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Kurze Führung durch den Zoo der Kernreaktortypen


Im Deutschland unserer Tage wäre eine Führung durch einen Zoo der Kernreaktoren für die Mehrheit ein Gang zu gefährlichen Exoten. Anderswo in der Welt gelten Kernkraftwerke als nützliche Arbeitstiere. Das Spektrum der dominierenden öffentlichen Meinungen – und damit bei guter Demokratie auch der politischen Richtungen – reicht von »Atomkraft? Nein danke!« über »Kernkraftwerke nicht vorschnell abschalten, aber bitte keine Neubauten«, »Wenn schon Neubau, dann bitte nur Generation IV« und »Kernkraft ist das kleinere Übel« zu »Ohne Kernenergie geht die Menschheit zugrunde«. Man verzeihe mir: Nichts davon halte ich für wirklich klug. Warum etwas für immer ablehnen, wenn es sich ständig weiterentwickelt? Wieso will man lieber Altanlagen weiterlaufen lassen, anstatt neue zu bauen, wenn es allen doch um bestmögliche Sicherheit geht? Wieso auf Generation IV warten (viele wissen nicht einmal, was das eigentlich ist), wenn saubere Energie heute gebraucht wird? Wieso soll die Menschheit gleich untergehen? Es würde ihr wohl nur wesentlich schlechter gehen, ganz ohne Kernkraft. Realistischer ist die Vorstellung vom ›kleineren Übel‹. Sie impliziert, dass es ›größere Übel‹ gibt und die Kernenergie eher hilft als schadet. Das größte Problem ist kurz-, mittel- und langfristig die energetische Nutzung fossiler Brennstoffe, gleichgültig, ob man an die menschengemachten Klimaveränderungen glaubt oder nicht. Opfer von Minenunglücken, explodierende Bohrplattformen, Ölpest, Umweltbelastungen durch Fracking, Landverbrauch, Schadstoffemissionen auch bei modernster Filtertechnik, Altlasten – all das schlägt bei der Nutzung von Kohle, Öl und Gas zu Buche. 


Auf der anderen Seite geben Lebenszyklusanalysen, denen fast niemand Gehör schenkt, der Kernenergie ähnlich gute Noten wie der Wind- und Wasserkraft, eng gefolgt von Solarenergie, alles zusammen zwei Größenordnungen besser als die Bewertung der fossilen Energieerzeugung. Und das, obwohl gefährliche Abfälle zu entsorgen sind. Warum? Weil die Brennstoff- und Abfallströme pro erzeugter Kilowattstunde vergleichsweise winzig sind. Dazu kommt, dass Kernenergie die Grundlast bedient, d. h. konstant zur Verfügung steht, anders als Wind-, Wasserkraft oder Solarenergie. Das ist ein Vorteil gegenüber den meisten erneuerbaren Quellen. Ich behaupte, eine Neukalibrierung unserer Ansichten – weg vom Bauchgefühl – muss her, um die Risiken der Kernenergie, besonders einer gut gemachten Kernenergie, gegenüber den Gefahren eines Verzichts abwägen zu können. Dazu der erste Schritt: Ein Besuch im Zoo, um sich die Biester aus der Nähe anzusehen.


Allen Arten im Zoo der Reaktoren ist gemeinsam, dass Kernspaltungen als Quelle von Wärmeenergie genutzt werden. Entdeckt wurde die Kernspaltung von Uran durch ein in den Kern eindringendes Neutron von Otto Hahn, Friedrich-Wilhelm Straßmann und Lise Meitner vor ziemlich genau 80 Jahren. Als dann ein Jahr darauf Irene Joliot-Curie experimentell nachwies, dass bei der Spaltung auch neue Neutronen frei werden, wurde klar, dass eine Ketten­reaktion und damit eine technische Nutzung möglich ist.


Neben der frei werdenden thermischen Energie, die als nutzbare Wärme anfällt, ist es wichtig, sich die auftretenden Stoffströme zu vergegenwärtigen. In der Natur gibt es nur eine Substanz, mit der unter günstigen Bedingungen eine Kettenreaktion von Spaltungen aufrechterhalten werden kann. Es ist das Isotop mit der Massenzahl 235, das im Natururan zu 0,72 % enthalten ist. Der Hauptbestandteil von 99,28 % ist U-238. Mit Mühe kann zwar auch das gespalten werden, aber damit funktioniert die Kettenreaktion nicht. Deshalb ist es schwer, mit natürlichem Uran einen Reaktor zu betreiben und etwas vereinfachend wird U-235 das »spaltbare Isotop des Urans« und U-238 das »nicht spaltbare« genannt. Das Gros der heutigen Kernreaktoren muss sogenanntes angereichertes Uran verwenden, also Uran, bei dem in einem aufwändigen Verfahren der Anteil des Isotops U-235 auf einige Prozente erhöht wurde.


Die Kernspaltung lässt eine breite Mischung von Isotopen verschiedenster Elemente als Abfall zurück, viele davon stark radioaktiv. Im Reaktor finden zudem auch vielfältige Nebenreaktionen statt. Neutronen dringen leicht in alle möglichen Kerne ein, die sich dadurch oft in radioaktive Isotope umwandeln. Dabei entstehen z. B. aus U-238 Plutonium, Americium, Curium und so weiter – 
künstliche Elemente, schwerer als Uran, die, wie es selbst, zu der Untergruppe der Actinoide gehören. Da Plutonium von Anfang an als Spaltstoff interessant war, bekamen die noch schwereren Elemente ab Americium zur Unterscheidung die Bezeichnung »minore Actinoide«. Unverbrauchtes Uran dominiert diese Mischung noch immer. Aber auch Konstruktionsmaterialien, wie das häufig für Brennstäbe verwendete Zirkonium, der Stahl für den Reaktorbehälter oder andere Einbauten, das Material für Steuerstäbe, das Kühlmittel usw. können durch Neutroneneinfang aktiviert werden. All dies bildet schließlich den nuklearen Abfall, der sicher entsorgt werden muss. Am Wichtigsten, weil bei Weitem am stärksten radioaktiv, ist jedoch der ausgediente Nuklearbrennstoff. Diese Stoffumwandlung ist in Abbildung 1 dargestellt.


