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Inschriftenforschungen an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften: Einblicke in die Dresdner Werkstatt

Seit 1996 ist die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig an der Erfassung, Untersuchung und Edition überlieferter mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Inschriften im Rahmen des Akademienprogramms1 beteiligt. Daran wirken sechs deutsche Wissenschaftsakademien2 und die Österreichische Akademie der Wissenschaften mit. Das interregionale und internationale Akademievorhaben bearbeitet Inschriften auf den Gebieten der heutigen Bundesrepublik Deutschland, der Republik Österreich und Südtirols, der nördlichsten Provinz Italiens. Diese Forschungen tragen in fachspezifischer Weise zur Erfüllung der Hauptaufgabe des Akademienprogramms bei – der Auf­arbeitung, Sicherung und Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes.


In Deutschland existieren derzeit neun Arbeitsstellen im Rahmen der Union der deutschen Wissenschaftsakademien, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in fast allen Bundesländern agieren. Sie erfassen, analysieren und edieren die Inschriften nach einheitlichen Kriterien und Standards. Die Inschriften-Bände werden in einer gemeinsamen Reihe publiziert und nach Ablauf von zwei Jahren im Portal »Deutsche Inschriften Online« (DIO) digital präsentiert.3 Sie bieten Anschlussmöglichkeiten für unterschiedliche Forschungsdisziplinen (u. a. Architektur-, Bau- und Kunstgeschichte, Genealogie, Kirchen-, Landes- und Stadtgeschichte, Kommunikationsgeschichte, Kultur- und Sozialgeschichte, Germanistik, Mittel- und Neulateinische Philologie) sowie für Projekte verschiedenster Ausrichtung. Seit 2012 sind die Inschriften-Forschungsstellen über Themenbrücken noch stärker inhaltlich miteinander verzahnt. Zu ihnen gehören »Bischofsstädte«, »Patrizische Urbanität«, »Hanse-, Reichs- und Universitätsstädte«, »Deutsche Klosterlandschaften« (im Sinne von »monastic landscape«), »Residenzen« und »Welterbestätten«.


An der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sind drei Inschriften-Arbeitsstellen verankert. Die seit 1996 in Halle a. d. S. bestehende ist für die Bearbeitung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt zuständig, die 2015 in Dresden eingerichtete für den Freistaat Sachsen. 2020 nahm in Jena eine Forschungsstelle für den Freistaat Thüringen ihre Arbeit auf. Damit ist das Inschriftenvorhaben in den drei mitteldeutschen Bundesländern tätig, die zum Einzugsbereich der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gehören. Die bislang publizierten Inschriften-Bände stammen aus der Hallenser Forschungsstelle. Zuletzt wurde das Buch »Die Inschriften der Stadt Wittenberg« veröffentlicht,4 das sich den Themenbrücken »Residenzen« und »Welterbestätten« des Gesamtunternehmens zuordnen lässt. Gegenwärtig wird in Halle der Band für den Dom und die Stadt Magdeburg zum Druck vorbereitet. Alle zuvor publizierten Bände, darunter jene über den Dom und die Stadt Halberstadt und die Stadt Halle, stehen Nutzern aus Wissenschaft und Gesellschaft inzwischen über das Portal »Deutsche Inschriften Online« zur Verfügung.5

Zum Arbeitsprogramm der Forschungsstelle Dresden zählen u. a. die Bearbeitung der Städte Bautzen, Dresden, Görlitz, Meißen und Torgau. Diese sind über verschiedene Themenbrücken mit dem interakademischen Inschriften-Vorhaben verbunden. Derzeit werden die Inschriften für die Städte Meißen und Görlitz bearbeitet. Meißen ist den Themenbrücken »Bischofsstädte« und »Residenzen«, Görlitz jenen der »Patrizischen Urbanität« und der »Städtebünde« zugeordnet. Görlitz gehörte einst zum »Oberlausitzer Sechsstädtebund« und besaß in der Frühen Neuzeit eine konfessionell und kulturell unterschiedlich geprägte Bevölkerung. Zudem war die Stadt kulturell lange mit Böhmen und Schlesien besonders verbunden, was sich auch in der Inschriftenüberlieferung widerspiegelt.


