Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Im Spannungsfeld von religiösem Eifer und 
methodischem Betrieb



Zur Innovationskraft der mittelalterlichen Klöster


Wenn man vom klösterlichen Leben im Mittelalter hört, wird man heute zwar nicht mehr reflexartig an ein fremdartiges Element einer finsteren Epoche denken, sondern sich eher daran erinnern, dass herausragende Persönlichkeiten der europäischen Kulturgeschichte durch diese Lebensform geprägt waren – zum Beispiel ein Benedikt von Nursia, ein Bernhard von Clairvaux, ein Thomas von Aquin, ein Bonaventura, ein Savonarola – und auch ein Martin Luther noch. Klösterliches Leben wird auch an Wunderwerke der Architektur denken lassen wie etwa an das Kloster Mont-Saint-Michel am Atlantik, die Kartause von Pavia, die Abtei Cluny oder die Westminster Abbey, die wie andere mehr nur Glanzpunkte darstellen unter tausenden von christlichen Klöstern mit zehntausenden Mönchen und Nonnen von Skandinavien bis Sizilien, von Portugal bis Polen und von Palästina bis in den Kaukasus und bis nach China. Man wird dann wohl auch den Sachverhalt beachten, dass die mittelalterlichen Klöster protagonistisch an den Fortschritten der Heilkunde, des Landesausbaus, der Architektur, der Wissenschaft, des Schriftwesens und der Technik beteiligt waren, dass sich zum Beispiel die besten Ärzte im 11. Jahrhundert bei den Benediktinern von Montecassino fanden, dass schon im 12. Jahrhundert cisterziensische Klöster als Erste in Europa protoindustrielle Manufakturen besaßen, vielleicht sogar dass der Franziskaner Roger Bacon im 13. Jahrhundert, also lange vor Leonardo da Vinci, die erste Flugmaschine entwarf.


Wenn einem aber auch gesagt wird, dass mittelalterliche Klöster regelrechte Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungs­modelle1 gewesen seien, so wird man von der Richtigkeit dieser Behauptung sicherlich nicht allein durch die Erinnerung an die eben genannten Phänomene überzeugt werden. Diese übersteigen nicht die Aussagekraft zum Beispiel von all jenen hübschen Bildbänden zur mittelalterlichen Welt der Klöster, die allenfalls gefällige Aufmerksamkeit für eine der Wunderkammern unserer Kultur erzeugen.


Man wird schon tiefer zu den Grundlagen des klösterlichen Lebens vordringen müssen, um die behauptete innovative Kraft mittelalterlicher reli-
giö­ser Gemeinschaften einer kritischen Betrachtung unterziehen zu können; dabei wird der Schwerpunkt auf der Zeitspanne vom 11. bis zum 13. Jahrhundert liegen – jener Epoche, die in so vieler Hinsicht eine religiöse Neuorientierung der mittelalterlichen Gesellschaft erbrachte. In den Klöstern wird man vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Annahmen über Gott und Mensch, über Individualität und Gemeinschaft, über Glaube und Vernunft auf eine Welt von beharrlicher Ordnungsstiftung und kühner Lebensgestaltung ebenso stoßen wie auf eine Welt des Ringens um Wahrheit, um Verstehen des Irdischen und Göttlichen – schlicht der Suche nach Bewältigung des Daseins um des Jenseits willen. Es müssen die Motive, die Obsessionen und Sehnsüchte des im Kloster handelnden Menschen verstanden werden, denn gerade aus ihnen entwickelten sich jene angesprochenen innovativen Leistungen, die dann sogar übertragbar waren auf die säkulare Welt, d. h. die nicht klösterlich regulierte.


Ein genuines Kennzeichen des Mittelalters allgemein dürfte gewesen sein, die Immanenz weltlichen Daseins strikt aus dem Begreifen göttlicher Transzendenz zu bestimmen – auf einen Gott, der herrschend über die Welt verfügte und selbst als unverfügbar erschien. Religiosität war im Mittelalter also kein Phänomen, das sich innerhalb eines pluralistischen Angebots durch Ausschluss von anderen identitätsstiftenden Merkmalen gewinnen ließ. Der christliche Glaube war die Grundlage der Kultur, er war in allen Bereichen des Lebens – im Alltag, in der Politik, im Recht, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der 
Kunst – als Maßstab und Letztbegründung präsent.2 Wenn es auch nicht möglich war, in die occulta cordis – in die Geheimnisse des Herzens – zu blicken,3 zumindest der öffentlich wahrnehmbaren Anerkennung der Gottesherrschaft über die Welt konnte sich im Mittelalter schwerlich jemand entziehen. 


Mönchen oder Nonnen wurde indes mehr abverlangt, als nur den Geboten Gottes zu folgen. Sie hatten im Verlangen nach Heiligung ihrer Seele den Abschied von der äußeren Welt in Kauf genommen und sich unter Verzicht auf eigene Willkürlichkeit gehorsam den rigiden Regeln eines gemeinschaftlichen Lebens im Kloster unterworfen. Sinn ergab dies nur, weil dort – entfernt von irdischer Unbeständigkeit und eingebettet in den Gleichklang einer strikt organisierten Ordnung – besser als irgendwo anders das Entscheidende gewährleistet zu sein schien: nämlich Gottes Transzendenz nicht nur zu begreifen, sondern diese sich der Seele immanent zu machen, indem man Gott mit wechselseitiger Liebe eine Wohnstätte in der eigenen Seele zu geben suchte,4 gewissermaßen ein »Seelenkloster«5 aufzubauen trachtete. Diese mit religiösem Eifer – in letzter Konsequenz sogar mit ekstatischer Leidenschaft6 – zu erstrebende seelische Vereinigung mit Gott war der Kern klösterlicher Religiosität. Aus ihr lässt sich alles Weitere erklären.


Möglich werden konnte sie nur im abgegrenzten Raum einer klösterlichen Welt, die sich der säkularen Welt mit einer klaren Differenz von Innen und Außen enthob.7 »Es entfliehen nämlich der innere und der äußerliche Mensch (gemeint ist die seelische und die körperliche Dimension des Menschen), wenn sie sich innerhalb des Bollwerks der Klostermauern befinden, den Anschlägen des alten Feindes und den unbeständigen Wechselfällen der zeitlichen Angelegenheiten«, formulierte der Regularkanoniker Hugo von Folieto.8 Doch es kam nicht allein auf die Architektur einer dinglichen Trennmauer an – auch wenn diese zudem hoch symbolisch war –, entscheidender noch blieb die innere Haltung, welche eine Lebensführung hervorzubringen vermochte, die die säkulare Welt zu exkludieren erlaubte.9 »Eintretend in ein Kloster gibt er Haut für Haut und alles, was er hat, seiner Seele, während er ablegt den alten Menschen und annimmt den neuen – hineinschreitend in eine neue Form des Lebens.« Mit diesen Worten hatte im 12. Jahrhundert auch Petrus, Abt von Moûtier-la-Celle, deutlich die spirituelle Grenze zwischen Welt und Kloster gezogen.10 Sie individuell zu überschreiten, verlangte eine irreversible und »gänzliche Konversion des Herzen zu Gott (conversio totalis ad Deumcordis)«.11Wenn an die Bereitschaft zur Duldsamkeit, zum Fasten und Fleischverzicht, zum Schweigen, das in der Gemeinschaft kommunikativ wurde nur durch eine stille Zeichensprache, sowie an die Bereitschaft zur Kontemplation und zu Nachtwachen appelliert wurde, wenn Stolz und Hochmut (superbia) als höchste Laster, Demut (humilitas) hingegen als diejenige Haltung, die zu vollendeter Tugend führe, bezeichnet wurden, dann waren Grundforderungen jenes neuen Lebensraums und neuen Lebensverhaltens umrissen, die eben nur durch diese Konversion erreicht werden konnten.12

Religiöse Gemeinschaften beanspruchten, Enthobenheit von der irdischen Wechselhaftigkeit gewährleisten zu können, indem sie dies auch symbolisch zum Ausdruck brachten:13 Wenn Frauen und Männer des Mittelalters sich im Kloster einem Tagesrhythmus des immer Gleichen unterwarfen und in steter Wiederholung tägliche Folgen von Gottesdiensten und Gebeten, von Schlafen und Wachen, von Arbeit und Speisung praktizierten, so lebten sie in einer gemeinsamen Zirkelzeit, die den weltlichen Zeitstrahl brach und ihn aufhob, so dass damit bereits die zeitlose Ewigkeit zeichenhaft vergegenwärtigt werden konnte. Wenn in der Liturgie, im Chorgebet, im Psalmodieren, bei Ritualen wie der benediktinischen Fußwaschung der Armen, aber auch während der Alltäglichkeit der Arbeit durch Hören und Rezitieren religiöser Texte das­jenige, was als ewige Wahrheit göttlicher Offenbarung galt, permanent sensitiv gegenwärtig wurde, oder wenn das regelmäßig stattfindende Schuldkapitel, bei dem man seine äußerlich sichtbaren Fehltritte vor der Gemeinschaft bekannte, als Abbild des Jüngsten Gerichtes verstanden wurde, dann versinnbildlichte sich die Intention des klösterlichen Lebens, einen Einklang der irdischen Existenz mit der himmlischen Ordnung herbeizuführen, in tatsächlich gelebten und damit institutionell gefestigten Praktiken.14

