Gästehaus, die Krankenstation, verschiedene Handwerksstätten, die Ställe u. a. gehören.14 Auch vier verschiedene Gärten sind auf dem Plan eingezeichnet. Sie erlauben einen wertvollen Einblick in den Gartenbau und die verwendeten Pflanzenarten der damaligen Zeit.15

Abb. 3: St. Galler Klosterplan, Detail: Kreuzganggarten, Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092. Abb. 3: St. Galler Klosterplan, Detail: Kreuzganggarten, Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092.

Im Kreuzganghof des Klosters befindet sich ein quadratisch angelegter und von Arkaden umsäumter Garten (siehe Abb. 3). Ein Wegekreuz führt zur Mitte des Gartens, wo ein Sadebaum bzw. Stinkwacholder (lat. savina) dargestellt ist. Nicht weit davon entfernt gibt es einen Garten mit Obstbäumen, der wohl zugleich als Friedhof diente (siehe Abb. 4). 13 Baumnamen werden dort genannt: Apfel- oder Birnbaum, Pflaume, Speierling, Mispel, Lorbeerbaum, Edelkastanie, Feige, Quitte, Pfirsich, Haselnuss, Mandelbaum, Maulbeere, Walnuss. In der Nachbarschaft liegt noch ein Gemüsegarten (hortus) mit 18 Beeten, der beim Haus des Gärtners gelegen ist (siehe Abb. 5). Hier werden nicht nur Gemüsepflanzen wie Zwiebeln, Lauch, Rüben, Lattich und Kohl, sondern auch Kräuter und Gewürze für die Verköstigung im Kloster angebaut. Zu diesem Garten gibt es auch ein Gebäude für die Aufbewahrung von Werkzeugen und Gemüsesamen.


Abb. 4 und 5: St. Galler Klosterplan, Details: Obstbaumgarten (links) und Gemüsegarten (rechts), Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092. Abb. 4 und 5: St. Galler Klosterplan, Details: Obstbaumgarten (links) und Gemüsegarten (rechts), Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092. Abb. 4 und 5: St. Galler Klosterplan, Details: Obstbaumgarten (links) und Gemüsegarten (rechts), Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092.

Für die Konzeption des Akademiegärtchens ist der vierte Garten in der Nordostecke des Klostergeländes auf dem Plan von besonderer Wichtigkeit: der Heilpflanzengarten (herbularius, siehe Abb. 6). In der Nähe des Krankenhauskomplexes bzw. des Ärztehauses gelegen, diente er als Medizinalgarten. Es gibt 16 Beete für jeweils eine Pflanzenart: Weiße Lilie, Gartensalbei, Weinraute, Schwertlilie, Polei (Flohkraut), Bockshornklee, Rose, Rauke, Kümmel, Liebstöckel, Fenchel, Frauenblatt, Minze, Rosmarin, Bohne, Bohnenkraut. Von den genannten Pflanzen sind neun auch im Hortulus des Walahfrid Strabo vertreten.


Abb. 6: St. Galler Klosterplan: 
Detail: Herbularius, Stiftsbibliothek 
St. Gallen, Cod. Sang. 1092. Abb. 6: St. Galler Klosterplan: 
Detail: Herbularius, Stiftsbibliothek 
St. Gallen, Cod. Sang. 1092.

Die zweite einschlägige Quelle ist das sogenannte »Capitulare de Villis«, eine Verordnung Karls des Großen für seine Hofgüter und Reichshöfe. Darin ist vorgeschrieben, was zur Versorgung des königlichen Gefolges an Tieren und Pflanzen bereitzustellen war, welche Handwerker welche Geräte herzustellen hatten, wer für Honig, Met, Bier, Salben, Gewürze und Kräuter zuständig war und vieles mehr.16 So sind im Capitulare 73 Beetpflanzen und 16 Obstbaumsorten aufgelistet, die angebaut werden mussten.