Inschriftenträger können u. a. Altäre, architektonische Elemente, Gemälde, Grabmonumente und -platten, Portale von Kirchen u. a. Gebäuden, Skulpturen, Teppiche oder Wandmalereien sein, die in öffentlichen oder privaten Räumen positioniert wurden. Inschriften umfassen daher Beschriftungen ganz verschiedener Materialien, u. a. Glas, Holz, Leder, Mosaiken, Stein und Stoff. Man führte sie oftmals in besonderen Schriftformen und sprachlich ­anspruchsvollen Texten aus. Die Aufraggeber intendierten mit diesem Medium spezifische Botschaften, die dauerhaft für einzelne, mehrere oder viele Adressatenkreise bestimmt waren. Die Inschriftenforscher analysieren sowohl die Inschriftenträger und deren Einbettung in den architektonischen bzw. räum­lichen Kontext als auch den Inhalt der Texte und die Schriftarten und -formen. Edition und Kommentierung der Inschriften erfordern interdisziplinäre Untersuchungen, in der Regel bau- und kunsthistorische, historische, paläographische und philologische.


Zur Edition original überlieferter Inschriften gehören die Schriftbestimmung und -beschreibung. Der in diesem Heft abgedruckte Beitrag von Cornelia Neustadt, die den Inschriften-Band für Meißen bearbeitet, kann exemplarisch für diese Aufgabe stehen. Das Stifterjoch im Hohen Chor des Meißner Doms wird noch heute durch vier überlebensgroße Skulpturen dominiert, die Kaiser Otto I. († 973) und Kaiserin Adelheid († 999) als Stifterpaar sowie die Schutzpatrone Johannes Evangelist und Donatus von Arezzo darstellen. Johannes hält ein aufgeschlagenes Buch mit einer Inschrift in seiner linken Hand. Cornelia Neustadt demonstriert, dass es zur Klärung der Frage, ob die heute sichtbare Form der Auszeichnungsschrift im Buch (Gotische Majuskel) noch in die Zeit der Aufstellung der Skulptur in den 1260er Jahren zu datieren ist, später entstand oder verändert wurde, nicht ausreicht, nur deren weitere Geschichte bis in die Gegenwart zur verfolgen. Vielmehr sind auch Forschungsergebnisse über die Baugeschichte des Meißner Domes und weitere originale Inschriften in Gotischer Minuskel zum Vergleich heranzuziehen, um die Schriftformen der Buchstaben und deren Zeitstufen konkret zu bestimmen.


Im Aufsatz von Sabine Zinsmeyer, die den Band für die Stadt Görlitz vorbereitet, wird eine andere Hauptaufgabe des Akademievorhabens sichtbar: die Erfassung und kritische Analyse nur abschriftlich tradierter Inschriften sowie die kombinierte Auswertung originaler und kopialer Überlieferung. Am Beispiel des Görlitzer Bürgers und Fernhändlers Hans Frenzel (1463–1526) und dessen Familie kann die Verfasserin den gezielten Einsatz und die Bandbreite von Inschriften für die Memoria und Repräsentation in einer florierenden Handelsstadt zeigen. Dazu zählen u. a. die äußere und innere Ausgestaltung von Frenzels Wohnhaus sowie der von ihm gestifteten und 1512 geweihten Annenkapelle mit Inschriften, die sich im öffentlichen Raum innerhalb der Stadt befand. Die Memoria für die Familie wurde ebenso an der Görlitzer Nikolaikirche verankert. Aus der schriftlichen Überlieferung ist eine Reihe weiterer Stiftungsobjekte Frenzels bekannt, die heute nicht mehr existieren. Ausgehend von epigraphischen Recherchen leistet Sabine Zinsmeyer einen Beitrag zur Frömmigkeits-, Kultur- und Sozialgeschichte der Stadt Görlitz im 15. und 16. Jahrhundert.


  1. 1www.akademienunion.de/forschung/akademienprogramm/ (1.10.2020).

  2. 2Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Göttinger Akademie der Wissenschaften, Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

  3. 3 www.inschriften.net (1.10.2020).

  4. 4Die Inschriften der Stadt Wittenberg, gesammelt und bearb. von Franz Jäger und Jens Pickenhan, unter Mitwirkung von Cornelia Neustadt und Katja Pürschel, 2 Teile (Die Deutschen Inschriften, Bd. 107), Wiesbaden 2019.

  5. 5Dies sind die Bände über die Inschriften des Landkreises Weißenfels (2005), des ehemaligen Landkreises Querfurt (2006), des Doms zu Halberstadt (2009), der Stadt Halle (2012) und der Stadt Halberstadt (2014); online zugänglich über www.saw-leipzig.de/inschriften sowie www.inschriften.net (1.10.2020).
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Heft 22 (2020)
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1867-7061

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