Abb. 1: Brennstoff, Energie, Abfall. Quelle: Autor.
 Abb. 1: Brennstoff, Energie, Abfall. Quelle: Autor.


Die Spaltprodukte, also die Fragmente der gespaltenen Kerne, können praktisch nicht sinnvoll verwertet werden. Sie dominieren die Radioaktivität des Abfalls mit großem Abstand gegenüber allem anderen in den ersten 500 Jahren. Das ist bei allen Reaktoren so. An den Spaltprodukten führt kein Weg vorbei und damit auch kein vernünftiger Weg an der Tiefenlagerung von radioaktivem Abfall. 


Unverbrauchtes Uran sowie das durch Neutroneneinfang im U-238 gebildete Plutonium können hingegen wiederverwendet werden. Besonders inte­ressant ist hierbei das Isotop 239 des Plutoniums. Es ist spaltbar wie das U-235, kann also für eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion verwendet werden. Bei den minoren Actinoiden ist die Situation durchwachsen. Erstens ist es schwierig, sie aus dem Abfall zu isolieren, zweitens sind die kleinen Mengen energetisch eher uninteressant. Es wäre ein hoher Aufwand für wenig energetischen Output. Allerdings bringt eine Abtrennung und Verwertung aller Actinoide, also des Urans, des Plutoniums und der minoren Actinoide, eine Verringerung der notwendigen Einschlusszeit im Tiefenlager mit sich, wie in Abbildung 2 gezeigt wird. Schon das Recycling des Plutoniums verkürzt die Zeit, die der hochaktive Abfall braucht, um unter das Radiotoxizitätsniveau des ursprünglich eingesetzten Uranerzes abzufallen, von ca. 300.000 Jahren auf etwa 10.000 Jahre. Ohne minore Actinoide im Abfall wären es noch etwa 500 Jahre, allein verursacht durch die Spaltprodukte.


Abb. 2: Inventar im geologischen Tiefenlager.1 Radiotoxicity of spent fuel, aus Massimo Salvatores, »P&T and the role of ADS«, in OECD (Hg.), Physics and Safety of Transmutation Systems – A Status Report, o. O. 2006, NEA No. 6090, übersetzt und kommentiert von H.-M. Prasser.
 Abb. 2: Inventar im geologischen Tiefenlager.1

Was soll man aber mit rezyklierten Actinoiden machen? Hier kommen zwei grundlegend unterschiedliche Abteilungen des Zoos ins Spiel: Die der thermischen Reaktoren und die der schnellen Reaktoren. Bei der Kernspaltung entstehen Neutronen mit vergleichsweise hoher kinetischer Energie von etwa 2 bis 5 MeV. Sie heißen daher »schnelle Neutronen«. Wenn sie auf eine Energie von etwa 0,025 eV abgebremst werden, was dem Temperaturniveau der Umgebung entspricht, nennt man sie »thermische Neutronen«. Während thermische Neutronen nur wenige Kernsorten, wie z. B. U-235 und Pu-239, zuverlässig spalten, können schnelle Neutronen praktisch alle Isotope der Actinoide spalten. Dadurch werden sie zu Spaltprodukten, die dann anstelle von 10.000 Jahren »nur noch« 500 Jahre sicher in einem Tiefenlager eingeschlossen werden müssen. Diese Technik nennt man »Transmutation«. Gekoppelt mit einer komfortablen Wiederaufarbeitung, die »Partitioning« genannt wird, und die alle Acti­noide vom Abfall abtrennt, entsteht ein geschlossener Brennstoffkreislauf, wie in Abbildung 3 dargestellt. Nur noch Spaltprodukte verlassen den Kreislauf und müssen endgelagert werden.


Ein thermischer Reaktor, also einer, in dem die Neutronen durch einen geeigneten Moderator abgebremst werden, kann das nicht, denn nur bestimmte Kernsorten werden effizient gespalten. Die Menge aller anderen Actinoide würde in dem geschlossenen Kreislauf immer weiter zunehmen. Ihre schwere Spaltbarkeit lässt dann irgendwann einmal den »Ofen ausgehen«, das heißt, die Kettenreaktion stirbt ab.


Abb. 3: Geschlossener Brennstoffkreislauf – 
Achtung! Wiederauf­arbeitung erforderlich. Quelle: Autor.
 Abb. 3: Geschlossener Brennstoffkreislauf – 
Achtung! Wiederauf­arbeitung erforderlich. Quelle: Autor.


Wenn man auf die Abbremsung der Neutronen verzichtet, hat das noch einen weiteren Vorteil: Die Anzahl der bei der Spaltung auftretenden neuen Neutronen wird größer. Das schnelle Neutron »hackt« gewissermassen stärker auf den betroffenen Kern ein. Das ergibt mehr »Splitter«. Diese Neutronen können zu mehr Umwandlung von U-238 in Pu-239 genutzt werden. Es kann so mehr neuer Spaltstoff gebildet werden, als verbraucht wird. Ein thermischer Reaktor kann das nicht. Der entsprechende Prozess wird als »Brüten« bezeichnet. Am besten funktioniert Brüten, wenn nicht U-235, sondern vorher gebildetes Plutonium als Spaltstoff verwendet wird. Dann bedarf es nur noch einer Zufuhr von U-238, von dem – wie eingangs berichtet – es in der Natur ja etwa 150-mal mehr gibt als vom spaltbaren Uran 235. Bereits heute lagern weltweit große Mengen dieses Stoffes als Nebenprodukt der Isotopenanreicherung bei den Brennstoffproduzenten. Allein diese Mengen würden für viele tausend Jahre ausreichen, selbst bei Ausbau der Kernenergie. 


