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Siedlungen im ländlichen Raum – Tendenzen des Wandels

1. Einführung: Landeskundliche Untersuchungen des Siedlungsraumes

Die Einflussnahme des Menschen auf die Gestaltung und Nutzung des Naturraumes wird bei der Erfassung, Abgrenzung und Bewertung von Kulturlandschaften als wesentliches Kriterium zugrunde gelegt. Die Siedlungen, die bebaute Umwelt der Menschen als ihr Wohn- bzw. Arbeitsort, deren Strukturen, Funktionen und Vernetzungen im Raum, die Relationen zwischen städtischen und ländlichen Siedlungen bilden ebenso wie die Verteilung von Wald-Offenland- Flächen, also die Art und Weise der Flächennutzung der unbebauten Freiräume, Grundmuster von Kulturlandschaften ab.1

Forschungen und Dokumentationen zur Genese, heutigen Struktur und zukünftigen Entwicklung des Siedlungsraumes haben in Mitteldeutschland eine lange Tradition. Sie waren bei verschiedenen landeskundlich ausgerichteten Fachdisziplinen angesiedelt, insbesondere bei der Siedlungsgeografie, Geschichte, Archäologie, Sprach- und Kulturwissenschaft oder beim Naturund Denkmalschutz. Von der großen Anzahl diesbezüglicher früher siedlungsgeografischer Arbeiten sind die von Otto Schlüter aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als beispielhaft zu bezeichnen.2 Schlüters Forschungsergebnisse sind auch kartographisch im »Mitteldeutschen Heimatatlas«3 und in dessen zweiter Auflage »Atlas des Saale- und mittleren Elbegebietes« dokumentiert. Mit diesen Karten existieren landeskundliche Informationsquellen, die Vergleichsmöglichkeiten mit der aktuellen Siedlungsstruktur im heutigen mitteldeutschen Raum bieten.4

An diese Tradition der Dokumentation landeskundlichen Wissens in Regionalkarten knüpft der 1992 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig initiierte »Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen«5 an. Darin sind in mehreren Kartenblättern sowie in den dazu verfassten textlichen Erläuterungen (Beihefte) neben historischen Karten und Karten zum Naturraum auch detaillierte Karten zum Siedlungsraum und zur Landnutzung enthalten. Der Atlas leistet einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Landeskunde und zur Beschreibung der Genese und Konfiguration einzelner Elemente der Kulturlandschaften Sachsens und z. T. Sachsen-Anhalts und Thüringens. Eine Gesamtübersicht vermitteln die Blätter A 2.1 Sachsen6, A 2.2 Thüringen7 und A 2.3 Sachsen-Anhalt8, die als Satellitenbildaufnahmen alle visuell erkennbaren Landschafts-, Nutzungs- und Siedlungsstrukturen und deren verbindende Verkehrsnetze abbilden. Struktur- und Größenverhältnisse der Siedlungen, ihre Lage und Vernetzung sowie ihre Einordnung in die landschaftlichen Gegebenheiten (insbesondere Relief, Böden, Gewässernetz) können aus den Satellitenbildern entnommen werden.

Der Teil B des Atlasses enthält spezielle Kartenblätter zu den Siedlungen und zur Bevölkerung. Veröffentlicht sind davon u. a. Blatt B II.1 »Historische Flurformen«, Blatt B II.2 »Ortsformen« sowie Blatt B II.6 »Das Städtewesen vom 12. bis 19. Jahrhundert«, bearbeitet von Karlheinz Blaschke.

content-pic_117-136_grundmann-1.jpgcontent-pic_117-136_grundmann-2.jpg Abb. 1: Ausschnitt aus der Karte B II 2, Ortsformen, von Karlheinz Blaschke, in Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen.

Die Karte »Ortsformen« verzeichnet alle vorhandenen Siedlungen und ordnet die ländlichen Siedlungen entsprechend ihrer Entstehungszeit im Besiedlungsgang bestimmten Ortstypen zu, die auf der Grundlage von Ortsgrundrissen aus historischen Flur- und Katasterkarten aus dem 19. Jahrhundert erkennbar sind. In dieser Zeit widerspiegelten die Grundrisse, die Anordnung der baulichen Anlagen (Gehöfte) noch relativ ursprüngliche Strukturen der Dörfer. Die Karte vermittelt einen Überblick über die Lage der Siedlungen (Siedlungsdichte und Siedlungsnetz) und lässt Schlüsse über die Entstehungszeit zu. Der in Abbildung 1 gewählte Kartenausschnitt erfasst Teile des Altsiedellandes Mittelsachsens mit den vorherrschenden Rundweilern, Sackgassen- bzw. Gassendörfern, die jüngeren Straßen- und Straßenangerdörfer, Platzdörfer in Nordsachsen sowie Teile des Gebirgsvorlandes mit den typischen Waldhufen- bzw. Reihendörfern. Die historischen Ortsformen können Anhaltspunkte für aktuelle Planungen zur Erhaltung bzw. Neugestaltung der ehemaligen dörflichen Ortskerne mit ihrer ortstypischen Bausubstanz im Rahmen von Dorferneuerungen liefern, die zu einer nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Kulturlandschaft beitragen.

Die Einordnung der städtischen Siedlungen in den Siedlungsraum hinsichtlich Lage und Größe und ihre Entstehungszeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert bildet die Karte B II. 6 (Abb. 2) ab.

Der vom Institut für Länderkunde Leipzig (heute Leibniz-Institut für Länderkunde) herausgegebene »Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland« stellt mit Band 5, »Städte und Dörfer«, den mitteldeutschen Siedlungsraum aus genetischer wie auch aktueller Sicht in einen gesamtdeutschen Rahmen. Karten und textliche Erläuterungen geben Auskunft über Siedlungsverteilung, -größe und -struktur. Weiterhin werden Zusammenhänge zwischen historischer Siedlungsforschung, besonders zu den Siedlungsformen, und neueren Dorfentwicklungsplanungen abgeleitet.9

Eine systematische Inventarisierung und Interpretation von Siedlungen (gleichermaßen Städte, Einzelsiedlungen, Dörfer und Gemeinden) enthalten alle Bände der seit 1957 ff. herausgegebenen landeskundlichen Buchreihe »Werte der deutschen Heimat«, die seit 2002 unter dem Titel »Landschaften in Deutschland. Werte der deutschen Heimat« gemeinsam vom Leibniz- Institut für Länderkunde und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearbeitet und herausgegeben wird. Die überwiegende Zahl der bisher erschienenen Bände beschreibt Regionen, die jeweils im mitteldeutschen Raum angesiedelt sind. Standortgetreu verfolgen mehrere Fachdisziplinen die Genese, die aktuelle Struktur und Funktion jeder Siedlung im jeweiligen Landschaftsausschnitt. 10

content-pic_117-136_grundmann-3.jpgcontent-pic_117-136_grundmann-4.jpg Abb. 2: Ausschnitt aus der Karte B II 6, Das Städtewesen vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, von Karlheinz Blaschke, in Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen. Dargestellt sind u. a. Entstehungszeit der Städte und der städtischen Siedlungen, ihre Größe nach der Einwohnerzahl (1550, 1834) sowie Ausstattung, Funktion und Verfassung.

