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Pessimistische Bemerkungen aus gegebenem Anlass1

Der Wissenschaftsrat hat in diesem Jahr das Akademienprogramm unter den von ihm vor fünf Jahren beschlossenen und den Ländern empfohlenen Grundsätzen erneut evaluiert. Das ist sein gutes Recht und gehört zu seiner Aufgabe. Dabei bleibt nicht aus, dass die eigenen Ansichten des Gremiums nicht bloß zu Empfehlungen, sondern am Ende zu Kriterien förderungswürdiger Entwicklungen der Union der Akademien in Deutschland werden. Bedauerlich ist nur, dass ein Gesamtverständnis der realen Rolle und eine wirklich visionäre Beurteilung der Chancen der Arbeit der Länderakademien in unserem Land fehlen. Am Gegenstand der Beurteilung wird offenbar nur das wahrgenommen, was unter die Optik der eigenen Idee von rechtfertigbarer Forschung fällt.

Das Bild einer Akademie, mit welchem der Wissenschaftsrat arbeitet, hat er sich gewissermaßen selbst geschaffen. Er setzt sich dann auch für das ein, was er unter »Akademie« versteht: Akademie ist eine Verteilungsinstanz von Fördergeld für spezielle Aufgaben. Das Förderprogramm ist für jeden offen, der die Antragsbedingungen erfüllt. Mitglied einer Akademie zu sein, heißt Mitglied der ersten Bewilligungsinstanz zu sein – mehr nicht. Die Mitglieder der Akademien werden so zu Hilfstruppen für die Evaluation von Langzeitprojekten, die auch an den Universitäten angesiedelt sein können. Der Wissenschaftsrat hat den strukturellen Denkfehler dieser Idee einer ›sinnvollen‹ Aufgabenstellung an die Akademien weder damals noch in dieser Sitzung erkannt. Denn wer strebt in einer solchen Lage eigentlich noch nach Mitgliedschaft? Besteht darin die wissenschaftliche Ehre, Gutachter sein zu dürfen und Fremdprojekte in regelmäßigen internen Evaluationen zu betreuen? Überspitzt gesagt, ist eine Akademie, aus Sicht des Wissenschaftsrates, eine Art Unterkommission der DFG für ein spezielles Fördersegment, nämlich geisteswissenschaftliche Langzeitprojekte. Ob dabei die Wissenschaftspolitik der DFG wirklich ein gutes allgemeines Maß für alle Wissenschaftssteuerung ist, wird leider nicht befragt.

Und was ist mit den Akademien als Gelehrtengesellschaften? Machte es nicht einst den ethischen Wert der Mitgliedschaft aus, zu einem Kreis ausgezeichneter Wissenschaftler zu gehören? Und war es nicht eine Ehre, in einer Akademie zum Nutzen praxisbezogener Wissenschaft wirken zu können? War das Erreichen der auf diesem ethischen Wert beruhenden Mitgliedschaft früher nicht ein allgemeiner Ansporn für wissenschaftliche Leistung? Ja, früher vielleicht. Heute nutzt man andere, vermeintlich bessere Mittel. Vor allem argumentiert man mit finanziellen Anreizen.

Doch es ist alles andere als klar, ob und wie weit das der Wissenschaft guttut. Die Gefahr ist, dass man ethische Urteile und den Ansporn freier Anerkennung aus der Wissenschaft eliminiert und eben damit die Freiheit der Wissenschaft beschädigt. Dass sich Freiheit und Moral ebenso wie persönliche Leistungskraft und gegenseitiges Vertrauen wechselseitig bedingen, hat sich trotz Kant offenbar noch nicht weit herumgesprochen. Schon gar nicht scheint man zu wissen, dass Ökonomisierungen unökonomisch sein können. Wenn sich ein Hund nur noch mit fetten Knochen ködern lässt, wer weiß dann, ob der Köder den Hund in die richtige Richtung führt?

Der Normalwissenschaftler wird immer mehr zu einem Angestellten mit klar definierten Aufgaben in der Lehre und in der Universitätsverwaltung, der, um fruchtloser Untätigkeit vorzubeugen, finanzielle Beihilfe nur erhalten kann, wenn er eine durch Evaluierungsinstanzen abgesegnete und weiterer Evaluierung unterstellte Aufgabe bearbeitet, die sich unter dem Titel »Drittmittelforschung « abrechnen lässt. Der Wissenschaftsrat, und das ist mein Vorwurf, beurteilt jetzt auch eine Akademie nach entsprechenden Gesichtspunkten. Ob damit nicht am Ende bloß die Misere der Universitätswirklichkeit auf die Spitze getrieben wird, ist eine offene Frage.