Diese Religiosität zu leben, barg jedoch zwei besondere Spannungsfelder: zum einen die Spannung der Konkurrenz zwischen den Anforderungen der klösterlichen Gemeinschaft und den Bedürfnissen jedes Einzelnen im Kloster, welcher sich trotz (oder gerade wegen) der Sorge um sein individuelles Seelenheil den Regeln der Gemeinschaft stringent unterwerfen musste; zum anderen die Grundspannung zwischen der Transzendenz göttlicher Vollkommenheit einerseits und andererseits dem noch irdischen, in körperlicher Materialität eingebundenen und damit als defizient verstandenen Status von Einzelnem und Gemeinschaft, der erst noch zu vervollkommnen war. Diese beiden Spannungsfelder markierten die normativen Eckpfeiler des religiösen Lebens im Kloster – Individuum und Gemeinschaft, Diesseits und Jenseits – und forderten, weil sie nicht auflösbar waren, zugleich heraus, in einer ausgeglichenen Balance gehalten zu werden. Klosterleben in bestmöglicher Perfektion ›funktionierte‹ nur, wenn es gelang, diese Herausforderung pragmatisch zu bewältigen. Da die Erhaltung der Balance in erster Linie Bewältigung kontingenter Störungen15 bedeutete, wurden dabei gewöhnlich Leistungen erzielt, die Flexibilität erbrachten und nicht zuletzt deshalb auch in hohem Maße von innovativer Qualität waren. – Ich möchte versuchen, dies zu erläutern:


Klosterleben bedeutete ein Leben im Übergang, welcher eine klösterliche Gemeinschaft als jeweils temporäre Durchgangsstation des Einzelnen zwischen Erde und Himmel verankerte. Demgemäß spricht schon die Regel Benedikts von einer »Schule des Herrn« bzw. von einer »Werkstätte«, in der die Unvollkommenen erst geformt werden.16 Der Wert einer klösterlichen Gemeinschaft lag also nicht in ihr selbst, vielmehr stellte diese nur – wie es hieß17 – die »Werkzeuge« bereit, mit denen der Einzelne sich über das Irdische erheben und sein Leben gänzlich auf die vollkommene Vereinigung seiner Seele mit Gott ausrichten konnte. Diese Werkzeuge waren sowohl individuelle als auch soziale Tugenden. Man erlangte sie in der Obhut der Gemeinschaft. Die Werkzeuge zu benutzen, erforderte also, sich um der Vervollkommnung des individuellen Seelenheils willen dieser Gemeinschaft unterzuordnen.


Zwar ist hier deutlich zu erkennen, wie die Pole der beiden Spannungsfelder ineinander verschränkt sind. Um aber die inhärente Spannung zu erschließen, muss man nun kurz versuchen, diese Pole getrennt voneinander zu betrachten.


Zunächst zur Gemeinschaft: Klösterliche Regeln formten Gesinnungs- und Zweckgemeinschaften, die von ihren Mitgliedern gemäß einem Bibel-Wort verlangten, »ein Herz und eine Seele zu sein«.18 Als signifikante soziale Tugend galt dabei die Gerechtigkeit, die »jedem das seine« gab und die die Schwächen des Einzelnen ebenso berücksichtigte wie seine Stärken.19Discretio – die Fähigkeit zur Unterscheidung – war hierbei der Schlüsselbegriff, der es möglich machte, eine klösterliche Gemeinschaft metaphorisch als die Harfe David zu verstehen, die eine wohlklingende Harmonie nur hervorbrachte, wenn alle Saiten in unterschiedlicher Weise zusammenwirkten. Konkret hieß dies, dass man eine strikte Aufgabenverteilung vornahm, deren Maßstab der des Kompetenzpotentials war. Und es bedeutete auch, dass man die Leitung der Gemeinschaft so entwarf, dass ihr absolute Autorität inhärent war. Dabei zeigte sich zugleich die Flexibilität der klösterlichen Gemeinschaftsform: Galt bei den Benediktinern der Leiter des Klosters – der Abt – noch als Stellvertreter Christi,20 also durch Transzendenzbezug legitimiert, so gab es bei den späteren Verbänden aus funktionaler Rationalität hingegen nur Leiter, deren Amt ausschließlich aufgrund des Mehrheitsbeschlusses der Mitglieder Legalität bezog.21 – Klöster des Mittelalters verstanden es, Gemeinschaften zu konzipieren, die im Höchstmaß effizient waren, weil sie einerseits strikten Gehorsam22 verlangen konnten und auf dieser Grundlage gleichsam eine gemeinsame, wohl geordnete »Schlachtenreihe« – eine acies, wie vor allem der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux hervorhob23 – gegen das Böse zu formen vermochten, andererseits bei höchster Anforderung an den Einzelnen diesen aber zugleich auch dort zur Geltung kommen ließen, wo er seine Stärken am besten verwirklichen 
konnte.


Hier liegt der Berührungspunkt zum anderen Pol – dem Individuum: Klöster ermöglichten zugleich eine Gemeinschaftsform, die die Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen zuließ und es ihm ermöglichte, seine Vervollkommnung in der eigenen Seele voranzutreiben. Das signifikanteste Beispiel hierfür war der im Kloster praktizierte Umgang mit dem Gewissen, der conscientia, verstanden als cordis scientia, als Wissen des Herzens.24 Die Klosterleute ­lernten (namentlich seit den religiösen Verinnerlichungsbestrebungen des 11./12. Jahrhunderts25), ihr Gewissen als unausweichlichen Begleiter anzunehmen, im Gewissen sich selbst zu begegnen als Individuum vor den Geboten ihres religiösen Lebens und als Partner nur noch Gott zu haben, der in die Herzen blicke. Könne man nach außen hin sein Verhalten verschleiern, vor sich selbst vermöge man dies nicht, hieß es.26 Mit Schlagworten wie »Wage, Dich zu erkennen« oder »Folgst Du Deinem Gewissen, dann bindet Dich Dein ­eigenes Gesetz«27 wurde ein Verhalten trainiert, sich auf sein eigenes Urteil und nicht auf das eines Anderen zu verlassen, denn ein Umgang mit dem Gewissen bewirke, dass niemand einen besser kenne als man selbst. Nur wenn man eine durch die Gewissensergründung gereinigte Seele besäße, könne man diese ausbauen zu einer Wohnstätte des Herrn. Als höchstes asketisches Perfektionierungsziel war den Klosterleuten vorgegeben, die Sinne von den Eindrücken der äußeren Welt gänzlich abzuwenden und sie nur auf die Seele als ein inneres Kloster zu richten. In sie hinein sollte der einzelne Mönch und die einzelne Nonne – wörtlich formuliert – »sehen« und »hören«, denn nur dort, so hieß es, fände und erkenne er bzw. sie Gott tatsächlich.28 Damit war ein persönlicher Weg der Hinwendung des Einzelnen zu Gott angesprochen und somit auch ein Terrain des Charismas markiert, das von den gemeinschaftsbezogenen Normen unberührt blieb. Sich Gottes Transzendenz – wie oben schon angemerkt – 
der Seele immanent zu machen, bedeutete final, mit Gott unmittelbar zu kommunizieren. Der Gemeinschaft bedurfte der Einzelne ›nur‹ noch als schützender und bestärkender Schale und doch war sie es, die ihm zu einer charismatischen Würde als eigenverantwortliches Individuum vor Gott zu verhelfen vermochte.


Zwei ›Routen‹ klösterlicher Lebensführung also waren vor dem Hintergrund der Dichotomie von Unvollkommenheit und Vollkommenheit angeboten: der Weg der organisierten Gemeinschaft und der Weg der seelischen Individualität. Ersterer diente der Stabilität des äußeren Raumes »Kloster«, um Vervollkommnungspraktiken der Mitglieder zu ermöglichen, der zweite diente der seelischen Progression der vollkommenheitssuchenden Individuen, ohne die eine klösterliche Gemeinschaft ihren Sinn verloren hätte. Obwohl sie sich auf dem ersten Blick zu widersprechen schienen, kam keiner der beiden Wege ohne den anderen aus, so dass tatsächlich – wie bereits kurz skizziert – eine fortwährende Balance zwischen ihnen hergestellt werden musste.


