Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Wörter(buch) und Sachen. Alltagswortschatz im Althochdeutschen1

1. Voraussetzungen

Bei der Erarbeitung eines großen semasiologischen Wörterbuchs ist der Lexikograph den Zwängen des alphabetischen Voranschreitens unterworfen und kann für sein Wort nur in Ausnahmefällen einen vertieften Vergleich mit bedeutungsmäßig nahestehenden, aber erst in späteren Wortstrecken abzuarbeitenden Lexemen anstellen. So ist sogar von der »onomasiologische[n] Blindheit der alphabetischen Wörterbücher«2 gesprochen worden. Außerhalb des lexikographischen Prozesses jedoch können übergreifende Wortschatzuntersuchungen zu ganzen Themenfeldern bzw. Sachkomplexen in Angriff genommen werden, die das Materialarchiv sowie bereits publizierte Bände umfassend nutzen und der weiteren Wörterbucharbeit zugute kommen.

Für das Althochdeutsche hat sich das Interesse zunehmend (wieder) auf den Wortschatz des alltäglichen materiellen Lebens gerichtet. Dies korrespondiert ganz offensichtlich mit der allgemeinen »Entdeckung des Alltags«3 durch die sozialgeschichtliche Forschung in den letzten Jahrzehnten. Nicht zuletzt das »Kulturthema Essen«4 wird erschlossen und in vielfältigen Zusammenhängen aufgegriffen, ist doch »die Geschichte der Menschheit […] von Anfang an und zu einem wesentlichen Teil eine Sozialgeschichte des Essens«.5 Von seiten der linguistischen Pragmatik ist ein Programm zur Untersuchung der »Diskurse des kulinarischen Handelns« entworfen worden, wobei ›kulinarisch‹ auszuweiten ist »auf das gesamte Feld des ›das Essen als Kulturphänomen Betreffende[n]‹«.6 Diskursbereiche sind demnach die ›Auswahl und Bewertung der Nahrungsmittel‹, die ›Zubereitung der Nahrungsmittel‹ und die ›Organisation des Verzehrs von Nahrungsmitteln‹. Die Sprachhandlungen im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung sollen dann manifest und beobachtbar sein in den entsprechenden Texten, in schriftlicher Form vor allem der Textsorte Rezept. Tatsächlich verfügt die Forschung durch das Einsetzen der Kochbuchüberlieferung im späten Mittelalter für die Sprachstufen des Mittelhochdeutschen und des Frühneuhochdeutschen über ein beachtliches Textkorpus an Rezepten,7 die als Bestandteil der Fachliteratur des Mittelalters – im Hinblick auch auf Auftraggeber und Adressaten – untersucht sowie lexikologisch ausgewertet werden.8

Für das Althochdeutsche gelten jedoch andere Voraussetzungen: Fachbezogene Texte der beschriebenen Art existierten in dieser Zeit noch nicht. Dem Versuch, in einem umfassenderen Sinn einen Wortschatzbereich des materiellen Lebens (früh)mittelalterlicher Zeit zu rekonstruieren, sind deutliche Grenzen gesetzt. Gerade der Basisbereich der lebenspraktischen Alltagswelt ist in der althochdeutschen Überlieferung besonders gering repräsentiert. Die diesbezügliche Kommunikation – und damit der ›Diskurs über das Kochen‹ – blieb prinzipiell auf mündliche Formen beschränkt und entzieht sich einem direkten Zugang.9 Schwierigkeiten liegen in der bevorzugten Ausrichtung der Überlieferung auf den religiös-geistigen Bereich sowie dem damit verbundenen Auftreten vieler Wörter in metaphorischen Verwendungsweisen. Bei Vorlagetexten aus Bibel und Antike sind zusätzlich die kulturellen Kontraste zu berücksichtigen, durch die mittelalterliche Lebensrealität oft nur gebrochen gespiegelt wird. Erst die Sachglossare der spätalthochdeutschen Periode bieten themenbezogene Zusammenstellungen in einigem Umfang.

Tragfähige Aussagen sind deshalb aus den Sprachzeugnissen allein nicht zu gewinnen. Vielmehr ist zuerst eine Verankerung in den sachbezogenen Informationen zu suchen, um von dorther die Brücke zu den Sprachquellen zu schlagen. Zugänge zu dem Phänomen Nahrung und Nahrungszubereitung in historischer Dimension werden von der Mittelalterarchäologie, der kulturwissenschaftlichen sowie alltags- und sozialgeschichtlich orientierten Forschung sowie der ethnologischen Nahrungsforschung gesucht. Von den dort ausgewerteten Quellengruppen sind zu nennen:

  • Sachüberreste: Von Bedeutung sind Gerät und Geschirr für Zubereitung und Verzehr von Speisen, daneben aber auch Nahrungsüberreste, Tierknochen, pflanzliche Reste bis hin zu Pflanzenpollen.
  • Bildquellen: Als Dokument von einzigartigem Wert wird oft der St. Galler Klosterplan (um 825) herangezogen, der die Idealvorstellung einer karolingerzeitlichen Klosteranlage mit allen Wirtschaftseinheiten vermittelt, außerdem Illustrationen in Handschriften wie dem Utrecht-Psalter (9. Jh.) oder dem Hortus deliciarum (um 1180).
  • Schriftliche Quellen in lateinischer Sprache: Hier können Leges und Urkunden verglichen werden, die Krongüterordnung Capitulare de villis et curtis imperialibus (Ende 8. Jh.) mit Anordnungen zu Viehzucht, Anbau von Obst, Gemüse und Heilpflanzen, Mühlenwesen, Vorratshaltung sowie Handwerkern, außerdem Urbare mit Aufzeichnungen über die Abgaben und Dienste, die Regula Sancti Benedicti (seit dem 6. Jh.) mit Festlegungen zu Art und Menge der Nahrung und zur Mitarbeit der Mönche bei der Zubereitung, dazu Konzilsbeschlüsse und Klosterstatuten oder auch biographische Quellen.