Mit Brutreaktoren könnte die Kernenergie nachhaltig mit Brennstoff versorgt werden, und das über Tausende von Jahren. Die nahezu vollständige Nutzung des Natururans würde nämlich dazu führen, dass der Kostenanteil des Natururans am Kilowattstundenpreis um den oben genannten Faktor 150 sinkt. Er liegt heute unter 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Damit wären nicht nur 150-mal größere Ressourcen verfügbar, sondern weit mehr, denn man könnte noch Vorkommen mit einem viel niedrigeren Urangehalt wirtschaftlich und umweltschonend ausbeuten, z. B. die ungeheure Menge an Uran, das im Meerwasser vorkommt. 


Weshalb haben sich nun thermische Reaktoren, besonders die, bei denen Wasser gleichzeitig Kühlmittel und Moderator ist, so weit verbreitet und werden immer noch gebaut, und zwar vorzugsweise? Das liegt an drei Dingen: Erstens kann eine Kettenreaktion bei Vorhandensein eines Moderators mit ­wesentlich geringerer Spaltstoffkonzentration im Brennstoff gestartet werden. Der Brennstoff ist einfacher zu bekommen und billiger. Zweitens brauchen schnelle Reaktoren Kühlmittel, die die Neutronen möglichst wenig abbremsen, und damit ist das einfach zu handhabende und preiswerte Wasser out. Und natürlich kommt den heute verfügbaren Druck- und Siedewasserreaktoren die große Betriebserfahrung mit ihnen zugute. Schnelle Reaktoren sind bestenfalls Prototypanlagen oder gar nur »Papierreaktoren« bei den Entwicklern. 


Ist es jetzt schlecht, weiter wassergekühlte thermische Reaktoren zu bauen? Wird dadurch nicht einer zukünftigen Reaktorflotte der Brennstoff entzogen? Und die direkte Endlagerung, vorgeschriebener Entsorgungspfad in einer Reihe von Ländern? Wenn es doch einen geschlossenen Brennstoffzyklus geben könnte? 


Für eine Flotte von Leichtwasserreaktoren kann eine direkte Endlagerung heute durchaus sinnvoll sein. Einerseits liegt schon genug Plutonium und abgereichertes Uran auf Lager, um ein System von schnellen Reaktoren und Tiefenwiederaufarbeitungsanlagen (Partitioning) in einem geschlossenen Brennstoffkreislauf aufbauen zu können. Andererseits liefert die traditionelle Wiederaufarbeitung und die Nutzung des wenigen Plutoniums, das ein thermischer Reaktor erzeugt, kaum mehr als 20–30 % zusätzliche Energie, verursacht jedoch erhebliche zusätzliche Kosten. Natürlich ist es nachteilig, wenn Plutonium in ein Tiefenlager gelangt, aber der Nachteil hält sich in Grenzen: Gerade die Actinoide sind dafür bekannt, dass sie in geologischen Formationen, besonders in heute als Wirtsgestein oder zumindest als Verfüllmasse favorisierten Tongesteinen, nur extrem langsam wandern. Die Diffusion ist so langsam, dass die meisten Isotope nicht einmal das Wirtsgestein erreichen, sondern bereits in der Versatzmasse, ebenfalls eine Art von Ton, so lange zurückgehalten werden, bis sie praktisch vollständig zerfallen sind. »Transmutation« und »Partitioning« lohnen sich erst im Zusammenspiel mit schnellen Reaktoren. Auf keinen Fall werden die thermischen Reaktoren einer später eventuell in­teressant werdenden Flotte von schnellen Reaktoren den Brennstoff »wegfressen«, denn letztere brauchen ja kein spaltbares Uran-235 mehr.


Nachdem der Unterschied zwischen »schnellen« und »thermischen« Kernreaktoren soweit abgehandelt ist, sollten wir uns nun den Kühlmitteln zuwenden. 


Für Reaktoren, die mit schnellen Neutronen betrieben werden, um zu brüten und/oder zu transmutieren, kommt Wasser als Kühlmittel wegen seiner Neutronen moderierenden Eigenschaft nicht in Frage. Die Auswahl an Stoffen, die geringe Moderation, Stabilität im starken Strahlungsfeld des Reaktors, gute thermische Eigenschaften und geringe Neutronenabsorption vereinen, ist gering. Im Prinzip eignen sich hierfür fast nur Metallschmelzen, wobei der Schmelzpunkt so gering wie möglich sein sollte. Am weitesten fortgeschritten sind die natriumgekühlten, schnellen Brutreaktoren. Natrium als Kühlmittel hört sich gefährlich an. Es reagiert heftig mit Wasser und brennt an der Luft. Außerdem ist es undurchsichtig und schmilzt erst bei etwa 98 °C. Ein einmal in Betrieb gegangener Reaktor darf sich nie unter diese Temperatur abkühlen, bevor er stillgelegt wird. Deshalb sind natriumgekühlte Reaktoren technologische Herausforderungen. Alle früheren Designs, so auch die in Betrieb befindlichen russischen Reaktoren BN-600 und BN-800, koppeln die entstehende Wärme in einen Wasser-Dampf-Kreislauf mit einer Turbine aus. Damit es im Reaktor nicht zu einer verheerenden Reaktion zwischen radioaktivem Natrium und Wasser kommen kann, wird ein weiterer Kühlkreislauf mit nicht aktiviertem Natrium zwischen Reaktor und Dampferzeuger geschaltet. Die Dampferzeuger sind außerhalb des Reaktorraums untergebracht, um Rückwirkungen auszuschließen, falls etwas passiert. Außerdem ist das Natrium durch ein Schutzgas vor Luftzutritt geschützt. 


Das klingt kompliziert. Aber wassergekühlte Reaktoren sind auch keine einfachen Anlagen. Im Gegensatz zum Natrium muss Wasser unter hohen Druck gesetzt werden, um einigermaßen brauchbare Temperaturen des Turbinendampfs erreichen zu können. Natrium siedet bei Umgebungsdruck erst bei 882 °C. Der Reaktor kann drucklos bleiben und trotzdem kann man höhere Dampfparameter und somit einen besseren Wirkungsgrad erreichen, als bei Leichtwasserreaktoren. Außerdem wirkt Natrium gegenüber dem als Konstruktionsmaterial verwendeten Stahl praktisch nicht korrosiv. Es gibt also durchaus nicht nur Nachteile, sondern auch eine Reihe gravierender Vorteile gegenüber Wasser als Kühlmittel, wie in Tabelle 1 zusammenfassend darge-
stellt ist.