Der Siedlungsraum bildete auch in der DDR einen Schwerpunkt geografischer Forschungen. Besonders die wirtschaftliche Bedeutung der Siedlungen, die zentralörtlichen Funktionen und die Stadt-Land-Verflechtungen wurden dabei betont. Untersuchungen im gesamtstaatlichen Maßstab standen im Vordergrund. Regional ausgerichtet waren die in den 1960er und 1970er Jahren durchgeführten Arbeiten zu den Agglomerationsräumen der DDR. Sie bieten eine sichere Grundlage für einen Vergleich mit den heutigen Strukturen und Funktionen aller Gemeinden im Hinblick auf die Auswirkungen des Wandels nach 1990. Stellvertretend dafür stehen die Arbeiten an geografischen Einrichtungen in Leipzig und Halle.11

2. Der ländliche Raum, Definition und Abgrenzung

Der tiefgreifende Wandel der wirtschafts- und gesellschaftlichen Bedingungen in den neuen Bundesländern wirkte sich nach 1990 sehr unterschiedlich auf die historisch entstanden Kulturlandschaften aus. Besonders betroffen waren die Städte mit ihren Umlandregionen, aber auch die ländlichen Räume veränderten sich stark. Zahlreiche problemorientierte landeskundliche Forschungen begleiten diesen Wandel der Kulturlandschaft und versuchen, Zusammenhänge zu erkennen und Impulse für raumplanerische Entscheidungen im Sinne ausgewogener Strategien zur Bewahrung oder Neuorientierung zu vermitteln.12 Das erfordert nicht nur die konkrete analytische Erfassung und Inventarisierung von Einzelsiedlungen und ihren Teilelementen, sondern auch die Berücksichtigung ihrer räumlichen Zusammenhänge und Vernetzungen in einem Raum, der vorwiegend von der landwirtschaftlichen Produktion geprägt war und über große Freiflächen verfügt. Die historisch angelegte und einem ständigen Wandel unterliegende Kulturlandschaft »Ländlicher Raum« umfasst in diesem Sinne als funktionale Einheit die bewirtschafteten Freiräume und die ländlichen Siedlungen gleichermaßen. Sie sind mit einer Vielfalt von natürlichen, erwerbs- und produktionsstrukturellen und kulturlandlandschaftlichen Potenzialen ausgestattet und tragen erkennbare Spuren jahrhundertelanger spezifischer Bewirtschaftung.13

In der klassischen Auffassung wird der ländliche Raum als naturnaher, weitgehend von der Land- und Forstwirtschaft geprägter Siedlungs- und Lebensraum für die ländliche Bevölkerung definiert, der sich durch eine geringe Bevölkerungs- und Siedlungsdichte mit geringer Zentralität seiner Siedlungen von anderen Räumen unterscheidet.14 Konnte bis in die 1960er Jahre unter dem Begriff »Ländlicher Raum« ein relativ einheitlicher Siedlungsraum verstanden werden, so trifft dieses Bild inzwischen nicht mehr zu. Es ist eher von einem differenzierten Muster unterschiedlich entwickelter Räume auszugehen, die auch unterschiedlich stark vom Strukturwandel betroffen sind.15

Das Siedlungsnetz im ländlichen Raum, d. h. die Verteilung und Anordnung der Siedlungen im Raum, ist in seiner heutigen Konfiguration das Ergebnis eines langen und für Mitteldeutschland gut erforschten »Besiedlungsganges«: Im Zusammenhang mit der frühen Landnahme im Laufe des 7. Jahrhunderts bis etwa 1100 n. Chr. entstanden auf Flächen mit günstigen Bewirtschaftungsbedingungen (Boden, Relief und Wasser), im sogenannten Altsiedelland, erste Ansiedlungen. In der folgenden Siedlungsphase des hochmittelalterlichen Landesausbaus, im Zuge der deutschen Ostkolonisation, wurden neue Siedlungen angelegt bzw. bestehende ausgebaut. In diesem Zeitraum erfolgte auch die Gründung von Städten bzw. der Aufstieg von Marktsiedlungen zu Städten. Nach einer folgenden spätmittelalterlichen Wüstungsperiode mit einer Reduzierung der Siedlungen bewirkte der frühneuzeitliche Landesausbau eine Konsolidierung des Siedlungsnetzes von 1500 an, die sich bis zum Beginn der Industrialisierung fortsetzte. Im Zuge der frühen Industrialisierung vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zur Hochindustrialisierung im 20. Jahrhundert erhielten die Städte einen enormen Bevölkerungszuwachs durch Zuzüge aus den Dörfern und einen wirtschaftlichen Bedeutungszuwachs gegenüber dem »Land«. Einige Städte übersprangen die Einwohnergrenze von über 100 000 Einwohnern und wurden zur Großstadt. Wirtschaftliche und politische Veränderungen hinterließen in jeder der Entwicklungsphasen Spuren – sowohl in den Siedlungen als auch in den unbebauten Freiräumen. Die ursprünglichen landwirtschaftlich geprägten Dörfer in Großstadtnähe wurden in diesen »Verstädterungsprozess« um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert durch Eingemeindungen direkt in die Stadtverbände einbezogen, andere wandelten sich zu Industriedörfern durch Ansiedlung von Fabriken. Auch kleinere und mittlere Städte im ländlichen Raum übernahmen in diesem Prozess industrielle Funktionen.