Als eigentliche Basis für den Garten der Akademie diente die dritte Quelle, das bereits erwähnte Gedicht De cultura hortorum von Walahfrid Strabo (808/9–849), auch kurz Hortulus, d. h. ›Gärtchen‹, genannt.17 In den Eingangskapiteln seines Lehrgedichts beruft sich Walahfrid auf seine eigenen Erfahrungen mit Garten­arbeit und Gartenliteratur. Liebevoll beschreibt er seinen kleinen Garten, der vor der Wohnungstür liegt und nach Osten schaut. Vermutlich gibt es rechteckige, durch Wege getrennte Beete. Für eine bequeme Bearbeitung sind die Beete mit Brettern eingefasst und liegen etwas erhöht.


In den einzelnen Strophen werden 24 Pflanzen beschrieben: 1. Salvia (Salbei), 2. Ruta (Weinraute), 3. Abrotanum (Eberraute), 4. Cucurbita (Flaschenkürbis), 5. Pepones (Melone), 6. Absinthium (Wermut), 7. Marrubium (Andorn), 8. Foeniculum (Fenchel), 9. Gladiola (Schwertlilie), 10. Lybisticum (Liebstöckel), 11. Cerfolium (Kerbel), 12. Lilium (Lilie), 13. Papaver (Schlafmohn), ­
14. Sclarega (Muskatellersalbei), 15. Costus (Frauenminze), 16. Menta (Minze), 17. Puleium (Poleiminze), 18. Apium (Sellerie), 19. Vettonica (Heilziest), 
20. Agri­monia (Odermennig), 21. Ambrosia (Rainfarn? Schafgarbe?), 22. Nepeta (Katzenminze), 23. Rafanum (Rettich oder Meerrettich), 24. Rosa (Rose). Dabei geht Walahfrid auf das Aussehen, den Duft, die Heilkraft und die Symbolik der Gewächse ein, wobei er bei jeder Pflanze unterschiedliche Schwerpunkte setzt.


Den Überlegungen zur praktischen Umsetzung konnte die neueste Interpretation des Gartengedichts durch den Altphilologen Wolfgang Fels (2010) zugrunde gelegt werden.18 Fels geht von zweimal vier, also insgesamt acht Beeten und einer Sonderstellung der Pflanzen Lilie und Rose aus. Anders als im Herbularius des Klosterplanes stehen also jeweils zwei bis drei Pflanzenarten gemeinsam in einem Beet. Bei Walahfrid ist das Gärtchen nach Osten ausgerichtet, wohingegen der Garten der Akademie nach Süden hin liegt.


Die von Walahfrid genannten lateinischen Bezeichnungen entsprechen nicht immer den lateinischen Namen der modernen botanischen Nomenklatur, d. h., es ist nicht immer eindeutig zu sagen, welche Pflanze eigentlich dahinter steht. Für die Deutung und Zuordnung werden in der Forschung deshalb auch Pflanzenbeschreibungen antiker Autoren wie Dioskurides und Plinius sowie späterer mittelalterlicher Autoren wie Hildegard von Bingen und Albertus Magnus vergleichend herangezogen. Wo mehrere Deutungen in Frage kamen, wurden auf den Beeten alternativ auch mehrere Pflanzen gesetzt. So sind dort 30 verschiedene Arten zu sehen, obwohl das Gedicht eigentlich nur 24 Pflanzen nennt. Zum Beispiel ist bei dem Namen lat. ambrosia nicht klar, welche Pflanze eigentlich gemeint ist. Schon Walahfrid vermag keine genaue Beschreibung zu liefern. Von der Forschung wird ambrosia teils mit der Schafgarbe (Achillea millefolium L.), teils mit dem Rainfarn (Tanacetum vulgare L.) oder auch mit dem Klebrigen Gänsefuß (Traubenkraut; Chenopodium botrys L.) identifiziert.19 Im Garten werden diese drei wichtigsten Interpretationsmöglichkeiten gezeigt.