Tab. 1: Vergleich möglicher Kühlmittel für Kernreaktoren. Quelle: Autor.
 Tab. 1: Vergleich möglicher Kühlmittel für Kernreaktoren. Quelle: Autor.


Durch Blei und Natrium gekühlte Reaktoren gehören zur sogenannten Generation IV der Kernkraftwerke. Gegenüber den heute weit verbreiteten Leichtwasserreaktoren soll eine neue Qualität der Nachhaltigkeit erreicht werden. Eine nachhaltige Brennstoffversorgung kann durch Brüten mit schnellen Neutronen erreicht werden. Im gleichen Atemzug würde Transmutation möglich werden und damit die notwendige Einschlusszeit in einem Endlager auf rund 500 Jahre verkürzt, wie bereits geschildert. Daneben schließt Nachhaltigkeit aber auch den Sicherheitsaspekt ein. Kann mit den flüssigen Metallen ein neues Niveau der Sicherheit erreicht werden?


Zunächst darf nicht ausgeblendet werden, dass auch bei den Leichtwasserreaktoren die Entwicklung weitergegangen ist. Nach der Kernschmelze in Harrisburg im Jahr 1979 auf der Anlage TMI2 hat die Entwicklung von Kernkraftwerken der Generation III begonnen. Der »Motor« blieb zwar derselbe, aber die Sicherheitssysteme wurden erheblich verstärkt. Wichtigste Elemente waren die Einführung von passiven Sicherheitssystemen, besonders von Systemen, die die Notkühlung des Reaktors ohne externe Energiezufuhr bewerkstelligen, und die Verstärkung des Containments, also der äußeren Hülle des Kernkraftwerks, die sogar dann, wenn die passiven Systeme versagen sollten und die Brennelemente zerstört werden, die freiwerdenden radioaktiven Stoffe noch sicher einschließen soll. Letzteres wurde hauptsächlich durch die Entwicklung von Einrichtungen zum sicheren Auffangen und Kühlen eines bereits geschmolzenen Reaktorkerns erreicht. Je nach Größe des Reaktors ist entweder ein sogenannter Core-Catcher oder eine Rückhaltung im Reaktordruckbehälter durch Kühlung von außen eine der möglichen Optionen.


Die Generation IV muss also nicht nur in Sachen Sicherheit besser sein als die laufenden Anlagen, sondern muss sich an Neubauanlagen der Generation III messen. Hat sie da eine Chance? Momentan beschäftigen sich Forschung und Entwicklung genau mit diesem Punkt. Es gibt aber einige intrinsische Eigenschaften der Flüssigmetalle, die mehr Sicherheit versprechen. Um einen Leichtwasserreaktor in einen sicheren Zustand zu bringen, muss er drucklos gemacht werden. Dazu muss man ihn unter 100 °C abkühlen. Passive Sicherheitssysteme, die das können, müssen groß sein, denn zur Umgebung als Wärmesenke bleiben nur einige 10 Grad Temperaturdifferenz als treibende Kraft für die zuverlässige Wärmeabfuhr, die über lange Zeiträume sicher­gestellt werden muss. Bei Flüssigmetallen ist der Reaktor ohnehin drucklos. Er kann also bei einer weit höheren Temperatur entsprechend klein und robust gestalteten passiven Nachkühlsystemen überlassen werden.


Ein weiteres Moment ist die Möglichkeit einen Poolreaktor (Abbildung 4) zu konzipieren, bei dem keine Leitungen unterhalb des Kühlmittelfüllstandes angeschlossen sind. Alle Komponenten, die den Reaktor mit der Außenwelt verbinden, wie Umwälzpumpen, Wärmeübertrager, Notkühlsysteme, Steuer­stabantriebe und Umladeeinrichtungen, werden von oben in den mit geschmolzenem Natrium gefüllten Tank eingehängt. Er selbst ist in einem zweiten Sicherheitstank eingesetzt, der im schlimmsten Fall austretendes Natrium auffangen würde, wenn der Behälter selbst undicht würde. Sein Volumen ist so berechnet, dass dabei der Füllstand nicht soweit abfallen kann, dass Brennelemente freigelegt und dadurch nicht mehr ausreichend gekühlt werden könnten. Ein Leckstörfall ist dadurch ausgeschlossen. Damit können Reaktornoteinspeisesysteme entfallen und Ausfallmöglichkeiten von Sicherheitssystemen verringert werden. Flüssigmetallgekühlte Reaktoren mögen heute noch nicht serienreif sein. Sie haben aber das Potential, die heute verfügbaren Leichtwasserreaktoren der Generation III auch auf dem Gebiet der Sicherheit zu übertreffen. 


Abb. 4: Natriumgekühlter Reaktor – Leckausschluss durch Poolbauweise. Quelle: Autor.
 Abb. 4: Natriumgekühlter Reaktor – Leckausschluss durch Poolbauweise. Quelle: Autor.


Die Möglichkeit der Transmutation mit schnellen Neutronen finden viele attraktiv, die Zweifel an der Langzeitstabilität von Tiefenlagern für ausgediente Brennelemente haben. Wenn jedoch die Produktion von neuem Spaltstoff durch Brüten abgelehnt wird, dürfen die zu verbrennenden minoren Actinoide und das Plutonium, das man loswerden will, nicht mit U-238 gemischt in ­einen schnellen Reaktor eingeladen werden, sondern sozusagen nur »pur«, denn sonst entstünde erneut das, was man loswerden will. Dann gibt es allerdings Probleme mit der Stabilität der Kettenreaktion. Ein hoher Anteil von U-238 im Brennstoff erzeugt nämlich einen negativen Rückkopplungseffekt: Steigt die Temperatur im Brennstoff an, verstärkt sich die Absorption von Neutronen durch dieses Isotop und die Kettenreaktion wird gedämpft. Ohne diese Rückkopplung ist ein Reaktor praktisch nicht steuerbar. 


