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Friedrich Heinrich Jacobi Briefwechsel. Reihe I, Band 11, Briefwechsel ­Oktober 1794 bis Dezember 1798, Nr. 3329–3689


Herausgegeben von Catia Goretzki, frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2017, 331 Seiten Briefwechsel


Der Band I,11 der Friedrich Heinrich Jacobi-Briefausgabe ist der erste Band, welcher durch die Förderung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ermöglicht wird. Die Korrespondenz dieses Bandes erstreckt sich über einen Zeitraum, der die ersten Jahre eines neuen Abschnitts im Leben Friedrich Heinrich Jacobis markiert: Am 28. September 1794 flieht er vor den ins Rheinland einmarschierenden französischen Revolutionstruppen aus Düsseldorf-Pempelfort nach Norddeutschland, genauer: nach Hamburg und ins damals dänische und somit politisch neutrale Holstein. Damit realisiert Jacobi, acht Tage vor dem Angriff auf Düsseldorf, einen Schritt, den er aufgrund der politisch unsicheren Situation schon seit Mitte 1792 als einen möglichen in Erwägung zieht. In seinem Exil führt er in den folgenden Jahren ein unstetes, aber durch langjährige Freundschaften getragenes Leben zwischen Wandsbek (bei Matthias Claudius und mehrere Monate auf dem Schimmelmannschen Schloss Wandsbek), Emkendorf (bei Julia und Friedrich von Reventlow), Hamburg, Tremsbüttel (bei Luise und Christian von Stolberg) und Eutin (bei Friedrich Leopold und Sophia von Stolberg). Erst Mitte Oktober 1798 findet er im Eutiner Haus Johann Georg Schlossers, der als Syndikus nach Frankfurt a. M. berufen ist, für die nächsten sieben Jahre einen dauerhaften Wohnsitz.


Jacobis neue Lebenssituation wird, so bitter sie für ihn an sich ist, in den ersten drei Jahren noch von der Hoffnung auf eine friedvolle Wendung der turbulenten politischen Ereignisse, die ihm die Rückkehr in seine Heimat ermöglichen würde, getragen. Eineinviertel Jahre nach seiner Flucht erfüllt ihn der Waffenstillstand vom 30. Dezember 1795 zwischen Frankreich und Österreich mit größter Zuversicht, die ihn auch dann nicht gänzlich verlässt, als seine Erwartungen auf herbe Weise enttäuscht werden: Das Jahr 1796 vergeht, ohne dass der sehnlich erhoffte Frieden zustande käme, und schließlich krönt Napoleon Bonaparte den Triumph seines Feld- und Kunstraubzugs in Italien am 19. Februar 1797 durch den mit der römischen Kurie geschlossenen Vertrag von Tolentino, auf den Jacobi, ansonsten alles andere als ein Anhänger des Katholizismus und des Papsttums, mit größtem Abscheu reagiert. Doch zwei Monate später, am 18. April 1797, eröffnet sich mit der Unterzeichnung des Abkommens zum Vorfrieden von Leoben zwischen Frankreich und Österreich wieder eine Perspektive zum Frieden, die Jacobi erneut hoffnungsfroh stimmt. Als jedoch die zähen Friedensverhandlungen nach einem halben Jahr, am 17. Oktober 1797, endlich in den Friedensvertrag von Campo Formio zwischen Frankreich und Österreich münden und am 1. November in Rastatt der Kongress zur Realisierung der Vertragsbeschlüsse begonnen hat, ist seine Zuversicht schon durch ein anderes umwälzendes Ereignis im Innern Frankreichs nachhaltig erschüttert: Der von der dritten Direktorialregierung, genauer: von dreien seiner fünf Mitglieder ausgeführte Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September) 1797 setzt eine neue Entwicklung des Terrors in Gang, die Jacobi auch für die außenpolitischen Verhältnisse Schlimmes befürchten lässt – wobei er die Geschehnisse insgesamt wohl zu einseitig beurteilt, insofern er nicht berücksichtigt, dass dieser Gewaltakt durch Kräfte provoziert ist, die ihrerseits eine gewaltsame Wiederherstellung des Ancien Régime, das Jacobi selbst ja entschieden ablehnt, verfolgen. In jedem Fall führt der 18. Fructidor mehr als andere Ereignisse der französischen Revolution zu heftigen Auseinandersetzungen in seinem persönlichen Umfeld.