Wir müssen nun nach dem Instrumentarium der Herstellung und Sicherung dieser Balance fragen und dabei auf die eingangs aufgestellte These ­zurückkommen, dass exakt hier die Wiege der innovativen Leistungen zu ­suchen sei.


Schon Max Weber fiel die Paradoxie zwischen dem »charismatischen anti­rationalen und speziell antiökonomischen« Habitus des Heil suchenden klösterlichen Asketen einerseits und den »rationalen Leistungen des Mönchtums« andererseits auf. Seine Erklärung lautete: »Allein die Dinge liegen hier ähnlich wie bei der ›Veralltäglichung‹ des Charismas überhaupt: sobald sich die ekstatische oder kontemplative Vereinigung mit Gott aus einem, durch charismatische Begabung und Gnade erreichbaren Zustand Vereinzelter zu einem Gegenstand des Strebens Vieler und, vor allem, zu einem durch angebbare asketische Mittel erreichbaren, also erwerbbaren Gnadenstande entwickelt, wird die Askese Gegenstand methodischen Betriebs.«29 Mit »rationalen Leistungen« und »methodischem Betrieb« sind die richtigen Stichworte geliefert worden.30 Pragmatisch kann dann von methodischer Rationalität gesprochen werden, wenn eine reflektierte und objektivierende Behandlung des eigenen Tuns oder des Tuns von Anderen vorliegt und wenn soziales Handeln nach planvollen Entwürfen geschieht, welche zugleich die Handlungsbedingungen, -modi und -zwecke differenziert zu fassen verstehen. Klöster des Mittelalters haben genau eine solche methodisch umgesetzte Rationalität ganz pragmatisch entwickelt, um den Sinn ihres außerweltlichen Lebensstiles in notwendigerweise institu­tioneller Form aufrecht zu erhalten.


Den Klöstern kam dabei zugute, dass sie von Anfang an das dazu notwendige Grundwerkzeug in überragender Weise zu nutzen wussten: die Schrift. Schrift als Fundament einer höheren Kultur31 musste nach dem Zusammenbruch der antiken Welt weitgehend erst wieder erlernt werden, so dass eine 
alle zivilisatorischen Bereiche ergreifende Revolution des Schreibens erst im ­
12. Jahrhundert einsetzte.32 Klöster indes waren von der Antike her schon insofern grundlegend durch Schriftlichkeit geprägt, als ihre speziellen Basisnormen schriftlich – nämlich in Regeltexten – gefasst waren.33 Vor allem Klöster ­verstanden es über Jahrhunderte hinweg – und damit auch im entscheidenden 12. Jahrhundert – besser als sonstige (auch kirchliche) Institutionen, Schrift systematisch als Speichersystem zu nutzen, das sich vom Körper einer sprechenden Person wie auch von unmittelbaren Sprechsituationen ablöst, gewisser­maßen transpersonal wird und deshalb zur überbrückenden Kommunikation in sich verändernden Zeiten und Räumen verwendet werden kann. – Neben einer breiten literarischen Produktion34 setzten die Klöster dieses Instrument, das die pragmatische Voraussetzung für die rationale Lebensgestaltung ­einer Gemeinschaft als ganzer bzw. von Individuen einer Gemeinschaft war,35 vor allem auf zwei Feldern innovativ ein: in der Paränese, der ethischen Unterweisung, sowie im Recht und in der Verwaltung.


Paränetische Texte wurden seit der Spätantike mehr oder weniger kontinuierlich und ab dem 11. Jahrhundert in ihrer Zahl ansteigend verfasst, um Mönchen und Nonnen die Grundlagen des spirituellen und moralischen Fortschreitens zu vermitteln.36 Die Texte gewannen damit eine komplementäre Funktion gegenüber den auf die Gemeinschaft bezogenen Rechts- und Verwaltungstexten. Ihr Geltungsanspruch gründete darin, dass die dort angemahnten Verhaltensweisen als zwingend heilsnotwendig angesehen wurden. Ihre Sanktionsbewehrung war demnach ausschließlich transzendent im göttlichen Gericht verankert und ihre Geltung ausschließlich im Gewissen des Einzelnen verortet, also vollständig individualisiert. So ging es diesen Texten neben dem Aufbau einer persönlichen innerlichen Akzeptanz der klösterlichen Gemeinschaftsordnung um die Maxime der spirituellen Formung des Einzelnen und die spezifisch seelischen Vorgaben einer individuellen und zugleich gänzlich auf Gott ausgerichteten Lebensführung. Die Klöster explizierten damit erstmals im Mittelalter den Umgang mit dem Selbst.37 Sie suchten die Verhaltensweisen des Individuums vor der Kulisse seiner empfundenen und zugleich vorgefassten Welt zu beschreiben und die dafür maßgeblichen inneren und äußeren Bedingungen und Ursachen zu analysieren. Sie suchten ferner, die daraus abzuleitenden normativen Strukturen zu objektivieren, die entsprechenden ideellen Werte in abstrakte Begriffe, wie etwa caritas, pax oder iustitia, zu fassen und sie damit als handlungsleitend festzuschreiben.38 Mit anderen Worten: Individuelles und – wie oben schon formuliert – mit emphatischer Leidenschaft geführtes Handeln und Streben fand sich, um kollektiv reproduzierbar zu werden, mittels eines Aktes rational gelenkter Vertextung hier als transpersonales Verständnisraster wieder.


Zur Stabilisierung der Gemeinschaft wurden die internen Verfahrens­abläufe im Laufe der Kloster- und Ordensgeschichte immer wieder durch strikt einzuhaltende Rechtsordnungen (seien es Regeln und niedergeschriebene Consuetudines, seien es Satzungen, Statuten, Beschlüsse von Generalkapitel usw.)39 geordnet, die Aufnahme von Mitgliedern, die Einsetzung in Ämter, die Bezüge zum sozialen Umfeld reglementiert, wurde Vorsorge für die materiellen Ressourcen getroffen und der Umgang damit überwacht. Klosterregeln und die auf sie aufbauenden Normierungen in Gestalt von aufgeschriebenen Gewohnheiten, Satzungen und dergleichen wiesen Rollen und Kompetenzen zu, sie versuchten, Devianzen vorzubeugen bzw. verhängten, falls dies scheiterte, Sanktionen. Damit fand sich also ein Feld von organisationsbezogenen Verhaltensstrukturen auf hoch rationaler Weise festgeschrieben, die das Leben in allen geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Bereichen, im Tagesablauf, in der Nutzung von Räumen und den dort durchgeführten rituellen Vollzügen, in der Nahrung und Kleidung etc., aber auch hinsichtlich der Beziehungen zum Umfeld präzis, detailliert und vor allem unabdingbar regelten. 


Durch das Medium solcher Rechts- und Verwaltungstexte (einschließlich des Bereichs der Wirtschaft) war es überhaupt erst möglich, dass geforderte Handlungsweisen von allen Betroffenen in möglichst gleicher Weise orts- und situationsübergreifend eingeübt und vollzogen wurden.40 Zudem bedurften vor allem die gesamtkörperschaftlichen Leitungen von Klosterverbänden oder Orden zwangsläufig eines Normensystems, welches auf gemeinschaftlichem Konsens beruhte, welches ferner sich gegenüber dem Einzelnen autonom zeigte und welches alle Beteiligten – also auch die, die es zu wahren hatten41 – auf gleiche Weise band. Diese autonome Geltung aber setzte ebenfalls den objektiven Wissensträger »Schrift« voraus, der jede willkürliche Interpretation und Veränderung unmöglich machte oder zumindest entlarven ließ, und dessen Inhalte vor allem auch, aber wiederum eben nur gemeinschaftlich verändert oder gar annulliert werden konnten.42 Durch diese rationale Kodifizierung eines objektiven Rechts wurde die legislative und judikative Praxis in klösterlichen Gemeinschaften gegenüber den schon oben erwähnten kontingenten Störungen anpassungsfähig und in den Stand versetzt, Reformen zu initiieren, um durch Veränderung das zu bewahren, was als erhaltenswert eingeschätzt wurde.43

Vor dem Hintergrund eines Strebens nach Vervollkommnung symbo­lisierten beide Werkzeuge – die Texte der rechtlichen Organisation und 
die Texte der Paränese – die Geltungsansprüche einerseits der Gemeinschaft, andererseits des Individuums. Das Besondere dieser Texte aber war, dass sich dort zwar inhaltlich die zu verinnerlichende Leidenschaft des individuellen Asketen und der »methodische Betrieb« einer institutionalisierten Gemeinschaft jeweils gegenüberstanden, dass diese Inhalte aber als transpersonale Ordnungsmuster von gleichartig rationaler Struktur ausgeformt waren. Beide Textsorten waren nämlich von einem identisch übergreifenden Antrieb geleitet: Geltung als solche zu objektivieren und damit überhaupt erst unterschiedliche Geltungsbereiche aufeinander abstimmbar und angleichbar – eben ausbalancierbar – zu machen. Aufgrund des normativen Charakters sowohl des paränetischen als auch des rechtlich-organisatorischen Schrifttums eröffnete sich die faktisch durchsetzbare Möglichkeit, den religiösen Eifer jedes Einzelnen in Kohärenz mit den Anforderungen der Gemeinschaftsordnung und umgekehrt zu sehen.44

