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Zwischen Eschatologie und geschlossenem Kunstwerk


Gattungskonzept und Bibelinterpretation in Mendelssohns Oratorium Elias op. 70 MWV A 25


1. Einführung


Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium Elias op. 70 MWVA 25, das die ­biblische Geschichte des alttestamentarischen Propheten thematisiert, gilt neben seiner knapp zehn Jahre zuvor entstandenen SchwesterkompositionPaulus op. 36 MWV A 14, die sich auf ein neutestamentarisches Sujet konzentriert, als das Hauptwerk seines Autors. Darüber hinaus – und auf einer allgemeineren Ebene – ist heutzutage für kaum jemanden mehr zweifelhaft, dass der Elias als das bedeutendste Werk der Gattung im 19. Jahrhundert angesehen werden muss. Bereits mit dem Paulus hatte Mendelssohn die Tradition des Oratoriums zu neuer Blüte gebracht, dessen ästhetische Wertschätzung seit den herausragenden Schöpfungen von Georg Friedrich Händel und Joseph Haydn beträchtlich abgesunken war. Das Überleben der Gattung im deutschsprachigen Raum war zwar durch den Dessauer Komponisten Friedrich Schneider (1786–1853) gewährleistet worden, der zahlreiche Oratorien komponiert und mit seinem Das Weltgericht von 1819 einen beträchtlichen Erfolg errungen hatte. Die großen Klassiker Mozart und Beethoven hingegen hatten dem Oratorium nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb bestand im Musikleben Mitte der 1830er Jahre offenbar ein gesteigertes Interesse an neuen Produkten der Gattung. Mendelssohn machte dafür die damalige Qualität der Singvereine verantwortlich. In seinem vom 30. April bis 1. Mai 1837, also gut elf Monate nach der Uraufführung des Paulus, verfassten Brief schrieb er an seinen Freund Carl Klingemann (1798–1862), Legationsrat in London, mit dem er anfänglich die intensivste Korrespondenz über den neuen Oratoriums­plan pflegte: »Und jetzt im Augenblick sind die Singvereine gut, und sehnen sich nach Neuem, da möchte ich denn ihnen was liefern, das mir mehr gefiele, als mein voriges Oratorium, und dazu verhilf Du mir und schick mir ein neues.«1

­­Mendelssohn führte im selben Brief aber auch noch ein zweites, seine Poetik erläuterndes Motiv für den festen Entschluss an, die Komposition eines neuen Oratoriums in Angriff zu nehmen: »Ich halte es immer mehr für Irrtum, wenn man sich einbilden will, durch ein Werk zu wirken; es muss durch eine Folge unablässig geschehen, und aus der sondert sich dann das eine, beste heraus, wenn sie alle ernst gemeint sind. Ich möchte darum gern bald noch etwas im Kirchenstil schreiben, da sich zu einer Oper immer noch keine Aussicht zeigt […].«2

2. Zur Entstehung des Librettos


Zwischen August 1836 und April 1837 tauschte sich Mendelssohn mehrfach brieflich über den Oratoriumstext mit Klingemann aus, wobei für diesen ­außer Frage stand, dass es nur um den Elias gehen konnte.3 Während einer neuer­lichen Englandreise des Komponisten im August/September 18374 kam es sogar zu zwei regelrechten Arbeitssitzungen der beiden Freunde,5 welche ein sechsseitiges von Klingemann geschriebenes Manuskript6 zum Ergebnis hatten: die allererste Quelle zum Text des Oratoriums überhaupt. Doch gingen von dem persönlichen Zusammentreffen keinerlei Impulse aus. In den folgenden Monaten musste der Komponist mehrfach und in zunehmender Dringlichkeit die Fortsetzung der Ausarbeitung des Librettos anmahnen, erhielt aber immer wieder nur hinhaltende Antworten. Am 13. Juli 1838 schließlich signalisierte Klingemanns Brief, mit dem er seine Elias-Materialien – neben dem erwähnten sechsseitigen Entwurf vom August 1837 noch ein weiteres, immerhin 18 Seiten umfassendes Manuskript7 – nach Leipzig schickte, das Ende der Kooperation und zugleich eine halbjährige Unterbrechung der sonst so regen Korrespondenz zwischen den Freunden.


Mendelssohn indes ließ sich durch diese Enttäuschung nicht von dem Elias-Projekt abbringen. Um aufgrund des von und mit Klingemann zusammengestellten Materials die Ausarbeitung des Librettos fortzusetzen und den Beginn der kompositorischen Arbeit zu ermöglichen, wandte er sich an den Dessauer Pfarrer Julius Schubring (1806–1889), der ihm bereits bei der Abfassung des Paulus-Textes zur Hand gegangen war und mit dem er die ausführlichsten Diskussionen8 über gattungstheoretische Fragen seiner späteren Oratorien-Projekte geführt hat.9 Nach anfänglichem Zögern begann Schubring seine Zuarbeit am 28. Oktober 1838 mit einem sorgfältig durchdachten Entwurfsschreiben,10 das durchaus mit jenem ersten, sechsseitigen Manuskript von der Hand Klingemanns vergleichbar ist. Der Brief stellte den Anfang ­einer Reihe von Entwürfen dar, die in einer gewissermaßen postalisch geführten Diskussion bis zum 6. Dezember des Jahres zwischen Leipzig und Dessau hin- und herwanderten. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Gedankenaustausch gleich zu Beginn, als Schubring am 28. und 30. Oktober sowie am 1. November drei größere Manuskripte an Mendelssohn expedierte. Doch nach dieser anfänglichen Euphorie führte die Konkretisierung der stilistischen und theologischen Ausrichtung des Textes – wie noch darzulegen sein wird – zu immer größeren Problemen und am 2. Februar 1839 warf Schubring fürs Erste das Handtuch: »Ich dachte immer, es würde sich schicken mit dem Elias; es will aber nicht, und Du mußt Dir anderswo Hülfe herschaffen.«11 Bezeichnend für die hohe persönliche Bedeutung, welche die Beteiligten dem Projekt beimaßen, ist die Tatsache, dass der Abbruch der gemeinsamen Arbeit am Elias-Libretto auch jetzt, wie schon bei Klingemann, eine mehrmonatige Pause in der Korres­pondenz nach sich zog.

Man kann allerdings bezweifeln, ob die inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mendelssohn und Schubring allein oder nicht auch andere Gründe zum Abbruch der Kooperation geführt und damit das Projekt Elias für die folgenden sechs Jahre zum Erliegen gebracht haben. Berücksichtigt werden muss zum einen, dass Mendelssohn sich bereits im Januar 1840 wieder an Schubring wandte, um das Libretto eines Oratoriums, diesmal das über ­Johannes den Täufer, zu besprechen, und damit – wie es der Dessauer Pfarrer ausdrückte – »das langweilige Stillschweigen zu unterbrechen«.12 Und von ­entscheidender Bedeutung ist zum anderen die Tatsache, dass Mendelssohn ­gegen Ende 1845, als die kompositorische Arbeit am Elias schon in vollem Gange war, für die Ausformung des Librettos wiederum Schubring zu Rate zog, der genannte Dissens also nicht als schwerwiegend genug empfunden wurde, um die Wiederaufnahme der gemeinsamen Arbeit zu verhindern. So schickte der Komponist am 16. Dezember 1845 einen eigenen Textentwurf 13 nach Dessau, der für den I. Teil auf weite Strecken mit der in Musik gesetzten Version übereinstimmt, in vielen Bereichen des II. Teils dagegen unfertig oder lückenhaft war. Anfang Januar traf man sich in Dessau, um die anstehenden Probleme zu beraten, und am 9. des Monats retournierte Schubring Mendelssohns Entwurf mit ausführlichen Kommentaren und Revisionsideen, die der Komponist ­allerdings nur in wenigen Fällen honorierte. Dennoch erbat er am 23. Mai 1846 nochmals die Hilfe des Dessauer Geistlichen: »Nun fehlen mir aber an mehreren Orten des 2ten Theils noch recht schöne Bibelstellen zur Auswahl, ud. darum bitte ich Dich nun!«14 Doch auch jetzt waren Schubrings Vorschläge nur in Einzelfällen für Mendelssohn akzeptabel. Man muss also davon aus­gehen, dass das Libretto des Elias – trotz aller Zuarbeiten durch Klingemann und Schubring – in letzter Instanz vom Komponisten selbst stammt.


3. Quellen der Interpretation


Die mehr als ein Jahrhundert dauernde Vernachlässigung des Œuvres von Mendelssohn durch die Musikwissenschaft hat dazu geführt, dass die Praxis der entstehungsgeschichtlichen, analytischen und ideengeschichtlichen Interpretation des Elias15 an der durchgängig lückenhaften Einbeziehung wesentlichen Quellenmaterials krankt, sei es, dass die historischen Dokumente der Forschung nicht zugänglich waren, sei es, dass durchaus erreichbare Zeugnisse nicht oder nur mangelhaft berücksichtigt wurden, sei es schließlich, dass man sich an Druckausgaben hielt, deren Editionsprinzipien höchst fragwürdig sind, und das selbst dann, wenn die Originale vollständig oder in Teilen vor-
lagen.


Richtet man zunächst den Blick auf Sekundärquellen wie die von Mendelssohn so intensiv geführten Korrespondenzen, so verdienen die mit Ignaz Moscheles (1794–1870), Julius Schubring und Carl Klingemann, daneben die mit William Bartholomew (1793–1867) besondere Aufmerksamkeit. Die drei erstgenannten wurden jeweils von den Söhnen der Briefpartner Mendelssohns veröffentlicht, und zwar 188816, 189217 und 190918. Als besonders kritikwürdig haben sich nach Vergleich mit den Originalquellen19 die Veröffentlichungen des Moscheles- und des Schubring-Briefwechsels herausgestellt, die keinen Anspruch auf philologische Akribie erheben, sondern durch nicht gekennzeichnete Korrekturen, Auslassungen und Ergänzungen einen glatten, »leserfreundlichen« Text bieten wollen. Ob über den Klingemann-Briefwechsel, der in der Forschung als zuverlässigste Ausgabe dieser Art gilt, ein ähnliches Urteil zu fällen ist, kann erst nach Auffinden der Originale, deren Standort bis auf ganz wenige Ausnahmen unbekannt ist, entschieden werden.20

In den Darstellungen der Genesis des Elias fällt die Tatsache auf, dass die Korrespondenz mit Moscheles und dieser selbst nur eine ganz periphere Rolle spielen. Dies steht in merklichem Gegensatz zu der eminenten Bedeutung, die dem Komponisten und Freund Mendelssohns21 als conductor in chief bei der Vorbereitung und Durchführung des Birmingham Musical Festival 1846, bei dem das Oratorium seine Uraufführung erlebte, zukam; denn Moscheles war im Auftrag des Festival-Komitees für die Zusammenstellung des Programms bzw. die Auswahl der Solisten zuständig, und er dirigierte bei der viertägigen Veranstaltung – da Mendelssohn nur seine eigenen Werke zu leiten bereit war – alle anderen großen Konzerte, in denen Haydns Die Schöpfung, Händels Messias und mehrere Teile aus Beethovens Missa solemnis aufgeführt wurden. Doch lässt sich diese Unstimmigkeit leicht erklären, denn Moscheles wird auch in dem zentralen Referenzbuch, auf das sich die Elias-Forschung durchgängig – und mit Recht – bezieht, zumeist nur en passant, gewiss aber nicht seiner Bedeutung gemäß behandelt. Frederick George Edwards (1853–1909) veröffentlichte 189622The History of Mendelssohn’s Oratorio ›Elijah‹ und fasste darin die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders intensive Pflege des Elijah in England, in welcher der in Birmingham aufgeführten Fassung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, zusammen. Es ist wohl kaum übertrieben, wenn man Edwards’ Publikation als einen Meilenstein der Mendelssohn-­Forschung bezeichnet.