Die Erkenntnisse zu den soziokulturellen Voraussetzungen der Nahrungsgewinnung und -verarbeitung im frühen Mittelalter, zu den dabei tätigen Personen, den Organisationsformen, verwendeten Geräten, Arbeitstechniken sowie hergestellten Nahrungsmitteln und Speisen bilden dann die Grundlage für die Ermittlung der Bezeichnungen sowie für die Herausarbeitung von Abgrenzungs- und Zuordnungskriterien. Diese Vorgehensweise ist der Methode der Onomasiologie verpflichtet. In Abgrenzung zu der älteren, unter der Formel ›Wörter und Sachen‹ bekannt gewordenen Forschungsrichtung – auf die im Titel dieses Beitrages noch einmal angespielt ist – geht die moderne historische Onomasiologie nicht mehr von einer direkten Beziehung zwischen Wort und Sache aus, sondern hat diese Auffassung durch ein Sprachzeichenmodell ersetzt, das zwischen der Sache und der diese bezeichnenden Ausdrucksform als Zwischengröße den Begriff ansetzt.

2. Wörter der Nahrungszubereitung

2.1 Zum Wortbestand

Wortschatz der Nahrungszubereitung in einem engeren Sinne kann über die entsprechenden Tätigkeitsverben sowie die Nomina agentis erfasst werden. Aus dem Material des Althochdeutschen Wörterbuchs – und damit die gesamte althochdeutsche Überlieferung berücksichtigend – ließen sich immerhin 99 Verben sowie 40 Personenbezeichnungen aus diesem Bereich ermitteln.10 Trotz der Problematik der Quellenlage sind verbale Bezeichnungen aus allen Arbeitsgebieten der Herstellung von Nahrungsmitteln und Getränken sowie der Speisenzubereitung vertreten: beginnend mit der Reinigung und Zerkleinerung des Getreides und der Teig- und Breiherstellung, der Vorbereitung von Gemüse, dem Schlachten und der Fleischverarbeitung, der Herstellung von Milchprodukten über das Garen und Würzen, Konservieren und unmittelbare Vorbereiten zum Verzehr bis hin zur Herstellung von Getränken. Teilweise kann dies ein überraschend vielfältiger und spezifizierter Wortschatz sein. Als Beispiel seien von den Bezeichnungen für ›produktspezifische Tätigkeiten zur Vorbereitung von Nahrungsmitteln‹ die ›Tätigkeiten zur Verarbeitung des Getreides‹ genannt:11

a) Zerkleinern:gibliuuuan ›zerstoßen, -stampfen‹ – bôzen ›zerstoßen, -stampfen‹ – griozan (Part. Prät.) ›grob gemahlen‹ – malan ›mahlen‹ – zisamanemalan ›zermahlen?‹ – mullen ›zerreiben, -stoßen‹ – niuuuan ›zerstoßen‹ – firniuuuan ›zerstoßen‹ – stamphôn ›zerstampfen, -stoßen‹ – stemphen ›stampfen‹; b) Reinigen:feuuen ›sieben‹ – redan ›sieben‹ – rîtarôn ›sieben, sichten‹ – girîtarôn ›sieben, sichten‹ – siften ›(fein) sieben‹; c) Bereiten von Teig und Brei:theismen ›durchsäuern‹ – thuueran ›vermengen‹ – knetan ›vermengen, (durch)kneten‹ – giknetan ›kneten?‹ – zirlâzan ›auflösen‹ – ruoren ›anrühren, vermengen‹ – sûren ›säuern, zur Gärung bringen‹ – zitrîban ›auflösen‹.

Bezeichnungen für Personen, die Tätigkeiten der Nahrungsmittelherstellung ausüben, lassen sich nach den Wirtschaftsbereichen des Mühlenwesens, der Bäckerei, der Fleischverarbeitung, der Speisenzubereitung sowie der Getränkeherstellung gruppieren. Einen knappen Eindruck sollen die Bezeichnungen für den Bäcker bzw. die Bäckerin vermitteln:

becka – beckeri – beckersa – brôtbecka – brôtbeckera+ – brôtbeckeri – brôtbeckerin – brôtbeckila – brôtbecko – knetârin – phistur.

2.2 Zur semantischen Analyse

Insgesamt waren mehr als 1 600 Einzelbelege zu prüfen, von denen schließlich etwa 440 für den Sachbereich Nahrungszubereitung näher auszuwerten waren. Fast zwei Drittel der Verben sind nämlich auch in anderen Bedeutungen und Verwendungsweisen bezeugt. So ist siodan nicht bloß Bezeichnung einer Garmethode sowie der Behandlung alkoholischer Getränke, sondern begegnet auch als technischer Ausdruck für das Läutern des Goldes, als Bezeichnung für das Brennen von Ziegeln, das Gerben von Fellen und das Erhitzen von Harz.

Die Untersuchung und Strukturierung der betreffenden Bedeutungen für alle ermittelten Wörter kann dann den Methoden der Semasiologie folgen. Es gelten dieselben Prinzipien der Beleganalyse wie bei der Erstellung der Wörterbuchartikel. Für jedes einzelne Vorkommen des Wortes muss der sprachliche Kontext untersucht werden. Hier wird jeweils nur eine Bedeutung von mehreren möglichen aktualisiert. Mit der Analyse der syntaktischen Strukturen und der syntagmatischen semantischen Beziehungen kann diese erfasst werden. Dafür sind bei den sogenannten literarischen Denkmälern mit zusammenhängendem althochdeutschen Text und gegebenenfalls zusätzlichem lateinischen Vorlagetext prinzipiell günstigere Voraussetzungen gegeben.