Dieses spezifisch klösterliche Instrumentarium stellte die Grundlage 
für konkrete institutionelle Ausformungen dar, die man durchaus mit dem Weberschen Diktum eines »methodischen Betriebs« bezeichnen kann. War bereits jener Umgang mit Schriftlichkeit im höchsten Maße innovativ, so war es die Pragmatik der sich darauf stützenden organisatorischen Einrichtungen nicht minder. – Es sei im Folgenden nur einiges Wesentliche angesprochen:


Klöster waren die ersten Gemeinschaften des Mittelalters, die prospektiv Organisationsformen schufen, welche mit dem Anspruch auftreten konnten, in künftigen Entscheidungslagen sowohl zweckorientiertes wie auch gleichförmiges Handeln zu ermöglichen und durchzusetzen. In einer Eingangspassage der zisterziensischen Carta caritatis prior vom Beginn des 12. Jahrhunderts – 
des wohl ersten mittelalterlichen Textes, der den Namen »Verfassung« ver-
dient – wurde dieses Prinzip programmatisch formuliert (und dann auch rea­lisiert): »In diesem Dekret bestimmten die genannten Brüder und legten für ihre Nachfahren fest, durch welchen Vertrag, auf welche Art und Weise, ja vielmehr mit welcher Liebe ihre Mönche, dem Leibe nach auf Abteien in verschiedenen Weltgegenden verstreut, dem Geiste nach unzertrennbar miteinander vereint bleiben sollten.«45 Die Zisterzienser wurden zum Vorbild für die anderen Klosterverbände; ihr Modell – der Orden als neue Organisationsform des regularen Lebens – setzte sich allgemein durch. Sie schufen das Generalkapitel ebenso als eine symbolische Einrichtung, die den Gesamtorden repräsentierte, wie als Organ der Gesetzgebung und der obersten Kontrolle. Mit ihm erreichten sie die Perfektionierung jeglicher prospektiver Schöpfung: die Instanz der steten Korrektur, mit der der Erhalt des Ursprünglichen nur zu erreichen war: »Dort sollen sie [sc. die auf dem Generalkapitel versammelten Äbte] … Anordnungen treffen, wenn hinsichtlich der Beobachtung der heiligen Regel oder der Ordenssatzungen etwas zu verbessern oder zu fördern ist, sowie den Frieden und die gegenseitige Liebe neu beleben.«46 Andere Orden – allen voran die Dominikaner zu Beginn des 13. Jahrhunderts47 – entwickelten diese Strukturen weiter. Sie führten z. B. erstmals das System von demokratisch gewählten Delegierten auf den gesetzgebenden Versammlungen oder den Zwang einer dreifachen Lesung von Gesetzesnovellierungen ein; als Erste schufen sie aus praktischen Gründen Satzungen, deren Verletzungen nur einen Rechtsbruch, nicht jedoch auch eine (die Seele belastende) Sünde bedeuteten, und trennten damit Moral vom positiven Recht.48

Klöster waren auch die Ersten, die planvoll architektonische Räume entwarfen, welche der differenzierten Mehrpoligkeit eines gemeinschaftlichen Lebens funktional entsprachen – wie zum Beispiel bereits die frühmittelalterliche sogenannte ›Utopie‹ des Klosterplans von St. Gallen zeigte.49 Sie waren die Ersten, die mit überwältigendem Erfolg wirtschaftliche Imperien aufbauten, um den rationalen Gedanken der Autarkie zu verwirklichen,50 sie waren aber auch die Ersten, die Arbeit als ein methodisches Konzept im Umgang mit spirituellen Leitideen sozusagen ›gesellschaftsfähig‹ machten.51 Alle klösterlichen Verbände und Orden waren in der Lage, ein effizientes Kommunikationsnetz über ganz Europa zu spannen, das politische Analysen, Wirtschaftsbilanzen, disziplinäre Zustände, Bautechniken und dergleichen rasch über Verteilungszentren austauschen ließ.52 Franziskaner waren es, die sich – neben den Dominikanern – 
mit ausgefeilter Planungsreflexion53 missionierend selbst in die muslimischen Gebiete wagten, die dann auch die Grenzen der bekannten Welt überschritten und als erste präzise Nachrichten von den anstürmenden Mongolen brachten, die zudem in China sogar eine ganze Kirchenprovinz aufbauten und die Geographie der Welt neu schreiben ließen sowie an der Schwelle zur Neuzeit in Amerika ein Netz von Missionsstationen zu spannen vermochten. Solcherlei Beispiele ließen sich vermehren.


Die Ratio der zu perfektionierenden Organisation gewährleistete aber gleichermaßen die bestmögliche Entfaltung von gemeinschaftlichen wie individuellen Frömmigkeitspraktiken im Rahmen der Liturgie, des Chorgebets oder der separierten Kontemplation. So charakterisierte z. B. Wilhelm von Saint-Thierry die für ein eremitisches Leben im Kloster bereitgestellte Zelle als einen abgeschlossenen Ort, der für den, der voll der Frömmigkeit sei, keinen Kerker bedeute, sondern »eine Wohnung des Friedens« (domicilium pacis), deren Tür nicht etwas verstecke, sondern Zurückgezogenheit von den übrigen Teilen des Klosters ermögliche.54 In diesem Ort sei der Mönch »völlig von der Welt aus­geschlossen« und zugleich »mit Gott eingeschlossen«, pointierte Wilhelm. 


Klosterleute testeten die Grenzen der rationalen Erkenntnis durch die Methode des sogenannten Symbolismus55, dann der scholastischen Dialektik56 aus und sprengten sie zugleich radikal auf durch die individuellen Erfahrungen der Mystik.57 Denn klösterliche Organisation ließ prinzipiell auch eine tief verinnerlichte, ja oftmals sogar ekstatisch gelebte Spiritualität zu, obgleich sie gegebenenfalls mit Radikalität und potentiell sogar revolutionär verwirklicht wurde. Dann zeigte sich allerdings, wie grenzwertig klösterliches Leben eigentlich zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie58 verortet war und welcher Kräfte drosselnder Disziplin es bedurfte, um die Balance zwischen zelotischer Leidenschaft und »methodischem Betrieb« der Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Und dennoch hätten kein Richtmaß eines Gesetzes und kein Ruf des Gewissens Wirkung gehabt, wenn man zuvor nicht eine – wie oben zitiert59 – »totale Konversion des Herzens zu Gott« radikal und das ganze Selbst erfassend vollzogen hätte. Ohne jene individuelle Frömmigkeit des Herzens wäre auch nicht die beste Weiserin zur Tugend des religiösen Lebens – die Demut60 – zu gewinnen gewesen und damit die Akzeptanz, noch unvollkommen zu sein, nie erfolgt. Klöster waren demnach die ersten Gemeinschaftsformen des Mittelalters, die im Alltäglichen konsequent aufzeigten, dass die Pragmatik des Lebens nicht zu führen war, ohne einen transzendierenden Bezug auf sinnstiftende Werte und Normen, denen man sich innerlich verpflichtet fühlte, bzw. dass die Pragmatik des Lebens letztlich nur gelingen konnte, wenn man sich auch in seinem Inneren emotional, ja sogar leidenschaftlich mit ihren Regeln identifizierte. 


Aus der Balance von verinnerlichtem Glauben und pragmatischer Organisation des Lebens haben die Klosterleute ganz offensichtlich die innovatorische Kraft bezogen, sich die eigene, noch irdische Welt so auszugestalten, dass Hoffnung auf eine Öffnung des Himmels bestand. Der hierbei erfolgte Schritt hinein in ordnungstiftendes Neuland, methodisch gelenkt von Prinzipien des Rationalen, war beachtlich61 und berechtigt unter analytischem Gesichtspunkt, von mittelalterlichen Klöstern als regelrechten »Innovationslaboren« zu ­sprechen.


Aber auch wenn die innovatorischen Anstrengungen der Klöster in erster Linie um der eigenen Stabilität willen erfolgten, auch wenn sie strikt zugeschnitten waren auf die hier umrissenen Anforderungen einer Sonderwelt, die sich ein abgeschlossenes Innen geschaffen hatte und sich von allem Außen abgrenzte, so ist gleichwohl zu fragen, inwieweit jene innovativen Errungenschaften sogar eine solche Wirkkraft aufwiesen, dass sie auch für die säkulare Welt62 jenseits der Klöster von Bedeutung sein konnten. 