Ungeachtet der großen Leistung, die Edwards mit seiner Elias-Monographie vollbracht hat, darf nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich hier um Sekundärliteratur handelt, die nur im Notfall dazu herangezogen werden darf, historische Dokumente zu zitieren. Denn auch Edwards unterwirft die Brieftexte einer normalisierenden Redaktion, die zwar nicht so drastisch ausfällt wie in den genannten Korrespondenzausgaben, die aber dennoch die Gefahr in sich birgt, dass der intendierte Sinn verdunkelt wird. Das gilt insbesondere für die Schreiben, die Mendelssohn und sein englischer Über­setzer William Bartholomew23 sowohl vor der Uraufführung des Elias im August 184624 wie auch danach ausgetauscht haben, als letzterer den Text des Oratoriums bei der Vorbereitung des englischen Klavier-Auszugs infolge der vielfältigen Revisionen durch den Komponisten erneut überarbeiten musste. Da die Briefe – soweit zu überbli-
cken – nahezu vollständig überliefert und zugänglich sind,25 besteht kein Grund dafür, sich in Zitaten nicht auf sie zu beziehen. Der Briefwechsel zwischen Mendelssohn und Bartholomew, der in weiten Teilen eine höchst intensive und bis ins kleinste Detail des englischen Textes und dessen Deklamation reichende Diskussion bietet, dokumentiert aber noch eine weitere unabdingbare wissenschaftliche Notwendigkeit: das Postulat von Briefpublikationen als Korrespondenzausgaben. Denn eine Beschränkung auf die Veröffentlichung der Briefe des Komponisten allein bringt es – wie der Bartholomew-Briefwechsel eindrucksvoll belegen kann – unweigerlich mit sich, dass viele Passagen des Textes völlig unverständlich bleiben.


Das zweite gravierende Manko der wissenschaftlichen Elias-Interpretation besteht bislang in der allenthalben zu beobachtenden Vernachlässigung der Frühfassungen, die Mendelssohn für die und unmittelbar vor der Uraufführung komponiert hat.26 Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Mendelssohn nahezu jedes seiner Werke erst dann zur Veröffentlichung frei gab, wenn er es einer oder mehreren gründlichen Überarbeitungen unterzogen hatte; er litt, wie er selbst mehrfach bekundet hat, an einer »Revisionskrankheit«. Das gilt insbesondere auch für das Oratorium Elias, bei dem die gravierenden Differenzen zwischen der Frühfassung27 und der 1847 publizierten Endfassung – wie zu zeigen sein wird – wichtige Rückschlüsse auf Mendelssohns kompositorische Intentionen in allen Bereichen ermöglichen. Diese naheliegende Chance wurde bisher nur selten genutzt, obwohl die zentrale Quelle zu dem frühen Kompositions­stadium, eine von Eduard Henschke für die Uraufführung in Birmingham angefertigte Abschrift, spätestens seit 1991, als sie bei einer Auktion von Christie’s in London28 für die Birmingham Central Library29 erworben werden konnte, allgemein zugänglich ist. Überdies hätte man sich bezüglich der Unterschiede zwischen den beiden Fassungen in einem ausführlichen, wenn auch nicht durchweg zuverlässigen Aufsatz von Joseph Bennett (1831–1911) informieren können, der zuerst 1875/1876 unvollständig in der kurzlebigen Zeitschrift Concordia. A Weekly Journal of Music and the Sister Arts, dann aber – von F. G. Edwards korrigiert und komplettiert – 1882/1883 in The Musical Times erschien.30

Ein besonders interessantes Beispiel mag die Bedeutung der Unterschiede zwischen der Früh- und Endfassung illustrieren. Dabei geht es nicht allein um die Tatsache der Differenz an sich, sondern vielmehr um die Gründe, die den Komponisten zu so drastischen Eingriffen veranlasst haben, weil aus ihnen gegebenenfalls weitreichende Schlussfolgerungen der inhaltlichen Interpretation gezogen werden können.


Die Revision des choralähnlichen Satzes, der in der Frühfassung die Nr. 22 31, in der Endfassung die Nr. 15 trägt, ist Teil des Revisionsprozesses zur Endfassung.32 Sie fällt insofern aus dem Rahmen einer gängigen Überarbeitungspraxis, als in ihr einige Momente beibehalten (Charakter, Satzstruktur: vierstimmiger Kantionalsatz mit liegenden Akkorden und aufsteigenden Sechzehntelarpeggien in den Zäsuren), die Melodie mit der dazugehörigen Harmonisierung und der Text dagegen ersetzt wurden. In Nr. 22 lauten die hinsichtlich der Herkunft noch nicht identifizierten Worte: »Erhöre dies Gebet, | du, dem die Engel singen, | dem Anbetung und Preis | die Welten ewig bringen. | Erhöre deinen Knecht | und hilf ihm in der Not, | du aller Herren Herr, | Jehova Zebaoth!« In der Nr. 15 der Endfassung dagegen wird das Quartett auf folgenden Text gesungen, dessen Teile sämtlich aus dem Psalter stammen: »[Ps 55, 23:] Wirf dein Anliegen auf den Herrn, | der wird dich versorgen | und wird den Gerechten nicht ewiglich | in Unruhe lassen. | [Ps 108, 5:] Denn seine Gnade reicht | so weit der Himmel ist, | [Ps 25, 3:] und keiner wird zu Schanden, | der seiner harret.«


Bereits hier deutet sich an, dass Mendelssohn – wie das Zitat unten bestätigt – im fortschreitenden Prozess der Überarbeitung mehr und mehr seine Intention zu realisieren trachtete, den Text wann immer möglich aus einer einheitlichen Quelle, dem Alten Testament, zu entnehmen. Wichtiger noch ist die Tatsache, dass er die Melodie der Frühfassung, die direkt dem Repertoire protestantischer Choräle entlehnt und oft mit dem Text »O Gott, Du frommer Gott« verbunden wurde,33 zu vermeiden sucht.


Mendelssohn hat sich diese auffällige Substitution sehr genau überlegt und sah sich sogar veranlasst, Bartholomew darüber Rechenschaft abzulegen. Am 30. Dezember 1846 schreibt er nach London34: »No. 15 is a piece in which I must again require your friendly assistance. From the time I first sent it away for the Birmingham performance I felt that it should not remain as it stood, with its verses & rimes, the only specimen of a Lutheran Chorale in this old-testamential work. I wanted to have the colour of a Chorale, & I felt that I could not do without it, and yet I did not like to have a Chorale. At last I took those passages from the Psalms which best apply to the situation, and composed them in about the same style & colour, & very glad I was when I found, (as I looked into the English bible) that the beginning went word by word as in German. But after the beginning my joy was soon at an end, & there it is that I must ask you to come to my assistance. The words are taken from Psalm 55, 23 Ps. 108, 5 & Ps. 25, 3.«35

Mendelssohn strebte mithin danach, den Ton oder Gestus (style & colour) des Chorals, der ihm als musikalische Ausdrucksform unverzichtbar erschien und der ja im Elias eine beträchtliche Rolle spielt, zu bewahren. Die direkte Bindung an die Worte des protestantischen Gemeindegesanges jedoch, deren Assoziation bei der Einbeziehung einer bekannten Choralmelodie kaum zu umgehen ist, trachtete er zu vermeiden, weil sie den thematischen Rahmen des alttestamentarischen Oratoriums gesprengt hätten.36 In dieser kompositorischen Entscheidung eine Parteinahme gegen den christlichen und – wie Mendelssohn aus allzu naheliegenden, nämlich biographischen Gründen immer wieder unterstellt wird – für den jüdischen Glauben zu sehen, ist abwegig. Mendelssohn ging es – wie noch deutlich werden wird – um die Geschlossenheit des individuellen Kunstwerks, nicht um eine religiöse Manifestation. Wie wichtig Mendelssohn die christliche Gemeinde als Rezeptionsinstanz genommen hat, geht aus seinem Brief vom 14. Juli 1837 hervor, in dem er Julius Schubring zu der Möglichkeit befragte, ein Petrus-Oratorium zu schreiben (und es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sich an dieser Haltung in späteren Jahren etwas geändert hat): »Meine Frage ist also, ob Du glaubst, daß dies möglich sei, d. h. so möglich sei, daß es für jedes Mitglied der Gemeinde ein gleich wichtiger und nahe liegender Gegenstand werde.«37

4. Mendelssohns Konzept eines symbolischen Oratoriums


Trotz des überwältigenden Erfolgs, den der Paulus bei seiner Uraufführung im Mai 1836 errungen hatte, kam Mendelssohn bald zu der Überzeugung, dass ein neues Werk der Gattung, an dessen rascher Realisierung ihm so viel lag, auf andere theoretische und kompositorische Grundlagen gestellt sein müsse. Er strebte, wie er Carl Klingemann am 30. April 1837 anvertraute, ein Werk an, »das mir mehr gefiele, als mein voriges Oratorium […].«38 Die Leitidee, aus der er die neue Konzeption des Oratoriums zu entwickeln entschlossen war, benannte er drei Monate später, am 17. Juli 1837, in einem Brief an Julius Schubring, mit dem er zu diesem Zeitpunkt einen Oratoriumsplan über den Apostel Petrus beriet: »Die Frage aber ist […], ob die Stelle, die Petrus in der Bibel einnimmt, […] an und für sich bedeutend genug ist, um ein symbolisches Oratorium darauf zu gründen. Denn historisch dürfte der Stoff nach meinem Gefühle durchaus nicht behandelt werden, so notwendig dies im Paulus war. […] Ich meine also, es müßte symbolisch sein, […] nicht historisch, sondern prophetisch […].«39

Angesichts des großen Einflusses, den die Theorie Goethes auf den Symbolbegriff der Romantik im Allgemeinen und auf das Denken Mendelssohns im Besonderen ausgeübt hat, kann man begründet davon ausgehen, dass der Komponist hier der Begriffsbestimmung folgt, die der Dichter in den Nummern 749 und 752 seiner Maximen und Reflexionen gibt:


»749: Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt 
und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.


