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Die Erschaffung der Nation als Literaturgesellschaft

Zu einer meist übergangenen Leistung des Publizisten Gottsched

Zu den epochalen Wandlungen der Aufklärungszeit, die bis heute grundlegend für die modernen westlichen Gesellschaften sind, gehört zentral die Entstehung einer neuartigen, ›bürgerlichen‹ Öffentlichkeit, an deren Meinungsbildungsprozessen jedermann teilnehmen darf und soll. Unser Bild davon war lange geprägt durch Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit von 1962 und dessen These einer in Deutschland relativ verspäteten Entstehung dieser Öffentlichkeit, die sich außerdem zuerst in literaturkritischen Kontroversen herausgebildet habe und daher zur Politikferne neige. Seit einiger Zeit überwiegen indessen Gegenstimmen; so hat Ursula Goldenbaum nachdrücklich auf die juristisch-politischen Journale schon der deutschen Frühaufklärung verwiesen.1

Gleichwohl stellt sie Gottsched, der sich vor allem als Anwalt der Dichtkunst und Poetiker verstand2 und seine Hauptwirkung in den 1730er und 40er Jahren hatte, als zentralen Initiator und Organisator der entstehenden deutschen Öffentlichkeit dar. Mit ihrem Akzent auf der politischen und auch religionskritischen Aufklärung stimmt dies insofern noch überein, als sie Gottsched vornehmlich als überaus »erfolgreichen Popularisator der leibnizwolffianischen Philosophie« kennzeichnet und dieser Philosophie das »grundlegende und auch politisch subversive Prinzip« zumisst, dass »wir nichts glauben müssen, ohne ein verständiges Argument.«3 Trotzdem ist damit die Debatte wieder bei dem angekommen, von dem sie – etwas vergröbernd gesagt – einst ausgegangen ist, wenn auch unter positiverer Einschätzung der politischen Dimension seines Wirkens. Konkret stellt Goldenbaum das »politische Kalkül« heraus, das Gottscheds rastlosem Engagement für eine Öffentlichkeit innewohne, die sich unabhängig von den religiösen und staatlichen Autoritäten positioniert.

Auch der vorliegende Beitrag setzt bei Gottsched und einer politischen Dimension seiner Publizistik an, allerdings ohne nach etwas zu suchen, was aus heutigem Blickwinkel zustimmungsfähig ist. Vielmehr geht es um ein von der Gottsched- und meist auch von der allgemeinen Aufklärungsforschung gemiedenes oder negiertes Thema, nämlich den Nationalismus, mit dem seine literaturpolitische Publizistik verwoben ist: Das Publikum, das Gottsched anspricht bzw. durch seine Ansprache erst schafft, wird von ihm als ›deutsche Nation‹ gedacht, deren ›Ehre‹ zu verteidigen sei. Um die Etablierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit zu unterstützen, sucht Gottsched den Stolz seines Publikums auf die – auch, aber nicht nur literarischen – Leistungen des gesamtdeutschen Vaterlandes zu stärken. Wie zu zeigen ist, gerät er dabei in argumentative Widersprüche, so wie er sich historisch in einer Schwellensituation befindet: Indem er noch einmal die Topoi des frühneuzeitlichen Gelehrtennationalismus aktualisiert, überschreitet er ihn zugleich, denn die von ihm gerühmte Nation bildete sich erst als die Literaturgesellschaft heraus, die eben seine Publizistik evozierte.4

I. Die Literaturgesellschaft der Aufklärung und die deutsche Nation

Gottscheds Wollen und Wirken kann man am besten mit einem Superlativ zusammenfassen: Niemand hat das literarische Feld in Deutschland je so angestrengt zu beherrschen versucht wie er und niemandem ist dies so weitgehend gelungen – auch wenn man einrechnet, wie mühsam die Widerstände überwunden wurden, wie bald Gegenbewegungen auftraten und dass Gottsched solche Reichweite nicht als Einzelkämpfer, sondern als »Großorganisator«5 eines ausgedehnten Zulieferbetriebes erzielte. Detlef Döring nennt ihn deshalb den »Literaturpapst« des 18. Jahrhunderts,6 wobei Gottsched das literarische Feld eine Zeitlang weit monarchischer als jeder heutige Literaturkritiker beherrschte. Um seine Vorstellungen vom Zweck der Literatur und ihrer zur Erreichung dieses Zwecks geeignetsten Formen durchzusetzen, nutzte er »alle Medien und Genres«, die seiner Zeit zur Verfügung standen, um das interessierte Publikum zu erreichen, zu lenken und – nicht zuletzt – zu vergrößern:7 von der Abfassung von Lehr- und Regelbüchern für Dichtkunst,8 für Rhetorik9 sowie für Grammatik, Rechtschreibung und Prosodie10 über die Gründung und Redaktion verschiedener Rezensionszeitschriften11 und einer proto-germanistischen Zeitschrift12 bis zur Publikation von Dramen-Anthologien13 und Versuchen, durch Bündnisse mit führenden Theatertruppen direkt in die Schauspielpraxis einzugreifen14. Hinzu kommen die Moralischen Wochenschriften, die Gottsched teils aus dem Englischen übersetzte,15 teils selbst gründete und schrieb,16 wie bei fast allen seinen publizistischen Unternehmungen unter massiver Beteiligung seiner Frau Luise Adelgunde Victorie Gottsched. All dies diente der Einübung in ein Verständnis von Literatur als Bestärkung einer vernünftigen Weltbetrachtung und Lebensführung. Seine Wirksamkeit steigerte und verbreiterte er zudem durch ein weitgespanntes Korrespondentennetz, durch seine Vermittlungsdienste zwischen Autoren aus nahezu ganz Deutschland und dem Leipziger Buchhandel17 sowie durch die Führungsrolle der Leipziger »Deutschen Gesellschaft«, als deren Senior er fungierte, unter solchen gelehrt-geselligen Zirkeln, wie sie vielerorts im deutschen Sprachgebiet bestanden. So autoritativ Gottscheds Gestus und so präzeptoral sein Selbstverständnis waren: Ebenso umfassend, breit solchen gefächert und massiv waren die Mittel, mit denen er das literarische Feld zu regulieren versuchte.

Aus wem aber besteht das Publikum, das Gottsched ansprach? Der Adressat einer so ausgedehnten Publizistik konnte keine geringere Instanz als die Nation sein. Angesprochen sind stets ›die Deutschen‹. Konkret grenzte sich dies auf die kleine Gruppe der für Literatur Interessierbaren ein, wenngleich ›Literatur‹ hier noch im weiten Sinne von Sprachkunst und schriftlicher Wissenskultur zu verstehen ist und die Bemühungen um eine Theaterreform auch darüber hinauszielten. Bemerkenswert ist jedenfalls: Wenn der Literaturpolitiker Gottsched über – so wörtlich – »unser Vaterland« und »unsere Nation« schreibt, dann meint er damit kein einzelnes Territorium, sondern Deutschland und die Deutschsprachigen insgesamt.18 Das gilt auch dann, wenn ein lokaler Adressatenkreis angesprochen ist wie die Leipziger Mitbürger der dortigen »Deutschen Gesellschaft« oder Angehörige der dortigen Universität.19 Mathematisch könnte man von einer eineindeutigen Identifizierung der Nation mit Deutschland sprechen, d. h. die Nation ist Deutschland; mit ›Nation‹ ist z. B. nicht nur Sachsen gemeint. Nun war die eineindeutige Identifizierung der Nation mit dem ›ganzen‹ Deutschland im frühen 18. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich und auch Gottsched meint, wenn er über die Vorteile des in Leipzig getriebenen Handels für »unser Vaterland« schreibt, das Kurfürstentum Sachsen und nichts darüber hinaus.20 Ganz anders, wenn es um Sprache, Literatur und Theater geht: dann weitet sich die vaterländische Perspektive derart, dass obligat Deutschland insgesamt angesprochen ist.