Dazu muss allerdings das faktische Verhältnis zwischen Kloster und Umfeld zuvor noch einer kurzen Betrachtung unterzogen werden, um zu klären, inwieweit die säkulare Welt des Mittelalters bereit sein konnte, von der offensichtlich so stark sekludierten klösterlichen überhaupt Innovationen anzunehmen.


»Le monastère est en même temps la cellule d’une cité terrestre«, unterstrich zu Recht Marie-Dominique Chenu63 in Aufgriff augustinischer Dichotomie. Die Geschichte zeigt in der Tat, dass die Klöster über die Abgegrenztheit ihrer Sonderwelt hinaus sowohl ihrem Umfeld entscheidende Impulse zu geben vermochten als auch sich selbst mit ihr vor allem politisch und wirtschaftlich verbanden. Der systemischen Selbstreferentialität des klösterlichen Lebens schien dies keinen Abbruch getan zu haben, solange das für die klösterliche Gemeinschaft sinnstiftende tatsächliche Vorhandensein eines »Seelenklosters« jedes einzelnen Mitgliedes nicht in Zweifel gezogen wurde.


So konnten sich in Gestalt des Klosters wesentliche (aber auch ganz unterschiedliche) Bedürfnisse der mittelalterlichen Gesellschaft kristallisieren. Mönche und Nonnen lebten nicht nur exemplarisch vor, wie die ethischen Prinzipien des christlichen Glaubens zu verwirklichen waren, vielmehr versprachen sie der außerklösterlichen Welt auch bei Investitionen ebenso der Frömmigkeit wie des weltlichen Betriebes von Wirtschaft und Politik eine sichere Anlageform. Schon seit Beginn des Mittelalters waren Klöstern durch Schenkungen und Übertragungen neben dem Zehnten, neben Pfarrpfründen, Zoll-, Berg- und Marktrechten teilweise riesige Latifundien, verbunden mit Herrschaft über Menschen, zugewachsen. Die neuen reformerischen Bewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts aber – darunter vor allem die Cisterzienser – setzten mit ihrer Kritik am benediktinischen Mönchtum gerade hier an und warfen den traditionellen Abteien vor, sie ernährten sich vom Blut der Menschen, wenn sie den Zehnten nähmen.64 Armutsbewegungen aus eremitischen Kreisen jener Zeit, dann getragen von den Bettelorden des 13. Jahrhunderts, lehnten daraufhin jeden gemeinschaftlichen Besitz ab und wiesen dafür der Welt das Modell der freiwilligen Armut als spirituellen Weg zur Seelenrettung.65

Es ist stupend, wie stark im Grunde alle diese klösterlichen Ausformungen seitens der säkularen Welt – allerdings in zeitlich unterschiedlicher Weise – angenommen wurden und die Einrichtung »Kloster« das gesamte Mittelalter hindurch als ein integraler Bestandteil auch des eigenen (adeligen, städtischen, universal-kirchlichen) Kosmos erschien.66 Angesichts dieser (nicht selbstverständlichen und oftmals erst wieder neu zu erringenden67) Akzeptanz aber waren Klosterleute grundsätzlich in der Lage, die Menschen der säkularen Welt gottgefälliges Handeln zu lehren, ihnen exemplarisch die Wege zum Inneren der Seele zu weisen und ihnen durch die Predigt, für die sie spezialisierte Orden hervorgebracht hatten, programmatisch die Natur, das Leben und das Jenseits zu deuten. 


Da einem Innovationstransfer unter diesem Gesichtspunkt prinzi­piell nichts im Wege stand, waren die klösterlichen Errungenschaften auch für die säkulare Welt überall dort nutzbar, wo sie trotz ihres Bezuges auf das Spezifische des Klosters transferierbar waren. Hier gab es zwei Möglichkeiten. Die eine eröffnete einen unmittelbaren Einfluss auf die zeitgenössischen Verhältnisse des Mittelalters; hier ging es tatsächlich nur um einen Transfer von der klösterlichen in die säkulare Welt, der dabei die Substanz der klösterlichen Werte nicht veränderte. Die andere bedurfte einer größeren Spanne an Wirkungsdauer; hier ging es um eine Säkularisierung der klösterlichen Werte, die dann letztlich deren klösterliche Herkunft überflüssig machte.


Zur ersten Möglichkeit: Weil die Pragmatik einer methodisch umgesetzten Rationalität funktional offen war, also sowohl bei religiösen wie bei säkularen Lebensformen Anwendung finden konnte, waren alle aus ihr heraus entstandenen Innovationen potentiell auch auf außerklösterliche Bedürfnisse übertragbar. Zum Beispiel die von den Orden eingeführte parlamentarische Ordnung, die die Exekutive kontrollierte, oder die Elaborierung von Satzungsrecht, das autonom gegenüber willkürlichen Zugriffen und zugleich an neue Verhältnisse mittels systematisch durchgeführter Novellierungen anpassungsfähig war, oder die Schaffung eines Rechtscorpus, das mit Sanktionen auskam, die nicht an den Himmel angebunden waren, oder ein arbeitsteiliges Vorgehen, das ­allein von Kompetenz bestimmt war, stellten solche innovativen Einrichtungen dar, die sich nutzvoll auf die säkulare Welt übertragen ließen und zum Beispiel bei den sich im 12./13. Jahrhundert konstituierenden städtischen Kommunen auch auf hohen Bedarf stießen.68 Generell gesagt, vermochten klöster­liche Strukturen also nichts Geringeres als für die Rationalität der Planung, der Normsetzung, der Arbeitsteilung, der Güterzuweisung und der ökonomischen Betriebseffizienz sowie für verantwortlichen Umgang mit Eigentum und Besitzlosigkeit ihrem säkularen Umfeld Modelle anzubieten oder sogar aufgrund der in ihnen erprobten rationalen Gestaltung gesellschaftlicher Systeme den Weg auch zur Konstruktion einer sich in jener Epoche erst entwickelnden Staatlichkeit vorzubereiten. 


Zur zweiten Möglichkeit: Es hat sich gezeigt, dass eine besondere innovative Leistung der Klöster in einem ganz spezifischen Umgang mit absolut gesetzten Wertinstanzen lag. Dieser Umgang war seelisch zutiefst verinnerlicht, er war bestimmt von gänzlicher Hingabe in religiösen Eifer; er war im letzten Kern total individualistisch und uneingeschränkt emotional – also zwangsläufig radikal und antiinstitutionell. Zugleich aber war er institutionell gedrosselt, der Disziplin und der Demut unterworfen, in die Rahmungen einer Friedensgemeinschaft eingegossen sowie in Regeln und Ritualen gefasst, welche die Unterscheidung, die discretio, zur Grundlage hatten. In dieser scheinbaren Paradoxie gewann die europäische Kultur ein Modell, welches ihr erlaubte, ­individuell gelebte Religiosität mit der Regelhaftigkeit praktischer Rationalität dergestalt verbunden zu sehen, dass beide Ebenen sich gerade nicht gegenseitig neutralisierten, sondern sublimierten. Es eröffnete sich damit eine fundamental humane Ethik,69 die dem Menschen angesichts eines Befolgungsgebotes absoluter Forderungen stets die Würde des rechten Maßes beließ. Dieses Humanum jedoch in die säkulare Welt zu übertragen, hieß, auf klösterliche Reli­giosität als sein transzendierendes Begründungselement zu verzichten. Ein solcher Transfer konnte nur in Form der Säkularisierung geschehen.


  1. 1Das bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und bei der Heidelberger Akademie der Wissenschaften angesiedelte Forschungsprojekt trägt den Titel »Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle« und steht unter der Leitung von Prof. Dr. Gert Melville (Technische Universität Dresden), Prof. Dr. Bernd Schneidmüller und Prof. Dr. Stefan Weinfurter (beide Universität Heidelberg).

  2. 2Vgl. im Überblick Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 4. Aufl., Darmstadt 2009.

  3. 3Siehe Peter von Moos, »›Herzensgeheimnisse‹ (occulta cordis). Selbstverwahrung und Selbstentblößung im Mittelalter«, in Gert Melville (Hg.), Peter von Moos, Gesammelte Schriften zum Mittelalter, Bd. 2: Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Münster/Berlin 2006, S. 5–28; Gert Melville, »Tegumenta virtutis und occulta cordis. Zur Wahrnehmung religiöser Identität im Mittelalter«, in Albrecht Beutel und Reinhold Rieger (Hg.), Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie. Festschrift für Ulrich Köpf zum 70. Geburtstag, Tübingen 2011, S. 277–290.