Allerdings hat dieser Umsturz innerhalb Frankreichs auch einen für ihn angenehmen Aspekt: Zu einigen von denjenigen Franzosen, die zur Deportation verurteilt sind und vor dieser Bedrohung nach Norddeutschland fliehen, entwickelt Jacobi ein persönlich herzliches Verhältnis wie beispielsweise zu dem General Mathieu Dumas oder dem Juristen Jean-Etienne-Marie Portalis.


Die Jahre unmittelbar nach seiner Flucht aus Pempelfort sind also Jahre der Heimatsehnsucht, aber es sind auch Jahre, in denen Jacobi vor den Schrecknissen des Krieges bewahrt bleibt. Damit ist nicht nur seine äußere Existenz einigermaßen gesichert, sondern auch die Möglichkeit zur Fortsetzung seiner philosophischen Arbeit gegeben. In dieser Hinsicht spielt neben der Abfassung der Briefe I und II der Zufälligen Ergießungen, die er auf Schillers Bitte für dessen Horen schreibt und Anfang Juli 1795 einschickt, vor allem die Beschäftigung mit Fichtes Denken eine entscheidende Rolle. Mit diesem ist Jacobi schon am Ende seiner Düsseldorfer Zeit über Goethe in Berührung gekommen, der ihm Fichtes Einladungsschrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der Philosophie zukommen lässt. Jacobi nimmt sie mit Interesse auf und erkennt die Bedeutung seines eigenen Denkens für Fichtes Ansatz. Dieser bestätigt seinerseits die Einschätzung nicht nur durch seine brieflich übermittelte Respektsbezeugung, sondern vor allem auch durch die gut ein Jahr später in seinem Schreiben vom 30. August 1795 betonte Affinität zwischen seiner und Jacobis Philosophie. Dessen Realismus und seinen eigenen transzendentalen Idealismus möchte Fichte »zu einer Art von Bündniß« bringen und sieht dafür im Allwill, und d. h. genauer in dem wichtigen Schreiben An Erhard O., das Jacobi der endgültigen Fassung seines Romans von 1792 hinzufügt, gute Voraussetzungen. Dieser seinerseits versichert Fichte einige Monate später des »Gefühls unserer Harmonie« und beschäftigt sich in der folgenden Zeit stetig mit dessen Schriften, u. a. mit der Grundlage des Naturrechts, die ihm der Verfasser, welcher Ende April 1796 wiederum enthusiastisch auf seinen im Januar neu erschienenen Woldemar reagiert, kurz darauf zuschickt. Als Ergebnis seiner Studien stellt Jacobi in Briefen vom Februar und auch noch vom August 1797 schließlich seine große geistige Nähe zu Fichtes Philosophie heraus. 


So muss es dann sehr überraschen, dass er nur zwei Monate später in ­einem Brief an Jens Immanuel Baggesen dessen kurz zuvor geäußerten Vorbehalten gegen Fichte folgt und plötzlich recht verhalten über sein System spricht. Auf einmal will er mit ihm »noch nicht ganz auf dem reinem« sein und charakterisiert es kritisch als Spiel der »reinen That ohne Thäter«. Dieses Abrücken von Fichtes philosophischem Ansatz wird Jacobi nicht mehr revidieren, was sich direkt und indirekt vor allem im Briefwechsel mit Franz von Baader, den er seit 1796 kennt, und Jean Paul, mit dem er seit Ende 1798 korrespondiert, zeigt.


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Heft 17 (2017)
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1867-7061

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