Und was ist mit Deutschland gemeint? Fest umrissen ist Gottscheds Deutschland weder politisch noch geographisch. Bezüge auf das Reich (das Heilige Römische Reich deutscher Nation) sind selten: Einige patriotische Gedichte klagen, dass es in Kriegen uneins und deshalb unfähig sei, das Eindringen fremder, meist französischer Heere und den Verlust immer weiterer Grenzterritorien zu verhindern.21 Wichtiger als der politische Zusammenhang, den er als geschwächt wahrnimmt, ist für Gottsched das Band der gemeinsamen Sprache. Daher reicht »ganz Deutschland« nach seinem Begriff über die Reichsgrenzen hinaus.22 Wichtig ist ihm nicht nur die Zugehörigkeit seiner ostpreußischen Heimat, sondern er rechnet auch, über ihre großen »Söhne« Kopernikus und Hevelius, Westpreußen und Danzig dazu (was realiter erst durch die erste bzw. zweite polnische Teilung von 1772 und 1793 zu Preußen kam, niemals hingegen zum Reich gehörte).23 Mit Blick auf die deutschsprachige Schweiz setzt er sich noch deutlicher über eine verfassungsrechtlich unbestrittene Nichtzugehörigkeit zu Deutschland hinweg, wenn er an die Deutsche Gesellschaft zu Bern inklusiv von »unsrer deutschen Nation« und »unsern Landsleuten « schreibt.24 Für Gottsched bilden alle Deutschsprechenden die deutsche Nation. Wo er sich um deutsche Sprache und Literatur bemüht, gibt es keine Konkurrenz zwischen lokaler, territorialer und nationaler Loyalität. Die »patriotischen Triebe«, die er wecken möchte, gelten voll und ganz dem großen, noch über die Reichsgrenzen hinausreichenden deutschen Vaterland.25

Kann ein so weit ausgreifender Patriotismus überhaupt einen Adressaten haben? Wie gesagt: keinen unter den vorhandenen politischen Instanzen (der Kaiser in Wien, der Reichstag in Regensburg u. ä.). Konkret existiert die Nation, an die Gottsched sich wendet, lediglich in dem Lese- und Theaterpublikum, für das er schreibt, also in der gerade entstehenden deutschen »Literaturgesellschaft«.26 Diese Nation hat er sich im Grunde erst geschaffen. Darin besteht seine größte Leistung, die schlechthin epochal war und von langfristiger Bedeutung, letztlich bis heute. Denn mit der Erschaffung einer deutschen Nation in Gestalt der deutschen Literaturgesellschaft trug Gottsched wesentlich zur Etablierung einer aufklärerischen Öffentlichkeit bei. Besonders erstaunlich ist, dass es ihm gelang, diese Nation von ›literarisch interessierten Patrioten‹ zumindest annäherungsweise im ›ganzen‹ Deutschland zu evozieren.

Eine entscheidende Voraussetzung dafür war, dass er von Leipzig aus agierte, also von einem durch seine Universität und vielleicht mehr noch durch den Buchhandel ausgezeichneten intellektuellen Zentrum. Von hier aus hatte er als ›natürlichen‹, d. h. durch etablierte Distributionswege erschlossenen Wirkungsraum zunächst aber nur das protestantische Norddeutschland. Ein süddeutsches Publikum zu erreichen war erheblich schwieriger, und dies nicht nur in katholischen Territorien. Als hinderlich erwiesen sich mitunter schon mundartliche Differenzen: Auch im protestantischen Württemberg wollten manche nicht einfach die von Gottsched propagierte Vorbildlichkeit des Sächsischen akzeptieren.27 Zudem herrschten im Süden Literatur- und Theatertraditionen, die vom norddeutsch-protestantischen Typ rationaler Belehrung deutlich abwichen, z. B. das von Inszenierungspracht geprägte jesuitische Schultheater oder das Wiener Volksschauspiel, in dessen Zentrum der Hanswurst mit seinen Späßen stand.28 Es war also keineswegs selbstverständlich, dass man Gottscheds Stimme tatsächlich in ganz Deutschland vernahm, und häufig auch auf sie hörte. Dass er sich nicht überall durchsetzte, ist weit weniger erstaunlich, als dass ein Leipziger Literaturprofessor und -kritiker überhaupt bis nach Wien wirken konnte, dass er dort von Maria Theresia in Privataudienz empfangen wurde und als Präsident einer nationalen Akademie im Gespräch war.29 Wie für seine Rezensionszeitschrift Neuer Büchersaal detailliert nachgewiesen wurde, gelangten Gottscheds Schriften tatsächlich »in alle Teile Deutschlands«.30

›Reichsweite Reichweite‹ könnte man kalauern. Genau dies erstrebte Gottsched – und erreichte er. In seiner Lobrede auf den Buchdruck apostrophiert er sein Vaterland wie folgt: »O! daß doch meine Stimme stark genug wäre, deine so weitläuftige Gränzen zu erfüllen, und sich in allen deinen Landschaften, Städten und Flecken hören zu lassen!«31 Er fügt gleich an, dass seine Stimme nur aufgrund ihrer Verstärkung durch die »edle Kunst« des Buchdrucks tatsächlich so weithin vernommen werden könne. Sein epochaler Erfolg dürfte indes nicht allein auf seine geschickte und massive Mediennutzung zurückzuführen sein, sondern auch auf die hartnäckige Adressierung an »unsere deutsche Nation«32. Unter der Adresse Nation war ›ganz‹ Deutschland ansprechbar.

