Bemerkungen anlässlich des Vortrages von Brigitte Bulitta »Philologische Grundlagenforschung am Althochdeutschen Wörterbuch«
Alphabetisch angelegte Wörterbücher sind zumeist semasiologisch ausgerichtet. Sie erschließen die Bedeutungen von Wörtern, indem sie erklären, auf welche Gegenstände, Erscheinungen, Vorgänge, Vorstellungen in unserer Umwelt und in unserem Gedächtnis wir uns beziehen. Dabei bedürfen sie der Ergänzung durch onomasiologische Untersuchungen, die von den Gegenständen, Erscheinungen, Vorgängen ausgehen und fragen, mit welchen Wörtern werden diese bezeichnet bzw. wurden sie bezeichnet bei historischen Wörterbüchern.
Auf diesem Wege werden ganze Sachbereiche erschlossen, so wenn am Material des Althochdeutschen Wörterbuches z. B. die Bezeichnungen für Bauern und Hofgesinde, für den Bereich der Nahrungsbezeichnung, für den Heilkundigen zusammengestellt und in ihrer Verwendung beschrieben werden. 1 Schon die Literaturverzeichnisse dieser Arbeiten veranschaulichen die sachliche Breite solcher Untersuchungen. Die Problematik der Fragestellung liegt darin, dass es keine einfache Beziehung von Wörtern und Sachen gibt. Das erklärt sich schon daraus, dass es dabei um Klassen von Gegenständen und Sachverhalten geht, womit die Verallgemeinerung in Begriffen als wesentlich sichtbar wird. Im weiteren Sinne dürfen wir daher auch von Onomasiologie sprechen, wenn Gegenstände des Bewusstseins nach ihren Bezeichnungen untersucht werden, wie z. B. »Wörter des Zorns«2 oder »Altdeutsche Bezeichnungen für das Jüngste Gericht«3. In den letzten Jahren hat die Onomasiologie in der linguistischen Forschung, auch zur Sprachgeschichte, viel Beachtung gefunden.4 Der Blick richtet sich auch auf die Prozesse der Bezeichnungsfindung und Bezeichnungsgebung mit den kommunikativen, pragmatischen und handlungsgeschichtlichen Zusammenhängen,5 womit der Bereich der Nomination eröffnet wird und damit ein weites Feld.
Nicht mehr der Onomasiologie wird man syntaktische Untersuchungen zurechnen wollen, auch wenn z. B. Yvon Desportes (Paris) bei der Beschreibung der räumlichen Präpositionen6 natürlich von den sachlichen Gegebenheiten ausgeht. Und selbst bei den Adverbien / Konjunktionen dann / denn, wie sie in seiner Festschrift in mehreren Artikeln behandelt werden,7 liegen doch zeitliche bzw. kausale Folgeerscheinungen zugrunde.
Der Hinweis auf die von Jean Fourquet und Paul Valentin gegründete Pariser Schule macht auf die Internationalität der Gemeinde althochdeutscher Forschung aufmerksam, die gebührende Erwähnung verdient. Die Schweiz mit Notkers St. Gallen ist natürlich vorrangig vertreten, und ein Name wie Stefan Sonderegger ist ein besonderer Ausweis. In Zürich wird von Elvira Glaser und ihren Schülern das Forschungsgebiet der althochdeutschen Griffelglossen erschlossen. In den USA ist nach Edward H. Sehrt, Taylor Starck, James C. King nunmehr auf Petrus W. Tax in Chapel Hill und auf Irmengard Rauch in Berkeley zu verweisen. Auf der anderen Seite sind in Petersburg und Moskau die Schüler/ innen von Viktor M. Schirmunski und Mirra M. Guchman auf dem Gebiet der deutschen Sprachgeschichte tätig. In Sofia vertritt den Lehrstuhl Emilia Dentschewa, bei uns mit einer Untersuchung der Infinitivkonstruktionen im Althochdeutschen8 promoviert und zu Hause mit einer Arbeit zum Gotischenüber »Infinitivische Sätze mit explizitem Subjekt in der Bibelübersetzung von Wulfila: ein Versuch gotisches Idiom vor dem Hintergrund übersetzungstechnischer Entscheidungen abzugrenzen und zu charakterisieren« (Sofia 2007). Auch Italien ist vertreten: In Udine hat Tiziana Zanier mit »Il Lessico Alimentare nelle Glosse Antico Alto Tedesche«9 eine umfangreiche Sammlung vorgelegt. Spanien schließlich, wo in Salamanca Natalia Montoto Ballesteros ihre Dissertation über inti und joh im Althochdeutschen am Material unseres Wörterbuches verteidigt hat; sie ist seit mehreren Jahren und auch weiterhin in der Arbeitsstelle als tüchtige wissenschaftliche Kraft tätig. Die internationale Fachwelt wartet auf die Fertigstellung unseres Wörterbuches, nutzt vorerst alle Möglichkeiten der Auskunft aus den von Elias von Steinmeyer begründeten Materialsammlungen.
- 1Juliane Brandsch, Bezeichnungen für Bauern und Hofgesinde im Althochdeutschen (Sitzungsberichte der SAW, Phil.-hist. Kl. Bd. 127, H. 4), Berlin 1987; Almut Mikeleitis-Winter, Der Bereich Nahrungszubereitung im althochdeutschen Wortschatz. Onomasiologischsemasiologische Untersuchungen (Althochdeutsches Wörterbuch, Beiband), Berlin 2001 (vgl. auch den folgenden Beitrag in diesem Heft); Gerlinde Richter, »Bezeichnungen für den Heilkundigen«, in Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 88. Bd., Halle 1966, S. 258–275. Auch die Dissertation von Brigitte Bulitta war onomasiologisch ausgerichtet: Zur Herkunft und Geschichte von Spielbezeichnungen. Untersuchungen am Beispiel traditioneller Bewegungsspiele, Kassel 2000.
- 2Siegfried Blum, Wörter des Zorns, Diss. Leipzig 1958.
- 3Rosemarie Schnerrer, »Altdeutsche Bezeichnungen für das Jüngste Gericht«, inBeiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 85. Bd., Halle 1963, S. 248–312.
- 4Vgl. Rolf Bergmann, »Kulturwissenschaftliche Aspekte des althochdeutschen Glossenwortschatzes «, in Isolde Hausner und Peter Wiesinger, Hg., Deutsche Wortforschung als Kulturgeschichte, Wien 2005, S. 49–66.
- 5Vgl. Oskar Richmann und Dieter Wolf, »Historische Lexikologie«, in Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger, Hg., Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2. Aufl.. Berlin, New York 1998, S. 610–643.
- 6Yvon Desportes, Das System der räumlichen Präpositionen im Deutschen. Strukturgeschichte vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, Heidelberg 1984.
- 7Michel Lefèvre und Franz Simmler, Hg., Historische Syntax und Semantik vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen. Festschrift für Yvon Desportes zum 60. Geburtstag, Berlin 2008.
- 8Emilia Dentschewa, Zum Infinitivgebrauch in der althochdeutschen Tatian-Übersetzung. Versuch einer Darstellung der Finalität des Infinitiv-Komplements, Diss. Leipzig 1984.
- 9Tesi di Laurea Universita’ degli Studi di Udine, Facoltà degli Lingue e Letterature Straniere, 1989/1990.