Bei den Glossen gestaltet sich die Analyse komplizierter. Für die Erschließung der kontextuellen semantischen Disambiguierung wird stets das lateinische Bezugswort in seinem Textzusammenhang herangezogen. Es bleibt dann im einzelnen zu beurteilen, inwieweit der Glossator die dort vorliegende spezielle Bedeutung des lateinischen Bezugswortes erfasste bzw. überhaupt zu erfassen beabsichtigte. Als Kriterien für die Einstufung als eine kontextgerechte Wiedergabe – als Kontextübersetzung bezeichnet12 – kann die Berücksichtigung morphologischer oder syntaktischer Besonderheiten, vor allem jedoch spezieller Bedeutungsausprägungen gelten, die sich eben nur aus dem lateinischen Text erschließen. So wäre die Glossierung von lat. coquere, normalerweise ›kochen‹, durch ahd. backan ›backen‹ in Coxerunt puochan (Gl 1,321,39)13 bei isoliertem Lemma kaum denkbar, sondern sie setzt die Kenntnis des Bibeltextes voraus, der vom Backen eines Teiges spricht: coxeruntque farinam quam dudum conspersam de Aegypto tulerant (Ex. 12,39). Ähnlich kann der Eintrag Fac chohho (Gl 1,813,17) zu adfer mihi venationem tuam et fac cibos ut comedam (Liber com., Gen. 27,7), in dem lat. facere ›machen‹ durch ein viel spezielleres kohhôn ›kochen‹ wiedergegeben ist, eigentlich nur zustande gekommen sein, weil der Glossator den Bibeltextzusammenhang beachtete, der von der Bereitung einer Mahlzeit berichtet, und sich bei der Wahl des Verbs semantisch von lat. talum ›Speise‹ leiten ließ. Bei Frixam in fannun kasuezzit (Gl 1,280,25) zu [David] partitus est … singulis … similam frixam oleo (2. Reg. 6,19) ist die Garmethode suueizen ›braten, (in Fett) backen‹ für ein Gebäck sogar durch die zusätzliche Nennung des Küchengerätes phanna ›Pfanne‹ präzisiert.

Dem allen stehen andere Fälle gegenüber, in denen die Wortwahl auf deutscher Seite nicht mit der Kontextbedeutung des lateinischen Lemmas vereinbar ist, die sogenannten Vokabelübersetzungen. Sie können Fehlübersetzungen sein oder aber auf dem Wunsch basieren, ein lateinisches Wort einfach in seiner geläufigsten Bedeutung wiederzugeben.

Bei der Analyse aller zum onomasiologischen Paradigma gehörenden Wörter ergeben sich vielfältige Auswertungsansätze. Aus der Verteilung der Wörter und Belege auf die beiden großen Quellengruppen des Althochdeutschen wird einmal mehr deutlich, welche überragende Bedeutung der in der älteren Forschung lange unterschätzten Glossenüberlieferung für unsere Kenntnis bestimmter Wortschätze zukommt. Von den 99 Verben stammen 38 überhaupt nur aus Glossen und weitere 22 sind in relevanten Bedeutungen nur hier überliefert. Praktisch ausschließlich in Glossen sind die Personenbezeichnungen tradiert. Oftmals sind es ganz bestimmte Textzusammenhänge, die offenbar eine spezielle Attraktivität für die Glossatoren besaßen und denen jeweils eine ganze Reihe von Übersetzungsversuchen zu verdanken ist. Zu dem Bildwort von den Pharisäern, die die Mücken aus ihren Getränken herausseihen, ganze Kamele jedoch verschlucken (Matth. 23,24), sind lat. excolare bzw. liquare ›herausseihen‹ mit immerhin fünf verschiedenen Verben wiedergegeben: sîhan, ûzsîhan, abaflôzen, ûzflôzen und ûzfliozan.

2.3 Zur Ausdifferenzierung des Wortschatzbereiches

Auch die zeitliche Verteilung innerhalb der althochdeutschen Überlieferung muss selbstverständlich Berücksichtigung finden, etwa um neu aufkommendes oder veraltendes, später nicht mehr gebräuchliches Wortgut zu erkennen. Allerdings kann der Zeitpunkt des Auftretens in den Quellen allein kaum etwas über das tatsächliche Alter der Wörter aussagen. Der verbale Wortschatz für den Bereich der Nahrungszubereitung muss schon frühzeitig gut ausgebaut gewesen sein. Starke Verben als indogermanisch-germanisches Erbgut bilden den Kern der onomasiologisch motivierten Gruppen, indem sie so grundlegende, seit alters angewandte Techniken bezeichnen wie das Zerkleinern von Getreide (vgl. malan, niuuuan), das Bereiten von Teig (knetan) und das Garen von Nahrungsmitteln (siodan, backan, brâtan). Auch viele der sekundär gebildeten schwachen Verben sind bereits für gemein- oder zumindest westgermanische Zeit vorauszusetzen, wie sich aus dem Vorhandensein von Entsprechungen in anderen altgermanischen Sprachen schließen lässt. Sie können ursprünglich als deverbale Bildungen mit kausativer oder iterativ-intensiver Bedeutung entstanden sein (jerien ›in Gärung bringen‹ zu jesan ›gären‹ bzw. mullen zu malan). Häufiger sind aber denominale Ableitungen, die als desubstantivische Faktitiva, als Instrumentativa, Ornativa sowie Privativa den Inhalt oder das Ergebnis der Tätigkeit (slahtôn ›schlachten‹ zu slahta ›Tötung‹ bzw. lidôn ›zerlegen, in Stücke schneiden‹ zu lid ›Glied‹), das verwendete Gerät (hersten ›rösten‹ zu harst ›Bratrost‹), einen beizufügenden Nahrungszusatz (uuurzen ›(mit Kräutern) würzen‹ zu uuurz ›Kraut‹), ein zu entfernendes Teil (feimen ›Schaum abheben, abschäumen‹ zu feim ›Schaum‹) oder auch als deadjektivische Faktitiva eine durch die Tätigkeit zu erreichende Eigenschaft eines Objekts (lûttaren ›abklären, reinigen‹ zu lûttar ›rein‹) zum Ausgangspunkt ihrer Motiviertheit haben. Die weitere Ausdifferenzierung der verbalen Bezeichnungen im Althochdeutschen konnte dann, vor allem im Hinblick auf das Ausdrücken von Bewegungsrichtungen und Aktionsarten, in starkem Maße über Präfigierungen erfolgen (zisamanegiozan ›zusammenschütten, -gießen‹). Mit den Neuerungen der Sachkultur bei Weinbau und Kochkunst wurden schließlich entsprechende lateinische Verben als Lehnwörter übernommen (misken ›mischen‹, kohhôn ›kochen‹, temparôn ›würzen‹ oder pressôn ›auspressen, keltern‹).