Bei der Klärung der Frage, ob eine in einer Schriftquelle genannte Pflanze tatsächlich zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Gebiet existiert haben konnte, müssen auch Erkenntnisse der archäobotanischen Forschung, die auf der Analyse pflanzlicher Reste wie Früchte, Samen und Holzreste sowie Pollen und Sporen beruhen, herangezogen werden. So lassen sich auch die in Frage kommenden Arten für menta ›Minze‹ des Hortulus-Gedichtes auf Mentha longifolia L., Mentha aquatica L. und Mentha suaveolens Ehrh. eingrenzen. Die heute weit verbreitete Pfefferminze (Mentha piperita L.), ein in Kultur entstandener Bastard aus Mentha spicata L. und Mentha aquatica L., scheidet aus, da diese im Mittelalter noch nicht bekannt war.20

Der neue Akademie-Garten trägt einen lateinischen Namen, er heißt Hortulus theodiscus. Das Wort lat. hortulus, Diminutiv zu hortus, bedeutet ›Gärtchen‹. Zugleich ist es auch der Kurztitel von Walahfrids Gedicht, nach dem der Garten gestaltet ist. Das Adjektiv theodiscus bedeutet ›zum Volk‹ oder auch ›zur Volkssprache gehörig‹.21 Es ist die latinisierte Form des Wortes deutsch in seiner alten Lautgestalt, diutisc, das sich über Formen wie düdisc und düdsch zu der heutigen Form deutsch weiterentwickelt hat. Das Adjektiv theodiscus soll damit einerseits den Bezug auf die deutsche Sprache des frühen Mittelalters und ihre Erforschung im Projekt Althochdeutsches Wörterbuch der Sächsischen Akademie herstellen, andererseits aber auch vor Augen führen, dass dies nur vor dem Hintergrund der lateinischen Sprache und Überlieferung möglich ist. 


Die Beschilderung der Pflanzen wie auch die weiteren Begleitmaterialien zum Gartenprojekt sind auf dieses Ziel hin abgestimmt. Die Pflanzenschilder bieten jeweils folgende Informationen:



  1. althochdeutsche(r) Name(n)

  2. lateinischer Name nach Walahfrid Strabo

  3. heutiger Name (»Büchername«)

  4. botanischer Name laut wissenschaftlicher Nomenklatur.
Abb. 7: Pflanzenschild. Abb. 7: Pflanzenschild.
Abb. 8: Lageplan zum Hortulus theodiscus. Abb. 8: Lageplan zum Hortulus theodiscus.

Durch die besondere Gestaltung der Schilder mit einem farbigen Foto der jeweiligen Pflanze in blühendem Zustand oder mit Früchten (siehe Abb. 7) soll der Garten ganzjährig attraktiv und aussagefähig bleiben. Ein nummerierter Lageplan der Beete und einzelnen Pflanzen erleichtert die Orientierung im Garten (siehe Abb. 8). Für alle botanisch und sprachlich spezieller Interessierten sind vor Ort zusätzlich ausführliche Dokumentationsmappen zu jeder einzelnen Pflanze einsehbar. Sie enthalten Textauszüge aus dem lateinischen Hortulus-Gedicht zusammen mit einer deutschen Übersetzung, eine botanische Beschreibung der Pflanze, Informationen zu ihrer Geschichte und Verwendung sowie eine Erklärung des deutschen Namens. Des Weiteren bieten die Mappen Auszüge aus dem Althochdeutschen Wörterbuch mit Artikeln zu den Pflanzennamen des Hortulus. Zum Mitnehmen liegt ein Faltblatt mit Kurz­informationen zu Idee und Umsetzung des Hortulus bereit.


  1. 1Siehe auch https://www.saw-leipzig.de/de/aktuelles/feierliche-einweihung-des-akademie-gartens (7.1.2017).

  2. 2Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias v. Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. und hg. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, Bd. 1 ff., Berlin 1968 ff.
  3. 3Vgl. Brigitte Bulitta, »Philologische Grundlagenforschung am Althochdeutschen Wörterbuch der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 2 (2009), S. 83–98, http://www.denkstroeme.de/heft-2/s_83-98_bulitta (7.1.2017); dies., »Wortwelten des Althochdeutschen und ihre Erschließung im Althochdeutschen Wörterbuch (Thesaurus)« in Anja Lobenstein-Reichmann (Hg.), Wortwelten. Lexikographie, historische Semantik und Kulturwissenschaft. Tagung vom 10.–12. Juni 2015 in Göttingen, Berlin und Boston (im Druck).
  4. 4Vgl. dazu Brigitte Bulitta und Almut Mikeleitis-Winter, »Pflanzennamen im Althochdeutschen Wörterbuch«, in Hans Ulrich Schmid (Hg.), Wörter. Wortbildung, Lexikologie und Lexikographie, Etymologie (Jahrbuch für germanistische Sprachgeschichte, Bd. 8), Berlin und Boston 2017 (im Druck).