Die räumliche Differenzierung zwischen Stadt und Dorf, später als Landgemeinde oder verkürzt als Gemeinde bezeichnet, wird neben den vorherrschenden Produktionsweisen zunehmend mit Merkmalen bzw. statistischen Kennziffern beschrieben, die auf die Verdichtung von Siedlungen und Bevölkerung im Bezug auf die Fläche hinweisen: Bevölkerungsdichte (Einwohner/km²), die Siedlungsdichte (Einwohner/km² Siedlungsfläche) sowie der Anteil der bebauten Siedlungsfläche an der Gemarkungsfläche. Diese Kennziffern werden auf der Basis von Gemeinden statistisch erhoben und können aufgrund der Ausbreitung in der Fläche räumlich zusammengefasst werden. In Sachsen tritt der Begriff der »Landgemeinde« erstmals in den Entwürfen zur Sächsischen Gemeindeordnung 1831 auf. Er ersetzt im Folgenden die Bezeichnung »Dorf«. Mit den durch nachfolgende Gebietsreformen eingeleiteten Zusammenschlüssen von Gemeinden zu größeren kommunalen Einheiten bzw. durch Eingemeindungen müssen solche Dichtekennziffern kritisch betrachtet und neue Aspekte zur Abgrenzung ländlicher Räume einbezogen werden. So werden ergänzend zu Verdichtungskennziffern und siedlungsstrukturellen Merkmalen die Lageverhältnisse der ländlichen Siedlung im Bezug auf die Erreichbarkeit von Städten und deren Zentralität betrachtet und Merkmale wie die Arbeitsmarktsituation, das Einkommensniveau sowie die Wirtschafts- und Steuerkraft der ländlichen Gemeinden zur Abgrenzung herangezogen.16

Mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der landwirtschaftlichen Produktion übernimmt der ländliche Raum neue Funktionen – hervorgehoben wird nun vor allem seine »Multifunktionalität«.17 Neben die Agrarproduktionsfunktion treten ökologischen Funktionen, wie eine umweltgerechte Bodenbewirtschaftung, Aufgaben zum Erhalt und zur Pflege der Freiräume und des ökologischen Gleichgewichtes oder die Einbeziehung des Natur- und Landschaftsschutzes.18 Der Schutz der Freiräume zwischen den Siedlungen, des Bodens, des Reliefs, der Gewässer und Wälder als des natürlichen Lebensraumes des Menschen weisen dem ländlichen Raum besondere Funktionen zu.19 So erhalten landschaftlich begünstigte Regionen auch neue Entwicklungsimpulse, wenn ihre Erholungsfunktion ausgebaut und damit eine neue Erwerbsgrundlage für die ländliche Bevölkerung geschaffen wird. Der ländliche Raum bietet zudem genügend Flächen für neu anzusiedelndes Gewerbe, für Handelsoder Verkehrseinrichtungen.

Mit solchen ergänzenden oder neuen Funktionen kann der ländliche Raum Aufgaben übernehmen, die in Städten und Verdichtungsräumen nicht mehr zu realisieren sind, weil diese einen zu hohen Flächenbedarf haben. Damit erhält der bisher oft vernachlässigte ländliche Raum als »Ergänzungsraum«, als »Ökologischer Ausgleichsraum« und nicht mehr als »Restraum«20 eine stärkere Bedeutung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der ländlichen Bevölkerung.

3. Auswirkungen des Strukturwandels auf Siedlungen im ländlichen Raum

3.1. Veränderungen zwischen 1945 und 1990

Wie im gesamten östlichen Teil Deutschlands brachte die Nachkriegsentwicklung auch für den ländlichen Raum Mitteldeutschlands einschneidende Veränderungen mit sich, die sich deutlich von denen im westlichen Teil Deutschlands unterschieden. Die Entwicklung im Osten Deutschlands, die stark durch wirtschaftspolitische Entscheidungen geprägt war, verlief im Wesentlichen in zwei Phasen: Die Verordnung zur Durchsetzung der »Bodenreform« in der damaligen sowjetischen Besatzungszone bewirkte einen ersten, politisch bestimmten Eingriff in die ländlichen Strukturen. Die Folgen waren bekanntermaßen die Enteignung von Großbauern und Großgrundbesitzern und die Neuverteilung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen an Kleinbauern und neu angesiedelte Flüchtlinge. In den Dörfern erfolgte eine Aufsiedlung mit den sogenannten Neubauernhöfen an den Dorfrändern und eine Belegung enteigneter Gutshäuser vorwiegend mit Flüchtlingen, soweit diese Häuser nicht durch Beschluss der Militäradministration dem Abriss zum Opfer fielen. In Sachsen wurden in der Nachkriegsentwicklung beispielsweise 300 Schlösser und Gutshäuser, oft auch mit den umgebenden Parkanlagen, zerstört, durch Umnutzung teilweise baulich verändert und allmählich dem Verfall preisgegeben.21 Abriss und Verfall zerstörten nicht nur das Bild der historischen Ortskerne, es entstand auch ein Verlust wertvoller Kulturgüter im ländlichen Bereich. Allerdings erhielt sich die bäuerliche Grundstruktur der Gemeinden mit der kleinteiligen Flurbewirtschaftung. Auch die weitere Nutzung bäuerlicher Wohnund Wirtschaftsgebäude war gewährleistet. Eine Großflächenbewirtschaftung übernahmen die neuen Staatsgüter, die späteren »Volkseigenen Güter«, die vor allem in den Gutsdörfern unter Nutzung des Gutsbesitzes angesiedelt wurden.

Wesentlich gravierender waren die Auswirkungen auf die Siedlungen und Fluren, die von der verordneten, seit 1952 schrittweise durchgesetzten »Kollektivierung« der Landwirtschaft ausgelöst wurden, bei der nach sowjetischen Vorbild Bauern mit ihrem Besitz in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) unterschiedlichen Typs zusammengeschlossen wurden. »Das vollgenossenschaftliche Dorf« wurde zum Gütezeichen einer Gemeinde stilisiert, in der alle Bauern die Landbewirtschaftung in Genossenschaften durchführten und der bäuerliche Besitz in Genossenschaftseigentum überführt war. Die zunehmende industriemäßige landwirtschaftlich Produktion in großen, zusammengelegten Wirtschaftseinheiten und Schlägen in der einstigen kleinteiligen Struktur der Feldfluren beseitigte nicht nur einzelne Landschaftselemente und Wegeführungen, sie griff auch in die Struktur der Siedlung, in die Ortsgrundrisse, Ortskerne und Bebauungsstruktur der bäuerlichen Gehöfte ein. Die örtliche Trennung von Ackerbau und Viehhaltung verstärkte diesen Prozess. Für die großen Produktionseinheiten entstanden Stallanlagen, Futtersilos und Wasserspeicheranlagen für Bewässerungszwecke ans="EndNoteSource" href="#endnen einstigen Hofanlagen, in der Mehrheit Drei- und Vierseitenhöfe, blieben oft nur die Wohnteile in Nutzung, die Wirtschaftsgebäude blieben zum Teil ungenutzt und verfielen. Bei steigendem Wohnraumbedarf wurden die Siedlungen an den Ortsrändern mit neuen Wohnhäusern erweitert – mit ortsfremden, meist mehrgeschossigen Plattenbauten. Die topographischen Karten verzeichnen diese neuen Ortsgrundrisse.22 Siedlungen mit wirtschaftlich exponierten Genossenschaften erhielten als die sogenannten »Zentralsiedlungen« bevorzugt neue Wohnbauten, Schulen, Kindergärten, Verkaufsstellen des Einzelhandels und Einrichtungen für die medizinische Versorgung. Diese Siedlungen übernahmen zentralörtliche Funktionen des täglichen Bedarfs auch für Nachbargemeinden. Die landwirtschaftliche Produktion in den Produktionsgenossenschaften war die Hauptfunktion der Siedlungen, ein Teil der Bewohner pendelte in benachbarte Städte aus, vorwiegend in den Industriesektor. Auch die Industriedörfer und Kleinstädte erweiterten ihre Industrieanlagen (Molkereien, Textilbetriebe, Maschinenbaubetriebe), meist waren es Zweigbetriebe großer Werke in den Städten. Bezogen auf die Siedlungsstruktur setzten sich hier städtisch-ländliche Mischformen durch, die bis heute das Ortsbild dominieren, obgleich die meisten Betriebe geschlossen und als Brachflächen ungenutzt sind.23

3.2. Strukturwandel nach 1990

Der mit der Wiedervereinigung 1990 verbundene politische und wirtschaftliche Umbruch führte auch in den bestehenden ländlichen Strukturen zu tiefgreifenden Veränderungen, die im Einigungsvertrag in Grundzügen geregelt wurden. Besonders die rechtliche Situation bei der Fortführung der landwirtschaftlichen Produktion musste berücksichtigt werden – die »Rückübertragung «, die »Reprivatisierung« genossenschaftlichen Eigentums an die einstigen Bauern, die Regelungen zum Besitz der von der Bodenreform Betroffenen und die Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Jahr 1991 schufen neue Voraussetzungen für die weitere landwirtschaftliche Produktion. Die Schließungen zahlreicher örtlicher Industriebetriebe entzogen dem ländlichen Raum oft bisherige Wirtschaftsgrundlagen. Die Auswirkungen betrafen vor allem den Arbeitsmarkt, der von einem starken Beschäftigungs- Rückgang geprägt war. Auch die Situation der Großstadtregionen beeinflusste die Entwicklung im ländlichen Raum. So ging zwangsläufig auch der Anteil der Arbeitspendler zurück, da auch in den Städten Arbeitsplätze wegfielen.

Rechtlich war im Einigungsvertrag die Fortführung der landwirtschaftlichen Produktion in verschiedenen Rechtsformen gesichert. Es konnten sowohl juristische Personen Produktionsbetriebe übernehmen, etwa Agrargenossenschaften oder -gesellschaften, als auch Personengesellschaften oder Einzelunternehmer, darunter die »Wiedereinrichter«, die ehemaligen Landwirte. Ein stark reduzierter Arbeitskräftebesatz in den neuen Einrichtungen und fehlende andere Beschäftigungsmöglichkeiten führten in der Folge zur Abwanderung von arbeitsfähiger Bevölkerung. Der insgesamt in allen neuen Bundesländern nach 1990 einsetzende Rückgang der Bevölkerungszahlen, bedingt durch Geburtenrückgang und Abwanderung in die alten Bundesländer, betraf besonders die Gemeinden in peripherer Lage. Dagegen erhielten die Gemeinden im Umland aller Großstädte neue Entwicklungsimpulse. Ausgelöst durch einen Investitionsdruck auf die Städte übernahmen diese Gemeinden z. T. städtische Aufgaben, die aus unterschiedlichen Gründen von den Städten selbst nicht bewältigt werden konnten, und stellten große Flächen für neue Wohnsiedlungen, für Einrichtungen des Handels und des Gewerbes bereit. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Altlasten auf städtischen Flächen, überhöhte Baulandpreise in den Städten oder ungenügender Vorlauf in der Flächennutzungsplanung bzw. eine bestimmte Rechtsunsicherheit führten ebenso zu einem Ausweichen auf das Umland. Unter diesen Vorzeichen wurde der Prozess der »Suburbanisierung« ausgelöst.24

Innerhalb eines kurzen Zeitraums verloren alle Großstädte wichtige Funktionen zunächst als Standort für großflächige Einzelhandels- und Gewerbeansiedlungen und seit 1992 auch für den Wohnungsbau an die Umlandgemeinden, gefördert durch Sonderabschreibungen. Die Neubauten entstanden fast ausschließlich auf landwirtschaftlichen Flächen am Rand der Siedlungen – »auf der grünen Wiese«. Statistisch lässt sich dieser Suburbanisierungsprozess mit Bevölkerungsgewinn der Umlandgemeinden durch Zuzüge aus der Stadt, im Anwachsen der Siedlungs- und Verkehrsflächen und im Rückgang der landwirtschaftlichen Flächen belegen. Erst Ende der 1990er Jahre verlangsamte sich der Prozess wieder zugunsten der Städte, unterstützt durch Maßnahmen für eine Revitalisierung der Innenstädte. Der Bedarf an neuen Bauflächen ging in den Umlandgemeinden seitdem wieder zurück. Beispielsweise wurden in Thüringen vor 1999 im Durchschnitt noch fast 4 ha Fläche täglich neu bebaut, im Zeitraum von 2005 bis 2008 halbierte sich der Bedarf an neuer Siedlungsund Verkehrsfläche auf etwa 2 ha pro Tag. Der zunächst sehr starke Rückgang der landwirtschaftlich genutzten Flächen wurde seitdem in allen drei Ländern eingedämmt, nicht zuletzt auch der nachlassenden Investitionsnachfrage geschuldet.