Was tun? Hier kommen die ADS, die »Accelerator Driven Systems« ins Spiel. Das sind Reaktoren, in denen keine selbsterhaltende Kettenreaktion stattfinden kann, weil etwas weniger Spaltstoff eingeladen wird, als hierfür erforderlich wäre, die dann aber aus einer sogenannten »Spallationsquelle« von außen mit Neutronen versorgt werden. Diese Neutronen lösen Spaltungen aus, wodurch die Actinoide, die man vernichten will, transmutiert werden. Die dabei freiwerdenden schnellen Neutronen tragen auch zur Transmutation bei, und zwar viel mehr, als die Neutronen aus der Quelle. Es sind aber zu wenige für eine selbsterhaltende Kettenreaktion. Die kritische Masse wird nicht erreicht. Je dichter man an der kritischen Masse ist, umso größer ist der Beitrag der Spaltneutronen am Transmutationseffekt. Typischerweise liegt die Verstärkung zwischen 20 bis 50.


Aber Vorsicht! Ganz erreichen darf man die Kritikalität natürlich nicht, denn dann wäre der Vorteil dieses Konzepts obsolet. Er besteht nämlich darin, dass der »unterkritische Reaktor« auch dann noch »unterkritisch« bleibt, wenn ihm etwas »Reaktivität« zugeführt wird. Mit anderen Worten: Wenn irgendein Effekt auftritt, der in einem Reaktor mit selbsterhaltender Kettenreaktion (also einem Reaktor, der normalerweise kritisch ist) nur deshalb nicht zu einer unkontrollierten Leistungsexkursion führen würde, weil das vorhandene U-238 sie ausbremst, dann tut er das im unterkritischen beschleunigergetriebenen System auch ohne U-238 nicht, wenn die »Kritikalität«, also der Punkt, an dem die Kettenreaktion selbsterhaltend wird, noch fern ist. Der ADS kann also als reiner Actinoiden-Burner betrieben werden.


Was ist »Spallation« nun eigentlich? Ein starker Protonenbeschleuniger mit einer derzeit noch nicht erreichten Leistung soll seinen Strahl auf ein Flüssigmetalltarget richten. Die Protonen dringen in die Kerne des Targets ein, die durch die hohe Energie der Protonen (etwa 1 GeV) buchstäblich »verdampfen« – 
sie werden in eine Vielzahl kleiner Bruchstücke zerlegt. Darunter etwa 20 schnelle Neutronen, die in die umgebenden Brennelemente eindringen. Diese Kernreaktion wird »Spallation« genannt. Sie funktioniert am besten, wenn das Targetmaterial aus möglichst schweren Kernen besteht. Damit ist der ADS eine Domäne für die Anwendung von geschmolzenem Blei oder Blei-Wismut als Targetmaterial für die Spallationsneutronenquelle, das auch gleichzeitig als Kühlmittel dient. Die Korrosivität dieser Schwermetallschmelze muss man natürlich auch hier in den Griff bekommen.


Nicht alles, was Anhänger dieser Idee glauben, ist haltbar. Oft wird gesagt, beim ADS seien Störfälle mit Freisetzung radioaktiver Stoffe ausgeschlossen, weil der Reaktor sofort ausgeht, wenn der Protonenstrahl abgeschaltet wird oder verlischt. Das verhindert jedoch lediglich das Durchgehen der Ketten­reaktion. Spaltprodukte entstehen nach wie vor. Das heißt aber auch, dass die Brennelemente im ADS auch nach Abschaltung weiter Nachzerfallswärme freisetzen, die sicher abgeführt werden muss. Es braucht also Notkühlsysteme wie bei jedem Kernreaktor, um eine Kernschmelze zu verhindern. Von Vorteil ist, dass sie, wie bei anderen flüssigmetallgekühlten Reaktoren auch, recht einfach passiv ausgelegt werden können. 


Die Spaltprodukte sorgen für ein zweites Missverständnis. Der ADS vernichtet Actinoide nicht gänzlich, sondern wandelt sie in Spaltprodukte um. Aus einer Form von Abfall wird eine andere. Der Abfall verschwindet nicht, er wird kurzlebiger, dies allerdings um ein bis zwei Größenordnungen. Gleichzeitig steigt die Aktivität um den gleichen Faktor. Positiv dabei ist, dass Alphastrahler zu Gammastrahlern werden, die bei Inkorporation weniger radiotoxisch sind. Kritiker sagen wiederum, gerade die meist alphastrahlenden Actinoide werden im Wirtsgestein und in der Geosphäre ohnehin gut immobilisiert, wogegen bestimmte Spaltprodukte viel leichter migrieren. Und ein paar Exoten unter den Spaltprodukten haben größere Halbwertszeiten als 500 Jahre. Die Materie ist also sehr viel komplexer als oft angenommen.


Was bleibt, ist der Vorteil, dass man Actinoide beseitigen kann, ohne neuen Spaltstoff zu erbrüten. Für jemanden, der Transmutation und Brüten um der Nachhaltigkeit willen vereinigen will, ist das jedoch ein Nachteil. Und der Weg zum ADS ist noch weit. In Europa gibt es zwei Lichtblicke: Am Paul Scherrer Institut in Villigen in der Schweiz wurde im Jahr 2006 ein Flüssigmetall-Spallationstarget 4 Monate lang getestet – an einem Protonenstrahl von etwa 1 MW Leistung. Das MEGAPIE genannte Experiment hat gut funktioniert. Gebraucht werden jedoch 10 MW, für beides, Target und Beschleuniger. Es ist noch ein weiter Weg. Zweiter Lichtblick: In Belgien, am Studiecentrum voor Kernenergie / Centre d‘Étude de l‘énergie Nucléaire in Mol, wurde ein Projekt zur Entwicklung einer Demonstrationsanlage begonnen, mit dem ein weiterer Schritt in Richtung auf einen industriellen Prototyp gegangen werden soll. Das 
Projekt heißt MYRRHA. Abbildung 5 zeigt zum Vergleich einen kritischen und einen unterkritischen Reaktor.