Bei den Personenbezeichnungen dagegen scheint es sich größtenteils um Neubildungen althochdeutscher Zeit zu handeln. Die Notwendigkeit, Personen nach einer spezialisierten, berufsmäßig ausgeübten Tätigkeit in der Nahrungszubereitung zu bezeichnen, konnte sich erst mit zunehmender Arbeitsteilung in diesem Bereich nach und nach ergeben. Im früheren Mittelalter zeichnen sich arbeitsteilige handwerkliche Bereiche zunächst innerhalb der komplexeren Einheiten großer Grundwirtschaften ab. Im dörflichen Bereich bestanden verschiedene Formen handwerklicher Nebentätigkeit. Mit dem Aufblühen der Städte ab dem 11. Jahrhundert ist dann eine fortschreitende Arbeitsteilung und Spezialisierung des Nahrungshandwerks verbunden, die sich auch im Anwachsen von Berufsbezeichnungen zeigt.14 In diesem Spannungsfeld sind die vorgefundenen Personenbezeichnungen zu verstehen. Für Frauen war in Bäckereien und großen Küchen eine eigene (Berufs-)Tätigkeit durchaus möglich. Öfter beziehen sich weibliche Berufsbezeichnungen jedoch auf die Ehefrau oder Witwe eines Handwerkers, was bei mulinersa ›Müllerin‹ der Fall sein dürfte.

Interessante Fragestellungen zu den Nomina agentis betreffen die Wortbildungsstruktur als Kompositum oder Ableitung mit unterschiedlich produktiven Suffixen sowie die Motiviertheit der Bildungen. Eine Anzahl von Ableitungen ist zu Wortgruppen aus Verb und Akkusativergänzung gebildet wie z. B. fleischackâri+ und fleischackil ›Fleischer‹ zu *fleisc hackôn ›Fleisch hacken‹ oder fiurscuria ›Herd-, Küchenmagd‹ zu *fiur scurien ›Feuer schüren‹. Eine Anknüpfung an die charakteristische Arbeitstätigkeit in Kombination mit dem Produkt bot sich für die neu entstehenden Nomina agentis dieses Sachbereichs offenbar besonders an. Die weiblichen Personenbezeichnungen können entweder parallel zu einer männlichen gebildet sein (brôtbecka neben brôtbecko) oder durch Motion von einer solchen abgeleitet (beckersa zu beckeri). Lehnwörter sind z. B. mulinâri ›Müller‹, koh ›Koch‹, phistur ›Bäcker‹, mezzilâri ›Fleischer‹ und uuînzuril ›Winzer‹.

2.4 Zu lexikologischen Bezügen innerhalb der onomasiologischen Gruppen

Innerhalb der onomasiologischen Gruppen fallen an einigen Stellen unbesetzte Positionen unmittelbar auf. Bezeichnungen etwa für die Konservierungsmethode des Räucherns oder für die Butterbereitung fehlen ganz, außerdem ein übergreifender Ausdruck für das Bierbrauen sowie eine Personenbezeichnung aus der Milchwirtschaft. Aber auch darüber hinaus ist quellenbedingt mit Lücken zu rechnen. Viele Ausdrücke sind lediglich als Hapaxlegomena bezeugt oder begegnen nur in wenig charakteristischen Belegsituationen, so dass sie sich nicht annähernd in ihrem gesamten Bedeutungsumfang rekonstruieren lassen.

Punktuell werden aber die verschiedenartigen Beziehungen sichtbar, die zwischen den Verben einer Gruppe bestanden haben können: übergreifende Bezeichnung neben spezieller Bezeichnung eines Einzelverfahrens (temparôn ›würzen‹ neben suozen ›süß, genießbar machen‹, salzan ›salzen‹, uuurzen ›(mit Kräutern) würzen‹), Ausdrücke für aufeinanderfolgende Schritte in einem Handlungsablauf (bei der Fleischverarbeitung: slahan ›schlachten‹, fillen ›(die Haut) abziehen, abhäuten‹, lidôn ›zerlegen, in Stücke schneiden‹; bei der Weinherstellung: tretan ›(Trauben) (aus)treten‹ und pressôn ›auspressen, keltern‹ für das Treten der Früchte mit den Füßen bzw. das Auspressen mit mechanischen Geräten), Wörter für alternativ zueinander einzusetzende Verfahren (stamphôn ›zerstampfen, -stoßen‹ und malan ›mahlen‹ für die technologisch unterschiedlichen Methoden zum Zerkleinern des Getreides im Mörser bzw. in der Mühle; siodan ›sieden, kochen‹, brâtan ›braten‹ und backan ›backen‹ für unterschiedliche Garverfahren), Beziehungen einer lokalen oder aktionalen Abstufung zwischen Basisverben und zugehörigen Präfixbildungen (misken ›mischen‹ und zisamanemisken ›vermischen‹ bzw. siodan ›sieden, kochen‹ und firsiodan ›zerkochen‹).

Auch regionale Differenzierungen können eine Rolle spielen, die für das Althochdeutsche oft nur schwer fassbar sind. Bei den vielfältigen Bezeichnungen für Bäcker lässt sich aber in Ansätzen bereits die aus späterer Zeit bekannte regionale Verteilung der Heteronyme ausmachen: beckeri erscheint in mitteldeutschen Handschriften, (brôt)becko und phistur dagegen mit vorwiegend oberdeutscher Verbreitung. Für beckersa ist auf Grund des speziellen Movierungssuffixes von einer Beschränkung auf mittelfränkisches Sprachgebiet auszugehen.

3. Überlegungen zur Alltagssprachlichkeit

Die Frage, inwieweit nun das vorgefundene Wortgut tatsächlich alltagssprachlich – im Sinne von »Sprechen im Alltag und über Alltägliches«15 – gebraucht worden ist, lässt sich selbstverständlich nicht pauschal klären. Bei sachbezogenem Wortschatz zu einem Grundbereich der Lebenspraxis darf das für einen größeren Teil der Fälle aber vorausgesetzt werden.

Indizien dafür, dass ein allgemein geläufiger Ausdruck vorliegt, lassen sich oft anhand der einzelnen Übersetzungssituation finden. War dem Glossator – über eine bloße Einzelentsprechung zum lateinischen Lemma hinaus – sichtlich an einer sachgerechten Erfassung des im Kontextzusammenhang Gemeinten gelegen und lässt sich dabei eine (zumindest ansatzweise) eigenständige Wiedergabe erkennen, so dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit auch gebräuchliches Wortgut zugrunde liegen. Auch die Verwendung eines Verbs bei der Übersetzung biblischer Gleichnisse und Bilder, wo Neues gerade durch Anknüpfung an Alltägliches und Bekanntes vermittelt bzw. schwerer Fassliches dadurch veranschaulicht werden sollte, kann letztlich den Schluss auf Sprachwirklichkeit und höhere Benutzungsfrequenz einer Bezeichnung zulassen. Weitere Kriterien können Parallelen in anderen altgermanischen Sprachen sein sowie ein Weiterleben des Wortes im Mittelhochdeutschen und darüber hinaus, z. T. auch in den Mundarten.