II. Nationalliterarische Ehre in Geschichte und Gegenwart

Die Orientierung auf die Nation als Publikum ergibt sich folgerichtig aus Gottscheds missionarischem Selbstverständnis: Die von ihm betriebene Reform versteht Literatur als Instrument der moralischen Verbesserung und damit einer Verbesserung des gesamten dies- und jenseitigen Lebens. Daher kann sie ihren Geltungsanspruch nicht auf einen Teil der Deutschsprachigen, auf einen Teil des deutschsprachigen Gebiets beschränken. Darüber hinaus hat die Nation aber auch eigenständigen Wert. Die Nation soll nicht allein gebessert werden (literarisch und moralisch), sondern ihr Ansehen soll erhöht werden. In dieser zweiten Hinsicht bildet die Nation nicht nur den maximalen, also idealen Resonanzraum, sondern stellt an sich einen Wert dar. In Vergleichen mit den anderen Nationen ist, so die Logik von Gottscheds nationaler Propaganda, dieser Wert aufzuzeigen. Da es sich um einen vorgängigen Wert handelt, können jene Vergleiche letztlich nie ungünstig für die deutsche Nation ausgehen, unabhängig vom Zustand ihrer literarischen oder moralischen Verhältnisse, also obwohl diese durchgreifender Verbesserung bedürfen (so Gottscheds erste Hinsicht auf die Nation). Der Wert der deutschen Nation kann allenfalls dadurch sinken, dass er verkannt wird: »Auf dann, du vor tausend andern Ländern, von Gott beseligtes Deutschland! auf! und erwache doch […] von der, dir sonst so gewöhnlichen Niederträchtigkeit und Kleinmuth. Hebe doch endlich an, deine Vorzüge vor andern Völkern zu erkennen!«, hält Gottsched in seiner Lobrede auf den in Deutschland erfundenen Buchdruck dagegen.33 Seine Literaturpolitik zielt darauf – so sein Selbstverständnis –, überall den Wert der deutschen Nation bekannt zu machen, durchaus auch im Ausland,34 vor allem aber unter seinen zu wenig patriotischen Landsleuten.

Nun bot die deutsche Gegenwart kaum ausreichend Vorbildliches für literarische Werterweise. Also rückten historische Argumente in den Vordergrund. Gottscheds literaturpolitische Schriften haben regelmäßig auch eine geschichtliche Komponente: Die Critische Dichtkunst stellt die einzelnen literarischen Gattungen im Durchgang durch deren Entwicklung seit der Antike vor. Vier der sechs Bände der Deutschen Schaubühne, also jener Mustersammlung, mit der Gottsched dem Stocken seiner Theaterreform aufgrund schieren Mangels ›regelmäßiger‹ Dramen abhelfen wollte, ist ein Verzeichnis von Stücken beigefügt, die »Deutschland seit zweien und mehr Jahrhunderten hervorgebracht, und in offenem Drucke dargeleget hat«.35 Erheblich erweitert, kommentiert und mit Textauszügen durchsetzt, erschien diese Titelsammlung später auch selbständig als Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst. Historisch ausgerichtet ist darüber hinaus die gelehrte Zeitschrift, die Gottsched als Senior der Leipziger »Deutschen Gesellschaft« herausgab – die Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Dem Prinzip folgend, dass hohes Alter besondere Ehre bedeute, stellt Gottsched auch mittelhochdeutsche Epen vor und lässt sogar kaum oder gar nicht bezeugte frühmittelalterliche oder germanische Heldenlieder nicht aus.36 Eine regelrechte »Geschichte der deutschen Sprachkunst und Poesie« zu schreiben, kündigte er verschiedentlich an,37 ohne dieses Großprojekt aber zu realisieren. Insgesamt kann man ihn durchaus als Vorläufer der Germanistik bezeichnen, auch wenn er kaum über die Methoden verfügte, mit denen sich dieses Fach im 19. Jahrhundert dann als Wissenschaft konstituierte.

Welche Funktion und Bedeutung haben diese literaturgeschichtlichen Anstrengungen im Rahmen von Gottscheds ›nationalliterarischem‹38 Projekt? Gottsched möchte zeigen, dass die deutsche Literaturgeschichte »reich[er]« ist, als seine Leser »wohl […] vermuthet haben sollte[n]«, ja dass sie es mit den literarischen Leistungen jeder anderen Nation aufnehmen kann: »hältst du« – so redet er den »geneigten Leser« seines Nöthigen Vorraths zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst an – »es für ein Merkmal eines gesitteten und witzigen Volkes, daß es Schauspiele kennet, sie liebet und dem Geschmacke der klügsten Völker des Altertums darinn nachahmet; würde es dir nach deiner edlen Ehrliebe leid seyn, wenn Deutschland in diesem Stücke andern europäischen Völkern etwas nachgeben müßte: so denkest du zuvörderst als ein Patriot; sodann aberrce" href="#endch mit Vergnügen aufnehmen, daß ich dir hülfliche Hand geleistet, alle diese Vorzüge unsers Vaterlandes in vollem Lichte wahrzunehmen.«39 Es geht mithin um nationale Geltungsansprüche, in Gottscheds Formulierung: um »den Vorzug, oder die Ehre der Deutschen«.40 Hohes Alter und großer Umfang der literarischen Produktion verbürgen die Ehre der Nation.

Der Gesichtspunkt der nationalen Ehre ist so hochrangig, dass er dem Kriterium ernsthafte Konkurrenz macht, für das Gottsched vor allem bekannt ist, nämlich der Regelkonformität, auf die es dem Poetiker so sehr ankommt. Er geht davon aus, dass es möglich sei, aus Prinzipien der Vernunft heraus zu bestimmen, was gute und was schlechte Literatur ist. Diese vernünftigen Prinzipien lassen sich, so Gottsched, als Regeln formulieren, denen der Dichter notwendig folgen müsse.41 Sein berühmter Versuch einer critischen Dichtkunst von 1730 formulierte diese Regeln, und seine Zeitschriften kontrollierten gewissermaßen deren Einhaltung. Nun waren diese Regeln in der deutschen Literatur vor Gottsched nie eingehalten worden – anders als in der französischen, denn aus den Stücken der französischen Klassiker Corneille und Racine zog Gottsched beispielsweise die Regeln für das Drama. Gerade seine poetologischen Prämissen ließen die zu erweisende Gleichrangigkeit oder gar Überlegenheit der deutschen Literatur also gar nicht zu. Gottsched indes ringt auch dort um den »Vorzug« der deutschen Literatur, wo dies ›eigentlich‹, d. h. seiner eigenen Einsicht nach, aussichtslos ist: »Ich […] gestehe,« heißt es in der Vorrede zur genannten Dramensammlung mit Blick auf die Franzosen, »gern zu: daß ich ihrem großen Corneille keine deutschen Krähen und ihrem Racine keinen deutschen Wurzelmann entgegenzusetzen habe.«42 Die Tragödien Racines und Corneilles entsprechen seiner klassizistischen Poetik eben weitaus am besten. Trotzdem schiebt Gottsched ein halbes Dutzend ›Argumente‹ nach: »Aber wieviel Corneillen und Racinen haben denn die Welschen [= Italiener, D. F.], Spanier und Engländer aufzuweisen?« Und haben etwa die Franzosen »lauter Corneillen und Racinen hervorgebracht? […] Wie zahlreich ist nicht auch die Menge der schlechten [Autoren]? Wie viel schwache Stücke haben nicht endlich auch ihre größten Meister gemachet?«43 Und hat nicht »das itzige [Jahrhundert] uns unstreitig auch schon solche deutsche Originale geliefert, die einer großen Menge der französischen, wo nicht vorgehen, doch gewiß die Wage halten«?44 Und als letztes, entscheidendes Argument: Allein das deutsche Drama wisse seine »Zuhörer im Glauben und Leben zu erbauen«.45

