Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche
denkstroeme-heft22_berichte_otto_1.jpg

Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe


Unter Einschluss des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Im Auftrage der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig herausgegeben von Detlef Döring † und Manfred Rudersdorf


Band 14: November 1748 – September 1749. Herausgegeben und bearbeitet von Caroline Köhler, Franziska Menzel, Rüdiger Otto und Michael Schlott, de Gruyter, Berlin/Boston 2020, LXXX, 742 Seiten, Festeinband


Der 14. Band der Gottsched-Briefedition enthält die Korrespondenz von November 1748 bis September 1749, insgesamt 207 Briefe. Das Themenspektrum ist weitgespannt. Zwei lebensgeschichtlich einschneidende Ereignisse dieses Zeitraums und ihre Spuren im Briefwechsel verdienen besondere Beachtung. Im Januar 1749 starb Ernst Christoph von Manteuffel. Der frühere kursächsische Kabinettsminister und versierte Diplomat hatte sich seit seinem Rückzug aus der aktiven Politik in besonderer Weise der Förderung der aufgeklärten Philosophie Christian Wolffs gewidmet. Dass Wolff in Preußen aus einer persona non grata zum bevorzugten Philosophen wurde, war nicht zuletzt ihm zu verdanken. Als Gründer und Haupt der Societas Alethophilorum, der Gesellschaft der Wahrheitsfreunde, unterhielt Manteuffel enge Kontakte zu Protagonisten der Aufklärung insbesondere unter den Theologen. Der Briefwechsel mit Gottsched begann 1737 und wurde in einer beispiellosen Dichte geführt. Die nahezu vollständig überlieferte Korrespondenz weist Manteuffel als kompetenten Gesprächspartner in ästhetischen und philosophischen Fragen aus. Vor ­allem war der gut vernetzte Reichsgraf ein verlässlicher Berater und Schirmherr in heiklen Angelegenheiten universitäts- oder religionspolitischer Natur. Auch Gottscheds Gemahlin, Luise Adelgunde Victorie Gottsched, unterhielt eine Korrespondenz mit Manteuffel, keineswegs nur als Assistentin ihres Mannes. Ihre im späteren 18. Jahrhundert in einer Teilsammlung veröffentlichten Briefe brachten ihr den Ruf ein, »eine neue Epoche in der Entwicklung des deutschen Briefstils« eingeleitet zu haben.1 Die bislang noch kaum ausgewerteten Briefe an Manteuffel können dieses Urteil nur bestätigen. Die von einer souveränen Haltung und klaren, gleichwohl pointierten Formulierungen geprägten Briefe zeigen sie auf dem Höhepunkt ihrer Briefkunst. Seit 1740 lebte Manteuffel in Leipzig, zum Nachteil der Korrespondenz. Die Gottscheds und andere Professoren verkehrten fortan regelmäßig im Hause Manteuffels, der sich, selbst Absolvent der Leipziger Universität, nach Kräften für seine Alma Mater einsetzte. Es war mithin neben der persönlichen Dankesschuld auch eine amtliche Verpflichtung für Gottsched als Rektor des Wintersemesters 1748/49, eine Würdigung des Verstorbenen in Angriff zu nehmen. Es gab kleinere Veranstaltungen. Als weithin sichtbares Zeichen sollte eine Gedenkschrift erscheinen, die Leipziger Professoren, studierende Standesgenossen und auswärtige Verehrer des Grafen vereinte. Gottsched lud Geistesverwandte und Freunde zur Mitwirkung ein. Prominente Autoren wie Christian Wolff, der Berliner Akademiesekretär Jean Henri Samuel Formey oder der einflussreiche Aufklärungstheologe Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem schickten mit ihren Briefen Beiträge ein, die, auch wenn man genretypische und zeitspezifische Übertreibungen in Rechnung stellt, ein bemerkenswertes Zeugnis für den Wissenschaftsförderer Manteuffel ausstellen. 