752: Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere ­repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.«40

Unterstützt wird die Hypothese eines Rekurses auf Goethes Symbolbegriff durch die Tatsache, dass auch bei einer anderen von Mendelssohns Kompositionen, der Ballade Die Erste Walpurgisnacht op. 60 MWV D 3, auf einen Text des Weimarer Dichters, dessen Vorstellung des Symbolischen mitgedacht werden muss. Und ausgerechnet dieses Werk wird in dem das Elias-Libretto betreffenden Briefwechsel zwischen dem Komponisten und Schubring – wenn auch nur kurz und wenig aussagekräftig – angesprochen.41 Letzterer schrieb am 1. November 1838 in bemerkenswerter Hellsichtigkeit: »Du müßtest Dich also vorher genau besinnen, ob Du Dich diesmal der Kirchenmusik (d h. der erquicklichen) mehr abwenden willst & ein Tongemälde schaffen – nach Art wie die Blocksbergs Cantate.«42 Mendelssohn antwortete darauf erst sieben Jahre später am 16. Dezember 1845, als er sich bei der Wiederaufnahme der Arbeit am Elias-Libretto die alten Entwürfe Schubrings nochmals durchge­sehen hatte: »Denn natürlich ist es nicht meine Absicht eine biblische ›Walpurgisnacht‹ hinzustellen, wie Du ­erwähnst.«43 Doch greift diese eher beiläufige Replik zu kurz. Vergleicht man die Gesamtkonzeption und die Handlungs­situation des Elias mit Goethes Charakterisierung seines Gedichts, so sind mehrere inhaltliche Bezüge kaum von der Hand zu weisen. Am 9. September 1831 schreibt der Dichter an Mendelssohn, der ihm zuvor die Fertigstellung der Balladenvertonung angekündigt hatte: »Daß du die erste Walpurgisnacht dir so ernstlich zugeeignet hast, freut mich sehr; da niemand, selbst unser trefflicher Zelter, diesem Gedicht nichts hat abgewinnen können. Es ist im eigentlichen Sinne hochsymbolisch intentioniert; denn es muss sich in der Weltgeschichte immerfort wiederholen, daß ein Altes, Gegründetes, Geprüftes, Beruhigendes durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt und, wo nicht vertilgt, so doch in den engsten Raum eingepfercht werde. Die Mittelzeit, wo der Haß noch gegenwirken kann und mag, ist hier prägnant genug dargestellt, und ein freudiger, unzerstörbarer Enthusiasmus lodert noch einmal in Glanz und Wahrheit hinauf.«44

Richtet man den Blick auf den breit gefächerten Gedankenaustausch, den Mendelssohn mit Julius Schubring in den zehn Jahren von Juli 1837 bis Juni 1846 über Oratorien-Libretti geführt hat, so muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Diskussion bezüglich des gattungstheoretischen Konzepts und dessen gedachter kompositorischer Realisierung bei Mendelssohn keine greifbaren Veränderungen nach sich gezogen hat. Er hielt an der Idee des symbo­lischen Oratoriums ungeachtet der Frage fest, ob das Sujet Elias, Petrus (Juli bis Dezember 1837), Johannes der Täufer (Januar bis Februar 1840), Erde, Hölle und Himmel (Februar 1840)45 oder – als fremdes Kompositionsprojekt – Bonifacius46 (November bis Dezember 1838) hieß.47 Das ist kaum verwunderlich, hatte doch Mendelssohn vor 1845, also vor der musikalischen Realisierung des Elias, keine Möglichkeit, die theoretische Idee in der kompositorischen Praxis zu erproben, auf die es ja letztlich ankommt.


Die musikalisch praktische Umsetzung von Mendelssohns Idee des symbolischen Oratoriums, deren entscheidende Elemente im Gedankenaustausch mit Schubring erkennbar sind und 1845 bis 1847 in den Fassungen des Elias mit zunehmender Klarheit hervortreten, stand in eklatantem Widerspruch zu den in jener Zeit gültigen Gattungsnormen und hat folglich zumal in der deutschen Rezeption einigermaßen verstörend gewirkt.48 Schon zuvor hatte Mendelssohn mit der Entwicklung neuer Gattungen, etwa der »Konzert-Ouverture« oder des »Liedes ohne Worte«, durch »paradoxe« musikalische Formen, die romantisch und fortschrittlich zugleich waren, Aufsehen erregt, und nun übertrug er sein innovatives Potential auch auf die altehrwürdige Gattung des Oratoriums und verstieß auch hier gegen die verbindlichen Kunstregeln seiner Zeit.


Die traditionelle Definition des Oratoriums, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch verbindlich war, legt das Oratorium innerhalb des Spektrums der Vokalmusik auf die Ausdrucksform des Epischen fest. In normativer Analogie zur literaturtheoretischen Trias Dramatisch – Episch – Lyrisch wird die Gattung einerseits von der Oper, die das Dramatische repräsentiert, andererseits vom Lied, das als lyrisch gilt, abgegrenzt. Fundament der Gattung Oratorium ist somit das epische Rezitativ, in dem ein Erzähler (»Orator«, Evangelist) den Gang der Handlung vorträgt und die Zusammenhang stiftende Grundlage zur Entfaltung von Arien und Chören schafft. Deren Ausdruckshaltung, die man als reflexiv oder betrachtend beschreiben, d. h. dem lyrischen Ton nahestehend ansehen kann, stand – ganz in Übereinstimmung mit dem literarischen Epos seit der Antike – 
nicht im Widerspruch zu dem epischen Grundkonzept. Als Bedrohung des Oratoriums in seiner Substanz dagegen wurde die allzu deutliche Einbeziehung des Dramatischen empfunden; denn eine solche Erweiterung der Ausdrucksformen empfand man als unzulässige Grenzüberschreitung, die in nichts anderem ­resultieren könne als einer defizitären Oper. Innerhalb der Diskussion über 
die konstitutiven Merkmale der Gattung Oratorium, die während des gesamten 19. Jahrhunderts mit erstaunlicher Intensität geführt wurde, ist die Frage nach dem vertretbaren Anteil des dramatischen Elements von zentraler Bedeutung.


Welche Rolle maß nun Mendelssohn den drei Ausdrucksformen des Dramatischen, des betrachtend Reflexiven (Lyrischen) und Epischen in seinem Konzept des symbolischen Oratoriums bei?


4.1 Dramatisch


Trotz des offenen Widerspruchs zum traditionellen Gattungsbegriff und trotz aller Einwände von Seiten Schubrings hielt Mendelssohn unbeirrt an der Dramatisierung des Oratoriums fest. Im Falle des Elias begründete er dies mit den immanenten Tendenzen des alttestamentarischen Textes, der generell eine dramatische Behandlung erfordere. So schrieb er am 2. November 1838 an Schubring: »Auch daß Du die allgemeine ans Herz gehende Bedeutung der Bibelworte aufsuchst, erfreut mich; nur wenn ich eins zu bemerken hätte, wärs, daß ich das dramatische Element noch prägnanter, bestimmter hier und da hervortreten sehen möchte. Rede und Widerrede, Frage und Antwort, Einfallen in die Rede u. s. w. u. s. w.«49 Am 6. Dezember des Jahres wiederholte er diese Forderung noch streitbarer: »Mit dem dramatischen Element scheint mir noch irgend ein Differenzpunkt zwischen uns zu sein; bei einem solchen Gegenstand wie Elias, eigentlich wie jedem aus dem alten Testamente, außer etwa dem Moses, muß das Dramatische vorwalten, wie mir scheint – die Leute lebendig redend und handelnd eingeführt werden […] Das ist ein Punkt, in dem ich mich z. B. mit dem Bonifacius50 nicht verständigen könnte; der müßte nach meiner Meinung ganz durchaus dramatisch gehalten sein, wie ein Theaterstück (im guten Sinn), nur ohne sichtbare Action.«51

Schubring dagegen sträubte sich, wie schon in den eben zitierten Briefpassagen erkennbar wird, gegen die von Mendelssohn angestrebte Dramatisierung, dies allerdings nicht zugunsten der epischen Erzählung, sondern mit der Absicht, dem »Kirchlichen« durch Betrachtungen und Reflexionen breiteren Raum zu schaffen (wogegen Mendelssohn, wie schon der zitierte Brief vom 2. November 1838 zeigt und wie noch näher auszuführen sein wird, gar nichts einzuwenden hatte). Schubring führt seine Position allerdings nicht zusammenhängend und Widerspruch herausfordernd aus, sondern lässt seine Aversion eher in kurzen Randbemerkungen – gleichsam insinuierend – einfließen:


– am 28. Oktober 1838: »Das 2te [die Witwenszene] müßte eigentlich ein Zwiegespräch werden – wie ichs mir aber wol in einer Oper, aber durchaus nicht in einem Oratorium denken kann.«52

– am 31. Oktober 1838: »Überhaupt habe ich danach gesucht – wiewol es nicht immer möglich ist – solche Stücke herbei zu bringen, die nicht bloß für die gegenwärtige Situation passen, sondern die eine allgemeine Geltung haben & daher nicht bloß der dramatischen Anschauung willkommen sind sondern auch in den Herzen wiederklingen könnten.«53

– am 1. November 1838: »Sonst müßten wir noch neuen Fleiß anwenden, um das Dramatische herunterzudrücken & das Kirchliche zu heben & immer wieder dahin zurückzulenken.«54

Mendelssohn jedoch insistierte nicht nur in der Theorie auf seinem Konzept, sondern hat die dramatische Formanlage auch bei der kompositorischen Realisierung des Elias konsequent durchgehalten, und das in einem Maße, dass es durchaus sinnvoll erscheint, den Verlauf des Oratoriums – mit Ausnahme der den II. Teil eröffnenden und schließenden Sätze – in Szenen einzu-
teilen:55

I. Teil
1. SzeneNr. 18 / Einleitung bis Nr. 5Fluch und Dürre
2. SzeneNr. 910 / Nr. 6–7Elias am Bach Krith
3. SzeneNr. 1113 / Nr. 7A–9Erweckungswunder (Witwenszene)
4. SzeneNr. 14–26 / Nr. 10–18Streit mit Ahab und den Baalspriestern, Feuerwunder
5. SzeneNr. 27–28 / Nr. 19–20Regenwunder
II. Teil
Nr. 29–31 / Nr. 21–22
6. SzeneNr. 32–33 (1. Teil) / Nr. 23–24Streit mit Ahab und Isebel
7. SzeneNr. 33 (2. Teil) bis 37 / Nr. 25–29Wüstenwanderung
8. SzeneNr. 38–44 / Nr. 30–36Gotteserscheinung auf dem Berg Horeb
9. SzeneNr. 45–46 / Nr. 37–38Himmelfahrt
Nr. 47–51 / 39–42

An dieser Stelle sei ein spekulativer Gedanke eingeschoben, der darauf verweist, welch großes musikdramatisches Potential Mendelssohn besaß – eine Qualität allerdings, die er gegebenenfalls zugunsten scheinbar höherrangiger Erfordernisse der musikalischen Form zurückzustellen bereit war. Diese Erwägung – wenn sie denn akzeptabel ist – könnte als Erklärung dafür dienen, warum Mendelssohn so lange zögerte, dem Werk in Überstimmung mit der Tradition56 eine Ouvertüre voranzustellen.