III. Dynamisierung des frühneuzeitlichen Gelehrtennationalismus

Die geistigen Leistungen der eigenen Nation herauszustreichen, teils wettbewerblich, teils aggressiv zugespitzt, war in der europäischen Gelehrtenrepublik seit dem Humanismus üblich. Bereits hier versuchten die ›Intellektuellen‹, Identität durch ›nationale‹ Abgrenzung zu gewinnen. Die gemeinsame Standessprache Latein ebenso wie andere Fremdsprachenkenntnisse erleichterten die wechselseitige Kenntnisnahme, was den nationalen Geltungsdrang allseitig aber weniger zügelte als anstachelte. Auf deutscher Seite entstand zudem eine dauernde Unterlegenheitsfurcht, die mit Blick auf die volkssprachliche Literatur nicht unbegründet war, umso lauter indes übertönt werden sollte. In der Tradition dieses Gelehrtennationalismus steht Gottsched, wenn er der deutschen Literatur immer wieder Gleichrangigkeit zu sichern oder ihre Überlegenheit nachzuweisen versucht. Typisch für die humanistische Tradition ist die Gleichsetzung der Deutschen mit den Germanen (und deren Auffassung als ›Heldenvolk‹), ebenso die Reklamation möglichst zahlreicher und bedeutsamer Erfindungen für die deutsche Nation (mit dem Buchdruck an erster Stelle) und der Anspruch auf moralische Überlegenheit (deutsche Ehrlichkeit und Sittenstärke vs. französische oder welsche Verschlagenheit und Sittenverderbnis).46

Die barocken Sprachgesellschaften und ihre patriotischen Verteidigungen Deutschlands und des Deutschen knüpften daran an. Von ihnen übernimmt Gottsched das Argument, die deutsche Sprache sei älter und reiner als die französische (die ja erst aus dem Latein entstanden sei).47 Auch die heftige Ablehnung, die er immer wieder gegenüber den romanischen Nachbarn, ihren Untugenden sowie ihrem verderblichen Kultureinfluss äußert,48 ist lange eingeübt. Vieles an diesem Wettstreit der Nationen hat daher reflexhaften, ja rituellen Charakter; die vorgebrachten Argumente sind ganz überwiegend Gemeinplätze im rhetorischen Sinne des Wortes (topoi).49 Neu sind hingegen die sozialen Verhältnisse, in denen Gottsched diesen Wettstreit fortsetzt: Er agiert nicht mehr als Gelehrter, der ausschließlich für seinesgleichen schreibt, sondern arbeitet an der (Bewusstseins-) Bildung seines Publikums.50 Anders als in den bisherigen Gelehrtenkabbeleien ist die Nation nicht nur ein Abstraktum, für dessen Ehre ein Autor streitet, indem er sich gewissermaßen schützend vor sie stellt. Vielmehr entsteht die Nation in der Interaktion des Autors mit seinem Publikum. Das ist der zentrale Punkt: Indem Gottsched sich ein Lesepublikum erschafft, trägt er zur Herausbildung nicht nur der deutschen Literaturgesellschaft, sondern auch einer Nation im modernen Sinne bei.51 Bei Gottsched gewinnt die nationale Selbstversicherung der Gelehrten eine neue Qualität, denn sie zielt auf die literarisch Interessierbaren als eine über den eigenen Stand weit hinausreichende Gruppe. Und darauf, dieser Gruppe ein kulturelles Selbstbewusstsein zu verschaffen, durch das sie sich zu allererst als soziale Gruppe konstituiert – und zugleich als Kern oder genauer Kopf der Nation.

Die so behandelte Nation ist ein dynamisches Phänomen: Sie wächst dort, wo sich der Kenner ihrer Leistungen Gehör verschaffen kann – und besonders dort, wo man ihm mit gleichartigen Anstrengungen entgegenkommt: »Ich ersuche«, heißt es in der Vorrede zum Nöthigen Vorrath, »alle patriotische [!] Leser, mir alles, was zur Ergänzung und Verbesserung meiner Nachrichten dienen kann, gütigst mitzuteilen. Es ist auf die gemeinschaftliche Ehre von ganz Deutschland damit abgezielet«.52 Die damit angesprochene Nation erfordert Mitwirkung und ermöglicht Teilhabe (was nicht mit Rechten zur Mitwirkung in den politischen Institutionen zu verwechseln ist). Die Anteilnahme, die die Nation fordert, wird letztlich schon durch Teilnahme an der von Gottsched wesentlich initiierten und organisierten Öffentlichkeit geleistet. Nun schlug die öffentliche Meinung in den 1740er Jahren bekanntlich um und wendete sich gegen Gottscheds Führungsanspruch sowie die von ihm propagierten ästhetischen Normen. Selbst die nun auftretenden Gottsched-Satiren spiegeln aber noch den nationalen Anspruch, der die neue literarische Öffentlichkeit mit antreibt, wenn der Angegriffene ironisch als der »allererste« ›gefeiert‹ wird, der die deutsche »Nation an den hochmütigen Frantzosen und stoltzen Engelländern glücklich und tapffer gerächet hat«.53

Mit seinem präzeptoralen Anspruch zielte Gottsched natürlich nicht bloß auf eine formale, sondern auf eine ›innere‹ Anteilnahme, d. h. eine Anteilnahme durch Annahme der von ihm propagierten Werte. Dass nicht alle Stände dazu bereit sein werden, ist durchaus einkalkuliert. Kurz vor der eben zitierten Stelle heißt es: »Unsere Höfe und der gereiste Adel sind insgemein die geschwornen Anbeter des fremden und ekele Verächter des deutschen Witzes; […] daher verachten sie getrost alles, was unser Vaterland in witzigen Dingen, sonderlich auf der Schaubühne, hervorgebracht hat. Diese werden also die ganze Mühe für verloren achten, die ich auf die Sammlung solcher Scharteken verwandt habe«54. Obwohl vorwiegend literarisch fundiert, ist sein Nationsbegriff auch deshalb nicht unpolitisch, weil er offen antihöfischen Charakter trägt. Könnte man also von einer ›bürgerlichen Aneignung‹ des Begriffs und der Reputation der Nation sprechen? Hier ist Vorsicht geboten, denn dies würde voraussetzen, dass es ein Bürgertum gegeben hätte, das derart hätte zugreifen können. Gottscheds Publizistik bahnte vielmehr Wege zur kulturellen Formation eines solchen Bürgertums, mit seiner Publizistik nahm er die Sozialformation Bürgertum gewissermaßen vorweg.55 Damit wirkte Gottsched an einem Prozess von erheblichem politischen Potential und ›objektiv‹ politischem Charakter mit, auch wenn seine Intentionen primär sprach- und literaturpatriotisch waren.

