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Zur Bedeutung der Erforschung des Wassers in Talsperren

Die Wasserkrise ist unter den akuten weltweiten Krisen die schwerwiegendste, weil Wasser sich als Ressource in keiner Weise substituieren lässt. In Zukunft werden Talsperren die weitaus wichtigste Wasserressource darstellen. Denn durch die Klimaveränderung, das Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Erschöpfung der Grundwasserressourcen erlangen Trinkwassertalsperren eine immer größere Bedeutung.

Eine wesentliche Ursache des aktuellen Wassermangels ist, neben der Sicherung der Trinkwasserversorgung, der stark steigende Wasserbedarf für die Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen zur Produktion von Lebensmitteln, aber auch von Treibstoffen.

In Deutschland steht pro Kopf schon jetzt weniger Wasser zur Verfügung als in den Nachbarländern Frankreich und Großbritannien. Ursache ist das meteorologische West-Ost-Gefälle. Für die absehbare Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, auch zur Gewinnung von »Bio-Diesel«, werden zunehmend Flächen genutzt werden müssen, die in Wasserschutzgebieten für Trinkwassertalsperren liegen. Daraus resultiert eine ganz neuartige Situation, nämlich eine völlig unerwünschte stoffliche Mehrbelastung.

In den semiariden Klimazonen ist die Situation noch besorgniserregender. Hier zeichnen sich schon jetzt künftige Auseinandersetzungen um Wasser ab. Die verfügbaren Reserven an Grundwasser sind infolge des Bevölkerungswachstums bereits so stark verringert, dass für die Sicherung der Versorgung mit Trink- und Bewässerungswasser nur noch der Bau weiterer Talsperren in Frage kommt. Im Gegensatz zum Grundwasser unterliegt jedoch das Trinkwasser der in der Nähe von Ballungszentren gelegenen Talsperren (Urban Lakes) einer abwasserbürtigen Belastung mit Pflanzennährstoffen, die zu massivem Algenwachstum führt. Die Aufbereitung solchen Wassers ist mit extrem hohen Kosten verbunden, die in der überwiegenden Mehrzahl der Länder nicht an die Verbraucher weitergereicht werden können. Dies führt in der Praxis dazu, dass vielfach Wasser von völlig unzureichender Beschaffenheit als Trinkwasser genutzt werden muss. Besonders problematisch ist die Produktion von cancerogen wirkenden Schadstoffen (Microcystine) durch photosynthetische Bakterien. Problematisch sind auch Substanzen, die wegen ihres stark erdigen Geruchs das Rohwasser ungenießbar machen bzw. dessen Aufbereitung extrem verteuern. Es wird weltweit immer schwieriger, Standorte für die Errichtung von Trinkwassertalsperren zu finden, die nicht mit Nährstoffen oder Fäkalkeimen belastet sind.

Über das Verhalten pathogener Bakterien im Ökosystem Talsperre ist bisher sehr wenig bekannt. Aufgrund welcher biologischer Regulationsmechanismen dennoch eine gewässerinterne Verbesserung der Wasserbeschaffenheit erreicht werden kann, ohne dass die Kosten für die Aufbereitung untragbar hoch werden, ist Gegenstand der Grundlagenforschung (»Biotische Struktur von Stauseen«) an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW).

Während die Limnologie von Seen schon seit Ende des 19. Jahrhunderts intensiv erforscht wird, fehlen entsprechende Kenntnisse über Talsperren weitgehend. Obwohl Talsperren weltweit eine viel größere praktische Bedeutung besitzen als Seen, befasst sich nur ein winziger Bruchteil der limnologischen Forschungskapazität mit solchen Objekten und speziell mit Trinkwassertalsperren. In Europa existiert außerhalb Deutschlands nur je eine Akademie- Forschungsgruppe, die sich ganz oder partiell mit Talsperren (aber nicht Trinkwassertalsperren) befasst: in der Tschechischen Republik und in Russland. Wegen deren viel komplizierteren Hydrodynamik können auf Talsperren die Ergebnisse der Seenforschung nur sehr bedingt übertragen werden. In Talsperrensedimenten wirken aquatische und terrestrische Mikroorganismen in bisher unbekannter Weise zusammen. Mikroorganismen haben einen entscheidenden Anteil am Stoffkreislauf von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel. Durch ihre Tätigkeit kommt es unter bestimmten Umweltbedingungen zur Freisetzung von Pflanzennährstoffen, wie z. B. Phosphat aus dem Sediment, was das Planktonwachstum beeinflussen könnte. Weiterhin kommt es zur Bildung von Methan und Schwefelwasserstoff, was zum Fischsterben führen kann. Bisher ist sehr wenig über die Diversität der Mikroorganismen in Talsperrensedimenten, deren Interaktionen und die Stärke des Einflusses der Mikroorgansimen auf das Verhalten des Gesamtökosystems Talsperre bekannt. Molekularbiologische Methoden machen es möglich, die bisher unbekannte mikrobielle Struktur solcher Sedimente zu ermitteln.