Schon am 31. Oktober 1838 ließ Schubring einen Textentwurf zum I. Teil57 mit einer »Ouverture bei der es einem öde zu Muthe wird« anfangen. Gut sieben Jahre später kam er auf diesen Gedanken zurück und fügte innerhalb des Librettoentwurfs, den ihm Mendelssohn am 16. Dezember 1845 geschickt hatte,58 dem Text der Einleitung die Randbemerkung hinzu: »Diese Worte müssen nach weniger Einleitung recitativisch kommen & dann die Ouvertüre, Bild der Hungersnoth. Diese Ouvertüre muß 3 Jahre lang dauern.« Mendelssohn indes folgte diesem Vorschlag nicht und ließ in der ersten Frühfassung dem initialen Rezitativ des Elias nach nur vier Vorbereitungstakten den Chor »Hilf, Herr!« unvermittelt folgen. In dieser Form ist der Anfang des Oratoriums sowohl in der Abschrift durch Eduard Henschke, die für die Uraufführung angefertigt wurde, als auch in dem ursprünglichen Stimmenmaterial, das Mendelssohn nach Birmingham schickte, überliefert. Nun aber kam auch von englischer Seite die Forderung nach einer Ouverture, und zwar von William Bartholomew, der am 23. Juni 1846 ganz beiläufig anmahnte: »and I hope you will have time to write an Overture or Introduction; unless you expressly design there shall be none.«59 Mendelssohns vergleichsweise ausführliche Antwort vom 3. Juli deutet an, welche Probleme ihm namentlich die Platzierung einer Introduction bereitete: »My intention was to write no Overture, but to begin directly with the curse. I thought it so energetic. But I will certainly think of what you say about an Introduction, although I am afraid it would be a difficult task, and I do not know exactly what it should or could mean before the curse. And after it (I first thought to write the Ouverture after it) the Chorus must immediately come in.«60 Doch Bartholomew ließ nicht locker und versicherte sich nun auch der Unterstützung durch Carl Klingemann; am 14. Juli schrieb er: »I have maturely considered, & with Mr. K[lingemann]. think it will be a new feature and a fine one, to announce the curse No 1. then let an Introductory movement be played, expressive descriptive of the misery of famine – for the chorus (I always thought) comes so very quickly and suddenly after the curse, that there seems to elapse no time to produce its results.«61 Jetzt endlich gab Mendelssohn nach und kündigte am 9. August die Nachlieferung des gewünschten Satzes an: »After the 1st words of Elijah (the curse) and before the 1st Chorus I should like to have in the books ›Introduction‹ or ›Overture‹ or some word like this, to let people know that an Overture is coming before the Chorus – for I have written one, and a long one.«62

Vergegenwärtigt man sich jedoch die musikalische Wirkung, die in der ursprünglichen Fassung vom direkten Aufeinanderprallen von Fluch und Hilferuf des Volkes ausging, so kann man unschwer nachempfinden, auf welchen genialen musikdramatischen Einfall Mendelssohn zugunsten einer eingeschliffenen Tradition verzichtete. Denn die ursprüngliche Fassung verwandelt den Halbdialog63 der Bibel, in dem Elias das Wort an Ahab richtet (der aber nicht antwortet), in einen realen Dialog zwischen dem Propheten und dem Volk, das von dem Fluch ja weit mehr betroffen ist als der König. Und der ­extreme Kontrast in Besetzung und Dynamik akzentuiert einen kaum größer denk­baren dramatischen Effekt, dessen Verlust den Komponisten geschmerzt haben dürfte. Dass dann Mendelssohn diesen durch die Einfügung der ­Ouvertüre verursachten Verlust dramatischer Wirkung durch die Realisierung anderer kompositorischer Zwecke, nämlich der motivischen Anbindung des Werk­anfangs an dessen Ende, kompensierte, stellt – wie später zu erörtern sein wird – 
die Kehrseite seiner kompositorischen Erwägungen dar.


4.2 Lyrisch


Hinsichtlich dieser Kategorie der literarischen Gattungsordnung sind nur wenige Worte zu verlieren. Denn die substanzielle Einbeziehung von Betrachtungen und Reflexionen in das Oratorium kollidierte weder mit dem traditionellen Gattungskonzept noch mit den Vorstellungen, die Schubring und Mendelssohn diesbezüglich vertraten. Ersterer trug sich lediglich mit der Sorge, dass dem lyrischen Ausdruck angesichts der Dominanz des Dramatischen zu wenig Raum bleiben könnte, so etwa in dem bereits zitierten Brief vom 31. Oktober 1838: »Überhaupt habe ich danach gesucht – wiewol es nicht immer möglich 
ist – solche Stücke herbei zu bringen, die nicht bloß für die gegenwärtige Situa­tion passen, sondern die eine allgemeine Geltung haben & daher nicht bloß der dramatischen Anschauung willkommen sind sondern auch in den Herzen wiederklingen könnten (So z. B. hier die Arien)[.]«64 Dass diese Sorge indes unangebracht war, belegt spätestens Mendelssohns Brief vom 23. Mai 1846; es war der letzte, den er in Sachen Elias an Schubring schickte: »Du siehst, daß der Gang des Ganzen festgestellt sind; es sind nur noch die lyrisch = betrachtenden Stellen (aus denen Arien, Duette, &c. gemacht werden können) die mir gegen das Ende namentlich fehlen. Also bitte ich Dich nimm Deine große Concordanz, schlag sie auf, schenke mir auch noch diese Zeit, ud. laß mich bei meiner Rückkehr in spätestens 3 Wochen Deine Antwort finden!«65

4.3 Episch


Im Briefwechsel mit Schubring verwendet Mendelssohn für das Epische mehrheitlich den Terminus »historisch«.66 Er übernimmt damit eine Wortbedeutung, die das Grimmsche Wörterbuch mit einem Zitat aus Goethes Die Leiden des jungen Werther exemplifiziert: »der Brief wird dir recht sein, er ist ganz historisch (enthält nur bericht, keine reflexion).«67 Dabei ist der Terminus in Bezug auf die Gattung für Mendelssohn erkennbar negativ konnotiert: Schon hier, mehr aber noch später in der kompositorischen Realisierung des Elias ist seine Absicht offensichtlich, die Bedeutung des Historischen innerhalb des Oratoriums zu verringern, und dies, wie bereits deutlich wurde, zugunsten des Dramatischen. Ihm war zwar klar, dass auf das Instrument des Handlungsberichts als formbildendes Element nicht verzichtet werden konnte, trachtete aber danach, dessen Funktion als tragendes Fundament des Werkganzen zu schwächen. So betont er in dem bereits zitierten Brief vom 14. Juli 1837: »Denn historisch dürfte der Stoff nach meinem Gefühle durchaus nicht behandelt werden, so notwendig dies im Paulus war. […] Ich meine also, es müßte symbolisch 
sein, – es möchten darin auch vielleicht alle historischen Punkte vorkommen, der Verrath und die Reue, die Schlüssel des Himmels, die ihm Christus übergiebt, seine Predigt beim Pfingstfest – aber alles das nicht historisch, sondern prophetisch – wenn ich mich so ausdrücken darf – im größeren Zusammenhang.«68 Ähnlich negative Einschätzungen des epischen bzw. historischen Rezitativs hat er Schubring gegenüber mehrfach gegeben:


– am 2. November 1838 zum Elias: »Es ist mir aber darum recht ums Dramatische zu thun, und […] epische Erzählung darf nicht darin vorkommen.«69

– am 25. Februar 1840 zu Johannes der Täufer: »Da Du in dieser Woche den Johannes angreifen willst, so wollte ich Deine Frage wegen der Recitative gleich erledigen – oder vielmehr nicht, denn ich stelle Dir ganz anheim ob die Recitative erzählend oder nicht sein sollen. Am besten scheint mir, man wechselte mit beiden, ud. nähme freilich so wenig erzählende als irgend möglich. […] Deshalb bin ich auch nicht ganz mit Deiner Idee mit der Erscheinung des Engels […] einverstanden; der Engel macht mirs gleich zu historisch.«70

– am 23. Mai 1846 zum Elias: »Ich habe nämlich in der Form jetzt alles historische Recitativ weglassen können, einzelne Personen aufgeführt, statt des Herrn immer den Engel oder den Engel = Chor […].«71

Das letzte – nicht ohne Genugtuung formulierte – Zitat führt nun direkt zu der Frage, auf welche Weise Mendelssohn sein theoretisches Konzept (hier zunächst die Intention, das historische Rezitativ auszublenden) in der Komposition des Elias konkret realisiert hat. Dieser Aspekt kann in vorliegendem Zusammenhang zwar nicht in allen Facetten ausgeleuchtet werden, doch sollen wenigstens die Grundzüge angedeutet werden, gemäß derer Mendelssohn verfährt: Er löst erstens und vorrangig den Bericht in solistische Dialoge bzw. Halbdialoge72 auf oder teilt zweitens die Darstellung des jeweiligen Ereignisses der Vielstimmigkeit des Chores zu. Das zweite Verfahren, das bei der Schilderung des Feuerwunders (Nr 24 / 16, II. Teil), der Gotteserscheinung auf dem Berg Horeb (Nr. 42 / 34) und bei Elias’ Himmelfahrt (Nr. 46 / 38) zur Anwendung kommt, entfernt sich am klarsten vom neutralen Erzählton eines Berichterstatters, weil die Mehrstimmigkeit und das grundlegende Prinzip der Textwiederholung die Darstellungsperspektive auf die unkoordinierte Reaktion einer schauenden Menge verschieben, die das Ereignis nicht objektiv mitteilt, sondern ihre Empfindungen darüber zum Ausdruck bringt. Alle diese Chöre sind, vom musikalischen Charakter her betrachtet, als dramatisch einzustufen.