  4. 4Besonders gut mittels der emphatischen Mönchssprache jener Zeit auf den Punkt gebracht zum Beispiel in einer Formulierung des Benediktiners, dann Zisterziensers Wilhelm von Saint-Thierry (1075/1080–1148): »[…] so lieben wir Dich und liebst Du Dich in uns; wir von Dir angetan, Du wirksam uns eingetan, indem Du uns eins machst in Dir durch Deine Einheit, das ist durch Deinen eigenen Heiligen Geist, den Du uns geschenkt hast.«(»De natura et dignitate amoris«, in Wilhelm von Saint-Thierry, übertr. u. eingel. von Winfrida Dittrich und Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1961, S. 34.). Zum hier impliziten Gedanken der »Verähnlichung« des Menschen mit Gott, wie er vor allem von Bernhard von Clairvaux entwickelt worden ist, siehe Michaela Diers, Bernhard von Clairvaux. Elitäre Frömmigkeit und begnadetes Wirken, Münster 1991, S. 45 ff. – Es ist dabei natürlich analytisch in Rechnung zu stellen, dass es sich hier um Ideale handelt, um die in jedem Einzelfall eines Individuums gerungen werden musste und die in der langen klösterlichen Geschichte oft sehr unterschiedlich erreicht wurden. Siehe auch Fn. 15.

  5. 5Vgl. Gerhard Bauer, Claustrum animae. Untersuchungen zur Geschichte der Metapher vom Herzen als Kloster, München 1973.

  6. 6Dazu eindrücklich Jean Leclercq, L’amour vu par les moines au XIIe siècle, Paris 1983, vor allem S. 109–116.

  7. 7Vgl. Gert Melville, »Im Zeichen der Allmacht. Zur Präsenz Gottes im klösterlichen Leben des hohen Mittelalters«, in ders. (Hg.), Das Sichtbare und das Unsichtbare der Macht. Institutionelle Prozesse in Antike, Mittelalter und Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 19–44; Gert Melville und Anne Müller, »Franziskanische Raumkonzepte. Zur symbolischen Bedeutung des inneren und äußeren Hauses«, in Revue Mabillon 21 (2010), S. 105–138, hier S. 107–118. Siehe in Kürze Brigitte Meijns und Steven Vanderputten (Hg.), Ecclesia in medio nationis. Religious communities and the outside world in the central middle ages (im Druck).

  8. 8Hugo de Folieto (ca. 1100–ca. 1174), »De claustro animae«, in Jacques Paul Migne, Patrologia Latina 176, Sp. 1019.

  9. 9Sehr deutlich wird dies bei Cornelius Bohl, Geistlicher Raum. Räumliche Sprachbilder als Träger spiritueller Erfahrung, dargestellt am Werk »De compositione« des David von Augsburg, Werl 2000, gezeigt, der damit auch aufweist, dass ein Innen-/Außen-Verhältnis bei den Bettelorden im Prinzip ebenso galt wie bei den herkömmlichen Klaustralorden.

  10. 10»De disciplina claustrali«, in Gérard de Martel (Hg.), Pierre de Celle, L’école du cloître, Paris 1977, S. 192, 194, unter Verwendung von Iob 2, 4. Dieser im Inneren vollzogene Schritt bedurfte freilich dann noch des Gelübdes und der Weihe als institutionelle Akte des Sakralen; siehe Mirko Breitenstein, Das Noviziat im hohen Mittelalter. Zur Organisation des Eintrittes bei den Cluniazensern, Cisterziensern und Franziskanern, Berlin 2008, S. 141 ff., 205 ff., 409 ff. und 489 ff.

  11. 11»Epistola cujusdam de doctrina vitae agendae (12. Jahrhundert)«, in Jacques Paul Migne, Patrologia Latina 184, Sp. 1187.

  12. 12Vgl. in Zusammenfassung Gert Melville, »Religiosentum – Klöster und Orden«, in Gert Melville und Martial Staub (Hg.), Enzyklopädie des Mittelalters, Darmstadt 2008, Bd. 1, S. 99–110.

  13. 13Siehe zu Folgendem ausführlich Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit, Berlin 2008.

  14. 14Vgl. zum klösterlichen Alltag auch Léo Moulin, La vie quotidienne des religieux au Moyen Âge. Xe - XVe siècle, Paris 1990.

  15. 15Nicht zuletzt deshalb, weil das Mitglied eines Klosters eben keineswegs vollkommen war und somit zur Devianz neigen konnte. Vgl. dazu Florent Cygler, »L‘ordre de Cluny et les ›rebelliones‹ au XIIIe siècle«, inFrancia 19 (1992), S. 61–94; Gert Melville, »Der Mönch als Rebell gegen gesatzte Ordnung und religiöse Tugend. Beobachtungen zu Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts«, in ders. (Hg.), De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen und Schriftlichkeit im mittelalterlichen Ordenswesen (Vita regularis, Bd. 1), Münster/Hamburg/London 1996, S. 153–186; Thomas Füser, Mönche im Konflikt. Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktion bei den Cisterziensern und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert), Münster 2000; Steffen Patzold, Konflikte im Kloster. Studien zu Auseinandersetzungen in monastischen Gemeinschaften des ottonisch-salischen Reichs, Husum 2000.

  16. 16»Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten […]«;Die Benediktsregel Lateinisch/Deutsch, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1992, S. 71 (Prolog, Zeile 45); ebd.: »Die Werkstatt aber, in der wir das alles sorgfältig verwirk­lichen sollen, ist der Bereich des Klosters und die Beständigkeit in der Gemeinschaft«, S. 95 (Kap. 4, Zeile 78).

  17. 17Vgl. den Abschnitt »Die Werkzeuge der geistlichen Kunst« [Quae sunt instrumenta bonorum operum], in ebd., S. 87–95 (Kap. 4).

  18. 18Vgl. Klaus Schreiner, »Ein Herz und eine Seele. Eine urchristliche Lebensform und ihrer Institutionalisierung im augustinisch geprägten Mönchtum des hohen und späten Mittelalters«, in Gert Melville und Anne Müller (Hg.), Regula Sancti Augustini. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittelalter, Paring 2002, S. 1–48.

  19. 19Mirko Breitenstein und Gert Melville, »Gerechtigkeit als fundierendes Element des mittelalterlichen Mönchtums«, in Heidrun Alzheimer u. a (Hg.), Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften, Wolfgang Brückner zum 
80. Geburtstag, Regensburg 2010, S. 33–42; Mirko Breitenstein, »Gerechtigkeit als Leitidee und Ordnungsprinzip im frühen Cisterzienserorden«, in Analecta Cisterciensia 60 (2010), S. 225–262.

  20. 20Dazu grundlegend Franz Josef Felten, »Herrschaft des Abtes«, in Friedrich Prinz (Hg.), Herrschaft und Kirche. Beiträge zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Organisationsformen, Stuttgart 1988, S. 147–296.

  21. 21Im Wesentlichen begrifflich zu fassen im »Prior« als Vorsteher einer klösterlichen Gemeinschaft, siehe dazu Jean-Loup Lemaître, Prieurs et prieurés dans l‘occident médiéval, Genève 1987.

  22. 22Vgl. Giancarlo Andenna, Sébastien Barret und Gert Melville (Hg.), Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum, Münster 2005.

  23. 23Siehe z. B. Bernhard v. Clairvaux, »Parabolae 3«, in Jean Leclercq und Henri Rochais (Hg.), Sancti Bernardi Opera, Bd. 6.2, Rom 1970, S. 261–303, hier S. 274–276.

  24. 24Neben Ermenegildo Bertola, Il problema della coscienza nella teologia monastica del 12 secolo, Padova 1970, vgl. auch Marie-Dominique Chenu, L’éveil de la conscience dans la civilisation médiévale, Montréal/Paris 1969; im Überblick siehe Hans Reiner, »Gewissen«, in Joachim Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel/Stuttgart 1974, Sp. 574–592, hier Sp. 581–583; Friedhelm Krüger, »Gewissen, III. Mittelalter und Reformationszeit, 1. Mittelalter«, in Theolo­gische Realenzyklopädie 13 (1984), S. 219–221.

  25. 25Grundlegend zu dieser Reformepoche Giles Constable, The reformation of the twelfth century, Cambridge 1996.

  26. 26Vgl. »De interiori domo seu De conscientia aedificanda (Anonymus, 12. Jahrhundert)«, in Migne, Patrologia Latina 184 (Fn. 11), Sp. 523.

  27. 27»Meditationes piissimae«, in ebd., Sp. 494; »De interiori domo«, in ebd., Sp. 534.

  28. 28Vgl. Ineke van’t Spijker, Fictions of the Inner Life. Religious Literature and Formation of the Self in the Eleventh and Twelfth Centuries, Turnhout 2004; und jüngst Melville und Müller, Franziskanische Raumkonzepte (Fn. 7), S. 111 ff.

