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Leipzig Kucha Studies 2: Representations of the Parinirvāṇa Story Cycle in Kucha


Von Monika Zin, herausgegeben von Eli Franco und Monika Zin, Dev Publishers, New Delhi 2020, 420 Seiten, Festeinband


Etwa ein Drittel der Höhlen in Kuča aus dem 5. bis 10. Jh. (etwa 200 Höhlen) enthielt Malereien mit zumeist narrativem Charakter. Im Laufe der Zeit wurde das Repertoire von Geschichten, die in einer Höhle illustriert wurden, immer umfangreicher. Die Platzierung der verschiedenen Bilder innerhalb ­einer Höhle folgte einem festen Plan. Quadratische »Predigtbilder« befanden sich an den Seitenwänden des Hauptraumes, kleine Szenen mit dem Buddha oder Geschichten aus seinen vormaligen Existenzen in den Gewölben, Schutzgottheiten in der Nähe der Eingänge und der zukünftige Buddha Maitreya über dem Ausgang – sein Anblick öffnete dem Besucher eine tröstliche Perspektive: Der neue Buddha wird kommen. 


Eine grundsätzlich identische architektonische Struktur und die übereinstimmenden Bildprogramme hatten zur Folge, dass viele Höhlen einander sehr ähnlich waren – anscheinend war aber gerade dieser Effekt, den die immer wieder gleiche Platzierung der Bildmotive innerhalb der Höhlen erzeugte, ­erwünscht. Über die rituelle und soziale Funktion der Höhlen gibt es kaum Informationen; es ist jedoch zu vermuten, dass diese in der Regel kaum 20 m2 großen Höhlen, die wohl als Familienheiligtümer dienten, einen wesentlichen Teil der tocharischen Identität bildeten.


Teil des regelmäßig wiederholten Bildprogramms waren die Malereien im hinteren Teil der Höhlen. Dort, in den dunklen Korridoren, die den Umgang hinter dem Kultbild bildeten, wurden die Szenen platziert, die die Geschichte vom Ende des Buddhalebens erzählen, den sogenannten parinirvāṇa-Zyklus. In der Regel wird der in das ewige nirvāṇa eingehende Buddha entweder an der langen oder an der kurzen Wand des hinteren Querkorridors dargestellt, während die anderen Wände Ereignisse zeigen, die der zentralen Episode vorangehen oder an sie anschließen. 


Der gesamte Zyklus beginnt – an der langen Wand des linken Korridors – drei Monate vor dem Tod des Buddha mit seiner Entscheidung, zu sterben und auf die Möglichkeit zu verzichten, einen Äon lang am Leben zu bleiben; eine Möglichkeit zur Lebensverlängerung, die ihm als erleuchtetem Heiligen offen gestanden hätte. Der Zyklus endet – an der langen Wand des rechten Korridors – 
mit dem ersten Konzil, zu dem sich die Mönche versammeln, um nach dem Tod des Buddha seine Lehre für die Nachwelt festzuhalten.


Zwischen diesen Eckpunkten werden zahlreiche weitere Episoden dar­gestellt, sei es als einzelne Szene oder eingebettet in eine größere Malerei. Gezeigt werden die Verbrennung des Sargs, die Krieger, die gegeneinander in den Kampf ziehen wollen, um die Reliquien des Buddha zu erlangen, die letztlich friedliche Teilung dieser Reliquien, die Trauer der Menschen und Götter, die Mutter des Buddha, die vom Himmel herab kommt, aber auch die Dämonen, die dreist einen Teil der Reliquien stehlen und damit fliehen, und ein verzweifelter Herrscher, den sein Minister vorsorglich in eine Wassertonne steigen ließ, bevor er ihm die schmerzliche Nachricht vom Tod des Buddha überbringt, damit der König keinen Herzanfall erleidet. 


Obwohl keine der Höhlen den ganzen parinirvāṇa-Zyklus zeigt und auch kein Zyklus vollständig erhalten ist, ermöglicht das Festhalten der Künstler und Stifter an den Platzierungsregeln für die verschiedenen Themen heute die Identifizierung von Szenen selbst anhand nur kleiner erhaltener Fragmente.