Wie sehr am Anfang sich jener Formationsprozess hier noch befindet, lässt sich daran ablesen, dass dem Publizisten Gottsched offensichtlich nicht bewusst ist, dass seine Rede von der deutschen Nation weit über das Gegebene hinausführt, also hochkonstruktiv ist. Das gerade skizzierte dynamische Nationskonzept liegt außerhalb seines Vorstellungshorizontes. Weit entfernt ist noch die Prämisse der von Herder und den Schlegels grundgelegten modernen Literaturgeschichtsschreibung, dass sich die Nation erst in der Kette der literarischen Werke entwickle. Für Gottsched hat die deutsche Nation eine ganz selbstverständliche Existenz, und zwar seit Urzeiten; sie stellt, wie gesagt, einen vorgängigen Wert dar. Als zwei Jahre nach Gottscheds Tod der Hamburger Versuch eines Nationaltheaters, wie Gottsched es gefordert hatte, scheiterte, spottete Lessing »über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!«56 Aus Gottscheds Mund ist solche Selbstkritik undenkbar, weil in seiner statischen Identitäts- und Geschichtsvorstellung das Werden einer Nation nicht vorgesehen ist.57 Das bedeutet jedoch nicht, dass sein statischer Nationsbegriff nicht zu einem solchen Werden beigetragen haben könnte. Im Gegenteil: Eben dies ist die Leistung, die Gottsched erbracht hat, ohne ihre Tragweite absehen zu können.

IV. Uneigentlichkeit und Zentralität des Gottschedschen Kulturnationalismus

Wie lässt sich das Nationskonzept in Gottscheds literaturpolitischer Publizistik begrifflich fassen? ›Kulturnation‹ scheint nahezuliegen. Der Begriff ist heute vor allem bei ›kulturbewussten‹ Menschen, die dem Nationalstaat kritisch gegenüberstehen, beliebt. Denn sie verstehen darunter ein Modell von kollektiver Identität, das ohne »Vormachtsanspruch oder Überlegenheitsphantasien« auskommt, wie es in einer aktuellen und durchaus gelungenen Einführung in die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts heißt.58 In der von Günter Grass artikulierten Kritik am Beitritt der DDR zur Bundesrepublik spielten solche angeblichen moralischen Vorzüge der bloßen Kulturnation ohne ›machtanfällige‹ politische Strukturen eine zentrale Rolle. In der Forschung wiederum ist gerade mit Blick auf die Aufklärung gerne von Kulturnation die Rede, um die vermeintliche Harmlosigkeit nationaler Orientierungen in dieser Zeit zu kennzeichnen, also vor der Entstehung des modernen Nationalismus, die üblicherweise auf die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege datiert wird.59

Von Gottsched her lässt sich die Unterscheidung einer friedlichen Kulturnation von einem aggressiven und zerstörerischen modernen Nationalismus freilich nicht bestätigen. In seinen Schriften finden sich zuhauf moralische, intellektuelle und militärische Überlegenheitsansprüche, Machtphantasien, abschätzige Nationalstereotype, Tiraden gegen ›Überfremdung‹, Mahnungen zu mehr Nationalstolz, bis hin zu dem Vorschlag, das »armselige« und »boshafte Volk« der Sorben und andere Minderheiten einzudeutschen,60 oder der an die Nachbarn gerichteten Erinnerung, »daß vormals die Deutschen ihre Herren und Gebiether gewesen« seien.61 Ebenso wenig aufrechterhalten lässt sich die beliebte Unterscheidung zwischen einem ›guten‹, vernünftig, ethisch und kulturell ausgerichteten Patriotismus und einem späteren, problematischen politischen Nationalismus, der seine kosmopolitischen Ursprünge verlassen habe;62 dasselbe gilt für die generelle Charakterisierung des aufklärerischen Patriotismus als weltbürgerlich, mit Schwerpunkt auf der Tugendlehre und Bindung ausschließlich an Gemeinwesen, die »selbst die Ideale der Aufklärung, der Vernunft und der Toleranz verwirklichen«.63

Wie aber passen beide Nationalismen zu einem Autor, dessen Lebenswerk sich ebenso durch seine Durchsetzung französischer Gattungsmuster in der deutschen Literatur sowie ein staunenswert umfangreiches Übersetzungswerk aus dem Französischen kennzeichnen lässt, das für die intellektuelle Fundierung seines Aufklärungsprogramms unentbehrlich war? Wie kann jemand, der seine Maßstäbe weitgehend aus der französischen Literatur und Poetik bezog, diesen Kultureinfluss als »reißenden Strom ausländischer Sprachen und Laster, welcher alles zu überschwemmen drohet«,64 diffamieren? Wie kann Gottsched ausgerechnet die von ihm herausgegebene Übersetzung von Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique (1697, 4. Aufl. 1740) mit wilden Tiraden gegen Hochmut und Treulosigkeit der Franzosen und Klagen über die Selbstvergessenheit der Deutschen ihnen gegenüber durchsetzen?65 Wie kann er, wenn es um den Rang der deutschen Literatur im europäischen Vergleich geht, sehenden Auges seine poetischen Regeln hintansetzen, nach denen er sonst alles beurteilt? Und wie passen seine fremdenfeindlichen Ausbrüche mit dem Bekenntnis seines Biedermanns (des fiktiven Autors seiner Moralischen Wochenschrift) zusammen, dass er »das gantze menschliche Geschlecht vor eine einzige Familie ansehe«66?

Diese Widersprüche werden in der Forschung kaum je thematisiert.67 Sie stellen sich in gewissem Maße entschärft dar, wenn man die Vorbildung des Gottschedschen Kulturnationalismus im humanistischen und barocken Sprachpatriotismus berücksichtigt. Denn Gottsched und diese Tradition haben nicht nur die argumentativen Gemeinplätze ihrer Überlegenheitsbehauptungen gemeinsam, sondern ebenso die Veranlagung zur Fremdenfeindlichkeit ohne Rücksicht auf durchaus gepflegte Rezeptionsbeziehungen. Gottscheds verstörend nationalistische Äußerungen vor dem Hintergrund dieser Tradition zu sehen, heißt zum einen, dass sie nicht als generelles Sich-verschließen gegenüber Ausländischem missverstanden werden dürfen. Worum es ihm geht, ist weit mehr die Selbstbehauptung der Deutschen als die Abwertung der europäischen Nachbarn. Diese Abwertung ungeachtet tatsächlicher Vorbildlichkeit ist vielmehr, zumindest teilweise, als Effekt der – wie es schien – anders nicht erreichbaren Selbstbehauptung zu verstehen. Man vergleiche die Situation ein halbes Jahrhundert später: Durch das Genie Goethes konnte nun das Aufschließen der Deutschen zu den anderen großen Literaturnationen als beglaubigt gelten; in der Literaturgeschichtsschreibung konnte dadurch der Gedanke eines Zusammenklangs der Nationalliteraturen zur ›Weltliteratur‹ an die Stelle von Rangstreitigkeiten treten. Derartig zufrieden und daher gelassen auf die Leistungen der deutschen Literatur zu blicken, war dem Wegbereiter Gottsched noch nicht möglich. Weit näher lag ihm der Rückgriff auf die Rangansprüche des frühneuzeitlichen Gelehrtennationalismus. Sein Literatur- und Sprachnationalismus ist demnach nicht ›schon‹ aggressiv; er dokumentiert keine »Dialektik « des aufklärerischen Patriotismus bereits in seinen Anfängen,68 sondern hat ›noch nicht‹ zu einer Formulierung eigener Geltungsansprüche gefunden ohne Abwertung anderer einerseits und bizarre Leistungsbehauptungen (Erfindung des Schießpulvers …69) andererseits.