  29. 29Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5., rev. Aufl., besorgt von Johannes ­Winckelmann, Tübingen 1980, S. 696. 

  30. 30Dies schlug sich auch im Titel dieser Abhandlung nieder. – Siehe zur entsprechenden begrifflichen Kennzeichnung einer Schlüsselphase des Mittelalters Georg Wieland, »Rationalisierung und Verinnerlichung. Aspekte der geistigen Physiognomie des 12. Jahrhundert«, in Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder und Gangolf Schrimpf, Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, 2. Aufl., Hamburg 1996, S. 61–79. Vgl. dazu auch Peter von Moos, »Krise und Kritik der Institutionalität. Die mittelalterliche Kirche als ›Anstalt‹ und ›Himmelreich auf Erden‹«, in Gert Melville (Hg.), Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigung kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 293–340, hier S. 303–310. Siehe zu exemplarischen Abläufen im Mittelalter Gert Melville, »Stephan von Obazine. Begründung und Überwindung charismatischer Führung«, in Giancarlo Andenna, Mirko Breitenstein und Gert Melville (Hg.), Charisma und religiöse Gemeinschaften im Mittelalter. Akten des 3. Internationalen Kongresses des »Italienisch-deutschen Zentrums für vergleichende Ordensgeschichte«, Münster 2005, S. 85–102.

  31. 31Siehe Jack Goody, The Logic of Writing and the Organization of Society, Cambridge 1986.

  32. 32Brian Stock, The implications of literacy. Written language and models of interpretation in the 11th and 12th centuries, Princeton / New York 1983; Hagen Keller, »Die Entwicklung der europäischen Schriftkultur im Spiegel mittelalterlicher Überlieferung. Beobachtungen und Überlegungen«, in Paul Leidinger und Dieter Metzler (Hg.), Geschichte und Geschichtsbewußtsein. Festschrift Karl-Ernst Jeismann, Münster 1990, S. 171–204; Hagen Keller, »Vom ›heiligen Buch‹ zur ›Buchführung‹. Lebensfunktionen der Schrift im Mittel­alter«, in Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 1–31. Zum zeitweiligen Aufblühen der Schriftlichkeit allerdings schon in der Karolingerzeit siehe Rosamond McKitterick, The Carolingians and the Written Word, 3. Aufl., Cambridge 1995.

  33. 33Zu den ältesten Regeln zählt die des Pachomius (ca. 292–348); siehe Philip Rousseau, Pachomius. The Making of a Community in Fourth-Century Egypt, Berkeley 1999. Selbstredend blieb dabei eine bedeutende orale Kommunikationsstruktur gleichzeitig ­bestehen, wie an hochmittelalterlichen Verhältnissen jüngst eindrücklich gezeigt wurde: Steven Vanderputten (Hg.), Understanding Monastic Practices of Oral Communication (Western Europe, Thenth-Thirteenth Centuries), Turnhout 2011.

  34. 34Ganz abgesehen davon, dass die Klöster in ihrer literarischen Produktion im Grunde kein Thema ausgeschlossen hatten, weil sie bis weit in das Hochmittelalter hinein eine nahezu monopolistische Stellung (neben den Domschulen) in der Gelehrsamkeit besaßen, so ist im Besonderen hervorzuheben, dass Klöster in höchst rationaler Weise Texte verfassten und tradierten, um dem Vergessen Einhalt zu bieten und Wissen, das sowohl sie selbst wie aber auch die ganze Welt betraf, für die Zukunft zu speichern. Vgl. das immer noch grundlegende Werk von Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1963; siehe auch im kurzen Überblick Ludo Milis, Les moines et le peuple dans l’Europe du Moyen Âge, Paris 2002, S. 85 ff.

  35. 35Eine breite Skala solcherart Verwendung von Schrift in der mittelalterlichen Kultur legen zum Vergleich vor: Hagen Keller, Klaus Grubmüller und Nikolaus Staubach (Hg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, München 1992; Hagen Keller, Christel Meier und Thomas Scharff (Hg.), Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern, München 1999.

  36. 36Siehe Caroline Bynum, Docere verbo et exemplo. An Aspect of Twelfth-Century ­Spirituality, Missoula 1979. Paränetisches Schrifttum konnte sich auf das Noviziat beziehen, griff aber grundsätzlich wesentlich weiter – im Grunde auf jedes Mitglied – aus; vgl. Breitenstein, Noviziat (Fn. 10), passim; neuerdings zu einer signifikanten Übermittlungsform Mirko Breitenstein, »›Ins Gespräch gebracht‹: Der Dialog als Prinzip monastischer Unterweisung«, in Vanderputten, Understanding Monastic Practices (Fn. 33), S. 205–229.

  37. 37Vgl. den Sammelband von Gert Melville und Markus Schürer (Hg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, Münster 2002.

  38. 38Siehe den Überblick von Jean Leclercq, Otia monastica. Etudes sur le vocabulaire de la contemplation au moyen âge, Rom 1963; jüngst zu einem exemplarischen Bereich: Breitenstein und Melville, Gerechtigkeit (Fn. 19); Gert Melville (Hg.), Aspects of Charity. Concern for one’s neighbour in the medieval vita religiosa, Berlin 2011.

  39. 39Siehe dazu Cristina Andenna und Gert Melville (Hg.), Regulae – Consuetudines – 
Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo. Atti del I e II Seminario internazionale di studio del Centro italo-tedesco di storia comparata degli ordini religiosi (Bari/Noci/Lecce, 26–27 ottobre 2002 / Castiglione delle Stiviere, 23–24 maggio 2003), Münster 2005.

  40. 40Vgl. Gert Melville, »Zur Funktion der Schriftlichkeit im institutionellen Gefüge mittelalterlicher Orden«, inFrühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 391–417; Klaus Schreiner, »Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters«, in Keller, Grubmüller und Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter (Fn. 35), S. 37–75.

  41. 41In der Tradition des Benediktinertums lag es begründet, dass der Abt nichts gegen die Normen der Regel befehlen dürfe: »Extra Deum nihil agas, extra Benedictum nihil praecipias«, formulierte z. B. der schon genannte Petrus, Abt von Moûtier-la-Celle, »Epistolae I, 31«, in Jacques Paul Migne, Patrologia Latina 202, Sp. 439–441. Auch hinsichtlich des jüngeren, ab dem 12. Jahrhundert gesatzten Rechts zeigte sich eine analoge Einstellung. In den Statuten der Cluniazenser aus dem Jahre 1200 sagt z. B. der Abt von Cluny als Haupt des sich nun zu einem Orden ausformenden Verbandes und als Promulgator der Statuten lapidar: »[…] etiam nos ipsos legi subjicimus[…].«; Gaston Charvin, Statuts, chapitres généreaux et visites de l’ordre de Cluny, Bd. I, Paris 1965, S. 41.

  42. 42So z. B. deutlich zum Ausdruck gebracht in den Prologen zu den prämonstratensischen Statuten, wo es ausdrücklich über die Unversehrtheit des Textes hieß: »wofern niemandem erlaubt sei, irgendetwas aus eigenem Willen zu verändern, hinzuzufügen oder wegzunehmen (si mutare vel addere vel minuere nulli quitquam propria voluntate liceat)«; Placide Fernand Lefèvre und Wilfried Marcel Grauwen (Hg.), Les statuts de Prémontré au milieu du XIIe siècle, Averbode 1978, S. 1.

  43. 43Wichtige Aspekte dazu bei Klaus Schreiner, »Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz im hoch- und spätmittelalterlichen Mönchtum. Krisen, Reform- und Institutionalisierungsprobleme in der Sicht und Deutung betroffener Zeitgenossen«, in Gert Melville (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 295–341, hier vor allem S. 311–333.

  44. 44Dazu Melville, Der Mönch als Rebell (Fn. 15), S. 167 ff.

  45. 45»Hoc etiam decretum cartam caritatis uocari censebant, quia eius statutum, omnis exactionis grauamen propulsana, solam caritatem et animarum utilitatem in diuinis et humanis exequitur.«( Carta Caritatis Prior, Prolog 4); Waddell, Chrysogonus, Narrative and legislative texts from early Cîteaux. Latin text in dual edition with English translation and notes, Cîteaux 1999, S. 274; Übersetzung nach Hildegard Brem und Alberich M. Altermatt (Hg.), Einmütig in der Liebe. Die frühesten Quellentexte von Cîteaux, Langwarden 1998, S. 99.