Ein ganz besonders wichtiges Forschungsobjekt ist bei Talsperren der bis jetzt wenig aufgeklärte Zusammenhang zwischen hydrometeorologischen Steuergrößen einerseits und dem jahreszeitlichen Phytoplankton-Massenwechsel (Algen) andererseits. Dadurch kann die Dauer der Frühjahrs-Vollzirkulation unerwartet stark für das Wachstum des Phytoplanktons ins Gewicht fallen, speziell bei Diatomeen (Kieselalgen), so dass selbst eine Halbierung des Phosphatangebots durch Sanierung des Einzugsgebietes (Bau von Kläranlagen mit Nährstoffelimination) in den meisten Fällen weitgehend unwirksam blieb. Solche Zusammenhänge aufzudecken, ist jedoch nur auf der Grundlage langjähriger Zeitreihen möglich. Dabei geht es in erster Linie um die Aufklärung kausaler Verknüpfungen von prinzipieller Bedeutung.

In den Laboratorien der Wasserwerke werden aus Trinkwassertalsperren allenfalls Planktonproben in vierwöchigen Abständen entnommen. Um aber überhaupt die Dynamik des Phytoplankton-Massenwechsels erfassen zu können, muss die zeitliche und räumliche Auflösung der Probeentnahmen weitaus höher sein. Die fast einzige derartige Zeitreihe (über 35 Jahre) existiert in der erforderlichen Detailliertheit innerhalb Deutschlands (und möglicherweise sogar weltweit) für die Talsperre Saidenbach/Erzgebirge, die von der SAW-Arbeitsgruppe seit langem untersucht wird. Der Datensatz der SAW hat nun endlich die Länge erreicht, die erforderlich ist, um im Hinblick auf Klimafolgen ausgewertet werden zu können. Die vorgeschlagene Unterbrechung dieser Kontinuität wäre ein großer Verlust.

Eine Langfrist-Grundlagenforschung an Talsperren existiert in keiner weiteren Einrichtung in Deutschland. Nur von einer Trinkwassertalsperre bei Moskau ist noch bekannt, dass dort (vom Lehrstuhl für Hydrobiologie der Lomonossov-Universität) das Pelagial einer Trinkwassertalsperre bereits seit 1967 untersucht wird.

Für die Bedeutung der bearbeiteten Thematik spricht unter anderem die Aktualität und Verallgemeinerungsfähigkeit der bisher dokumentierten Ergebnisse, besonders auf dem Gebiet des Plankton-Massenwechsels in Talsperren und seiner physikalischen und chemischen Steuergrößen. Die Ergebnisse der bisherigen kontinuierlichen Untersuchungen über drei Jahrzehnte an der Talsperre Saidenbach sind in Buchform veröffentlicht.

Von den jetzt laufenden Forschungsarbeiten seien die molekulargenetischen Untersuchungen an Talsperrensedimenten hervorgehoben, weil deren mikrobielle Struktur noch weitestgehend unbekannt ist. Im Gegensatz zu den meisten Seensedimenten finden sich in Talsperren auch sehr viele Bakterienarten terrestrischer Herkunft. Ihre Koexistenz mit den aquatischen Mikroorganismen ist auch von praktischem Interesse. Im Hinblick auf die Nutzung als Trinkwasser sind besonders der Verbleib hygienisch relevanter Arten (pathogener Bakterien und Viren) von Interesse sowie die Bildung toxischer Stoffe durch Bakterien. Das Gewässersediment stellt ein großes Reservoir für eine Vielzahl von Bakterien dar, deren Konzentration in diesem Habitat um ein Vielfaches höher ist als im Freiwasser. Daher kann es hier zu einer Ablagerung von Pathogenen kommen, die unter bestimmten Umweltbedingungen wieder ins Wasser und damit auch ins Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung gelangen können. Bisher gibt es auch noch keine Vorhersagesysteme, unter welchen Umweltbedingungen von Cyanobakterien bestimmte Toxine bzw. Geruchs- und Geschmacksstoffe gebildet werden. Hier ist die Grundlagenforschung gefragt, um in der Zukunft ein Gefährdungspotenzial abschätzen zu können. Erst in den letzten Jahren wurden molekularbiologische Methoden entwickelt, die entsprechende Untersuchungen ermöglichen.

Ein naturwissenschaftliches Langzeitprojekt wie das hier zur Diskussion stehende kann am besten von einer Länderakademie betreut werden. Gerade solche Projekte verwirklichen den Leitgedanken jeder echten akademischen Forschung »theoria cum praxi« (Leibniz) in überzeugender Weise.

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Heft 3 (2009)
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1867-7061

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