Abb. 5: Kritischer schwermetallgekühlter schneller Reaktor (links) und unterkritischer beschleunigergetriebener Reaktor (rechts). Quelle: Autor.
 Abb. 5: Kritischer schwermetallgekühlter schneller Reaktor (links) und unterkritischer beschleunigergetriebener Reaktor (rechts). Quelle: Autor.


Neben der Einteilung in schnell und thermisch sowie der Unterscheidung anhand des Kühlmittels kann man Reaktortypen auch nach der Art der Brennstoffumladung – kontinuierlich oder diskontinuierlich – unterteilen. Bei Druck- und Siedewasserreaktoren wird in der Regel höchstens einmal im Jahr ein Teil der Brennelemente durch neue ersetzt. Das ist eine komplizierte Operation, die man möglichst selten vornimmt. Sie erfordert die Abschaltung und einen mehrwöchigen Stillstand, denn der bei Betrieb unter Druck stehende Reaktor muss abgekühlt und geöffnet werden. Die Konsequenz ist, dass der Reaktor mit mehr Brennstoff beladen werden muss, als es für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion nötig wäre. Einer zu starken Neutronenmultiplikation muss durch den Einsatz zusätzlicher Neutronenabsorber begegnet werden. Man spricht von der Kompensation der Überschussreaktivität. Sie ist bei jedem Reaktortyp mit diskontinuierlicher Umladung erforderlich.


Es gibt einige Reaktortypen, bei denen der frische Brennstoff kontinuierlich zugeführt und der ausgediente kontinuierlich ausgeschleust wird. Bei solchen Reaktoren ist keine Kompensation von Überschussreaktivität erforderlich. Es wird immer genau so viel Brennstoff eingeladen, wie für die Kettenreaktion gebraucht wird. Was bedeutet das für die Sicherheit und die Effizienz? Ohne Überschussreaktivität gibt es kaum noch Szenarien, bei denen der Reaktor unkontrolliert überkritisch werden kann. Sogenannte »Reaktivitätsstörfälle« werden damit fast völlig ausgeschlossen. Entsprechend einfacher und robuster werden die Reaktorschutzsysteme. 


Gleichzeitig verbessert sich die Effizienz. Dem Reaktor werden keine Neutronen durch die Kompensation von Überschussreaktivität entzogen. Bei kon­tinuierlicher Umladung tragen sie zusätzlich über den Umweg der Bildung von Plutonium zur Energieerzeugung aus U-238 bei. Aus derselben Menge Brennstoff wird mehr Energie freigesetzt. Dazu kommt, dass auch der Abbrand des ausgeschleusten Brennstoffs besser kontrolliert werden kann. 


Ein Beispiel ist der sogenannte Kugelhaufenreaktor. Er nutzt Helium als Kühlmittel. Der Brennstoff besteht aus 6 cm großen Graphitkugeln, in denen sogenannte »Coated Particles«, also mit verschiedenen Schutzhüllen umgebene Urandioxidpartikel von etwa 1 mm Durchmesser, eingebettet sind. Die Kugeln werden von oben in den Reaktordruckbehälter eingeworfen und wandern während des Betriebs nach unten. Am unteren Ende werden sie abgezogen. Anhand ihrer Radioaktivität wird festgestellt, wie weit sie bereits abgebrannt sind. Ist der geplante Abbrand erreicht, werden sie ausgeschleust. Wenn nicht, werden sie wieder oben in den Reaktor eingeführt. Das Uran wird in allen Kugeln gleichmäßig ausgenutzt. In den ausgedienten Brennelementen von Leichtwasserreaktoren wird der maximale Abbrand hingegen nur in der Mitte ihrer Gesamtlänge erreicht. Oben und unten bleibt mehr unverbrauchter Brennstoff übrig. Diese Effizienzeinbuße gibt es bei kontinuierlicher Umladung nicht. Dazu kommt die bereits erwähnte bessere Ausnutzung der verfügbaren Neutronen.


Der Kugelhaufenreaktor wurde in den 1970er Jahren in Deutschland erfunden. Heute treibt China die Entwicklung weiter voran. In Weihai in der Provinz Shangdong wird derzeit eine Doppelblockanlage mit einer elektrischen Leistung von insgesamt 200 MW errichtet. Sie steht kurz vor der Inbetriebnahme. Helium als Kühlmittel erlaubt es, hohe Temperaturen bis zu 1.000 °C zu erreichen, allerdings muss der Reaktor unter Druck stehen. In Weihai zielt man zunächst auf moderatere 750 °C. Hohe Temperaturen erlauben auch verfahrenstechnische Anwendungen der Energie, z. B. in der Chemieindustrie oder der Metallurgie. 


Besonders interessant ist das Konzept der »Coated Particles«. Eine der Schichten, die das eigentliche Brennstoffpartikel umgibt, ist Siliziumcarbid, ein sehr beständiges keramisches Material. Etwa 40 μm reichen aus, um flüchtige Spaltprodukte bis zu einer Temperatur von 1.600 °C sicher einzuschließen. Wird die Nennleistung des Reaktors nicht zu hoch angesetzt, dann kann auch bei einem vollen Kühlausfall diese Temperatur nicht erreicht werden. Das ist eine inhärente Sicherheitseigenschaft gegenüber einer Reihe von Störfallszenarien, die ein Notkühlsystem gänzlich überflüssig macht. Ganz ohne Kühlung geht es aber auch hier nicht. Die Wärme aus dem Reaktor würde bei einem Störfall die umgebenen Gebäudestrukturen zu stark aufheizen. Für ihre Kühlung können aber sehr zuverlässige passive Kühlkreisläufe ohne Pumpen und ohne Strombedarf herangezogen werden.


