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»Hilft Diffusion bei der Altersbestimmung von Keramik?«


Bericht über das 1. Mitteldeutsche Diskussionsforum, Leipzig, 
23. März 2016


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Das »Mitteldeutschen Diskussionsforum« ist eine neue Veranstaltungsreihe der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und fokussiert auf Ausbreitungsphänomene in Natur, Technik und Gesellschaft in ihrer ganzen Bandbreite. Die inhaltliche Ausrichtung liegt in der Verantwortung der Strukturbezogenen Kommission »Ausbreitungsphänomene in Natur, Technik und Gesellschaft«.


Ausbreitungsphänomene und die ihnen zugrundeliegenden Mechanismen sind heute Untersuchungsgegenstand in vielen Wissenschaftsdisziplinen: Seien es ökologische Veränderungen, der Wandel von Sprachen oder Epidemien – beim fächerübergreifenden Diskurs zum Thema Ausbreitung ergeben sich oft erstaunliche neue wissenschaftliche Impulse. Die Auftaktveranstaltung1 fand am 
23. März 2016 unter Leitung von Jörg Kärger in Leipzig statt. Thematisch ging es um die Beantwortung der Frage: »Hilft Diffusion bei der Altersbestimmung antiker Keramik?« Renommierte Archäologen und Physiker aus Oxford, Tel Aviv, Hannover und Leipzig debattierten während der ganztägigen Veranstaltung über neue wissenschaftliche Ansätze zur Altersbestimmung antiker Keramiken. 


Keramische Materialien zeigen eine bemerkenswerte Eigenschaft, durch die sich völlig neue Wege für ihre Altersbestimmung eröffnen könnten. Nach ihrer Fertigung im Brennofen und einer über wenige Tage dauernden ersten Phase, in der sich ihr inneres Porensystem mit Feuchtigkeit aus der umgebenden Atmosphäre füllt, folgt die weitere Massenzunahme der Objekte mit bemerkenswerter Genauigkeit der vierten Wurzel aus der Zeit, die seit ihrer Herstellung verstrichen ist.2 Die Nutzung dieser Korrelation zur Altersbestimmung antiker Keramik ist ein spannender Gegenstand internationaler Forschung. Einige Modellüberlegungen zur Erklärung dieses experimentellen Befundes basieren auf der bemerkenswerten Analogie, dass die mittlere Verschiebung diffundierender Teilchen im Inneren enger Kanäle, die Positionswechsel der Teilchen untereinander ausschließen (sogenannte single-file-Systeme), gleichfalls dieser ungewöhnlichen Zeitabhängigkeit folgen.3 Allerdings existieren gegenwärtig weder hinreichend gesicherte experimentelle Daten noch überzeugende Modellberechnungen, aus denen sich ein solcher Zusammenhang ableiten lässt. Die Ursachen für das beobachtete Verhalten und die relevanten kausalen Zusammenhänge liegen daher noch weitgehend im Dunkeln. 