  46. 46»[…] ibique de salute animarum suarum tractent; in obseruatione sancte regule uel ordinis, si quid est emendandum uel augendum, ordinent; bonum pacis et caritatis ­inter se reforment.« (Carta Caritatis Prior, De generali capitulo abbatum apud cistercium, 7, 2); Waddell, Chrysogonus, Narrative and legislative texts from early Cîteaux (Fn. 45), S. 278; Brem und Altermatt, Einmütig in der Liebe (Fn. 45), S. 105. – Daneben verfolgten die meisten Klöster zusätzlich einen entgegengesetzten, indes auch komplimentären Weg, indem sie sich ihres modellhaften Anfangs in Form eines Fundationsberichts bzw. einer eigen­geschichtlichen Darstellung versicherten; siehe Jörg Kastner, Historiae fundationum monasteriorum: Frühformen monastischer Institutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter, München 1974; Kaspar Elm, »Die Bedeutung historischer Legitimation für Entstehung, Funktion und Bestand des mittelalterlichen Ordenswesens«, in Peter Wunderli (Hg.), Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation, Sigmaringen 1994, S. 71–90; Cécile Caby, »De l’abbaye à l’ordre: écriture des origines et institutionnalisation des expériences monastiques, XIe-XIIe siècle«, in Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen Âge 115 (2003), S. 235–268; Gert Melville, »Knowledge of the origins: Constructing identity and ordering monastic life in the Middle Ages«, in Joseph P. Canning, Edmund 
J. King und Martial Staub (Hg.), Knowledge, discipline and power in the middle ages: Essays in honour of David Luscombe, Leiden 2011, S. 41–62.

  47. 47Siehe im Einzelnen Georgina Rosalie Galbraith, The constitution of the Dominican order: 1216 to 1360, Manchester 1925; zur Einordnung in die zeitgenössischen Strukturen vgl. Hans-Joachim Schmidt, »Legitimität von Innovation. Geschichte, Kirche und neue Orden im 13. Jahrhundert«, in Franz J. Felten und Nikolaus Jaspert (Hg.), Vita religosa. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 371–391.

  48. 48Dies galt im Partikularrecht der Dominikaner und wurde dann auch von anderen Orden übernommen. Vgl. Florent Cygler, »Une nouvelle conception de la culpabilité chez les réguliers. Humbert de Romans, les Dominicaines et ›principe de la loi purement pénale‹ au XIIIe siècle«, in Jacqueline Hoareau-Dodinau, Pascal Texier (Hg.), La culpabilité, Limoges 2001, S. 387–401.

  49. 49Konrad Hecht, Der St. Galler Klosterplan, Sigmaringen 1983; Alfons Zettler, »Der Himmel auf Erden … Raumkonzepte des St. Galler Klosterplans«, in Elisabeth Vavra (Hg.), Virtuelle Räume, Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter. Akten des 
10. Symposiums des Mediävistenverbandes, Krems, 24.–26. März 2003, Berlin 2005, S. 35–46. Für die weitere Entwicklung vgl. z. B. Matthias Untermann, »Innovative Architektur. Das Beispiel der Zisterzienser«, in Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter und Alfried Wieczorek (Hg.), Verwandlungen des Stauferreichs: drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, Darmstadt 2010, S. 230–245; Melville und Müller, Franziskanische Raumkonzepte (Fn. 7), S. 119 ff.

  50. 50Siehe für ein signifikantes Beispiel neuerdings Werner Rösener, »Die Agrarwirtschaft der Zisterzienser: Innovation und Anpassung«, in Franz Josef Felten und Werner Rösener (Hg.), Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter, Berlin 2009, S. 67–95.

  51. 51Vgl. Klaus Schreiner, »›Brot der Mühsal‹. Körperliche Arbeit im Mönchtum des hohen und späten Mittelalters. Theologisch motivierte Einstellungen, regelgebundene Normen, geschichtliche Praxis«, in Verena Postel (Hg.), Arbeit im Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2006, S. 133–170.

  52. 52Siehe dazu in Kürze Cristina Andenna, Klaus Herbers und Gert Melville (Hg.), Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen im mittelalterlichen Europa, Bd. 1: Netzwerke: Klöster und Orden im 12. und 13. Jahrhundert, Stuttgart 2012. 

  53. 53Vgl. Anne Müller, Bettelmönche in islamischer Fremde. Institutionelle Rahmen­bedingungen franziskanischer und dominikanischer Mission in muslimischen Räumen des 13. Jahrhunderts, Münster 2002.

  54. 54Jean Déchanet (Hg.), Wilhelm von Saint-Thierry, Lettre aux frères du Mont-Dieu, Paris 1975, S. 168. Zur Entwicklung der Mönchszelle im Mittelalter, vgl. Thomas Lentes, »Vita perfecta zwischen Vita communis und Vita privata. Eine Skizze zur klösterlichen Einzelzelle«, in Gert Melville und Peter von Moos (Hg.), Das Öffentliche und das Private in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 125–164.

  55. 55Vgl. Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 1954, S. 229–284.

  56. 56Vgl. Marie-Dominique Chenu, Die Theologie als Wissenschaft im 13. Jahrhundert, Ostfildern 2008.

  57. 57Siehe aus der reichen Literatur zur Mystik hier besonders einschlägig Otto Langer, Christliche Mystik im Mittelalter. Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts, Darmstadt 2004; Bardo Weiß, Ekstase und Liebe. Die Unio mystica bei den deutschen Mystikerinnen des 12. und 13. Jahrhunderts, Paderborn 2006; und jüngst den konzisen Überblick bei Hedwig Röckelein, »Mystik«, in Melville und Staub, Enzyklopädie des Mittelalters (Fn. 12), Bd. 1, S. 348-531.

  58. 58Siehe dazu das klassische Werk von Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, Berlin 1935, Nachdruck Darmstadt 1977.

  59. 59Siehe oben bei Fn. 11.

  60. 60Vgl. die Erläuterung von Demetrias von Nagel, »Die Demut als innerer Weg, zum 
7. Kapitel der Regula Benedicti«, inRegulae Benedicti Studia 6 (1981), S. 61–76.

  61. 61Es ist dabei freilich auch in Rechnung zu stellen, dass die Klöster bis weit ins ­Mittelalter hinein fast die einzige institutionelle Plattform für einen optimalen Unterricht waren und sie dadurch besonders elitebildend wirkten bzw. auf Hochbegabte besondere Anziehungskraft ausübten. Sogar noch in der Zeit der aufkommenden Universitäten und Städte (also ab dem 13. Jahrhundert) stellten Mönche dort weiterhin den intellektuellen Nukleus dar (man denke etwa nur an den Pariser Bettelordensstreit) bzw. formten Orden Gelehrtenzirkel aus, die auch von einem gebildetem Bürgertum frequentiert wurden, wie z. B. die Augustiner im Kloster Santo Spirito des humanistischen Florenz.

  62. 62Zur Begriffsverwendung siehe oben S. 73.

  63. 63Marie-Dominique Chenu, La théologie au XIIe siècle, 2. Aufl., Paris 1966, S. 230.

  64. 64Siehe Gert Melville, »Die Zisterzienser und der Umbruch des Mönchtums im 11. und 12. Jahrhundert«, in Felten und Rösener, Norm und Realität (Fn. 50), S. 23–43, hier 29.

  65. 65Vgl. Lester Knox Little, Religious poverty and the profit economy in medieval ­
Europe, Ithaca, New York 1983; Gert Melville und Annette Kehnel (Hg.), In proposito paupertatis. Studien zum Armutsverständnis bei den mittelalterlichen Bettelorden, Münster 2001.

  66. 66Vgl. aus der breiten Forschung Klaus Schreiner, »Mönchsein in der Adelsgesellschaft des hohen und späten Mittelalters. Klösterliche Gemeinschaftsbildung zwischen spiritueller Selbstbehauptung und sozialer Anpassung«, inHistorische Zeitschrift 248 (1989), S. 557–620; Ludo Milis, Angelic Monks and Earthly Men. Monasticism and its Meaning to Medieval Society, 2. Aufl., Woodbridge/Rochester 1999; Christine Kleinjung, Frauenklöster als Kommunikationszentren und soziale Räume. Das Beispiel Worms vom 13. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts, Korb am Neckar 2008.

  67. 67Siehe die eindrücklichen Beobachtungen von Hans-Joachim Schmidt, »Kloster­leben ohne Legitimität. Kritik und Verurteilung im Mittelalter«, in Franz Josef Felten, ­Annette Kehnel und Stefan Weinfurter (Hg.), Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 377–400.

  68. 68Vgl. z. B. Jörg W. Busch, »Zum Prozeß der Verschriftlichung des Rechtes in lombardischen Kommunen des 13. Jahrhunderts«, in Frühmittelalterliche Studien 25 (Fn. 40), S. 373–390.

  69. 69Vgl. Gislar Aulinger, Das Humanum in der Regel Benedikts von Nursia. Eine moralgeschichtliche Studie, St. Ottilien 1950.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 7 (2011)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen