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Editorial

Welche Sprache soll die Wissenschaft sprechen? Jürgen Trabants Beitrag zu diesem Thema sagt, ebenso schnell wie ironisch, dass der Zug in Richtung Englisch als Wissenschaftssprache schon abgefahren sei. Dabei steht der Nutzen des Englischen absolut nicht infrage, wohl aber, ob wir in normalen Kommunikations- und Kooperationskontexten nicht doch besser diejenige Sprache benutzen, welche wir am genauesten und schnellsten beherrschen. Noch für Jean-Paul Sartre war klar gewesen, dass lesenswerte Texte nicht bloß in Literatur und Poesie, sondern auch in den ethisch und politisch engagierten Wissenschaften immer nur von Autoren verfasst werden können, welche in ihrer Sprache voll und ganz heimisch sind. Übersetzungen einer Auswahl in andere Sprachen verlangen sozusagen eine kompetitive Vorverkostung im regionalen Bereich und sind von professionellen Übersetzern herzustellen. In den Natur- und den Technikwissenschaften wird dies deswegen leicht übersehen, weil die ›exakte‹ Ausdruckskraft der in der Tat mutterspracheninvarianten Schrift- oder Formelsprachen der Mathematik überschätzt und im Übrigen die Sprachkompetenz in der Eigensprache für ein volles Berufsleben unterschätzt wird.

Auch in der Benennung der neuen Studiengänge »Bachelor« und »Master« zeigt sich eine neue Provinzialität deutscher ›Bildungspolitik‹. Alles Schönreden vertuscht dabei nur reale Unpolitik. Als strukturelle Langfristfolge droht eine Entbildung der Eliten. Alle Exzellenzinitiative verkehrt sich dann in ihr Gegenteil. Hans Joachim Meyer weist entsprechend auf die Illusionen einer vermeintlichen Europäisierung und Globalisierung im sogenannten Bologna-Prozess hin, nicht zuletzt aufgrund der Unkenntnis der struktur- differenten Verhältnisse an den Hochschulen in England, Schottland, den USA und anderen Ländern, um vom mangelnden Augenmaß in der Adaption von mutmaßlichen Bestpraktiken gar nicht zu reden. Nur eine gute Praxis wäre gut gewesen.

Der begriffliche Unterschied zwischen Provinz und Region wird gerade auch für einen Forschungs- und Wissensbereich wichtig, dem die Denkströme ab diesem Band ihre vertiefte Aufmerksamkeit als Schwerpunkt widmen: der Landeskunde und den Regionalstudien. Jedes autonome kooperative Handeln ist in seinen regionalen Kontexten unmittelbar räumlich. Die Bindung an diese Wurzeln ist und bleibt basal für allen Erfolg einer Region, von der ›Nation‹ bis zum kleinen Kontinent Europa. Hierher gehört auch Theo Kölzers Erinnerung an die Wichtigkeit genauer Quellenstudien und Editionsarbeit. Daher ist Regionalforschung alles andere als provinziell. Sie ist interdisziplinär, wie Karl Mannsfeld ausführt und die Beiträge von Enno Bünz und weiteren Kollegen zeigen. Die Bedeutung von Volks- und Landeskunde und der Werte der Heimat sind dabei insbesondere gegen den Missbrauch von Wörtern wie »Volk« und »Heimat« zu verteidigen – im Wissen darum, dass es nichts Gutes gibt, schon gar kein gutes Wort einer Sprache, das nicht immer auch schon rhetorisch missbraucht wurde. Echtes Wissen bleibt dabei als ein Können in den Personen zentriert – und darf daher nicht etwa mit Anhäufungen von Daten und Texten verwechselt werden: Das globale Internet ist entsprechend nur eine extrem nützliche Neufassung der Idee des Konversationslexikons. Konversationswissen aber ist bestenfalls Teil personaler Bildung. In der Wissenschaft geht es um seine kritische Entwicklung. Die zugehörige Einsicht in die regionale Perspektivität wissenschaftlicher Diskurse könnte und müsste dann auch zu einer Neubestimmung des Platzes der Geisteswissenschaften in der universitas litterarum, dem System des Diskurses um das verschriftlichte Wissen, führen, und zwar gerade auch im Blick auf ihre Aufgaben für eine regionale Gesellschaftsentwicklung, also nicht in einem allzu unmittelbaren und daher illusionären Dialog mit dem, was Kollegen etwa in Wales oder Idaho für ›objektiv wahr‹ bzw. wichtig halten.

Wie nah uns dennoch Ereignisse in weit entfernten Regionen inzwischen kommen, wird aktuell wohl nirgends klarer als in den globalen Folgen einer zunächst immer auch lokalen Energiepolitik. Eva Sternfelds Blick auf die Folgeprobleme der bisher weitgehend auf Kohleverbrennung ruhenden Wirtschaftsentwicklung Chinas zeigen dies auf dramatische Weise. Hans Wiesmeth verbindet entsprechend regionale und globale Perspektiven am Beispiel der sächsischen Braunkohle und einer Politik der Förderung erneuerbarer Energien mit den Folgen für die Energiewirtschaft im nationalen und internationalen Kontext. Auch an den Besprechungen der Publikationen zeigt sich, dass ein Verständnis von kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen immer auch die Wechselwirkung von Region und globalerer (Um‑) Welt zu betrachten hat.

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Heft 6 (2011)
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ISSN:
1867-7061

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