Auch das erste oben genannte Verfahren Mendelssohns, das historische Rezitativ zu umgehen, zielt auf eine Dramatisierung, diesmal allerdings auf die strukturelle Grundlage dieser Ausdrucksform, auf den Dialog. Unverkennbar ist, dass der biblische Vorwurf dieser seiner Tendenz weitgehend entgegenkommt. Denn viele Ereignisse der Kapitel 17 bis 19 des 1. Buchs der Könige samt dem Annex aus Kapitel 2 des 2. Buchs der Könige, die das Grundgerüst des Handlungsganges bereitstellen, sind dialogisch oder halbdialogisch gefasst. Mendelssohn setzt diese Tendenz durch die Verfahren fort, entweder reale Dia­loge zu schaffen, wie beispielsweise in der Witwenszene (Nr. 12 / 8), oder aber Halbdialoge, auf die keine Antwort erfolgt, durch die namentliche Anrede des virtuellen Gesprächspartners zu kennzeichnen (z. B. Nr. 9 / 6, Nr. 11 / 7A, aber auch Nr. 30 / 21). Kritisch anzumerken ist allerdings, dass Mendelssohns oben zitierte Einschätzung vom 23. Mai 1846 »Ich habe nämlich in der Form jetzt alles historische Recitativ weglassen können« aus streng literaturwissenschaftlicher Sicht allzu optimistisch ausgefallen ist. Denn er hat an wenigen Stellen auch zum Hilfsmittel des Scheindialogs gegriffen (z. B. Nr. 35 / 27: »Siehe, er schläft unter dem Wacholder […]«) und hat – zumal in der Frühfassung – ­einige epische Rezitative stehen gelassen. Dass beispielsweise für die Endfassung die Nr. 29 (»Es ist Elias gekommen«) und der zweite Teil der Nr. 47 (»Weil er ein göttliches Leben führete […]«) gestrichen wurden, ist neben anderem wohl auch darauf zurückzuführen. Allerdings hat er bei der Vorbereitung der Endfassung – und zwar zu einem sehr späten Zeitpunkt – auch ein episches Rezitativ neu eingeführt, das ebenso gut in einem Bachschen Oratorium vom Evangelisten hätte vorgetragen werden können, nämlich die Einleitung zum Sanctus »Seraphim standen über ihm, und einer rief zum andern:« (Nr. 35).


5. Geschlossenheit des Kunstwerks versus futurische Eschatologie


Mit der Himmelfahrt des Elias endet die an den Propheten gebundene Erzählung und Mendelssohn sah sich vor der Entscheidung, ob er der teleologischen, in die Zukunft weisenden Ausrichtung der biblischen Vorlage folgen oder einen Schlussteil entwerfen wollte, durch den sowohl die Handlung als auch der musikalische Diskurs zu einem zufriedenstellenden Schluss gelangen und damit die Komposition als geschlossenes Ganzes – als Werk – erscheinen könne. Dass er sich für Letzteres entschied, geschah in Übereinstimmung mit den kunsttheoretischen Maximen seiner Zeit, die gerade in der formalen Abrundung den Legitimationsgrund eines Kunstproduktes sahen – die Vorstellung einer »offenen Form« war der Klassik ebenso wie den nachfolgenden Jahrzehnten fremd. Gerade eine solche, für eine Fortsetzung offene Komposition aber wäre den immanenten Bedingungen der biblischen Vorlage angemessen gewesen, denn als fortgeschriebene Heilsverkündigung zielt das Alte Testament eschatologisch auf die Ankunft des Messias, auf den durch ihn zu schließenden Neuen Bund zwischen Gott und den Menschen, auf dessen Auferstehung und das Jüngste Gericht.


Um die Wirkung von Geschlossenheit zu erreichen, war zunächst eine geeignete Selektion aus dem Bibeltext zu treffen, mittels derer die unverkennbar auf die Zukunft gerichteten Handlungselemente ausgeschieden würden. Dazu gehört wohl nicht das auffällige Aussparen der Nabot-Episode (1 Kön 19, 15–16)73, die bereits in der Bibel als eingeschobener Fremdkörper wirkt, eher schon der Verzicht auf die Elias auf dem Berg Horeb erteilte göttliche Weisung, Hasael zum König über Aram und Jehu zum König über Israel zu salben, die immerhin eine historische Dimension andeutet. Von entscheidender Bedeutung dagegen ist die Eliminierung des Elisa, den Elias auf Gottes Befehl zu seinem Nachfolger erwählen soll: »und salbe […] Elisa […] zum Propheten an deiner Statt.« (ebenda). Denn Elisa repräsentiert in der Bibel die Kontinuität der Prophetie, steht ein für die ungebrochene Fortsetzung der Heilsverkündigung. Angesichts der Tatsache, dass Mendelssohn ein symbolisches Oratorium intendierte, dessen Kernpunkt das Bild des Prophetischen sein sollte,74 stellt die Streichung des Nachfolgers von Elias die wichtigste Maßnahme gegen eine teleologische Ausrichtung des Werkes dar. Offenkundig ist diese Entscheidung Mendelssohn auch schwer gefallen und sehr spät getroffen worden, denn in der fortschreitenden Ausarbeitung des Librettos nimmt Elisa breiten Raum ein. Selbst unter den musikalischen Skizzen, die Mendelssohn für vorliegende Komposition in ungewöhnlich großer Zahl hinterlassen hat, finden sich Entwürfe zu Textpassagen, die Elisa zugeordnet sind, so beispielsweise ein achtzigtaktiger lückenloser Chorsatz75 mit dem Text »Er nahm seinen Mantel und schlug in das Wasser, das theilte sich auf beiden Seiten. Er aber ging mitten hindurch.« (2 Kön 2,14–15).


Mendelssohn hat seine konzeptionelle Idee des geschlossenen Werkes in einzelnen Schritten vollzogen, die von den Libretto-Entwürfen über die musikalischen Skizzen bis hin zur vorläufigen bzw. endgültigen kompositorischen Ausarbeitung führen. Dabei dokumentieren gerade die Differenzen zwischen der bislang vernachlässigten Frühfassung und der Endfassung in besonderer Klarheit, worauf seine Vorstellungen zumal hinsichtlich der Vermeidung ­futurisch konnotierter Elemente zielten. Das belegt mehr als alles andere der signifikante Eingriff in den Text des letzten Rezitativs, der in der Frühfassung (Nr. 48) der Bibel (Mal 3, 23–24) noch genau folgt: »Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia […]«, in der Endfassung dagegen (Nr. 40) »Darum ward gesendet der Prophet Elias […].« lautet. Doch ist der Sinn dieser Umdeutung eines Versprechens in eine Erläuterung vergangenen Geschehens nicht auf die bloße Änderung der zeitlichen Perspektive beschränkt; Mendelssohn umgeht damit zugleich eine Parteinahme in der Diskussion der Evangelien, durch wen denn die Verheißung des Maleachi eingelöst wurde. »Die Diskussion in den Evangelien kreiste dabei um zwei Hauptfragen: War Johannes der Täufer der wiedergekehrte Elia, was überwiegend bejaht wird, oder war es Jesus, was überwiegend verneint wird.«76

In andere Richtung weist eine weitere Änderung, die Mendelssohn zwischen der ursprünglichen und der definitiven Fassung vorgenommen hat: die ersatzlose Tilgung des Chores Er wird öffnen die Augen der Blinden, der in Nr. 49 den zweiten Teil (T. 55–140) bildete. Mendelssohn hat diesen Eingriff nicht erst bei der definitiven Revision vorgenommen, sondern bereits unmittelbar vor der Uraufführung, und zwar zu einem aufführungspraktisch denkbar ungünstigen Zeitpunkt, als die Chorstimmen bereits gedruckt vorlagen und die Chöre in London und Birmingham schon intensiv mit der Einstudierung beschäftigt waren. Mendelssohn war sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst und hob deshalb in seiner Begründung für die Streichung auch direkt auf ­einen Aspekt der Aufführungspraxis ab. Am 9. August 1846, also 17 Tage vor der Aufführung, schreibt er aus Leipzig an Bartholomew: »The second part of no. 41 ›Er wird öffnen die Augen der Blinden‹ must also be left out, so that from the words ›und der Furcht des Herrn‹ it goes immediately to the Quartett in b ›Wohlan denn‹. Pray let the Choral people at Birmingham know this directly, 
it will spare them much time, as the Alla Breve is not easy, and as I am sure I will not let it stand.«77 Freilich ist diese Begründung – wie jeder erfahrene Chorsänger unschwer erkennen wird – eine vorgeschobene, denn der Satz stellt die Ausführenden vor keine besonderen Schwierigkeiten. Das wahre Motiv für die Streichung liegt vielmehr in Mendelssohns Absicht, die inhaltliche Kon­sistenz des Werkes zu stärken – eine Intention, die ihm von Stufe zu Stufe der musikalisch-textlichen Ausarbeitung des Werkes wichtiger wurde und die er mit immer größerer Konsequenz zu realisieren trachtete. Im vorliegenden Satz war es der Text, den er als störendes Element ansah, denn von einer Blindenheilung durch Elias ist nichts überliefert. Die Blindenheilung ist vielmehr ein Wunder, das von der biblischen Tradition direkt mit Jesus Christus verknüpft ist und das als so bedeutsam empfunden wurde, dass alle vier Evangelisten davon zu berichten wissen.78 Ein so unmissverständlicher Hinweis auf Christus erschien Mendelssohn jedoch in einem an das Alte Testament gebundenen Oratorium, das den Propheten Elias in den Vordergrund stellt, als im buchstäblichen Sinne unpassend und der Absicht zuwiderlaufend, ein symbolisches Oratorium über die Idee von Prophetie zu schaffen.