Umgekehrt können im Einzelfall bestimmte Indizien gegen eine alltagssprachliche Gültigkeit sprechen. Bei einem Wortbildungsprodukt in enger Nachbildung des glossierten Lateins, mit geringer Bezeugungsfrequenz sowie ohne weitere Parallelen wird es sich vermutlich um eine bloße Ad-hoc-Bildung des Glossators handeln, die keinen Bestand hatte.

Eine Abgrenzung hätte auf der anderen Seite auch gegenüber möglichen fachsprachlichen Sonderverwendungen zu erfolgen. Unzweifelhaft sind in dem vorgefundenen Wortmaterial Reflexe bereits ausdifferenzierter Sach- und Fachwortschätze auszumachen. So behandelt das Kapitel De mensis et escis des spätalthochdeutschen Summarum Heinrici einige Zubereitungsformen für Fleischgerichte: nach Crudum rov ›roh‹ sind das Frixum girostit ›geröstet‹, Assum gibratin ›gebraten‹, Coctum gechochet ›gekocht‹, Elixum gisothin ›gesotten‹, Salsum gisalzin ›gesalzen‹ (Gl 3,153,56–154,1; Hbr. I,336,318–322). Das Nomen agentis slahtâri ›Schlachter, Fleischer‹ ist mit verschiedenen Bezeichnungen aus der Fleischverarbeitung, vor allem für Fleischarten, Wurstsorten und tierische Fette, in einem kleinen Sachglossar zusammengefasst: spechûs ›Speisekammer (für Speck)‹, spec ›Speck‹, bahho ›Schinken, Speckseite‹, smeroleib ›Fettklumpen, Bauchfett‹, unsliht ›(Eingeweide-)Fett, Unschlitt‹, spint ›Fett, Speck‹, uuurst ›Wurst‹, lebar(a)uuurst ›Leberwurst‹, brâtuuurst ›eine Art Fleischwurst‹, scubiling ›Wurst‹, slougbrâto ›Wurst(fleisch)‹, sulza ›Salzbrühe‹, zantaring ›Räucherfleisch, Braten‹, lentîbrâto ›Lendenfleisch‹, in(gi)slahti ›Innereien, Kleingehacktes‹ u. a. (Gl 3,613,1–29). Dennoch ist für den Basisbereich Nahrungszubereitung noch kaum mit einer weitergehenden Ausgliederung der diesbezüglichen Kommunikation aus der allgemeinen Alltagskommunikation zu rechnen.16

4. Nahrungswortschatz: Perspektiven

Bei einer weiteren lexikologischen Erschließung des Gesamtkomplexes Nahrung könnten die onomasiologischen Paradigmen der Verben und der Nomina agentis dann jeweils zu den übrigen Kategorien innerhalb ein und desselben Handlungszusammenhanges in Relation gesetzt werden. Die traditionell als Wortfelder bezeichneten Einheiten lassen sich als ›Rahmen‹ verstehen, die jeweils eine stereotype Situation als »musterhafte Ausformung von Sachen, Personen und Handlungen unter einem bestimmten Stichwort«17 repräsentieren. Bezeichnungen für allgemeine Bedingungen der Ernährung, für Nahrungsmittel, Speisen und Getränke, für Geräte und Gefäße sowie Räume bzw. Gebäude für die Zubereitung und Lagerung müssten mit eingeschlossen werden. Über die in dem onomasiologischen Arbeitsschritt gewonnenen Informationen wird das für die historische Sprachgemeinschaft situationsspezifisch verfügbare Wissen zumindest ansatzweise rekonstruiert. Wenn Bezeichnungen eines Sinnzusammenhangs zunächst unabhängig von der Wortart der Lexeme erfasst sind, so können Beziehungen im Wortschatz, etwa der maßgebliche Ausbau bestimmter Felder über einzelne besonders produktive Wortfamilien, deutlicher in den Blick gelangen. Dies soll im folgenden anhand dreier Beispiele angedeutet werden.

Beispiel 1: Bier

Verschiedene Zeugnisse unterrichten über den großen Stellenwert von Bier und Brauwesen. Die Paläo-Ethnobotanik kann für das frühe Mittelalter zu den Bierwürzen auf archäologische Funde von Hopfen und Gagel verweisen, außerdem auf die Erwähnung in schriftlichen Zeugnissen. Die Herstellung des Bieres fiel zwar von alters her in den Bereich der bäuerlichen Hausarbeiten, speziell der Frauen – und darüber ist in den Quellen nur spärlich berichtet. Große kirchliche oder weltliche Grundherrschaften verfügten dagegen über eigene Brauhäuser, in denen spezialisierte männliche Arbeitskräfte tätig waren. So beauftragt das Capitulare de villis den Verwalter der königlichen Domänen, gute Fachleute dafür heranzuziehen.18 Im St. Galler Klosterplan sind sogar für die Pilger, die Gäste und die Mönche gesonderte Brauereien vorgesehen, die jeweils mit einer Bäckerei zu einem Wirtschaftskomplex verbunden sein sollen. In der Darstellung der Brauerei des Gästehauses sind Sudhaus (mit Feuerstätten und Braukessel) und Kühlraum (mit Gärbottichen und Kühlschiffen) zu erkennen (vgl. Abb. 1). Die Beischriften lauten: domus conficiendae celiae ›Brauhaus‹ und hic refrigeratur ceruisa ›hier wird das Bier abgekühlt‹.