Seit ihrem Aufenthalt in Königsberg zum Universitätsjubiläum im Sommer 1744 hatten die Gottscheds bestenfalls Ausflüge in die nähere Umgebung unternommen. Die Reise in das entfernte Wien mit Kutsche und Schiff war insofern schon ein besonderes Ereignis, und ihr Verlauf verlieh ihr einen besonderen Glanz. Ende Juli 1749 brach das Ehepaar Gottsched von Leipzig auf. Zunächst allerdings stand ein Kuraufenthalt in Karlsbad auf dem Plan. Mehr war in Gottscheds Antrag an das zuständige Oberkonsistorium und in dessen behördlicher Bewilligung nicht vorgesehen. In Wien hingegen, das zeigen Briefe aus der Stadt, rechnete man lange vor Reisebeginn mit dem Besuch Gottscheds. Warum Gottsched seinen Vorgesetzten das Reiseziel Wien verschwieg, bleibt Gegenstand der Spekulation. Die ihm verordnete Brunnenkur in Karlsbad und die ärztliche Kunst betrachtete Gottsched mit ironisch getönter Skepsis, wie ein Versbrief zeigt: »Wohl dreyßig Bächer voll verschluck ich jeden Morgen/ Wie nöthig sie mir sind, laß ich den Arzt besorgen,/ Der mich vielleicht nur plagt, wenn er zu helfen denkt,/ Und, weil ihm Rath gebrach, mich auf den Brunn gelenkt.« (S. 542). Außer diesem Versbrief entstand auch die umfangreiche Ode Das Carlsbad, eine Beschreibung des Orts und seiner (Natur-) Geschichte wie auch der Wirkungen des Heilwassers. Die Ode mündete in eine Huldigung der Kaiserin Maria Theresia. Das passte zwar nicht unbedingt zum Thema, erfüllte aber seinen Zweck. Das Gedicht wurde umgehend publiziert, gelangte auf schnellem Wege nach Wien und sorgte für die nötige Aufmerksamkeit in der höfischen Gesellschaft. Empfehlungsbriefe und Gottscheds Wiener Freunde taten ein Übriges. Gottsched durfte die kaiserliche und private Bibliothek für seine Forschungen aufsuchen, Theaterkarten wurden gratis zur Verfügung gestellt, es gab Einladungen in vornehme Kreise. Gegen Ende des Aufenthalts, am 28. September, fand die Reise ihren Höhepunkt. Man wartete »in der großen Antichambre der Kaiserinn, mit 100 andern Personen zugleich«, um Maria Theresia von Nahem zu sehen und zum Handkuss zugelassen zu werden. Völlig überraschend wurden die Gottscheds »in ein klein Gemach« geführt (S. 609 f.). Maria Theresia mit drei Töchtern und dem Erzherzog Joseph traten ein, später auch der Kaiser. Eine Dreiviertelstunde lang wurde auf engstem Raum anmutig parliert. Man kann das im letzten Brief des Bandes nachlesen, einem enthusiastischen Schreiben der Frau Gottsched an ihre Nürnberger Freundin Maria Regina Thomasius. Er entstand noch am selben Tag unter dem unmittelbaren Eindruck des Ereignisses. Die ungemeine Öffentlichkeitswirkung dieser Audienz kann in den Briefen des kommenden Bandes verfolgt werden. 


Zu den weiteren Themen des vorliegenden Bandes gehört die zur Michaelismesse 1748 zuerst veröffentlichte Sprachkunst, Gottscheds Grammatik, die in den folgenden Jahrzehnten auch im süddeutschen Sprachraum einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt hat. Gottscheds Korrespondenten bejubelten das Werk, nahmen aber auch die im Vorwort platzierte Aufforderung, kritische Einwände einzusenden, ernst, was Gottsched nicht nur erfreute. Die Verbundenheit mit seiner ostpreußischen Heimat kommt auch im vorliegenden Band zum Ausdruck. Gottsched beriet und unterstützte Königsberger Gelehrte nach Kräften. Sein Wunsch allerdings, die Königsberger Deutsche Gesellschaft unter Cölestin Christian Flottwell mit der Freien Gesellschaft unter Christian Heinrich Gütther zu vereinigen, da beide mit Dichtung und Sprachpflege gemeinsame Ziele verfolgten und vereint eine größere Wirkung erreichen könnten, scheiterte an Unvereinbarkeiten der beiden Königsberger Professoren. Mit Kasualdichtungen und Widmungen konnte sich Gottsched nicht nur in Wien zur Geltung bringen. Auch weitere Unternehmungen dieser Art wurden sorgfältig vorbereitet und zeitigten die erwünschten Resultate. Die Briefe bieten hierfür Anschauungsmaterial. Einen Prestigegewinn konnten sowohl der Autor als auch die bewidmete fürstliche Persönlichkeit erzielen, wenn sich die Arrangements gut ergänzten und die Öffentlichkeit hinreichend ins Bild gesetzt wurde. Die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften in Bologna im November 1748, die sich der Fürsprache des Leiters der Vatikanbibliothek, des Kardinals Angelo Maria Querini, verdankte, verweist auf die internationale Wahrnehmung des Leipziger Professors. 


  1. 1Reinhard M. G. Nickisch, Brief, Stuttgart 1991, S. 46.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 22 (2020)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1