Mendelssohn erwog in keiner Phase der Entstehungsgeschichte des Elias die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament herzustellen oder gar Jesus in die Handlung einzubeziehen – ganz im Gegensatz zu Julius Schubring, dem der Elias »als Vorläufer & als Genosse Christi«79 galt und der »mit der bestimmtesten Klarheit« erkannt hatte, »daß das Oratorium keinen andren als neutestamentl. Schluß haben darf […].«80 Aufschlussreich ist die Tatsache, dass der Komponist in den umfangreichen Quellen zum Libretto, die er selbst niedergeschrieben hat, nur auf einer einzigen Seite Jesus Christus beim Namen nennt, und dies zwei Mal. In beiden Fällen handelt es sich um die Überlegungen zum Schluss-Chor des Werkes. Da heißt es zunächst: »Chor. | [Offb 12, 10:] Nun ist das Heil ud. die Kraft ud das Reich ud. | die Macht unsres Gottes seines Christus geworden. | [Offb 11, 17:] Wir danken dir Herr allmächtiger Gott, | der du bist ud. warest und zukünftig bist, daß | du hast angenommen deine große Kraft ud. | Herrschaft [Eph 3, 21:] von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.« Dieser erste Entwurf kombiniert zwei Satzteile aus der Offenbarung des Johannes mit der Schluss-Floskel aus dem Paulus-Brief an die Epheser, bezieht sich mithin vollständig auf das Neue Testament. Ihm folgt ein zweiter Entwurf, auf den durch eine nach unten gerichtete geschweifte Klammer verwiesen ist und der sich nun ausschließlich an den Epheserbrief hält: »[Eph 3, 20–21] (Dem aber der überschwänglich thun kann über | alles, das wir bitten oder verstehen, dem sei | Ehre in der Gemeinde, die in Christo Jesu | ist, zu aller Zeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!)«. Diesen Entwurf hat Mendelssohn in den Schluss-Chor der Frühfassung übernommen, allerdings mit einer signifikanten Änderung: Er hat »in der Gemeinde, die in Christo Jesu ist,« getilgt, sodass der Text der Nr. 51 nun lautet: »Dem aber der überschwänglich tun kann über alles, das wir bitten oder verstehen, dem sei Ehre zu aller Zeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!« Diese Auslassung hat unverkennbar den Grund, einen direkten Hinweis sowohl auf Christus als auch auf die christliche Gemeinde zu vermeiden und den Rahmen des Alten Testaments nicht allzu explizit zu überschreiten.


Doch auch diese Version konnte Mendelssohn nicht endgültig zufriedenstellen und er entschied sich bei der Umarbeitung zur Endfassung – parallel zu einer grundlegenden Neufassung der Musik – für den folgenden Text: »[Jes 58, 8:] Alsdann wird euer Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und eure Besserung wird schnell wachsen und die Herrlichkeit des Herrn wird euch zu sich nehmen. [Ps 8, 2:] Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da man dir dankt im Himmel. Amen!« Er erreichte damit, dass im ­gesamten Schlussteil nach der Anfangsphrase der Nr. 39 »[Mt 13, 43:] Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.« alle Texte dem Alten Testament mit deutlicher Bevorzugung des Propheten Jesaja entstammen. Und die Tendenz zu einer einheitlichen Textwahl wird in Nr. 41, 41A und 42 besonders sinnfällig, als nun sämtliche Worte – mit Ausnahme der finalen Lobpreisung – dieser Quelle entnommen sind.


Diese drei Sätze sind nun Gegenstand des Briefes, den Mendelssohn am 2. Februar 1847 an Bartholomew richtete, denn er trug sich mit dem – später wieder fallengelassenen – Plan, sie durch einen gemeinsamen Titel zusammenzufassen: »And I write over the Chorus ›But saith the Lord I have raised one‹ [Nr. 41] the German word ›Schluß  = Gesang‹ including this Chorus, the following Quartett [Nr. 41A] and the last Chorus [Nr. 42]. Could you find an English word which might be applied as well? It must not be Finale, because that reminds me of an Opera; and it must not be final Chorus because it shall mean two Choruses and a Quartett but I should like to have some word at the head of those 3 pieces, to show clearly my idea of their connection, and also 
as a kind of ›Epilogue‹ contrasted with the ›Prologue‹ or ›Introduction‹ before the Overture.«81 Bartholomew erfüllte diesen Wunsch mit der Übersetzung »Conclusion«, und diese Überschrift findet sich noch in der ersten Korrektur des englischen Klavier-Auszuges,82 wurde dort aber in beiden überlieferten ­Exemplaren83 gestrichen. Die deutsche Version »Schluß-Gesang« dagegen taucht in keiner der musikalischen Quellen auf; offenkundig hat Mendelssohn den Plan, die Beziehung des Endes zum Anfang des Werkes auch durch einen Titel in den Noten zu kennzeichnen, binnen Kurzem wieder aufgegeben.


Nicht fallen gelassen dagegen hat er – um zunächst auf der Ebene der Worte zu bleiben – eine weitere Korrespondenz zwischen Ende und Anfang, nämlich den Rückgriff auf das Durst- bzw. Wassermotiv: Der Text der Nr. 50 / 
41A »Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser, kommt her zu ihm!« bezieht sich, wie auch in der Sekundärliteratur mehrmals angemerkt, mit aller Deutlichkeit auf den inhaltlichen Kern des Rahmens um den I. Teil.


Im Bereich der musikalischen Komposition stellt das Verfahren, durch positive Beziehung des Schlusses zum Anfang einen Rahmen zu bilden, der den gesamten musikalischen Diskurs einfasst, für Mendelssohn eine seit langem geübte Praxis dar. So hatte er beispielsweise schon 1826 in der Konzert-­Ouverture zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21 MWV P 3 davon Gebrauch gemacht, wo das Werk mit der gleichen viergliedrigen Akkordfolge beginnt und schließt, und 1843, drei Jahre vor dem Elias, hatte er in der aus op. 21 entwickelten Schauspielmusik zu Ein Sommernachtstraum op. 61 MWV M 13 das die Gesamtform bündelnde Verfahren auf eine höhere Formebene gehoben, indem er ein Finale komponierte, welches der unverändert übernommenen Ouverture als variativ modifizierte Wiederholung entspricht.


Im Elias wird die Rahmenbildung zwar nicht durch die mehr oder minder unveränderte Übernahme gleicher Taktgruppen oder Sätze bewerkstelligt, wohl aber durch die Korrespondenz motivischer bzw. thematischer Einheiten. Und in beiden im Folgenden angeführten Beispielen solcher motivisch-thematischer Beziehungen trägt wiederum die Differenz zwischen Früh- und Endfassung beträchtlich zur Erhellung des Kompositionsprozesses und dessen Interpretation bei.


Das aus der Sekundverkettung dreier fallender Tritoni gebildete »Fluchmotiv« wird bereits in der Einleitung (T. 7–10) ostentativ exponiert und erscheint erneut im zweiten großen Chor (Nr. 8 / 5, zuerst in T. 15 ff.) an der musika­lischen Oberfläche, wo seine hermeneutische Konnotation durch den Text »Der Fluch ist über uns gekommen« unmissverständlich wird. In beiden Frühfassungen Nr. 14a und 14b endet damit die vollständige Verwendung dieses motivischen Gedankens. In der Endfassung dagegen deuten schon die Takte 1–13 der Nr. 10, die eine variierte Wiederaufnahme der Einleitung darstellen, darauf hin, dass Mendelssohn bei der definitiven Revision dem Motiv höhere Bedeutung beimaß als zuvor. Denn während die Frühfassungen, wie gesagt, nicht auf das Motiv zurückgreifen, hat es Mendelssohn in T. 10–12 der Nr. 10 – wenngleich in gestauchter und intervallisch geglätteter Form – wieder in seinen ursprünglichen Kontext eingefügt und damit die positive Beziehung zwischen der Einleitung und dem Anfangsabschnitt der Nr. 10 unter-
strichen.


Mendelssohns in der Endfassung erkennbare Intention, die formbildenden Beziehungen aufgrund des Fluchmotivs zu stärken, wird auch bei dessen letztem Einsatz gegen Ende des Schlusschors deutlich (Notenbeispiel 1). 


ds7_122-150_1.jpegNotenbeispiel 1: »Fluchmotiv« gegen Ende des Schlusschors in der Frühfassung bzw. Endfassung.

In jeder Hinsicht noch bedeutsamer ist der zweite Beziehungsstrang, den Mendelssohn dem Werk zum Zwecke der auf formale Geschlossenheit zielenden Rahmenbildung eingezogen hat. Denn er realisiert sich nicht aufgrund kurzer Motive, sondern in ausgedehnten thematischen Gestalten und macht solchermaßen deutlich, welch hohe Fertigkeit der motivisch-thematischen Vermittlung Mendelssohn in seinen letzten Werken erlangt hat. Darüber hinaus lässt er eine Entwicklung in drei Schritten erkennen, die mit der Genesis der betroffenen Sätze, der Ouverture und den beiden Fassungen des Schlusschors, korreliert. Gegenstand der Vermittlung sind in allen drei Fällen die Fugen-Subjekte (Nr. 51 T. 23–27, Ouverture T. 1–4, Nr. 42 T. 18–23).


Es ist selten, dass man bei Untersuchungen von motivischen Verknüpfungen – wie sie etwa anhand der Musik von Johannes Brahms häufig angestellt werden – eine so genaue Kenntnis über den chronologischen Gang der Ausarbeitung haben kann wie im vorliegenden Fall. Denn wir wissen – wie oben dargelegt –, dass Mendelssohn die Ouverture erst unmittelbar vor der Uraufführung in Birmingham nachgereicht hat, sie also mit Sicherheit später als der Schlusschor entstanden ist. Andererseits liegt auf der Hand, dass der Schlusschor der Endfassung später komponiert wurde als die Ouverture, die als ­einer der ganz wenigen Sätze innerhalb der vielstufigen Genesis des Oratoriums völlig unverändert blieb.


Die erste Ableitung (Notenbeispiel 2, 2. Zeile) lässt sich als Diminution im Sinne einer die Kerntöne umspielenden Figuration Bachscher Choralvorspiele beschreiben. Charakteristisch ist zu Beginn des nach Moll gewendeten Ouverturen-Subjekts die Vervielfachung der initialen Sekunde, danach eine auf den Hochtönen insistierende Fortspinnung in Phrasen gleichen Rhythmus’. Von Belang ist die Tatsache, dass sich mit Ausnahme der VII. Stufe (cis2) alle ­diastematischen Elemente des Modells (Notenbeispiel 2, 1. Zeile) auch in der Ableitung an analogem Ort wiederfinden.


ds7_122-150_2.jpegNotenbeispiel 2.


Die zweite Ableitung (Notenbeispiel 2, 3. Zeile) steht dem Modell wieder sehr nahe, übernimmt aber aus dem Ouverturen-Subjekt die anfängliche Verviel­fachung der initialen Sekunde. Hinzugefügt ist im vorletzten Takt das letzte Viertel a1, das ebenso wie das cis2 im vorangehenden Takt den Ausgangspunkt einer steigenden Quarte bildet und dergestalt als Sequenz motivisch begrün-
det ist.