  5. 5Elias Steinmeyer (Hg.), Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, Berlin 1916, S. 39.

  6. 6Ernst Dümmler (Hg.), »Walahfridi Strabi carmina. IV. De cultura hortorum«, in Poetae Latini aevi Carolini (MGh Poetae Lat. II.), Berlin 1884, S. 345.
  7. 7Elias Steinmeyer und Eduard Sievers (Hg.), Die althochdeutschen Glossen, 5 Bde., Berlin 1879–1922, hier Bd. 2, 768, 53.
  8. 8Zitiert nach Paul Piper (Hg.), Die Schriften Notkers und seiner Schule, Freiburg i. Br./Tübingen 1883, Bd. 2, S. 170.
  9. 9München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 615, 14. Jh.

  10. 10Steinmeyer und Sievers, Die althochdeutschen Glossen (Fn. 7), Bd. 3, 531, 6–26.

  11. 11Vgl. Althochdeutsches Wörterbuch (Fn. 2), Bd. 6, Sp. 932.
  12. 12Salzburger Äbtekonferenz (Hg.), Regula Benedicti. Die Benediktusregel, lateinisch/deutsch, Beuron 1992, S. 230 f.
  13. 13Zur Quellenlage vgl. Ulrich Willerding, »Gärten und Pflanzen des Mittelalters«, in Maureen Carroll-Spillecke (Hg.), Der Garten von der Antike bis zum Mittelalter, 3. Aufl., Mainz 1998, S. 249–284.

  14. 14Vgl. Barbara Schedl, Der Plan von St. Gallen. Ein Modell europäischer Klosterkultur, Wien/Köln/Weimar 2014.

  15. 15Vgl. Heilkräuter und Gartenanlagen im Kloster St. Gallen. Katalog zur Jahresausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen (30. November 2009–7. November 2010), St. Gallen 2010, S. 13–19.
  16. 16Vgl. Carlrichard Brühl (Hg.), Capitulare de villis: Cod. Guelf. 254 Helmst. der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Stuttgart 1971; Karl Josef Strank und Jutta Meurers-Balke, Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 10–51; Anton Sterzl, »Der Königliche Landwirt. Karl der Große, Europas führender Landwirtschaftspolitiker. Tierschutz, Lebensmittelrecht, Verbraucherschutz und Sozialordnung im Capitulare de Villis. Ein gültiges Modell für die armen Entwicklungsländer«, Vortrag vor dem Freundeskreis Botanischer Garten und dem Karlsverein Aachen am 15.11.2001.

  17. 17Vgl. Walter Berschin (Hg.), Walahfrid Strabo. De cultura hortorum (Hortulus). Das Gedicht vom Gartenbau, 2. Aufl., Heidelberg 2010 [dort S. 19–21 zur Frage der Entstehungsdatierung]; Otto Schönberger (Hg.), Walahfrid Strabo. De cultura hortorum. Über den Gartenbau, lateinisch/deutsch, Stuttgart 2015; Hans-Dieter Stoffler, Der Hortulus des Walahfrid Strabo: Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau, Neuausgabe, Sigmaringen 1997.

  18. 18Vgl. Wolfgang Fels, »Ein Gärtchen nach Maß«, in Berschin, Strabo (Fn. 17), S. 97–101.
  19. 19Vgl. Stoffler, Der Hortulus (Fn. 17), S. 107–110.
  20. 20Vgl. Claudia Erbar und Katrin Zimmermann, Der Codex Palatinus germanicus 539 – eine Pflanzenliste aus dem 15. Jahrhundert, Heidelberg 2009, S. 32, http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/9594 (7.1.2017).
  21. 21
Vgl. Elmar Seebold, Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl., Berlin und Boston 2011, S. 194 f. s. v. deutsch (mit weiterer Literatur).
loading ....
Artikel Navigation
Heft 17 (2017)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1