Zum anderen sind die Gottschedschen Überlegenheitsbehauptungen kaum alle wörtlich zu nehmen. Sie sind ernst gemeint als Aufforderungen zu mehr Nationalstolz, aber nicht unbedingt als Tatsachenbehauptungen. Offensichtlich ist das, wenn ein lyrisches »Lob Germaniens« die panegyrischen Nationaltopoi einschließlich ihrer offenkundig mythischen Elemente abruft: Der als Stammvater angerufene Thuiscon steht in diesem Gedicht direkt neben Karl dem Großen und nur wenige Zeilen vor der Meeresgöttin Thetis!70 Ebenfalls in Rechnung zu stellen ist, dass manche seiner literaturpolitischen Bemühungen oder auch nur frankophoben Äußerungen direkt auf Herausforderungen von französischer Seite reagierten und offensichtlich daraus ihre Schärfe beziehungsweise Verstiegenheit bezogen. Aggressiv herausfordernd wirkte Frankreich sowohl auf militärischem und machtpolitischem Gebiet als auch auf literarischem. So begann Gottsched seine Dramen(titel)sammlung als Reaktion auf Éléazar Mauvillons Lettres françoises et germaniques ou Réflexions militaires, littéraires et critiques sur les François et les Allemans von 1740, die dem deutschen Drama alle Originalität und jegliches Geschick absprachen.71

Wenn dies die heftigen Reaktionen Gottscheds mit veranlasste, so liegen darin aber nicht die Ursachen für seinen Kulturnationalismus. Sein Programm, auf literaturpolitischem Wege die Deutschen zu einer Nation von kulturell Selbstbewussten zu bilden, stellt vielmehr einen genuinen und integralen, ja zentralen Teil seines Reformprogramms als Aufklärer dar. Über die genannten Bedingtheiten – seien es traditionelle Diskursmuster, seien es aktuelle Anlässe, diese zu aktualisieren – reichen sowohl seine Motive als auch die eingesetzten Mittel weit hinaus. Gottsched schreibt nicht nur über die Ehre der deutschen Nation, sondern adressiert seine Elogen mit neuartig massivem publizistischen Einsatz an die deutsche Nation. Sein Ziel ist es, diese Nation überhaupt erst zu bilden aus den Teilnehmern einer durch die gemeinsame Sprache umgrenzten Öffentlichkeit. Dazu verweist er emphatisch auf die Leistungen der Deutschen in Vergangenheit und Gegenwart (und zwar auch dort, wo sie unterlegen scheinen, nämlich auf literarischem Gebiet, denn dies ist sein persönliches Kompetenzfeld). Die Nation in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, ist demnach Zweck und Mittel zugleich – Zweck und Mittel im Hinblick auf Gottscheds aufklärerisches Erziehungsprogramm. Denn das Bewusstsein der eigenen Leistungen soll die Lösung von ›fremden‹, feudalen und kirchlichen Autoritäten hin zu einer vernunftbestimmten Lebensgestaltung fördern, und es soll durch diese Emanzipation seinerseits gefördert werden.