Will man die Vorzüge dieser neuen Sicherheitseigenschaften nutzen, muss man sich allerdings mit thermischen Leistungen von ca. 250 MW (elektrisch etwa 100 MW) begnügen. Der Kugelhaufenreaktor gehört deshalb heute zur Klasse der kleinen modularen Reaktoren, bei denen mehrere Reaktoren an einem Standort gebündelt auf einen Verbraucher, z. B. auf eine Turbine, geschaltet werden. Außerdem führt der geringe Urananteil in den Kugeln – es sind pro Kugel nur wenige Gramm – zu verhältnismäßig großen Volumina des hochaktiven Abfalls. Er hat zwar eine entsprechend geringere spezifische Aktivität als der Abfall z. B. von heutigen Leichtwasserreaktoren, was aber an der Notwendigkeit einer Entsorgung als hochaktiver Abfall nichts ändert. In Ländern, die keine Wiederaufarbeitung zulassen, stellt sich die Frage, ob die großen Volumina nicht unakzeptable Entsorgungskosten nach sich ziehen. Die kugelförmigen Brennelemente sind in Abbildung 6 dargestellt. Beschichtete Brennstoffpartikel werden auch in gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren mit sogenannten »prismatischen Brennelementen« verwendet. Allerdings fällt dann der Vorteil der kontinuierlichen Umladung weg. Dafür entsteht kein Graphitstaub durch den Abrieb der Kugeln, den man bei den Kugelhaufenreaktoren im Auge behalten muss. Diese Entwicklungsrichtung wird vorrangig in Japan und den USA verfolgt. 


Abb. 6: Brennstoff für heliumgekühlte Kugelhaufenreaktoren. Quelle: Autor.
 Abb. 6: Brennstoff für heliumgekühlte Kugelhaufenreaktoren. Quelle: Autor.


Ein konsequenter weiterer Schritt hin zu kontinuierlich beladenen Kernreaktoren ist der Übergang vom festen zum flüssigen Kernbrennstoff. Dazu wird der Kernbrennstoff in geschmolzenem Trägersalz aufgelöst. Zurzeit werden viele unterschiedliche Stoffe auf ihre Eignung als Trägersalz untersucht, z. B. das sogenannte FLiNaK, eine ternäre eutektische Salzmischung der Alkalimetallfluoride LiF, NaF und KF. Sie schmilzt bei 454 °C, siedet bei 1.570 °C, besitzt eine hohe Wärmekapazität und ist auch bei hohen Temperaturen und Strahlenpegeln chemisch stabil. Der hohe Siedepunkt erlaubt es auch hier, den Reaktor bei Umgebungsdruck zu betreiben. Der Salzschmelzereaktor kann ideal mit einer integrierten Aufbereitungsanlage gekoppelt werden, die den flüssigen Brennstoff kontinuierlich regeneriert. Er braucht deshalb keine Überschussreaktivität. 


Noch interessanter vom Standpunkt der Sicherheit ist die Möglichkeit leicht flüchtige Spaltprodukte kontinuierlich abzutrennen und endlagergerecht zu konditionieren. Diese flüchtigen Stoffe, wie das Iod-Isotop 131 und Cäsium-137 sind bei einem Störfall besonders gefährlich. Cs-137 ist zum Beispiel für die weitreichenden Kontaminationen in den durch die Fukushima-Katastrophe betroffenen Gebieten verantwortlich. Wenn nun aber der Reaktorinhalt ständig vom Cs-137 und anderen vergleichbaren Stoffen gereinigt wird, können bei einem angenommenen Störfall keine großen Mengen davon freigesetzt werden. 


Diesen Sicherheitsvorteil weisen nur Reaktoren mit flüssigem Brennstoff auf. An unterschiedlichen Varianten von Salzschmelzereaktoren, die im Zoo der Reaktortypen sicher viele für Exoten halten, wird gleichwohl energisch und voller Optimismus gearbeitet. Die größte Herausforderung besteht in der Lösung von chemischen und werkstofftechnischen Problemen. Allerdings kann man durchaus auch bei den Salzschmelzereaktoren auf positive praktische Erfahrungen zurückgreifen: Am Oak Ridge National Laboratory in den USA war einst eine Versuchsanlage für mehrere Jahre erfolgreich in Betrieb.


Am Ende des Rundgangs durch den Zoo findet sich noch ein Terrarium mit Thorium. Man hat davon gehört, dass man auch damit Reaktoren betreiben kann. Erste Reaktion darauf: Da es etwa dreimal mehr Thorium als Uran auf der Erde zu geben scheint, würde Thorium dreimal länger reichen als Uran. Das in der Natur vorkommende Isotop Th-232 ist aber gar nicht spaltbar. Es kann nicht als Spaltstoff für eine selbsterhaltende Kettenreaktion dienen. Es muss erst durch Einfang von Neutronen in ein in der Natur nicht vorkommendes Isotop des Urans, in U-233, umgewandelt werden. Das geht nur in geeigneten Brutreaktoren. Brüter würden aber auch die Reichweite des vorhandenen Urans vergrößern. Um den Faktor 150 im besten Fall, wie wir bereits wissen. Damit kann Thorium den Brennstoffbedarf für eine 500-mal längere Zeit decken, als das derzeit vorrangig genutzte U-235 in heutigen Leichtwasserreaktoren, plus weitere Ressourcen durch die Möglichkeit, weniger konzentrierte Vorkommen auszubeuten, wenn der Kostenanteil des Rohstoffs durch das Brüten sinkt, wie weiter oben bereits anhand des Urans dargestellt wurde. Es existieren damit zwei praktisch unerschöpfliche Brennstoffvorkommen, Uran und Thorium.


Man braucht »nur« den geeigneten Brutreaktor. Das Brüten könnte im Fall von Thorium allerdings sogar in thermischen Reaktoren funktionieren, wenn man als Spaltstoff bereits erbrütetes U-233 einsetzt. Verschiedene Reaktor­typen kommen für einen »Th/U3-Zyklus« genannten Brennstoffzyklus in Frage. Darunter mit Schwerwasser moderierte Reaktoren, wie die CANDU-Anlagen in Kanada und Indien, die Kugelhaufenreaktoren und, besonders interessant, Salzschmelzereaktoren. Ein bestechender Vorteil: Der Abfall enthält auch ohne Wiederaufarbeitung etwa 10.000-mal weniger langlebige minore Actinoide und auch fast kein Plutonium. Damit liegt selbst bei einer direkten Endlagerung die erforderliche Einschlusszeit in der Größenordnung von 500 Jahren.