Abbildung 1: St. Galler Klosterplan (Detail), Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092 Abbildung 1: St. Galler Klosterplan (Detail), Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092

Ein Blick auf die Überlieferung, dargestellt als Rahmen ›Bierherstellung‹, bietet das folgende Bild:

  1. Ausgangsstoffe: a) Getreide:gersta ›Gerste‹ – habaro ›Hafer‹ – malz, malzi ›Malz‹ – uueizi ›Weizen, Dinkel‹; b) Zusätze:grûz ›Bierwürze‹ – honag ›Honig‹ – hopho ›Hopfen‹ – uuirz ›Bierwürze‹;
  2. hergestellte Getränke:bior ›Bier‹ – grûz ›(Weizen-, Gersten-)Bier‹ – grûzing ›(Weizen-, Gersten-)Bier‹ – lûttartranc ›Bier?‹;
  3. Nebenprodukte, Abfälle:heffa ›Hefe, Bodensatz‹ – trabo ›Treber‹ – trebir ›Treber‹ – truosana ›Bodensatz, Hefe‹;
  4. Geräte, Gefäße:biorfaz ›Bierkrug, -fass‹ – briuphanna ›Brau-, Siedepfanne‹ – tharra ›Darre‹ – therra ›Darre‹ – gellita ›Kübel, Eimer, Gelte‹ – muoltra ›Trog, Wanne‹ – trog ›Schüssel, Trog‹ – trugilîn ›Schüssel, kleiner Trog‹;
  5. Herstellungsort:briuhûs ›Brauhaus, Brauerei‹;
  6. Tätigkeiten:therren ›dörren‹ – jerien ›in Gärung bringen‹ – milsken (Part. Prät.) ›mit Honig gesüßt‹ – irsezzen ›ansetzen‹ – siodan ›sieden, kochen‹;
  7. Personen:briumeistar ›Braumeister‹ – briuuuâri ›(Bier-)Brauer‹ – briuuuino ›(Bier-)Brauer‹ – grûzeri ›Bierbrauer‹.

Zwar sind einige Tätigkeits- und Personenbezeichnungen sowie verschiedene Ausdrücke für die verwendeten Ausgangsstoffe, das Produkt Bier, Geräte und Gefäße zu finden, es fehlt jedoch, wie bereits erwähnt, ein eigentlich zu erwartender übergreifender Ausdruck für die Bierbereitung. Innerhalb des Rahmens ›Bierherstellung‹ zeugen nun aber die Lexeme briuhûs und briuphanna zusammen mit den Nomina-agentis-Bildungen briuuuino, briuuuâri sowie briumeistar davon, dass ein Verb *briuuuan im Althochdeutschen bereits üblich gewesen ist und nur überlieferungsbedingt fehlt. Gestützt wird dies auch durch Parallelen in anderen altgermanischen Sprachen.19 Der nach den sachgeschichtlichen Informationen durchaus bedeutsame Bereich des Bierbrauens ist in der Überlieferung insgesamt weit geringer repräsentiert als die Weinherstellung, für die bereits Textvorlagen der Bibel und antiker Schriftsteller reichlich Ansatzpunkte boten. Schließlich hält die althochdeutsche Überlieferung aber doch noch eine kleine Kostbarkeit bereit, den einzigen Beleg für irsezzen ›ansetzen‹. In einem St. Galler Spottvers (9. Jh.) spiegelt sich ländliches Brauchtum der Zeit. Erzählt wird von einem Verlobungsritual. Der Verlobungstrunk ist bereitet, doch dann wird die Verbindung wieder aufgelöst, wohl wegen Unfruchtbarkeit der Braut: Liubene ersazta sine gruz unde kab sina tohter uz: to cham aber Starzfidere, prahta imo sina tohter uuidere (S 401,2) ›Liubene setzte sein Weizenbier an und gab seine Tochter aus: Da kam aber Starzfidere, brachte ihm seine Tochter wieder‹ 20.

Beispiel 2: Butter

Die Illustrationen des Utrecht-Psalters, die manche kulturelle Errungenschaft der Karolingerzeit darstellen, enthalten auch die frühe Abbildung eines Butterfasses.

Abbildung 2: Utrecht-Psalter (Detail), Universiteitsbibliotheek Utrecht, MS. 32, fol. 86r Abbildung 2: Utrecht-Psalter (Detail), Universiteitsbibliotheek Utrecht, MS. 32, fol. 86r

Mit gewissen regionalen Unterschieden blieb das Produkt Butter aber, wohl auch wegen der aufwändigen Herstellung, bis ins hohe Mittelalter ein Nahrungsmittel von eher exklusiver Stellung. Die ohnehin nur begrenzt anfallende Milch wurde häufiger zu Käse verarbeitet. Vor allem dem einfachen Sauermilchkäse kam als allgemeinem Nahrungsmittel breiter Bevölkerungskreise große Bedeutung zu. In einem möglichen Rahmen ›Herstellung von Milchprodukten‹ stellt sich der überlieferte Wortschatz wie folgt dar:

  1. Ausgangsstoffe: a) Milch:miluh ›Milch‹; b) Zusätze: ? girunnan+ ›Gerinnungsmittel, Lab‹ – girunnida ›Gerinnungsmittel, Lab‹ – girunst ›Gerinnungsmittel, Lab‹ – kâsilubbi, -lubba ›Lab zur Käseherstellung‹ – lab ›Lab‹ – quâgul ›Lab‹ – rennisal ›Gerinnungsmittel, Lab‹;
  2. Milchprodukte: a) Rahm:roum ›Milchrahm, Sahne‹; b) Butter:anko ›Butter‹ – anksmero ›Butter(schmalz)‹ – ankspint ›Butter(schmalz)‹ – butira ›Butter‹ – kuosmero ›Butter‹ – miluhsmalz ›Butter‹ – slegibatta ›(frisch geschlagene) Butter‹ – ? smero ›(Butter-)Schmalz‹; c) Käse:formizzi ›(geformter) Käse, Käselaib‹ – kâsi ›(geformter) Käse‹; d) Buttermilch, Molke, Quark:kâsiuuazzar ›Käsewasser, Molke‹ – molkan ›Molke, Quark?‹ – scotto ›Quark, Molke‹ – slegilmelc ›Buttermilch, Molke‹ – slegimelc ›Buttermilch, Molke‹ – uuezzihha ›Molke‹;
  3. Geräte, Gefäße:kâsibora ›Käsekorb‹ – kâsifaz ›Käsekorb, -form‹ – kâsikar ›Käsekorb, -form‹ – kâsikorb ›Käsekorb‹ – kâsinaph+ ›Käseform, -korb‹ – kâsiuuazzarkar ›Gefäß für Molke‹ – kurbilîn ›kleiner Korb‹ – sîha ›Seihe‹ – sîhtuoh ›Seihtuch‹ – zeina ›Korb‹;
  4. Herstellungsort:kasari ›Sennhütte‹;
  5. Tätigkeiten:thûhen ›festdrücken, pressen‹ – githûhen ›zusammendrücken, -pressen, formen‹ – girennen ›gerinnen lassen, zum Gerinnen bringen‹ – sîhan ›(heraus)seihen‹;
  6. Vorgänge:zisamanefaran ›gerinnen‹ – girinnan ›gerinnen‹.