Angesichts der großen Nähe der drei Fugensubjekte zueinander 84 fällt es leicht, ein Grundgerüst aus den Tonhöhen zu abstrahieren, die allen drei Themen gemeinsam sind (Notenbeispiel 2, 4. Zeile). Es stellt den Kern der thematischen Beziehungslinie dar, die in der Genesis vom Ende zum Anfang und dann wieder zum Ende der Komposition gezogen wurde, in der ästhetischen Existenz des Werkes aber zum Rahmen mutiert, der das Ganze zusammen-
hält.


*


Einer breiteren Öffentlichkeit gilt Elias vorab als der feurige Prophet, was insbesondere an der umgangssprachlichen Bezeichnung »Der feurige Elias« für Dampflokomotiven ablesbar sein mag. Für Bibelkundige ist seine Charakterisierung reicher und umfasst neben dem Feuer- auch das Erweckungs- und das Regenwunder sowie die Himmelfahrt. Die kirchliche Rezeption schließlich, die zwischen »kleinen« und »großen« Propheten unterscheidet, hebt auf Elias’ Sonderstellung ab, weil er neben Moses der einzige Prophet war, der Gott geschaut hat. Doch wird ihm in der Bibel noch eine weitere Funktion zugeteilt, die am wenigsten bekannt sein dürfte: seine Aufgabe, die Menschheit vor dem Jüngsten Gericht zur Besinnung, zur Umkehr und zur Buße aufzurufen. Die diesbezüglich zentrale Belegstelle in der Bibel bietet der Prophet Maleachi (Mal 3, 23–24):


»Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des HErrn. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.«


Mendelssohn hat diesen Text vollständig in Nr. 49 / 40 übernommen, und er muss – samt der beschriebenen Modifikation des Anfangs zu »Darum ward gesendet der Prophet Elias« in der Endfassung – als zentraler Ausgangspunkt einer inhaltlichen Interpretation genommen werden. Es ging dem Komponisten im Schlussteil also vorrangig um das Jüngste Gericht, und hier insbesondere um die Heilszusage an die Gerechten. Dies unterstreichen die Texte zweier Sätze, die der Früh- und Endfassung gemeinsam sind, sowie der eines Satzteils, der erst in die Endfassung eingefügt wurde:


Nr. 47 / 39: »Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Wonne und Freude werden sie ergreifen. Aber Trauern und Seufzen wird vor ihnen fliehen.«


Nr. 50 / 47A: »Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt zum Wasser, kommt her zu ihm! und neigt euer Ohr, und kommt zu ihm, so wird eure Seele leben.«


Nr. 42, 1. Teil: »Alsdann wird euer Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und eure Besserung wird schnell wachsen, und die Herrlichkeit des Herrn wird euch zu sich nehmen.«


Man mag den textlichen Inhalt der Nr. 49 / 41 »Aber einer erwacht von Mitternacht […]« entweder auf die Ankunft des Messias, was häufiger geschieht, oder auf die Wiederkunft des Elias beziehen, was durch die motivische Korrespondenz zum Anfang der Nr. 49 / 40 begründet werden kann. Doch wird diese »personenbezogene«, futurische Eschatologie durch die dominierende Thematisierung des Jüngsten Gerichts als allgegenwärtige, »ereignisbezogene« Eschatologie in den Hintergrund gedrängt. Und während die Ankunft des Messias als Teil der Geschichte der menschlichen Zeit zugehört, so vollzieht sich die omnipräsente Erwartung des Jüngsten Gerichts in der Ewigkeit als »göttlicher Zeit«. Insofern korreliert auch die Kernaussage des Librettos mit der formalen Einrichtung des musikalischen Diskurses, der gleichsam zeitenthoben jegliche teleologische Tendenz zu meiden sucht.


  1. 1Felix Mendelssohn-Bartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann in London, hg. und eingeleitet von Karl Klingemann [jun.], Essen 1909 [im Folgenden: Briefwechsel mit Klingemann], S. 213–215, hier S. 214.

  2. 2Ebd.

  3. 3Siehe Klingemanns Brief vom 10. März 1837: »Denn dass der [Elias] es sein muss, leidet bei mir keinen Zweifel.«; ebd., hier S. 213.

  4. 4Mendelssohn hatte seine Hochzeitsreise unterbrochen, um erstmalig bei dem ­Birmingham Musical Festival mitzuwirken.

  5. 5Sie fanden am 30. und 31. August 1837 vormittags in der Wohnung Klingemanns statt, wo Mendelssohn zu Gast war; siehe dazu Felix und Cécile Mendelssohn Bartholdy,Das Tagebuch der Hochzeitsreise nebst Briefen an die Familie, hg. von Peter Ward Jones, Zürich/Mainz 1997, S. 110 f.

  6. 6Bodleian Library, University of Oxford,MS. M. Deneke Mendelssohn [im Folgenden: BLO MDM] c. 27, fols. 42–44.

  7. 7Ebd., fols. 33–41.

  8. 85 Der Briefwechsel zwischen beiden, in den auch Schubrings Libretto-Entwürfe integriert sind, wurde von dessen Sohn, dem Altphilologen Julius Schubring (1839–1914) veröffentlicht:Briefwechsel zwischen Felix Mendelssohn Bartholdy und Julius Schubring, zugleich ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des Oratoriums, hg. von Prof. Dr. Julius Schubring, Direktor des Katharineums zu Lübeck, Leipzig 1892; Reprint Walluf 1973 [im Folgenden: Briefwechsel mit Schubring]. Mit der auch damals unüblichen Erwähnung seiner beruflichen Position gibt Schubring jun., der schon im Untertitel allzu hoch greift, den ungewollten Hinweis auf seine literarische Verewigung: Thomas Mann, der zur Zeit von Schubrings Rektorat Schüler am Katharineum war, hat ihn im zweiten Kapitel des elften Teils seiner Buddenbrooks als »Direktor Doktor Wulicke« eindrucksvoll be-
schrieben.

  9. 96 Bei früheren Vorhaben dieser Art erfüllte Adolf Bernhard Marx (1795–1866) eine ähnliche Funktion; siehe Martin Albrecht-Hohmaier,Mendelssohns Paulus. Philologisch-analytische Studien (Musikwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, Bd. 2), Berlin 2004.

  10. 10BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-92, fol. 1; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 124–128.

  11. 11BLOMDM (Fn. 6) d. 35, Green Books IX-051; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 149–151, hier S. 149.

  12. 12Brief von Schubring an Mendelssohn vom 17.  Januar 1840; BLOMDM (Fn. 6) d. 37, Green Books XI-09; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 151–155, hier S. 151. Der Brief Mendelssohns, den Schubring hier beantwortet, ist nicht überliefert.

  13. 13BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-091a, fols. 1–5.

  14. 14Washington, D.C., The Library of Congress, Music Division, Gertrude Clarke Whittall Foundation Collection / Mendelssohn Collection [im Folgenden: LoC]; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 219–222, hier S. 219.

  15. 15Genannt seien hier nur die trotz aller Probleme der Quellensichtung wertvollsten Beiträge: Arno Forchert, »Textanlage und Darstellungsprinzipien in Mendelssohns Elias«, inDas Problem Mendelssohn, hg. von Carl Dahlhaus (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 41), Regensburg 1974, S. 61–77; Arntrud Kurzhals-Reuter, Die Oratorien Felix Mendelssohn Bartholdys. Untersuchungen zur Quellenlage, Entstehung, Gestaltung und Überlieferung (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, hg. von Hellmut Federhofer, Bd. 12), Tutzing 1978; Friedhelm Krummacher, »Art – History – Religion: On Mendelssohn‘s Oratorios St. Paul and Elijah«, in Douglass Seaton (Hg.), The Mendelssohn Companion, Connecticut/London 2001, S. 299–382; Erich Reimer, Vom Bibeltext zur Oratorienszene. Textbearbeitung und Textvertonung in Felix Mendelssohn Bartholdys »Paulus« und »Elias«, Köln 2002; Andreas Eichhorn, Felix Mendelssohn. Elias, Kassel etc. 2005.

  16. 16Briefe von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Ignaz und Charlotte Moscheles, hg. von Felix Moscheles, Leipzig 1888.

  17. 17Fn. 8.

  18. 18Fn. 1.

  19. 19Die Schreiben von Moscheles und Schubring sind seit 1973 mit nur wenigen Lücken in den Green Books der Bodleian Library, University of Oxford, die von Mendelssohn an Moscheles in der Brotherton Collection der Leeds University Library zugänglich. Lediglich von den Briefen des Komponisten an Schubring fehlt mit nur ganz wenigen Ausnahmen jede Spur und man ist auf den gedruckten Text angewiesen.

  20. 20Der Bestand von ca. 170 Briefen von Mendelssohn an Klingemann, der über 500 autographe Seiten umfasst, blieb bis 1962 im Familienbesitz und wurde dann zusammen mit einem umfänglichen Konvolut der Gegenbriefe von Familienangehörigen Mendelssohns auf einer Auktion angeboten (J. A. Stargardt, Marburg, Katalog 560Autographen aus verschiedenem Besitz [28. November 1962], Nr. 1157). Der Gesamtbestand wurde von einem französischen Händler erworben, der in den darauffolgenden Jahren die Briefe einzeln oder in kleineren Konvoluten anbot. Die Folge nach fast fünfzig Jahren ist nun eine komplette Zersplitterung dieses bedeutenden Briefbestandes mit allen daraus erwachsenden Schwierigkeiten.

  21. 21Das Verhältnis zwischen den beiden Komponisten war 1846 besonders eng, weil Moscheles sich nach intensiven Werbungen Mendelssohns entschlossen hatte, die Klavierklasse am Leipziger Konservatorium zu übernehmen, und nun seinen Umzug aus London in die sächsische Messestadt vorbereitete, wo er seinen Dienst im Oktober des Jahres antrat.

  22. 22Reprint New York 1976.

  23. 23Mit Bartholomew stand Mendelssohn schon seit 1841 wegen Textübertragungen anderer Kompositionen in die englische Sprache in Kontakt und hatte zu ihm ein Verhältnis entwickelt, das von wechselseitigem Respekt geprägt war.

  24. 24Diese Aufführung wäre ohne den eminenten Arbeitseinsatz von Bartholomew kaum zustandegekommen. Er sorgte nicht nur für die englische Übersetzung, sondern ­kopierte darüber hinaus das Aufführungsmaterial für die Vokalsolisten und stellte die Vorlagen sowohl für den Druck der Chorstimmen als auch den des Programmhefts bereit.