Probleme? Erstens muss man in der Übergangszeit irgendeinen anderen Spaltstoff verwenden, sonst läuft der Brutreaktor nicht. Da wird an das Zufüttern von vorhandenem Plutonium aus den angehäuften Lagerbeständen gedacht. Erst wenn genügend U-233 vorhanden ist, kann auf einen reinen »Th/U3-Zyklus« umgestellt werden. Das kann einige Jahrzehnte dauern. In dieser Zeit entsteht praktisch noch »normaler« hochaktiver Abfall, mit nur leicht abgesenktem Gehalt an minoren Actinoiden. 


Dann die Frage der Proliferation. Kann U-233 als Bombenstoff verwendet werden? Ja, reines U-233 ist ähnlich gut (oder schlecht – je nachdem, wie man’s nimmt) wie hochangereichertes U-235 und bombenfähiges Plutonium, das haben einige von den USA durchgeführte Tests gezeigt. Trotzdem ist eine unautorisierte Verwendung sehr erschwert, nämlich durch die nicht zu vermeidende Verunreinigung des U-233 durch die starke Gammastrahlung des Isotops U-232, das als Nebenprodukt entsteht. Das macht eine Verarbeitung für militärische Anwendungen sehr schwer. Dieser Umstand wird als effiziente »Proliferationsresistenz« angesehen. Doch dann wieder die Kritiker: Der Umwandlungsprozess geht, wie Abbildung 7 zeigt, über die Zwischenstufe von Protactinium-233. Das hat eine ausreichend große Halbwertszeit, um eventuell eine chemische Abtrennung aus bestrahltem Th-232 als reale Option ansehen zu können. Gelänge diese Abtrennung, könnte man es einfach danach in reines, nicht mit U-232 kontaminiertes U-233 zerfallen lassen. Es sind also auch hier, wie im Bereich der Kernenergie allgemein, effiziente Maßnahmen der Kernbrennstoffkontrolle unerlässlich, wie sie heute durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien wahrgenommen werden. 


Abb. 7: Uran und Thorium. Quelle: Autor.

 Abb. 7: Uran und Thorium. Quelle: Autor.



Die meisten hier kurz vorgestellten Kernreaktortypen werden in einem internationalen Forschungsverbund mit Blick auf künftige Kernenergieanlagen erforscht und entwickelt. Koordiniert werden die Arbeiten durch GIF, das »Generation IV International Forum«. EURATOM gehört seit 2003 dem Forum gemeinsam mit 13 weiteren Staaten an. Die der sogenannten Generation IV zugehörigen Typen sollen hohe Anforderungen an Sicherheit, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Proliferationsresistenz erfüllen. Im Zentrum stehen sechs Entwicklungslinien, der Schnelle Gasgekühlte Reaktor (Gas-cooled Fast Reactor = GFR), der Höchsttemperaturreaktor (Very High Temperature Reactor = VHTR), der Überkritische Leichtwasserreaktor (SuperCritical Water Reactor = SCWR), der Schnelle Natriumgekühlte Reaktor (Sodium-cooled Fast Reactor = SFR), der Schnelle Bleigekühlte Reaktor (Lead-cooled Fast Reactor = LFR) und der Flüssigsalzreaktor (Molten Salt Reactor = MSR). Ausgewählte Beispiele wurden hier behandelt, angereichert mit Informationen über die Generation III, Uran und Thorium, Endlagerprobleme und beschleunigergetriebene Systeme. Ob das ursprünglich formulierte Ziel erfüllt werden kann, die ersten davon ab dem Jahr 2030 einsatzfähig zu haben, wird man sehen. Unzweifelhaft ist dagegen, dass Forschung und Entwicklung der Kernreaktortechnik in vielen Ländern der Erde weiter vorangetrieben werden, um die Option Kernenergie für eine sichere, zuverlässige, umweltverträgliche und wirtschaftliche Energieversorgung belastbar beurteilen und ggf. auch nutzen zu 
können.


Mein Fazit lautet:


  1. Es gibt viele gute Konzepte für Kernreaktoren, es gibt jedoch keine Alleskönner, die null Risiko mit null Abfall vereinen.

  2. Sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Größe der Freisetzung radioaktiver Stoffe können wirksam minimiert, aber nie gänzlich ausgeschlossen werden.

  3. Stark strahlende Spaltprodukte bleiben unvermeidlich zurück. Sie müssen sicher entsorgt werden, was für mich allein in tiefen geologischen Formationen akzeptabel ist. Dort allerdings halte ich das Problem technisch heute bereits für gelöst – auch bei direkter Endlagerung.

  4. Risiko ist nicht gleich Gefahr: Kernenergie ist bereits deshalb geboten, weil das Risiko, dass der Verzicht auf fossilen Kohlenstoff als Energieträger langfristig scheitert, sicher weitaus größer ist, als das Risiko der Kernenergie.

  5. Dies gilt allerdings nur, wenn man das bereits heute vorhandene Wissen über Reaktorsicherheit konsequent anwendet und serienreife Technologielinien nutzt. 

  6. So aussichtsreich die Möglichkeiten künftiger Reaktorentwicklungen erscheinen mögen, so risikoreich ist das Warten auf deren Einsatzbereitschaft. Der Weg vom Reißbrett zur Realität ist lang und ungewiss. 

  1. 1Radiotoxicity of spent fuel, aus Massimo Salvatores, »P&T and the role of ADS«, in OECD (Hg.), Physics and Safety of Transmutation Systems – A Status Report, o. O. 2006, NEA No. 6090, übersetzt und kommentiert von H.-M. Prasser.
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Heft 21 (2019)
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