Es ist leicht, sich vorzustellen, wie die Tocharer mit brennenden Lampen durch die dunklen Korridore schreiten, während ihnen ein Mönch die in den Malereien dargestellten Geschichten erzählt. Der Weg durch die Gänge, der am Totenbett des Buddha vorbeiführte, bildete sicherlich den Höhepunkt der religiösen Erfahrung jedes Besuchers. 


Representations of the Parinirvāṇa Story Cycle in Kucha stellt erstmalig alle Darstellungen dieses Zyklus zusammen; sowohl die bis heute in situ erhaltenen Malereien als auch die aus den Höhlen entfernten, heute in verschiedenen Museen aufbewahrten Beispiele und die nicht mehr erhaltenen Exemplare, die nur durch Kopien oder Beschreibungen aus dem frühen 20. Jh. dokumentiert sind. Die Zusammenstellung aller dieser Malereien macht die Struktur des ­Zyklus erst erkennbar und ermöglicht es, die Regeln für die Anordnung der verschiedenen Szenen innerhalb der Höhlen zu ermitteln. Im Zuge dieser Arbeit konnten zudem verschiedene bislang unidentifizierte Szenen gedeutet 
werden. 


Abb. 1: Die Verbrennung des Leichnams des Buddha, Malerei aus Höhle 224 in Kizil (Māyāhöhle, 3. Anlage), 6.–7. Jh., Innenwand des hinteren Korridors; Berlin, Museum für Asiatische Kunst, no. III 8861, teilweise zerstört während des Krieges; Rekonstruktionszeichnung anhand historischer Aufnahmen der französischen (Musée Guimet, no. AP 7503) und der japanischen Expedition (publiziert in: Yoshitarô Uehara, Shin Saiiki ki, Tokyo 1937, S. 320); Personen auf dem Balkon nach A. Grünwedel, Altbuddhistische Kultstätten in Chinesisch-Turkestan, Berlin 1912, fig. 415, Zeichnung: Monika Zin.
 Abb. 1: Die Verbrennung des Leichnams des Buddha, Malerei aus Höhle 224 in Kizil (Māyāhöhle, 3. Anlage), 6.–7. Jh., Innenwand des hinteren Korridors; Berlin, Museum für Asiatische Kunst, no. III 8861, teilweise zerstört während des Krieges; Rekonstruktionszeichnung anhand historischer Aufnahmen der französischen (Musée Guimet, no. AP 7503) und der japanischen Expedition (publiziert in: Yoshitarô Uehara, Shin Saiiki ki, Tokyo 1937, S. 320); Personen auf dem Balkon nach A. Grünwedel, Altbuddhistische Kultstätten in Chinesisch-Turkestan, Berlin 1912, fig. 415, Zeichnung: Monika Zin.


Das Buch stellt die insgesamt 39 Begebenheiten (»occurrences«) aus dem parinirvāṇa-Zyklus vor, die in den Höhlen illustriert wurden und analysiert für jede Begebenheit die bekannten literarischen Quellen. Basierend auf diesen Analysen zeigt die Untersuchung, dass entgegen der bislang herrschenden Meinung nicht nur die Versionen der Erzählungen illustriert sind, die im Schrifttum der buddhistischen Schulen vor Ort enthalten sind, sondern auch Geschichten, die offensichtlich einer – vermutlich mündlich überlieferten – ­lokalen Tradition folgen und die heute aus den Berichten chinesischer Pilger bekannt sind, die die Region besucht haben.


Abgerundet wird das Buch durch einen einleitenden Teil, der einen Überblick über die Darstellungen des parinirvāṇa-Zyklus in Südasien bietet; 87 Abbildungen und 81 überwiegend von der Autorin angefertigte Linienzeichnungen illustrieren die Studie und ermöglichen es dem Leser, selbst den Analysen der heute nur noch schlecht erhaltenen Malereien im Detail zu folgen. Anhand von Rekonstruktionszeichnungen, (»reconstructive drawings«), in denen die Teile von Malereien, die heute an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden, oder nur aus historischen Fotos bekannt sind, zusammengeführt werden, erhält der Leser erstmals einen Einblick in die ursprüngliche Komposition und Wirkung von heute fragmentierten oder vollständig verlorenen Malereien. 


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Heft 22 (2020)
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1867-7061

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