Für das Produkt Butter standen als einheimische Bezeichnungen mit regionaler Differenzierung anko (im Oberdeutschen, vorwiegend im Alemannischen) sowie die Komposita mit smero und smalz, beide ›Fett, Schmalz‹, zur Verfügung. Sie wurden später teilweise durch das Lehnwort butira ersetzt, das als kulturelles Wanderwort wohl über die Klosterwirtschaft in Verbindung mit Neuerungen in der Zubereitung (festere Konsistenz, bessere Haltbarkeit) in Gebrauch kam. Insgesamt dominieren aber Bezeichnungen aus der Käseherstellung, auch mit einigen speziellen Gerätebezeichnungen mit kâsi als Bestimmungswort sowie den Tätigkeitsbezeichnungen. Vielleicht könnte nach dem Kompositum slegibatta das Verb ahd. slahan ›schlagen‹ für die Tätigkeit bei der Butterbereitung verwendet worden sein, direkte Belege dafür liegen aber nicht vor.

Mit der Frage nach Personenbezeichnungen aus der Milchverarbeitung ist auch die Grenzziehung gegenüber dem Wortschatz der landwirtschaftlichen Urproduktion angesprochen. Arbeiten der Butter- und Käseherstellung fielen in den Almwirtschaften in den Aufgabenbereich des Senns. Die überlieferten Belege für ahd. senno und auch für suueigo sowie suueigâri geben hierfür jedoch keine unmittelbaren Hinweise, für sie kann lediglich die Bedeutung ›Hirt, Schäfer‹ bzw. ›Rinderhirt‹ angegeben werden.21 Übergänge und Überschneidungen zwischen unterschiedlichen Rahmen wären in jedem Fall in den Blick zu nehmen.

Beispiel 3: Brezel

Aus dem Hortus deliciarum der Herrad von Hohenburg ist die Miniatur zum Mahl der Esther überliefert, wo neben anderem Gebäck eine Brezel in besonderer Ausformung zu sehen ist (vgl. Abb. 3). Auch andere mittelalterliche Handschriften zeigen im Kontext biblischer Motive Abbildungen der Brezel. Selbstverständlich sind Fragen der Stilisierung und bestimmter Topoi zu berücksichtigen, jedoch werden durchaus Rückschlüsse auf die Formentwicklung – vom geöffneten Ring zur geschlungenen Brezel – und die Stellung dieses ursprünglich eucharistischen Gebäcks gezogen.22

Abbildung 3: Hortus deliciarum der Herrad von Hohenburg (Detail), Nachzeichnung bei Christian Moritz Engelhardt, Herrad von Landsberg, Stuttgart und Tübingen 1818, Tafel 4, Exemplar der Universitätsbibliothek Leipzig, Gr. Fol. 679 Abbildung 3: Hortus deliciarum der Herrad von Hohenburg (Detail), Nachzeichnung bei Christian Moritz Engelhardt, Herrad von Landsberg, Stuttgart und Tübingen 1818, Tafel 4, Exemplar der Universitätsbibliothek Leipzig, Gr. Fol. 679

Eine fast unvorstellbare Vielfalt an Brotsorten nach Form, Zutaten und Zubereitungsweise zählen die Benedictiones ad mensas (um 1030) auf, die aus der Feder Ekkehards IV. von St. Gallen stammenden Speisesegnungen. Die Forschung geht mittlerweile davon aus, dass diese lateinische Dichtung – an einigen Stellen sogar deutsch glossiert – eher um der Vers- und Reimtechnik willen geschrieben ist und alle nur denkbaren Speisen besingt, als dass sich hier reales Klosterleben der Zeit abbildet. Die Frage nach den Bezeichnungen für Brot und Feingebäck im Althochdeutschen und den darin möglicherweise erkennbaren Differenzierungen ist jedoch aufgeworfen. Allein als Bezeichnung der Brezel finden sich in der althochdeutschen Überlieferung vier Wörter: brezzila, brezzitel(la), brezzita, brezza, die als Lehnwörter auf verschiedene mittellateinische Ableitungen zu lat. brachium ›Arm‹ zurückgehen.23 Ausdrücke wie ring, brôtring und bougbrôt in Doppel- oder Parallelglossierungen beziehen sich auf ringförmige bzw. runde Gebäcke. Für die lateinischen Lemmata collyrida und crustula/-um und auch torta sowie für die Glossen kuohho und flado in weiteren Parallelhandschriften sind wohl die Bedeutungsangaben ›Kuchen‹ bzw. auch allgemeiner ›Feingebäck‹ angezeigt. Erst der Vergleich mit weiteren Gebäckbezeichnungen kann eine umfassende Beurteilung ermöglichen.

In den bisher publizierten Bänden des Althochdeutschen Wörterbuchs mit den Buchstaben A bis L sind nicht weniger als 36 verschiedene Bezeichnungen für Brot und Feingebäcke behandelt, wobei unter dem Ansatz brôt noch eine ganze Anzahl an Ausdrücken für spezielle Brotsorten hinzukommt. Ist das Wörterbuch einmal fertiggestellt, werden darin fast 60 dieser teilweise recht speziellen und kulturgeschichtlich hochinteressanten Wörter enthalten sein. Eine eigene Untersuchung wäre auf jeden Fall lohnenswert.

  1. 1Erweiterte Fassung eines Vortrages anlässlich der Präsentation von Bd. IV des Althochdeutschen Wörterbuchs an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
  2. 2Herbert Ernst Wiegand, »Nachdenken über Wörterbücher: Aktuelle Probleme«, in Günther Drosdowski, Helmut Henne und Herbert E. Wiegand, Nachdenken über Wörterbücher, korr. Nachdr., Mannheim, Wien, Zürich, 1984, S. 51–102, hier S. 102.
  3. 3Klaus-Peter Wegera, »Deutsche Sprachgeschichte und Geschichte des Alltags«, in Werner Besch u. a., Hg., Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl., Bd. 1, Berlin, New York 1998 (HSK 2, 1), S. 139–159, hier S. 139 f. (auch zu definitorischen Fragen).
  4. 4Alois Wierlacher, Gerhard Neumann und Hans-Jürgen Teuteberg, Hg., Kulturthema Essen. Ansichten und Problemfelder, Berlin 1993 (Kulturthema Essen Bd. 1); Massimo Montanari, Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, Sonderausg. München 1999; Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2006.
  5. 5Gerhard Neumann, »Einleitung«, in Gerhard Neumann, Alois Wierlacher und Rainer Wild, Hg., Essen und Lebensqualität. Natur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Frankfurt, New York 2001, S. 9–14, hier S. 9.
  6. 6Klaus J. Mattheier, »Das Essen und die Sprache. Umrisse einer Linguistik des Essens«, inKulturthema Essen (s. Fn. 4), S. 245–255, hier S. 246 f., 249 f.
  7. 7Bester Überblick über Stand und Perspektiven der Erforschung bei Alexander Reck, »Die deutschsprachigen Kochbücher des Mittelalters«, inMitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 109 (2001), S. 82–104; Sammlung von Quellentexten in elektronischer Form im Projekt »Monumenta Culinaria et Diaetetica Historica« sowie umfassende Bibliographie zu den Themen Kochen, Nahrungsmittel, Wein von Thomas Gloning unter http://uni-giessen.de/gloning/kobu.htm (28. 2. 2009). Von Trude Ehlert, die die Würzburger Arbeitsstelle zur Erforschung mittelalterlicher Kochrezeptliteratur leitet, stammt auch die wohl erfolgreichste Sammlung mittelalterlicher Rezepte für die moderne Küche: Das Kochbuch des Mittelalters, 4. Aufl., Düsseldorf 2007.
  8. 8Vgl. Sabine Bunsmann-Hopf, Zur Sprache in Kochbüchern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein fachkundliches Wörterbuch, Würzburg 2003 (Würzburger medizinhistorische Forschungen Bd. 80).
  9. 9Vgl. Elvira Glaser, »Glossen als Quelle althochdeutscher Alltagssprache?«, in Ursula Götz und Stefanie Stricker, Hg., Neue Perspektiven der Sprachgeschichte. Internationales Kolloquium des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 11. und 12. Februar 2005, Heidelberg 2006, S. 65–81, hier S. 67 f.; Hugo Steger, »Sprachgeschichte als Geschichte der Textsorten, Kommunikationsbereiche und Semantiktypen«, in Werner Besch u. a., Hg., Sprachgeschichte 1 (s. Fn. 3), S. 284–300, hier S. 289 u. 297.
  10. 10Vgl. Almut Mikeleitis-Winter, Der Bereich Nahrungszubereitung im althochdeutschen Wortschatz. Onomasiologisch-semasiologische Untersuchungen, Berlin 2001 (Althochdeutsches Wörterbuch. Beiband), insbes. S. 232 f., 311 u. 301 f. sowie die Wortartikel mit allen Belegen S. 77–229 und 269–308; jetzt auch dies., »Zum Wortschatz der Nahrung«, in Rolf Bergmann und Stefanie Stricker, Hg., Die althochdeutsche und altsächsische Glossographie, Berlin, New York 2009 (im Druck).
  11. 11Alle Lexeme sind hier in althochdeutscher Form notiert, auf eine Bezeugung des Wortes in ausschließlich späten Handschriften ab dem 13. Jahrhundert wird gegebenenfalls hingewiesen (+).
  12. 12Zu dem am Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch entwickelten methodischen Konzept vgl. Heinrich Götz, »Zur Bedeutungsanalyse und Darstellung althochdeutscher Glossen«, in Rudolf Große, Siegfried Blum und Heinrich Götz, Beiträge zur Bedeutungserschließung im Althochdeutschen Wortschatz, Berlin 1977 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, 118, 1), S. 53–208.
  13. 13Für die abgekürzt zitierten Quellenangaben vgl. Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias v. Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. und hrsg. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, Bd. 1, Berlin 1968, S. VIII–XXII.
  14. 14Vgl. Dieter Möhn, »Die deutschen handwerklichen Fachsprachen und ihre Erforschung. Eine Übersicht«, in Lothar Hoffmann u. a., Hg., Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Bd. 1, Berlin, New York 1998 (HSK 14, 1), S. 1020–1039, hier S. 1023 f.
  15. 15Vgl. Elvira Glaser, »Glossen« (s. Fn. 9), S. 66. Für das folgende vgl. S. 65–71.
  16. 16Vgl. Wilfried Seibicke, »Fachsprachen in historischer Entwicklung«, in Werner Besch u. a., Hg., Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl., Bd. 3, Berlin, New York 2003 (HSK 2, 3), S. 2377–2391, hier S. 2378.
  17. 17Dieses Konzept ist vorgestellt und zuerst für Wortschatz der Heilkunde nutzbar gemacht worden von Jörg Riecke, Die Frühgeschichte der mittelalterlichen medizinischen Fachsprache im Deutschen, 2 Bde., Berlin, New York 2004, hier Bd. 1, S. 83–87 (Zitat S. 85).
  18. 18Für Nachweise, auch zum weiteren, vgl. Almut Mikeleitis-Winter, Der Bereich Nahrungszubereitung (s. Fn. 10), S. 45–76.
  19. 19Vgl. dazu ebd., S. 203 sowie S. 205 zu einem vereinzelten Beleg für altsächsischgibreuwan in einem Werdener Urbar.
  20. 20Übersetzung nach Stephan Müller, Hg., Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie, Stuttgart 2007, S. 261.
  21. 21Vgl. auch Juliane Brandsch, Bezeichnungen für Bauern und Hofgesinde im Althochdeutschen, Berlin 1987 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, 127, 4), S. 51 f.
  22. 22Vgl. Irene Krauß, Gelungen geschlungen. Das große Buch der Brezel. Wissenswertes, Alltägliches, Kurioses, Tübingen 2003, S. 14–34.
  23. 23Althochdeutsches Wörterbuch 1 (s. Fn. 13), Sp. 1377; Albert L. Lloyd, Rosemarie Lühr und Otto Springer, Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen, Bd. 2, Göttingen, Zürich 1998, Sp. 330f.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 2 (2009)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1