4. Der ländliche Raum als Kategorie der Raumordnung

In der Raumplanung und Raumordnung der Bundesrepublik Deutschland wird der »Ländliche Raum« als eine spezifische Raumkategorie behandelt, die sich grundsätzlich von den Räumen unterscheidet, die von den großen Städten geprägt sind und als »Agglomerationen«, »Stadtregionen«, »Verdichtungsräume « und aktuell als »Metropolregionen« bezeichnet werden.

Der »Ländliche Raum« wird von der Raumordnung als eine Gebietskategorie eingestuft, die als eine historisch gewachsene Kulturlandschaft mit einer spezifischen Siedlungs- und Flächennutzungsstruktur nachhaltig zu entwickeln ist. Diese auf Verdichtungskennziffern der Gemeinden abgegrenzte Kategorie ist allerdings keinesfalls ein einheitlicher Raum-Typus, sondern vereint Räume, die sich hinsichtlich der Lage, der Sonderfunktionen und der Wirtschaftlichkeit weiter differenzieren lassen. Auf Bundesebene gibt es üblicherweise eine Einteilung in fünf Typen ländlicher Räume, wie sie im Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung von 1995 formuliert ist.25 Diese Typen sind sowohl analytisch als ein Siedlungsraster für die Raumbeobachtung als auch programmatisch hinsichtlich einer Zuweisung von Funktionen eingestuft worden. Die Zuordnung wird auch durch äußere Einflüsse als eine Folge der allgemeinen Globalisierung modifiziert. 26 Folgende Differenzierungen sind vorgenommen worden:

  1. Ländliche Räume in Nähe von Agglomerationsräumen und großräumigen Verkehrsachsen
  2. Attraktive Räume für den Tourismus
  3. Räume mit günstigen Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft
  4. Gering verdichtete ländliche Räume mit wirtschaftlicher Entwicklungsdynamik
  5. Strukturschwache periphere Räume

Nach 1990 übernahmen die neuen Bundesländer die geltenden Richtlinien der bundesdeutschen Raumordnung und setzten sie in die entsprechenden landesplanerischen Aufgaben um. Das betraf auch Festlegungen zur Abgrenzung des Raumtyps »Ländlicher Raum«. Bereits die ersten Landesentwicklungspläne der mitteldeutschen Länder (1994) haben die raumstrukturelle Gliederung der Landesfläche beinhaltet. Alle Gemeinden wurden bestimmten Raumtypen zugeordnet und es wurden entsprechende Richtlinien für ihre Entwicklung festgelegt. Bei der Typisierung sind landeskundliche Kenntnisse über den Siedlungsraum nach siedlungs- und wirtschaftsstrukturellen Merkmalen eingeflossen. Für alle Länder konnte so der Raumtyp »Verdichtungsräume«, dies sind die großen Städte mit ihren dicht besiedelten und wirtschaftlich entwickelten Umlandgemeinden, gegenüber dem »Ländlichen Raum« auf der Grundlage der Gemeindedaten bzw. nach den Landkreisen abgegrenzt werden. Die Überarbeitung der Pläne und ihre Neufassungen (2003 bzw. 2005) halten mit Variationen an dieser Raumgliederung fest. Im Bezug auf die Gemeindegröße (Einwohnerzahl), Bevölkerungs- und Siedlungsdichte wohnen auf dem Territorium der drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa 30 % der Bevölkerung außerhalb der Verdichtungsräume, die Siedlungen im ländlichen Raum verteilen sich auf etwa 70 % der Gesamtfläche.

Grobe Anhaltspunkte der Raumdifferenzierungen vermitteln statistische Übersichten über die Gemeindegröße und die Verteilung der Gemeinden und Städte in der Landesfläche, wie eine kartographische Umsetzung für den Freistaat Sachsen zeigt (Abb. 3). Bereits daraus ist die Konzentration der Siedlungen und der Bevölkerung in den »Verdichtungsräumen« um Dresden, Chemnitz und Leipzig ersichtlich.

content-pic_117-136_grundmann-5.jpg Abb. 3: Gemeindegrößen im Freistaat Sachsen 2005. Quelle: Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern, »Landesentwicklungsbericht 2006«, Dresden 2006, S. 45.

Tabelle 1 zeigt einen Vergleich der Gemeindezahlen und der Zahl der Einwohner nach Gemeindegrößengruppen im Freistaat Sachsen im Jahr 1990 und 2002. Darin stellt man nicht nur einen Rückgang der Landesbevölkerung insgesamt, sondern auch einen Rückgang der Zahl der selbstständigen Gemeinden/ Städte von ehemals über 1 600 (ca. 4,764 Mio. Einwohner) auf 485 Gemeinden/ Städte (ca. 4,168 Mio. Einwohner) fest. Diese starke Reduzierung der Gemeindezahlen ist das Ergebnis mehrerer Gebietsreformen in diesem Zeitraum. Durch Eingemeindungen bzw. Gemeindezusammenschluss verloren insbesondere die kleineren Gemeinden mit ehemals weniger als 5 000 Bewohnern ihre Selbstständigkeit. Dagegen vergrößerte sich die Zahl der Gemeinden mit über 5 000 Einwohnern.

Tab. 1: Bevölkerungsverteilung auf Gemeinden in Sachsen27
Gemeindegröße Anzahl der Gemeinden Einwohner (EW)
abs. % abs. abs.
1990
< 5 000 EW 1502 92,4 1527616 32,1
> 5 000 EW 124 7,6 3236685 67,9
Insgesamt 1626 100 4764311 100
2009
< 5 000 EW 323 66,6 852016 20,4
> 5 000 EW 162 33,4 3316716 79,6
Insgesamt 485 100 4168732 100

Der Landesentwicklungsplan Sachsen weist auch in der überarbeiteten Form und unter Berücksichtigung der Regionalplanungsentwürfe für 2003 die Differenzierung nach den Hauptkategorien Verdichtungsraum und ländlicher Raum auf. Allerdings wird innerhalb des ländlichen Raumes ein verdichteter Bereich gesondert ausgegliedert, so dass drei Raumtypen ausgewiesen sind (Abb. 4):

  1. Verdichtungsraum
  2. Verdichteter Bereich im ländlichen Raum
  3. Ländlicher Raum
content-pic_117-136_grundmann-6.jpg Abb. 4: Zentrale Orte und Raumkategorien im Freistaat Sachsen nach Landesentwicklungsplan 2003, Grundzentren nach Regionalplanentwürfen. Quelle: Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern, »Landesentwicklungsbericht 2006«, Dresden 2006, S. 42.