  25. 25Die Briefe von Bartholomew finden sich wiederum in den Green Books in Oxford (Fn. 6), diejenigen von Mendelssohn überwiegend in The British Library, London.

  26. 26Die Frühfassungen werden noch im Jahr 2011 im Rahmen derLeipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy (Serie VI, Bd. 11A) erscheinen, was dazu helfen mag, den genannten Missstand zu beheben.

  27. 27Aus pragmatischen Gründen wird im Folgenden nur noch der Singular »Frühfassung« verwendet, auch wenn von mehreren Sätzen, insbesondere von Rezitativen, mehrere Versionen vorliegen.

  28. 28Christie, Manson & Woods Ltd, KatalogIlluminated Manuscripts and Single Miniatures, Continental and English Literature, Autograph Letters and Manuscripts, Musical Manuscripts, The Gottschalk Collection of Heinrich Heine and his circle (16. December 1991), lot 335.

  29. 29SignaturMs. 1721.

  30. 30Joseph Bennett, »›Elijah‹. A comparison of the original and revised scores«, inThe Musical Times 23 (1882), S. 525–528, 588–591, 653–656; 24 (1883), S. 6–10, 67–72, 123–125, 182–185.

  31. 31Aus der Tatsache, dass sich die Nummerierung für die Frühfassungs-Sätze des Oratoriums in den Quellen als durchweg inkonsistent erweist, ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Zählung, welche durch Kursivierung von derjenigen der Endfassung abgehoben wird.

  32. 32Siehe dazu ausführlich Armin Koch,Choräle und Choralhaftes im Werk von Felix Mendelssohn Bartholdy, Göttingen 2003, S. 104–107.

  33. 33Vgl. Bachs Kantate BWV 24, 6. Satz, und dessen vierstimmigen Choral 
BWV 399.

  34. 34Mendelssohn bediente sich in seinen Briefen an englische Adressaten bis auf ganz wenige Ausnahmen der englischen Sprache.

  35. 35The British Library, London,Add. Ms. 47859A, Meyerstein Bequest XVII, fols. 4–5.

  36. 36Dies war auch der Grund, warum er die wiederholten Vorschläge Schubrings, protestantische Choräle in denElias aufzunehmen, in den Wind schlug.

  37. 37Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 109–111, hier S. 109 f.

  38. 38Briefwechsel mit Klingemann(Fn. 1), S. 213–215, hier S. 214.

  39. 39Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 109–111, hier S. 109 f.

  40. 40»Maximen und Reflexionen«, inJohann Wolfgang von Goethe Werke, Hamburger Ausgabe Bd. 12, S. 365–547, hier S. 470 und 471.

  41. 41Dieser Aspekt kann hier allerdings nicht näher ausgeführt werden, das auch deshalb, weil seine ohnehin gegebene inhaltliche Komplexität dadurch gesteigert wird, dass Schubring sich auf die Frühfassung der Ballade von 1832, Mendelssohn dagegen auf deren Endfassung von 1842 bezieht, beide also eigentlich von unterschiedlichen Stücken sprechen.

  42. 42BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-92, fol. 3; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 137–140, hier S. 139.

  43. 43Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 204–206, hier S. 205.

  44. 44Johann Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher, Gespräche, Die letzten Jahre. Briefe, Tagebücher und Gespräche von 1823 bis zu Goethes Tod, hg. von Karl Eibl u. a., Frankfurt a. M. 1993, S. 462.

  45. 45Ohne Beteiligung Schubrings hat dieses Projekt Mendelssohn allerdings von 1839 bis 1847 beschäftigt.

  46. 46Es handelte sich um ein Libretto, das Schubring für Friedrich Schneider verfasst und Mendelssohn zur Begutachtung vorgelegt hatte; vgl. dazu Linda Maria Koldau, »Fragmente einer gescheiterten Zusammenarbeit: Julius Schubrings LibrettoBonifacius zur Vertonung von Friedrich Schneider«, in Friedrich-Schneider-Ehrung der Stadt Dessau (Zwischen Wörlitz und Mosigkau. Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt Dessau und Umgebung, Heft 57), Dessau 2004, S. 140–178.

  47. 47Zu den Oratorien-Libretti, mit denen Mendelssohn nach demPaulus beschäftigt oder konfrontiert war, vgl. ausführlich die Einleitung zu Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Serie VI, Bd. 11A.

  48. 48Das tritt insbesondere in der sehr kritischen Besprechung desElias durch Otto Jahn von 1848 zu Tage, der aus einer konservativ klassizistischen Position heraus kein Verständnis für Mendelssohns innovativen Ansatz aufbringen konnte; »Über Felix Mendelssohn Bartholdy’s Oratorium Elias«, in Otto Jahn, Gesammelte Aufsätze über Musik, Leipzig 1866, S. 40–63; zuvor in Allgemeine musikalische Zeitung 50 (1848), S. 113–122, 137–143. Der Text von Jahn wird noch heute – wohl in Ermangelung seriöser Interpretationsversuche jüngeren Datums – als verbindliche Referenz herangezogen.

  49. 49Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 134–136, hier S. 135 f.

  50. 50Fn. 46.

  51. 51Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 146–149, hier S. 147.

  52. 52BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-92, fols. 1; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 124–128, hier S. 125. Schubrings Deutsch weist in Rechtschreibung und Grammatik einige Merkwürdigkeiten auf; so schrieb er beispielsweise »wohl« und die damit gebildeten Komposita regelmäßig ohne h, und das mehrstimmige Vokalkollektiv galt ihm als Neutrum: »das Chor«.

  53. 53Ebd., fols. 4r–5r; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 129–134, hier S. 133.

  54. 54Ebd., fol. 3; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 137–140, hier S. 139.

  55. 55Auf die szenische Anlage hat bereits 1848 Otto Jahn (Fn. 48) hingewiesen; siehe auch Andreas Eichhorn (Fn. 15), S. 39, der die Szenen sogar fünf Akten zuordnet.

  56. 56Siehe etwa Haydns OratorienDie vier Jahreszeiten und Die Schöpfung.

  57. 57BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-92, fols. 4r–5r; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 129–134, hier S. 129.

  58. 58BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-91, fols. 1–5; die Annotationen Schubrings gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 208–216, hier S. 209.

  59. 59BLOMDM (Fn. 6) d. 49, Green Books XXIII-324.

  60. 60The British Library, London,Add. Ms. 38091, fols. 45–46.

  61. 61BLOMDM (Fn. 6) d. 49, Green Books XXIII-341.

  62. 62The British Library, London,Add. Ms. 47859A, Meyerstein Bequest XVII, fol. 1.

  63. 63Der Terminus wird hier von Wilhelm Scherer übernommen, der ihn am Rätsel exemplifiziert: »Das Räthsel: halb dialogisch, weil es Einen, der es aufgiebt und Einen, der es löst, voraussetzt.«; Wilhelm Scherer,Poetik, Berlin 1888, S. 251. Das Rätsel für sich repräsentiert somit nur die eine Hälfte des Dialogs, weil es offen bleibt, ob jemand die Lösung angeht oder nicht.

  64. 64BLOMDM (Fn. 6) d. 53, Green Books XXVII-92, fols. 4r–5r.

  65. 65LoC; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 219–222, hier S. 221 f.

  66. 66An einigen Stellen findet sich in gleicher Bedeutung »erzählend«, ganz selten dagegen »episch«.

  67. 67Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, dtv-Ausgabe Bd. 10, München 1984, Sp. 1580. Das Zitat stammt aus dem Ersten Buch des Romans und beschließt dort den Brief vom 17. Mai; siehe Johann Wolfgang von Goethe Werke, Hamburger Ausgabe Bd. 6, München 2000, S. 13.

  68. 68Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 109–111, hier S. 110. Mendelssohn verwendet hier »historisch« in zweifacher Bedeutung: »alle historischen Punkte« zielt auf die geschichtlichen, genauer: die in der Bibel genannten Ereignisse, ansonsten steht das Wort für die epische Darstellungsform.

  69. 69Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 134–136, hier S. 135.

  70. 70Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz,55 Ep 1340; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 160–162, hier S. 160.

  71. 71LoC; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 219–222, hier S. 220.

  72. 72Fn. 63.

  73. 73Allerdings wird auf der gleichsam subkutanen Ebene der Andeutungen, die im Text desElias eine beträchtliche Rolle spielen, der Kernpunkt der Episode angesprochen, wenn Elias Ahab vorhält: »du hast totgeschlagen und fremdes Gut genommen!« (Nr. 32, T. 15–17 / Nr. 23, T. 16–17).

  74. 74Siehe nochmals seinen Brief vom 14. Juli 1837: »Ich meine also, es müßte symbolisch sein, […] aber alles das nicht historisch, sondern prophetisch – wenn ich mich so ausdrücken darf – im größeren Zusammenhang.«; Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 109–111, hier S. 110.

  75. 75Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit ­Mendelssohn-Archiv,Mus.ms.autogr. F. Mendelssohn Bartholdy 22, S. 85–93.

  76. 76Rainer Albertz,Elia. Ein feuriger Kämpfer für Gott, Leipzig 2006, S. 173.

  77. 77The British Library, London,Add. Ms. 47859A, Meyerstein Bequest XVII, fol. 1.

  78. 78Matthäus 20, 29–34; Markus 10, 46–52; Lukas 18, 35–43; Johannes 9, 1–7.

  79. 79Brief von 17. November 1838; BLOMDM (Fn. 6) d. 34, Green Books VIII-124; ­gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 140–142, hier S. 141.

  80. 80Brief von 15. Juni 1846; BLOMDM (Fn. 6) d. 49, Green Books XXIII-320; gedruckt in Briefwechsel mit Schubring (Fn. 8), S. 222–225, hier S. 222.

  81. 81The British Library,Add. Ms. 47859A, Meyerstein Bequest XVII, fols. 6–7.

  82. 82Dort allerdings entgegen Mendelssohns Anweisung bereits über Nr. 40.

  83. 83University of Chicago, Joseph Regenstein Library, Preservation Department,M2003.M5E4 18--b, Rare bk room sowie The Morgan Library & Museum (vormals: The Pierpont Morgan Library), New York, PMC 93.

  84. 84Darauf hat bereits Friedhelm Krummacher (Fn. 15, S. 333 f.) hingewiesen, und auch er konstatiert ein gemeinsames diastematisches Gerüst der Themen; da er indes nur die Fugensubjekte der Ouverture und des definitiven Schlusschors im Auge hat, unterscheidet sich dieses geringfügig von dem hier präsentierten.
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Heft 7 (2011)
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