  1. 1Vgl. Ursula Goldenbaum, Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687–1796, mit Beitr. von Frank Grunert u. a., Teilbd. 1–2, Berlin 2004, S. 12 f., 91. Für eine Frühdatierung plädiert auch Martin Gierl, Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1997, allerdings mit Bezug auf den theologischen Streit um den Pietismus.
  2. 2Vgl. Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel. Hist.-krit. Ausg, im Auftrage d. Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig, hg. von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf, [bisher:] Bd. 1–3, Berlin / New York 2007–09, Bd. 3, S. VII.
  3. 3Goldenbaum, Appell an das Publikum (Fn. 1), Teilbd. 1, S. 117. Das folgende Zitat ebd.
  4. 4In einer ausführlicheren Fassung, aber ohne Bezug auf die Öffentlichkeitsdebatte erscheint der Beitrag auch als Daniel Fulda, »Zwischen Gelehrten- und Kulturnationalismus. Die ›deutsche Nation‹ in der literaturpolitischen Publizistik Johann Christoph Gottscheds «, in Georg Schmidt (Hg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität, München [vorauss. 2010]. Zusätzlich diskutiert werden dort der Nationalismusbegriff, der von Gottsched vertretene Gelehrsamkeitstyp (historia litteraria) sowie das damit verbundene Geschichtskonzept.
  5. 5Gabriele Ball, Moralische Küsse. Gottsched als Zeitschriftenherausgeber und literarischer Vermittler, Göttingen 2000, S. 48; zu Gottscheds Korrespondentennetz vgl. ebd., S. 239–321, 373–376.
  6. 6Detlef Döring, »Die Universität Leipzig im Zeitalter der Aufklärung. Geschichte, Stand und Perspektiven der Forschung«, in Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 413–461, hier S. 423.
  7. 7Rainer Baasner, »Literaturkritik in der Zeit der Aufklärung«, in Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.), Literaturkritik. Geschichte – Theorie – Praxis, München 2004, S. 27– 36, hier S. 33.
  8. 8Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, Leipzig 1730 [1729], 4. Auflage 1751, ND 1962.
  9. 9Ders., Ausführliche Redekunst, Leipzig 1736, 5. Aufl. 1759.
  10. 10Ders., Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, Leipzig 1748, 6. Aufl. 1776.
  11. 11Ders. (Hg.), Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste, 10 Bde., Leipzig 1745–50 und, als Fortsetzung, ders. (Hg.), Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, 10 Bde., Leipzig 1751–62.
  12. 12Ders. und Johann Georg Lotter (Hg.), Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 32 St. in 8 Bd., Leipzig 1732–1744, ND 1970.
  13. 13Ders. (Hg.), Die Deutsche Schaubühne, nach den Regeln der alten Griechen und Römer eingerichtet, 6 Bde. Leipzig 1741–45, 2. Aufl. 1746–50, ND 1972.
  14. 14Vgl. Daniel Fulda, »›Ich will dich noch darzu mit vielen Freuden lehren, / Wie du dich rühmlich, wohl und redlich solst ernähren.‹ Die Leipziger Universität und das deutsche Theaterwesen der Aufklärung«, in Detlef Döring u. a. (Hg.), Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften, Bd. 1: Essays, Dresden 2009, S. 344–353.
  15. 15Der Zuschauer, 9 Bde., Leipzig 1739–43, nach Addisons und Steeles Spectator.
  16. 16Johann Christoph Gottsched (Hg.), Die vernünfftigen Tadlerinnen, 2 Bde., Halle/ Leipzig 1725–26, ND 1993; ders., Der Biedermann, 2 Bde., Leipzig 1728–29, ND 1975.
  17. 17Vgl. Detlef Döring, »Johann Christoph Gottsched – Vermittler zwischen Autoren und Verlegern im Leipzig der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts«, in Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16 (2007), S. 245–264.
  18. 18Gottsched, Briefwechsel (Fn. 2), Bd. 1, S. 371 (Gottsched an Gottlieb Stolle, 14. 5. 1730), S. 376 (Gottsched an Friedrich von Hagedorn, 19. 5. 1730); ders., Versuch einer Critischen Dichtkunst, 4. Kap. § 30 = ders., Ausgewählte Werke [im Folgenden zitiert als AW], hg. von Joachim Birke und P. M. Mitchell. 12 Bde. (in 23), Berlin / New York 1968–87, Bd. 6,1, S. 222; ders. (Hg.), Die Deutsche Schaubühne (Fn. 13), Bd. 6, Vorrede S. **2v.
  19. 19Ders., Gesammelte Reden, Leipzig 1749, S. 172, S. 470, S. 599–601 = AW 9,1/2, S. 155, S. 409, S. 522–524.
  20. 20Gottsched, Der Biedermann (Fn. 16), 1 (1728), S. 148 (37. Stück).
  21. 21»Germanien nimmt ab […] Das Reich wird klein« = Karl, der Friedensstifter. Im 1736 Jahre, in AW 1, S. 142–152, hier S. 147, Vv. 143/146 (im Oktober 1735 war mit dem Wiener Präliminarfrieden des Polnischen Erbfolgekriegs Lothringen an Frankreich gefallen).
  22. 22Gottsched und Lotter (Hg.), Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache (Fn. 12), 7 (1741), 25. Stück, S. )(2r (Zuschrift an die Deutsche Gesellschaft in Bern).
  23. 23Ders., »Lob- und Gedächtnißrede auf die Erfindung der Buchdruckerkunst« (1740), in AW 9,1, S. 115–155, hier S. 116; dasselbe in Versen, »Das Lob Germaniens«, in AW 1, S. 12–17, hier S. 15, Vv. 112–115.
  24. 24Gottsched und Lotter (Hg.), Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache (Fn. 12), 7 (1741), 25. Stück, S. )(2r, )(2v und )(3r.
  25. 25Ders., »Erfindung der Buchdruckerkunst« (Fn. 23), S. 151. Grundlegend zum aufklärerischen Patriotismus, allerdings vornehmlich der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und damit unter Vernachlässigung der sprachnationalistischen Variante, die Gottsched vertritt: Rudolf Vierhaus, »›Patriotismus‹ – Begriff und Realität einer moralisch-politischen Haltung«, in ders. (Hg.), Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, München 1980, S. 9–29.
  26. 26Vgl. Ruedi Graf, Das Theater im Literaturstaat. Literarisches Theater auf dem Weg zur Bildungsmacht, Tübingen 1992, S. 7 f. zu Gottsched als Vorkämpfer der »neuen Literaturgesellschaft «, die weit über die traditionelle res publica litteraria hinausreicht.
  27. 27Vgl. Dieter Nerius, Untersuchungen zur Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen Literatursprache im 18. Jahrhundert, Halle/S. 1967, S. 38–50.
  28. 28Vgl. Daniel Fulda, »Venedig, Wien, Paris, Leipzig: Komödienästhetik als Kulturtopographie. Internationale Referenzen und innerdramatische Raumbildung im Streit zwischen norddeutschem Reform- und Wiener Spaßtheater«, in Hartmut Böhme (Hg.), Topographien der Literatur. DFG-Symposium 2004, Stuttgart/Weimar 2005, S. 264–290.
  29. 29Vgl. Hilde Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert, Wien/München 1980, S. 270– 329; Gustav Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur seiner Zeit, Leipzig 1897, S. 553 f., 558–560.
  30. 30Ball, Moralische Küsse (Fn. 5), S. 323.
  31. 31Gottsched, »Erfindung der Buchdruckerkunst« (Fn. 23), S. 151. Das folgende Zitat ebd.
  32. 32Ders., Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst oder Verzeichniß aller Deutschen Trauer- Lust- und Sing-Spiele von 1450 bis zur Hälfte des jetzigen Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1757–65, ND 1970, unpag. Vorrede S. b3v.
  33. 33Ders., »Erfindung der Buchdruckerkunst« (Fn. 23), S. 150.
  34. 34Werner Rieck, Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes, Berlin 1972, S. 94 f. vermerkt, dass Gottsched den Straßburger Verleger König für französische Übersetzungen einiger Autoren aus seinem Umkreis gewann.
  35. 35Zitat aus der unpag. Vorrede zum Nöthigen Vorrath (Fn. 32), S. b3v bezogen auf die Entstehung der Titelverzeichnisse in den Bänden 2–5 der Deutschen Schaubühne.
  36. 36Vgl. Johann Christoph Gottsched, »Abhandlung von dem Flore der deutschen Poesie, zu Kaiser Friedrichs des ersten Zeiten« (1746), in AW 9,1, S. 42–68.
  37. 37Beispielsweise in Johann Christoph Gottsched, »Critische Dichtkunst« in AW 6,2, S. 483.
  38. 38Der Begriff wird üblicherweise erst für Konzepte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verwandt, vgl. Dietrich Harth, »Nationalliteratur – ein Projekt der Moderne zwischen Mystifikation und politischer Integrationsrhetorik«, in Andreas Gardt (Hg.), Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin / New York 2000, S. 349–381.