Die Bildungslandschaft Europa verlottert gerade durch Flurbereinigungsmaßnahmen. »Bologna« steht dabei durchaus weniger für eine Europäisierung des höheren Bildungssystems als für eine Italianisierung des deutschen, wie man von Spöttern aus anderen Ländern hört, nicht ohne einen Seitenblick auf Herrn Berlusconi. Der Drang nach Höherem, Aufklärung und Humanismus, Verbesserung der Institutionen oder einfach nach Wissen und Wahrheit weicht der Forderung nach unmittelbarer Verwertbarkeit. Enthusiasmus wird durch Geld ersetzt – und der Wissenschaftsrat befördert das, möchte das zur Normalität des Daseins einer Akademie machen. Dazu gehört es auch, alles in eine der heutigen Informationstechnik angepasste Form zu bringen. Als Anreiz dafür setzt sich der Wissenschaftsrat für einen reichlicheren Geldzufluss ein.

Sicher, man kann zweifeln, ob in den Akademien immer noch die Ideale vorherrschen, welche ein genuines wissenschaftliches Streben tragen. Und es scheint doch so zu sein, dass Staat und Gesellschaft es kaum erwarten können, bis einem Wissenschaftler etwas Neues einfällt. Doch dass Einfälle Freiräume voraussetzen und nachhaltige Forschung einen langen Atem braucht, wird bestenfalls in Sonntagsreden verbal anerkannt. Für sperrige und eigenwillige Personen wie Gottlob Frege oder gar Ludwig Wittgenstein, die ›dicke Bretter‹ zu bohren vermochten, hätte der heutige Universitätsbetrieb wohl gar keinen Platz mehr. Albert Einstein hätte man durch Arbeitsbelastung in seinem Ressort schnell dahin gebracht, nicht über Raum und Zeit, sondern zum Zwecke weiterer Einsparung von Personalkosten über effektivere Bearbeitung von Patentanträgen nachzudenken. Der Wissenschaftsrat würde, wäre er unglücklicherweise auch hier um Evaluierung gebeten, seiner heutigen Denkart folgend wohl diesen Rat geben: Mehr Kontrolle! Schluss mit der ungezügelten Freiheit! Ausschreibung möglicher Patentierungsbereiche bei streng begrenzter Bearbeitungszeit und vernetzter Beratung der Schwerpunkte der Ausschreibungen durch Aufnahme von Vertretern aus der Industrie und dem Dienstleistungsbereich in das Leitungsgremium. Entsprechend kurzatmig ist auch die Forschungsförderung geworden. Für Langfristprojekte, wie sie die Akademien bisher getragen haben, wird es immer schwerer. Kann man das als Fortschritt wissenschaftlicher Kultur bewerten?

Es kommt das Folgende hinzu: Der Wissenschaftsrat hat nicht geprüft, ob seine empfohlene Beschränkung des Wirkungsbereiches der Akademien auf die Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften unter Ausschluss der Naturund Technikwissenschaften nicht völlig kontraproduktiv ist. Am Ende mutiert die Empfehlung unfreiwillig zu einer Satire. Denn das scheint der Rat zu sein: Agiert der Manier folgend, die man euch nachsagt, und verzichtet auf wissenschaftliche Gründlichkeit und Exaktheit zugunsten der Einhaltung der Bearbeitungsschritte eines Projekts.

Es fragt sich, ob alle unsere früheren Diskussionen um Integration, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität der Wissenschaften, einschließlich der Technikwissenschaften, nur ein Gerede zeitweilig geduldeter akademisch gebildeter Hofnarren war. Überhaupt scheint wenig so unernst gemeint oder so kurzlebig zu sein wie die schön klingenden Worte von Bildungspolitikern und ihren wissenschaftlichen Beratern. Wenn erforderlich, kann man ja Naturwissenschaftler auch konsultieren, und wenn es gar nicht anders geht, in eine Projektgruppe aufnehmen! Doch das Leben einer Akademie kann nicht auf einer entsagungsreichen Hingabe der Teilnahme aufgebaut werden. Und die wissenschaftshistorische Aufbereitung geistes- und kulturwissenschaftlicher Archivbestände ist nicht tauglich, um sie am Leben zu erhalten. Die Empfehlung des Wissenschaftsrates ist daher am Ende eine Empfehlung zur Aufhebung der Akademien – verpackt in einer vermeintlichen Anerkennung der Leistungen der Akademien bei der ›Modernisierung‹ ihres Forschungsprogramms.

  1. 1Der Autor war Mitglied des Wissenschaftsrates von 1991–1997.
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Heft 3 (2009)
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