Darum war es eines der Hauptanliegen dieses Treffens, zu neuen Kontakten und mit neuen Denkansätzen zur Ursachenforschung dieses Problems beizutragen. Das Diskussionsforum konnte an gemeinsame Vorarbeiten anknüpfen, deren Ergebnisse im August 2015 in Dresden im Rahmen von Diffusion-Fundamental VI bereits den Teilnehmern aus mehr als 20 Ländern vorgestellt wurden.4 Die Veranstaltung beschäftigte sich mit Ausbreitungsphänomenen in zweierlei Hinsicht: Zum einen ging es um den Stofftransport und Veränderungen im antiken Fundgegenstand als Aufgabe der Materialwissenschaften, zum anderen um die Erforschung der Ausbreitungswege von der Herstellung bis zu den vielfältigen Nutzungen als Aufgabe der Archäologie. Der Plenarvortrag von Vincent J. Hare von der University of Oxford, Research Laboratory for Archaeology and the History of Art, beschäftigte sich mit Ceramics as a key material for material sciences and archaeology: An introduction into their structure and into the methods of investigation. Er legte damit die stofflichen wie methodischen Grundlagen für den Vortrag von Murray Moinester von der Tel Aviv University, School of Physics and Astronomy, der unter dem Titel Rehydroxylation (RHX) Dating of Archaeological Ceramics, das neue Verfahren zur Altersbestimmung vorstellte. Wieso diesem Verfahren, so seine Verlässlichkeit denn einmal überzeugend nachgewiesen ist, einmal eine große Bedeutung zukommen wird, erläuterte Alexander Fantalkin von der Tel Aviv University, Department of Archaeology & Ancient Near Eastern Cultures in seinem Vortrag über die Chronology and its central role in understanding the nature of changing human societies: An einigen Beispielen erläuterte er, dass über die zeitliche Reihenfolge einiger historischer Ereignisse zur Zeit noch sehr kontrovers diskutiert wird. In den Vorstellungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Schulen existieren Diskrepanzen bis hin in solche Bereiche, wo die Methode des Rehydroxylation (RHX) Dating wichtige neue Erkenntnisse – zur Bestätigung bzw. Widerlegung der bestehenden Vorstellungen – liefern könnte. 


Im Mittelpunkt der anschließenden Vorträge und Diskussionen standen erste Ergebnisse von Untersuchungen, die inzwischen auch in Hannover (Jürgen Caro) und Leipzig (Christian Chmelik, Dieter Freude) an den Materialien durchgeführt wurden, die von den Kooperationspartnern in Großbritannien und Israel bereitgestellt wurden. Gemeinsam mit Christian Chmelik hatte die Moderation dieses zweiten Teils der Veranstaltung Christopher Hall5 Edinburgh, übernommen, einer der Entdecker dieses Phänomens vor wenig mehr als einem Jahrzehnt, das nun möglicherweise Grundlage für eine völlig neue Methode der Altersbestimmung antiker keramischer Kulturgüter werden könnte.


Unter dem Thema »Ausbreitungs- und Aussterbeprozesse und ihr Beitrag zur (De-)Stabilisierung von Ökosystemfunktionen« hat die Serie, eingebettet in einen Workshop zu Problemen der Biodiversität am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, in einer öffentlichen Veranstaltung unter Leitung von Ingolf Kühn am 17. November 2016 ihre sehr erfolgreiche Fortsetzung gefunden. Vortragende waren Gero Vogl, Wien, mit How to manage spread and allergy costs of alien ragweed – a physicist’s approach und Jonathan Jeschke, Berlin, mit Assessing introduction pathways and impacts of alien animals. Das dritte Treffen schloss am 8. März 2017 mit der Vorstellung und Diskussion erster Untersuchungsergebnisse unmittelbar an die Auftaktveranstaltung – und damit auch an das Titelbild dieses Berichtes – an.

  1. 1Unter Schirmherrschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kooperation mit der Universität Tel Aviv und der Universität Leipzig im Rahmen des Erasmus-Programmes der Europäischen Gemeinschaft.

  2. 2Vgl. Moira A. Wilson u. a., »Kinetics of moisture expansion in fired clay ceramics: a (time)(1/4) law«, in Physical Review Letters 90 (2003), 125503; dies. u. a., »Dating fired-clay ceramics using long-term power law rehydroxylation kinetics«, in Proceedings of the Royal Society A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences 465 (2009) 2407–2415.

  3. 3V. Kukla u. a., »NMR Studies of single-file diffusion in unidimensional channel zeolites «, in Science 272 (1996), S. 702–704.

  4. 4
Siehe Vincent J. Hare u. a., »Testing the (time)1/4 diffusion law of rehydroxylation in fired clays: evidence for single-file diffusion in porous media?«, in Diffusion Fundamentals 25 (2016), 5, S. 1–11, http://www.qucosa.de/recherche/frontdoor/?tx_slubopus4frontend[id]=20118 (28.12.2016).
  5. 5Wilson u. a., Kinetics of moisture expansion (Fn. 2); Wilson u. a., Dating fired-clay ceramics (Fn. 2).

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Heft 17 (2017)
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