  39. 39Gottsched, Nöthiger Vorrath (Fn. 32), S. bv.
  40. 40Ebd., S. [b7]r/v. Zur Kategorie der Ehre vgl. auch Gottscheds »Lob- und Gedächtnißrede auf den Vater der deutschen Dichtkunst, Martin Opitzen von Boberfeld«, in AW 9,1, S. 156–192, passim.
  41. 41Vgl. Klaus L. Berghahn, »Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik«, in Peter Uwe Hohendahl (Hg.), Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980), Stuttgart 1985, S. 10–75, hier S. 23–25.
  42. 42Gottsched, Nöthiger Vorrath (Fn. 32), S. cr.
  43. 43Ebd.
  44. 44Ebd., S. cv.
  45. 45Ebd., S. c2r. Das Argument der moralischen Höherwertigkeit gebraucht Gottsched wiederholt als Joker, etwa wenn er Hans Sachs über den französischen Renaissancedramatiker Louis Chocquet stellt, vgl. Pierre Bayle, Historisches und critisches Wörterbuch. Nach der neuesten Aufl. von 1740 ins Dt. übers., auch mit e. Vorr. u. versch. Anm. vers. von Johann Christoph Gottsched, 4 Bde. Leipzig 1741–1744, ND Hildesheim / New York 1997. Mit e. Vorrede von Erich Beyreuther, Bd. 2, S. 175, s.v. Chocquet (Anm. Gottscheds).
  46. 46Vgl. Caspar Hirschi, »Das humanistische Nationskonstrukt vor dem Hintergrund modernistischer Nationalismustheorien«, in Historisches Jahrbuch 122 (2002) S. 355–396, hier S. 370–377, 395.
  47. 47Vgl. Johann Christoph Gottsched, »Jubelode auf das dritte Jahrhundert der edlen Buchdruckerkunst, als solches im 1740 Jahre zu Königsberg gefeyert worden«, in AW 1, S. 168–172, Vv. 105–110; Bayle, Wörterbuch (Fn. 45), Bd. 1, S. 645, s. v. Bouhours (Anm. Gottscheds); Wolfgang Huber, Kulturpatriotismus und Sprachbewußtsein. Studien zur deutschen Philologie des 17. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1988, bes. S. 237–240.
  48. 48Bayle, Wörterbuch (Fn. 45), Bd. 1, S. 134, s.v. Albutius (Anm. Gottscheds); Johann Christoph Gottsched, »Zum Abschiede aus der vertrauten Rednergesellschaft zu Leipzig im Jahre 1728«, in AW 9,2, S. 522–525.
  49. 49Die Kontinuität der nationalhistorischen und -literarischen Anstrengungen vom frühen 16. (seit der Wiederentdeckung von Tacitus’ Germania) bis ins spätere 18. Jahrhundert betont auch Jürgen Fohrmann, Das Projekt der deutschen Literaturgeschichte. Entstehung und Scheitern einer nationalen Poesiegeschichtsschreibung zwischen Humanismus und Deutschem Kaiserreich, Stuttgart 1989, S. 70–79.
  50. 50Vgl. Gunter E. Grimm, Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung, Tübingen 1983, S. 675–684; zur Einschätzung, dass die frühaufklärerische Wendung an eine breitere Öffentlichkeit eine neue Phase des Nationalismus heraufführe, vgl. auch Wolfgang Hardtwig, »Vom Elitebewußtsein zur Massenbewegung. Frühformen des Nationalismus in Deutschland 1500–1840«, in ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500– 1914. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, S. 24–54, 278–284, hier S. 44.
  51. 51Vgl. Peter Alter, Nationalismus, Frankfurt am Main 1985, S. 14 f.
  52. 52Gottsched, Nöthiger Vorrath (Fn. 32), S. cv.
  53. 53[Samuel Gotthold Lange und Johann Georg Sulzer], Denckmal Der seltenen Verdiensteogo der Sächsischen Akademie d Ihro Magnificenz und Hochedelgebl. Herr Johan[n] Christoph Gottsched, öffentl. Lehrer der Weltweißheit und Dichtkunst zu Leipzig besitzet. Aufgerichtet von allen redlich gesinneten Deutschen […], o. O. 1746, S. 5.
  54. 54Gottsched, Nöthiger Vorrath (Fn. 32), S. [b8]v.
  55. 55Allgemein zum Beitrag der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts zu diesem Prozess: Karl Eibl, Die Entstehung der Poesie, Frankfurt am Main/Leipzig 1995, thesenhaft zugespitzt auf S. 38.
  56. 56Gotthold Ephraim Lessing, »Hamburgische Dramaturgie«, in Werke. In Zus.- arb. mit Karl Eibl hg. von Herbert G. Göpfert, 8 Bde., Darmstadt 1996, Bd. 4, S. 698 (101.–104. Stück). Lessing bezieht dies ausdrücklich nicht auf die »politische Verfassung«, sondern auf den »sittlichen Charakter«.
  57. 57Vgl. Gottscheds Verweis auf die »dem Menschen gleichsam von Natur eingepflanzte Liebe des Vaterlandes« sowie die Aufzählung germanisch-deutscher Heldentaten in seiner »Erfindung der Buchdruckerkunst« (Fn. 23), S. 116.
  58. 58Iwan-Michelangelo D’Aprile und Winfried Siebers, Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2008, S. 43.
  59. 59Vgl. ebd. sowie Wolfgang Frühwald, »Die Idee kultureller Nationsbildung und die Entstehung der Literatursprache in Deutschland«, in Otto Dann (Hg.), Nationalismus in vorindustrieller Zeit, München 1986, S. 129–141, hier S. 131 f.
  60. 60Bayle, Wörterbuch (Fn. 45) Bd. 2, S. 201 f., s.v. Claudius (Anm. Gottscheds).
  61. 61Gottsched und Lotter (Hg.), Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache (Fn. 12), 7 (1741), 25. Stück, S. )(4r.
  62. 62Besonders plakativ: Christoph Prignitz, Vaterlandsliebe und Freiheit. Deutscher Patriotismus von 1750–1850, Wiesbaden 1981, S. 3: »Patriotismus meint daher in der Epoche der Aufklärung eine menschliche Gemeinschaft, die den Bedürfnissen ihrer Bürger in größerem Maße gerecht zu werden vermag als die damals bestehende ständisch strukturierte Gesellschaft. Es geht hier um das Drängen nach erweiterten ökonomischen, politischen und geistigen Freiheiten […]. Nur auf dieser Basis erscheint Vaterlandsliebe im Rahmen staatlicher Gemeinschaften möglich«.
  63. 63Bernhard Giesen, Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt am Main 1993, S. 126.
  64. 64Gottsched und Lotter (Hg.), Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache (Fn. 12), 7 (1741), 25. Stück, S. )(4r.
  65. 65Bayle, Wörterbuch (Fn. 45), Bd. 1, S. 134, s.v. Albutius (Anm. Gottscheds); Bd. 1, 645, s.v. Bouhours (Anm. Gottscheds); Bd. 2, unpag. »Vorrede« (auch in AW 10,1, S. 110); 16 f., s.v. Calvin (Anm. Gottscheds).
  66. 66Gottsched, Der Biedermann (Fn. 16), 1 (1728), S. 57 (15. Stück).
  67. 67Ball, Moralische Küsse (Fn. 5), S. 323–325 erwägt, ob der »häufig unangemessen vehement vorgetragene Patriotismus«, den sie in der Rezensionszeitschrift Neuer Büchersaal findet, als Verteidigung von Gottscheds Konzept einer vernunftfundierten »Nationalliteratur « zu verstehen sei, wobei die Feindschaft ›eigentlich‹ dem poetologischen »Rückfall in Schwulst und Dunkelheit« gelte. In der DDR ermöglichte das geschichtsphilosophische Schema der bürgerlichen Emanzipation, Gottscheds »nationale Propaganda« (Rieck, Gottsched (Fn. 34), S. 96) dadurch zu entschärfen, dass man sie »ausschließlich im Dienste der Aufmunterung und Förderung eines gesunden bürgerlichen Nationalbewußtseins« sah (S. 93). Hingegen betont, und zwar weit über Gebühr und affirmativ, wurde Gottscheds Nationalismus in den Publikationen des Dilettanten Eugen Reichel, der seinen Helden als Vorläufer seines eigenen Chauvinismus feiert, vgl. v. a. Reichels Zitatcollage, Gottsched der Deutsche. Dem deutschen Volke vor Augen geführt, Berlin 1901.
  68. 68So deutet Hans Peter Herrmann, »Einleitung«, in Hans Peter Herrmann u. a., Machtphantasie Deutschland. Machtphantasie, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1996, S. 7–31, hier S. 12 den aggressiven Nationalismus, den er bei Klopstock und weiteren Autoren des späteren 18. Jahrhunderts findet.
  69. 69Das topische Lob der deutschen Erfindung des Schießpulvers findet sich nicht allein in einem allgemeinen nationalen Leistungskatalog wie dem panegyrischen »Lob Germaniens« (AW 1, S. 12–17, hier S. 15, V. 96), sondern auch in einer der »edlen Buchdruckerkunst « gewidmeten »Jubelode« (Fn. 23), S. 174, Vv. 151–157, ebenso in Gottscheds Rede zum selben Anlass (AW 9,1, S. 115–155, hier S. 118).
  70. 70Johann Christoph Gottsched, AW 1, S. 14, V. 73 und 79.
  71. 71Ders., Nöthiger Vorrath (Fn. 32), Vorrede S. b2r.
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Heft 4 (2010)
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1867-7061

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