Die Tabelle 2 veranschaulicht die Verteilung der Gemeinden im Freistaat Sachsen nach Bevölkerung und Fläche im Jahr 2005 auf diese Raumkategorien.

Tab. 2: Zuordnung der Gemeinden zu Raumkategorien in Sachsen 200528
Raumkategorie Anzahl der Gemeinden Bevölkerungsanteil Flächenanteil
Verdichtungsräume 88 52 % 17 %
Verdichtete Bereiche im ländlichen Raum 64 13 % 10 %
Ländlicher Raum 359 35 % 73 %

Durch Gemeindereformen, d. h. durch den Zusammenschluss von Gemeinden oder Eingemeindungen der letzten Jahre, ergeben sich geringfügige Zuordnungsveränderungen, insbesondere zu den Verdichtungsräumen. Der verdichtete Bereich im ländlichen Raum umfasste auf der Grundlage der gewählten Kriterien 2005 noch 64 Gemeinden, die durch ihre historisch angelegte gewerbliche Ausstattung, durch die Industrialisierung gegenüber dem übrigen ländlichen Raum und durch einen höheren Verdichtungsgrad nach Bevölkerungszahl und Anzahl der Siedlungen charakterisiert sind.29 Die Siedlungsstruktur besteht im verdichteten Bereich vorwiegend aus Industriedörfern und kleineren Mittelstädten mit zentralörtlicher Ausstattung, die Kristallisationskerne der weiteren Entwicklung für den Gewerbe- und Dienstleistungssektor in der Oberlausitz, dem Umland von Riesa, dem Muldetal, im Raum Freiberg und Plauen bilden können.

Dem ländlichen Raum im engeren Sinn sind auf einer Fläche von 73 % der Landesfläche 359 Gemeinden und Kleinstädte zugeordnet, vorwiegend kleine ehemalige Dörfer. Hier wohnen immerhin noch 35 % der sächsischen Bevölkerung. Die Kleinstädte übernehmen als zentrale Orte einer niedrigen Zentralitätsstufe als »Unterzentren« Funktionen der Grundversorgung der Bevölkerung, die in vielen kleinen Siedlungen nicht mehr vorhanden sind (Handel, Gesundheitswesen, Schulen und Betreuungseinrichtungen). Die aktuelle Entwicklung deutet in der Einstufung der zentralen Orte eine Zweistufigkeit an, eine Differenzierung in Ober- und Mittelzentren.

Neuere Überlegungen über die Zuordnung bzw. den Zusammenschluss von Räumen zu sogenannten »Metropolregionen« im europäischen und deutschlandweiten Maßstab ergeben sich nicht nur für die Verdichtungsgebiete sondern auch für die ländlichen Räume. Der Zusammenschluss soll in erster Linie der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Regionen dienen. »Der Begriff der Metropolregion ist sowohl eine funktionale wie auch räumliche Kategorie. Im funktionalen Sinne ist eine Metropolregion ein Standort von metropolitanen Einrichtungen, die großräumig wirksame Steuerungs-, Innovations- und Dienstleistungsfunktionen ausüben und insofern als Motoren der Regional- und Landesentwicklung wirken. Im räumlichen Sinne besteht eine Metropolregion aus einer oder mehreren nahe beieinander liegenden Städten einschließlich ihrer Umlandräume, soweit diese eine vergleichbare Standortqualität besitzen«.30 Bereits 1995 wurden für die Bundesrepublik Deutschland von der Ministerkonferenz der Raumplanung fünf »Metropolregionen« ausgewiesen. 1997 kamen weitere dazu, darunter die Metropolregion »Halle/Leipzig Sachsendreieck«, die inzwischen um große Teile Sachsen-Anhalts und Thüringens erweitert ist und als »Metropolregion Mitteldeutschland« bezeichnet wird.31 2010 sind bundesweit 11 Metropolregionen in der Raumordnung ausgewiesen, die auch auf der Basis von Kreisen kartographisch festgehalten sind.32 Für den mitteldeutschen Raum bedeutet das eine Zuordnung zahlreicher ehemals als ländlicher Raum bezeichneter Landesteile, vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dieses eindeutig als entwicklungsorientiert gekennzeichnete Raumkonzept eröffnet auch den ländlichen Bereichen neue Entwicklungschancen, indem sie von den Vorzügen und Strukturstärken der Städte Magdeburg, Halle, Leipzig, Zwickau, Chemnitz und Dresden stärker profitieren sollen.

5. Perspektiven und Förderprogramme

Während in den Umlandgemeinden der Städte die Bevölkerungszahlen anstiegen und sich die Beschäftigten- und Sozialstrukturen änderten, waren und sind die ländlichen Siedlungen außerhalb der Verdichtungsräume besonders stark vom demographischen Wandel betroffen. Das zeigt sich im Rückgang der Einwohnerzahlen, ausgelöst durch natürliche Bevölkerungsentwicklung (Geburtenrückgang) und besonders durch Abwanderung junger Menschen mit daraus resultierender Überalterung der Bevölkerung.

Tab.3: Bevölkerungsentwicklung 1990 bis 2020 in Sachsen nach Raumkategorien (Prognose)
Verdichtungsraum Verdichteter Bereich im ländlichen Raum Ländlicher Raum
Bevölkerung in 1000
1990 2546,0 688,5 78,3
2005 2241,9 560,3 1471,5
2020 2133,9 475,6 1265,2
Bevölkerungsdichte
1990 836 EW/km² 387 EW/km² 123 EW/km²
2005 736 EW/km² 315 EW/km² 108 EW/km²
2020 701 EW/km² 267 EW/km² 93 EW/km²

Nach diesen Berechnungen würde sich die Einwohnerzahl im ländlichen Raum von 2005 bis 2020 um etwa 14 % verringern und das Durchschnittsalter von 44,4 Jahre auf 49,9 Jahre erhöhen (1990: 38 Jahre).33

Diese auf der aktuellen Datengrundlage in der Raumbeobachtung (2008) basierende Bevölkerungsprognose und eine Einschätzung der Möglichkeiten zur Ausstattung mit neuen Funktionen durch Investitionen besagt, dass die ländlichen Räume in den vergangenen 15 Jahren stark vom »demographischen Wandel« (Geburtenrückgang, Abwanderung, Überalterung) betroffen waren und dass sich dieser Trend auch in den nächsten 10 Jahren fortsetzen wird. Zudem haben sich die Lebensbedingungen durch Schließung von Versorgungsund Dienstleistungseinrichtungen in den kleinen Siedlungen und durch den landesweit eingetretenen Rückzug des öffentlichen Nahverkehrs aus der Fläche zusätzlich verschlechtert. Der hoheangen.">9</a>Johann-Bernhard Havegfall zwar für junge Menschen ausgleichen, für Kinder und alte Menschen sind die Einrichtungen in benachbarten Mittelzentren aber nur eingeschränkt erreichbar. Hinsichtlich der Bevölkerungssituation, der Ausstattung mit Versorgungseinrichtungen und einer geringen Investitionstätigkeit werden diese Räume weiter »Schrumpfungsräume« bleiben, falls nicht wirksame Strategien zur Erhaltung bzw. Aufwertung eingesetzt werden. In den Landesentwicklungsplänen sind deshalb Maßnahmen vorgesehen, um die Lebensbedingungen zu verbessern und endogene Kräfte für eine positivere Entwicklung zu aktivieren. Das setzt voraus, dass bisher weniger beachtete Faktoren und materielle Ressourcen neu zu bewerten sind.34

Dafür sind bereits Konzepte entwickelt worden, die sowohl auf den Raum bezogen als auch für die Siedlungen wirksam sind.35 Umgesetzt werden sie durch Fördermittel des Bundes, der Länder und der Europäischen Kommission. Regionale Entwicklungskonzepte zielen auf eine integrierte Entwicklung von kleineren Räumen mit einer ähnlichen wirtschaftlichen Struktur, die sich als Städtenetze bzw. Städteverbünde oder als Aktionsräume der Regionalentwicklung verstehen. Darin schließen sich Kommunen zusammen, um wirtschaftliche und natürliche Ressourcen gemeinsam zu nutzen.

Speziell für den ländlichen Raum bieten integrierte ländliche Entwicklungskonzepte die Möglichkeiten zum Zusammenschluss von Gemeinden, deren wirtschaftliche Entwicklung stark von der Land- und Forstwirtschaft geprägt ist, die über eine kleinteilige Siedlungsstruktur verfügen und die ökologische Aufgaben für den Erhalt des Naturraumes übernehmen. Dazu sind in den Ländern seit etwa 1992 Förderprogramme aufgestellt, die eine ganzheitliche nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes mit seinen dörflichen Siedlungen und seiner natürlichen Ausstattung sichern sollen. Das »Sächsische Dorfentwicklungsprogramm«, das seit 1993 in etwa einem Drittel der Dörfer wirksam ist, stellte Fördermittel bereit, die vor allem den Erhalt und die Sanierung der historischen Siedlungsformen und des Baubestandes in den Ortskernen finanziell unterstützen, besonders den Ausbau von Wohnraum. Fördergelder können auch zur Bewahrung von Relikten des bäuerlichen Wirtschaftens und Lebens eingesetzt werden und damit identitätsstiftend wirken. Auch für die Gestaltung von Freiräumen im Ort, einschließlich der historischen Parkanlagen, sowie für die Beseitigung von ungenutzten Brachflächen stehen Gelder zur Verfügung. Unterstützt werden die Gemeinden hinsichtlich ihrer Ansiedlungsbestrebungen für neue Wirtschaftsformen und Dienstleistungen auf entsprechend in den Flächennutzungsplänen ausgewiesenen Gebieten. Besonderer Wert wird dabei auf die Konzentration innerhalb des Siedlungsgebietes und Schonung der Freiräume gelegt. Im Zeitraum von 2003 bis 2005 flossen über 550 Mio. Euro Fördergelder in die sächsischen Gemeinden. Über 60 % der Mittel konnten für Maßnahmen der Dorferneuerung eingesetzt werden.

Weitere Instrumente zur Erhaltung des ländlichen Raumes sind Maßnahmen zur Stabilisierung und Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion im Rahmen der agrarstrukturellen Entwicklungsplanung, die eine ländliche Neuordnung, Flurbereinigung und die Regelung von Eigentumsfragen beinhaltet. Fördermittel stehen auch für die ökologische Landschaftsgestaltung, für die Einhaltung von Schutzmaßnahmen für Landschaft und natürliche Ressourcen sowie für die Verbesserung der Infrastruktur durch den Ausbau des Straßenund Wegenetzes in und zwischen den Gemeinden, für den Gewässerausbau und für den Landtourismus zur Verfügung. Durch den Zusammenschluss von Gemeinden zu sogenannten lokalen Aktionsgruppen können Fördermittel der Europäischen Union unproblematischer abgerufen werden. Ob und welche Impulse zur Verbesserung der wirtschaftlichen Grundlagen und Lebensverhältnisse in den peripheren ländlichen Räumen durch ihre planerische Einbindung in die »Metropolregion Mitteldeutschland« ausgehen, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.

  1. 1Winfried Schenk, »Ländliche Siedlungsräume in Deutschland: Grundzüge ihrer Entwicklung seit dem frühen Mittelalter bis zur gesellschaftlichen und energetischen Wende um 1800 sowie nach dem Zweiten Weltkrieg«, in Dietrich Denecke und Haik Thomas Porada (Hg.),Die Erfassung und Darstellung von Siedlungsraum, Siedlung und Bausubstanz in der landeskundlichen Bestandsaufnahme (forum ifl 12), Leipzig 2009, S. 9–18.
  2. 2Günther Schönfelder, »Otto Schlüters Mitteldeutscher Heimatatlas und Beiträge zur Landeskunde im mitteldeutschen Raum«, inHercynia N. F. 41 (2008), S. 159–187.
  3. 3Otto Schlüter (Hg.),Mitteldeutscher Heimatatlas, Leipzig 1935 ff.
  4. 4Otto Schlüter und Oskar August (Hg.),Atlas des Saale- und mittleren Elbegebietes, Leipzig 1958–1962, 55 Blätter und 3 Erläuterungshefte, bes. Blatt 23 »Ländliche Siedlungsgrundrisse « von Oskar August.
  5. 5Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen (Hg.),Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, Leipzig/Dresden 1998 ff.
  6. 6Luise Grundmann, »Satellitenbild Sachsen. Sachsen – eine landeskundliche Skizze«, in Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen (Fn. 5), Beiheft zur Karte A 2.1, Leipzig/Dresden 2000.
  7. 7Günther Schönfelder, »Satellitenbild Thüringen. Thüringen – eine landeskundliche Skizze«, in Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen (Fn. 5), Beiheft zur Karte A 2.2, Leipzig/Dresden 2000.
  8. 8Günther Schönfelder, »Satellitenbild Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt – eine landeskundliche Studie«, in Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen (Fn. 5), Beiheft zur Karte A 2.3, Leipzig/Dresden 2005.
  9. 9Johann-Bernhard Haversath und Armin Ratusny, »Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung«, in Institut für Länderkunde (Hg.),Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland, Band 5: Städte und Dörfer, Heidelberg/Berlin 2002, S. 50–53.
  10. 10Luise Grundmann, »Ortsbeschreibungen in der Buchreihe Werte der deutschen Heimat«, in Eugen Reinhard (Hg.),Gemeindebeschreibungen und Ortschroniken in ihrer Bedeutung für die Landeskunde, Stuttgart 1999, S. 19–32.
  11. 11Dieter Scholz, »Die Siedlungen des Leipziger Landes«, in Edgar Lehmann (Hg.),Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Länderkunde N.F. 21/22 (1964), S. 347–380.
  12. 12Frank Bröcklin, »Integrierte Ländliche Regionalentwicklung und Kulturlandschaft – Beiträge zur Kulturlandschaftspflege«, in Frank Bröcklin u. a. (Hg.),Stand und Perspektiven der deutschsprachigen Geographie des ländlichen Raumes, Münster 2004, S. 33– 39.
  13. 13Meike Wollkopf, »Ländliche Räume zwischen Tradition und Neubeginn«, in Andreas Berkner u. a. (Hg.),Exkursionsführer Mitteldeutschland, Braunschweig 2001, S. 93–100.
  14. 14Gerhard Henkel,Der ländliche Raum, vierte neubearb. Aufl., Stuttgart 2004.
  15. 15Ingo Mose, »Ländliche Räume«, in Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.),Handwörterbuch der Raumplanung, Hannover 2005, S. 573–579.
  16. 16Reinhard Wiesner, »Ländliche Räume in Deutschland«, inGeographische Rundschau 51, 6/1999, S. 300–304.
  17. 17Dietrich Denecke, »Themenfelder, Elemente und Betrachtungsansätze von Erfassungen und Darstellungen von Siedlungsräumen, der Siedlung und der Bausubstanz«, in Denecke und Porada, Die Erfassung (Fn.1), S. 19–40.
  18. 18Dietrich Denecke und Haik Thomas Porada, »Der ländliche Siedlungsraum«, inBerichte zur Deutschen Landeskunde, Band 82, 1/2008, S. 5–53.
  19. 19Günther Schönfelder, »Freiraumschutz und Freiraumentwicklung durch Raumplanung «, in Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.),Arbeitsmaterial Nr. 349 (2009), S. 8–29.
  20. 20Cornelia Korf und Jörg Stadelbauer, »Ländliche Räume im Wandel«, in Hans Gebhard (Hg.),Geographie Baden-Württembergs, Stuttgart 2008, S. 165–176.
  21. 21Sächsisches Staatsministerium des Innern,Besonders gefährdete Kulturdenkmäler in Sachsen – Schlösser und Herrenhäuser (Schriftenreihe für Baukultur, Architektur und Denkmalpflege, Reihe B), Dresden 1994.
  22. 22Dieter Brunner und Meike Wollkopf, »LPG – Zentralsiedlungen und ihre Veränderungen seit 1990«, in Nationalatlas, Band 5 (Fn. 9), S. 68–69.
  23. 23rhard Henkel,Der ländliche Raum in den neuen Bundesländern, Paderborn 1992.
  24. 24Günter Herfert, »Aktuelle Suburbanisierungsprozesse«, in Andreas Berkner u. a. (Hg.),Exkursionsführer Mitteldeutschland, Braunschweig 2001, S. 33–42.
  25. 25Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen, Bonn 1995.
  26. 26Ingo Mose, »Ländliche Räume« (Fn. 15), S. 573–579.
  27. 27Statistisches Landesamt (Hg.),Statistisches Jahrbuch Freistaat Sachsen 2009, Dresden 2010.
  28. 28Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern (Hg.), »Entwicklung räumlicher Strukturen«, inLandesentwicklungsbericht 2006, Dresden 2007, S. 41–44.
  29. 29Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern,Landesentwicklungsplan Sachsen 2003, Dresden 2003.
  30. 30Hans Heinrich Blotevogel, »Metropolregionen«, in Handwörterbuch der Raumordnung (Fn. 15), S. 642–647.
  31. 31Hans Heinrich Blotevogel, »Raumordnung und Metropolregionen«, inGeographische Rundschau 62, 11/2010, S. 4–14.
  32. 32Sandra Passlik und Achim Prossek »Das Raumordnungskonzept der Europäischen Metropolregionen«, in Geographische Rundschau (Fn. 31), S. 14–21.
  33. 33Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern,Materialien zum Umgang mit dem demographischen Wandel (bearb. von Rainer Winkel), Dresden 2008.
  34. 34Hansjörg Bucher, »Entwicklungsperspektiven ländlicher Räume in Deutschland«, in Frank Bröcklin u. a. (Hg.),Stand und Perspektiven der deutschsprachigen Geographie des ländlichen Raumes, Münster 2004, S. 4–11.
  35. 35Rainer Danielzyk und Rainer Winkel »Anforderungen an Steuerungsansätze der Stadt und Regionalentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen. Schrumpfung – neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen «, in Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.),Arbeitsmaterial Nr. 303 (2008), S. 125–139.
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Heft 6 (2011)
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